„Bespuckt, beschimpft, beleidigt“ – so beschreibt Henrik Neumann seine Erfahrungen, die er während seiner Arbeit für DIE WELT als Video-Journalist gesammelt hat. Oft sei er auf Widerstand gestoßen, von Menschen, denen seine hintergründige Berichterstattung nicht passte. Passiert ist das dem Redakteur seit seinem Start bei DIE WELT im Januar 2014 häufig genug. Doch gerade bei Geschichten, die sich wirklich lohnen, sei er bisher immer auf Gegenwehr gestoßen. Dies habe ihm gezeigt, dass er auf der richtigen Spur sei. „Manchmal muss es weh tun, bis Menschen dir erzählen, was ihnen weh tut“, so der Journalist.
Seit 2014 hat Neumann auch einen YouTube-Kanal, auf dem er seine Arbeit zeigt. An dieser Stelle lassen wir ihn sich daher erst mal selbst vorstellen:
Für „WELT-Video“ produzierte und moderierte Neumann in den vergangenen zwölf Monaten größtenteils Milieu-Reportagen, unter anderem in der Frankfurter Drogen-Szene, mit versteckter Kamera auf einem der sogenannten Asia-Märkte in Tschechien, wo er die Droge Crystal Meth kaufte, oder für Berichte über rechte Tendenzen und Neonazis in Deutschland. „Ich dachte, mehr Adrenalin als in meiner WELT-Webvideo-Serie ‘WELT am Limit’ geht nicht. Aber es geht doch“, so der 30-Jährige.
Mit Adrenalin hat seine journalistische Karriere auch angefangen, 2003 mit seiner ersten Veröffentlichung für BOARDSTEIN – nach dem Motto Skateboard-Magazin statt Schülerzeitung. „Das Gefühl, wenn der eigene Text eine andere Person bewegt, sie den Schmerz, die Beweggründe des Protagonisten nachempfinden, fühlen kann. Das waren die Gründe, warum ich Journalist werden wollte.“
Während Neumann für die BILD Ruhrgebiet arbeitete, studierte er nebenher Anglistik, Amerikanistik und Geschichte. „Jedoch nur als Alibi“, wie der Wahlberliner sagt. „Um einen Abschluss zu haben.“ Denn schon vor dem Start des Studiums sei ihm klar gewesen, dass sein eigentliches Ziel ein Volontariat war. 2012 kam die Zusage der Axel Springer Akademie, wo er seinen Fokus auf Bewegtbild legte. 2014 dann der Wechsel zur WELT. Mittlerweile arbeitet Neumann im Reporterteam von WELT und N24.
Im vergangenen Jahr wählte das medium magazin ihn unter die Top 30 bis 30, eine Auszeichnung für vielversprechende Nachwuchsjournalisten. Einen Axel Springer Preis und den European Newspaper Award gab es auch noch.
Warum viele Kolleginnen und Kollegen Online als Bedrohung sehen, habe er nie verstanden: „Sie erkennen nicht, welche neuen Möglichkeiten, welch spannende Erzählweisen hinter diesem Medium, das wir gerade erst anfangen zu entdecken, stecken.“ Im OSK-Interview erklärt Henrik Neumann, wie er sich als Video-Journalist an den technischen Fortschritt anpassen muss, und warum Redakteure einen engen Kontakt zu ihrem Smartphone aufbauen sollten.
Henrik Neumann
Video-Journalist bei DIE WELT und N24
YouTube: Henrik Neumann
Twitter: Henrik Neumann
Facebook: Henrik Neumann
1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?
Der User wird – bei einem möglichen Überangebot an Informationen online – Journalisten als Vertrauenspersonen und -institutionen wahrnehmen. Dafür sind Qualität, gute Recherche, Genauigkeit und Faktenwissen in unseren Texten und Stücken wichtiger denn je. Das wird allerdings auch dazu führen, dass der Journalist hinter seinem Text oder seinem Stück hervortreten und sich selber als Macher, als Mensch zeigen muss. Journalisten müssen zur Marke werden, damit der User bei ihnen bleibt. Individualität und die Persönlichkeit des Journalisten werden zu einem zusätzlichen Qualitätsmerkmal werden.
2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?
Aus “Online First” wurde “Mobile First”, und derzeit muss man sich schon fast Gedanken über “Social First” machen. Auch wenn es viele Journalisten heute vielleicht immer noch nicht leben, ist dies wichtiger als je zuvor. Wir stellen fest, dass ein Großteil der Leser journalistischen Content heute schon mit dem Smartphone konsumiert – mehrmals täglich in kleinen Häppchen. Das verändert die Machart. Wir bei WELTN24 produzieren Videos, die mobile-optimiert sind, bauen Untertitel unter die Videos, damit der User sie auch ohne Sound in der Bahn oder der Bushaltestelle anschauen kann. Barrierefreiheit. Das nimmt viel Zeit in Anspruch, die Mehrarbeit lohnt sich aber. Das Smartphone muss der beste Freund des Journalisten werden, denn es ist ein direkter Kontakt zum User. Doch eben ein ganz anderer als der Desktop.
Dabei wissen viele Journalisten heute noch nicht einmal, wie ihre eigene Seite mobil aussieht. Es klafft eine große Lücke zwischen der Art, wie die User Nachrichten konsumieren, und wie wir Redakteure es noch zum Teil machen. Das muss sich dringend ändern.
Auch interessant für uns sind derzeit die vielen neuen Tools, die uns Journalisten innovative Erzählwege eröffnen. Das ist super spannend. Wir experimentieren mit 360-Grad-Videografie, mit Virtual Reality und Periscope. Wir erkennen gerade, dass wir jetzt erst ganz am Anfang einer neuen, zusätzlichen Art der Berichterstattung stehen. Sie ermöglicht uns zu den schon bestehenden Strukturen eine unglaubliche Vielfalt an neuen kreativen Erzählwegen.
3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?
Es ist ein Mix aus alt und neu. Ich bediene mich der Tools des Netzes, RSS-Feeds, Newsletter. Manchmal stolpere ich in den sozialen Netzwerken über Geschichten – das aber ehrlich gesagt seltener, als man denkt. Ich schleiche viel kreuz und quer durchs Netz, über Blogs und auf Seiten der Regionalzeitungen. Und da bin ich auch irgendwie „alte Schule“. Die besten Geschichten stehen bei den Kuchenblättern in den Meldungsspalten. Und es ist wirklich so, dass ich täglich Zeitungen zur Hand nehme und in den Nebensätzen nach Geschichten suche.
Und ich rede mit Menschen. Ich rede lieber, als Mails zu schreiben. Ich rufe auf Verdacht bei Organisationen an, die im Entferntesten mit einem Thema, das mich interessiert, zu tun haben. Dabei tun sich oft ganz neue Geschichten auf, die man beim Wählen der Nummer so noch gar nicht auf dem Schirm hatte.
Journalisten müssen als starke Marke herausstechen.
4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?
Der Journalist muss viel mehr auf den Leser und Zuschauer eingehen als früher. Er muss zur Marke werden, zu einer Vertrauensperson. Dabei wird eine starke Meinung immer wichtiger. Das führt natürlich dazu, dass wir uns ändern müssen, zulassen müssen, dass wir uns auch als Person, als Urheber angreifbar machen. Journalisten müssen als starke Marke herausstechen. Das geht nur mit ganz individuellen Themen und eben der Kommunikation in die Community. Als Journalisten müssen wir immer wieder fragen: Was interessiert euch? Was wollt ihr sehen? Welche Geschichte soll ich machen, und wo kann ich was besser machen? Es reicht nicht mehr, nur eine Geschichte zu veröffentlichen, es muss ein Dialog entstehen.
Dieser Dialog zwischen Journalisten und Lesern wird den Journalismus verändern. Früher haben wir dem Kunden die Geschichten serviert oder sie mit einer Schlagzeile verkauft. Heute ist das Publikum viel mündiger, es entscheidet selbst, was es liest oder wo es liest. Gleichzeitig ist online das Nachrichten-Angebot viel größer. Man hat nicht mehr nur die eine Publikation zuhause, man hat plötzlich alle jederzeit digital dabei. Kommunikation ist in Zukunft der Weg, den User zu binden.
// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.
5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?
Besonders einschneidend sind die Veränderungen durch die neuen Technologien derzeit im Bewegtbildbereich. Bei den vielen verschiedenen Ausspielwegen zum User – Home, Mobile, Social, Facebook, Twitter, Periscope, YouTube, TV – wird immer deutlicher, dass es nicht reicht, einen Content für alles zu produzieren. “One Fits All” funktioniert online nicht – heute nicht und in Zukunft noch weniger, da sich auch die Profile der verschiedenen Plattformen immer weiter schärfen und bewusst voneinander abgrenzen werden. Jede einzelne Plattform, jeder Kanal hat eine andere Art und Weise der Ansprache, und die User haben unterschiedliche Interessen, andere kulturelle und soziale Hintergründe.
Nur wer dem User auf der jeweiligen Plattform mit der jeweils richtigen Ansprache gegenübertritt, wird am Ende Erfolg haben. TV funktioniert anders als die Homepage. Die Homepage anders als YouTube. YouTube anders als Periscope. Das bedeutet einen Haufen an Mehrarbeit, doch es bedeutet vor allem viel mehr Chancen, viel mehr User mit unseren Geschichten zu erreichen und zu begeistern.
6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?
Ich gehe davon aus, dass es auch in Zukunft über Werbung und Verkaufserlöse laufen wird. Wie genau, das ist schwierig zu sagen. Darüber müssen sich andere den Kopf zerbrechen. Und da bin ich, ehrlich gesagt, auch ganz froh drüber.
Die Erzählformen ändern sich.
7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?
Das wird ein interessanter Mix aus dem schnellen Nachrichtengeschäft, den harten News, die einfach auf dem Markt sind, die einfach konsumierbar hingelegt werden müssen, und längeren, ausgewogenen Stücken, die dem User zeigen, warum er bei diesem und keinem anderen Medium bleiben soll. Ich denke auch, dass in Zukunft wieder längere Beiträge, Erzählstücke und Hintergrundgeschichten den User fesseln werden. Sie werden den Unterschied auf den Homepages ausmachen. Die Stücke werden verspielter, unterhaltender, viel erzählerischer sein.
Doch auch die Erzählformen ändern sich. Text, Grafiken, starke Bilder und noch stärkere Videos werden in Zukunft viel mehr verschmelzen. Bewegtbild wird dabei immer mehr in den Vordergrund rücken, mehr noch als jetzt. Text wird aber nie aussterben. Im Gegenteil. Aber Journalisten werden ein größeres Gefühl dafür entwickeln, welche Erzählweise zu genau welchem Aspekt der Geschichte gerade am besten passt. Es wird interaktiver, der User wird in den Geschichten selber viel mehr Entscheidungen treffen können: Wo er hingeht, welchen Teil er wann wie liest, schaut, wo er mitkommentiert, vielleicht sogar selber Probleme in der Geschichte mitlösen kann.
8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?
Ich denke, es geht derzeit nicht so sehr um die Frage nach neuen Medien, sondern eher um die Frage nach neuen Tools. Nach Tools, die uns als Medienmachern wirklich helfen – und damit auch den Usern helfen. Wir Journalisten wollen mit unseren Geschichten gesehen werden. Der User will in den Tiefen des Netzes Themen finden, die ihn interessieren. Filtertools, die mir zeigen, was genau gerade im Netz zu meinem Interessensgebiet läuft. Tools, die mir meine Lieblingsseiten aus den verschiedenen Zeitungen zusammenstellen. Ich denke aber auch, dass das TV in Zukunft eine große Rolle spielen wird. Auch hier wird erkannt, dass es neue Anforderungen gibt. Das bedeutet Veränderung. Da wird in Zukunft noch viel kommen.
Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #ZukunftDesJournalismus.