Liebe Leserinnen, liebe Leser,

in Zeiten tiefgreifender gesellschaftlicher Debatten erwarten immer mehr Konsument*innen von Unternehmen, eine klare Haltung einzunehmen. Wird diese Haltung von Unternehmen ganzheitlich gelebt, spricht man von Purpose: Als übergeordnete Leitlinie steht diese Bezeichnung für die gelebte Überzeugung, dass das eigene Geschäftsmodell Gutes bewirken kann. Im aktuellen OSK Weekly geben wir einen Überblick zum Thema, beleuchten den Zusammenhang zwischen sinnhaftem Business und wirtschaftlichem Erfolg und liefern kompakte Tipps für die Entwicklung eines markengerechten Purpose. 

Viel Spaß beim Lesen!

Sinnstiftend, einzigartig, relevant: der Purpose als unternehmerischer Kompass

Gefragt nach der deutschen Übersetzung des englischen „Purpose“ haben Übersetzungsanbieter zahlreiche Nuancen des Begriffs im Angebot. Sie reichen vom pragmatischen „Zweck“ über die zukunftsgerichtete „Aufgabe“ und den emotional-aufgeladenen „Sinn“ bis zur beinahe philosophischen Lesart der „Bestimmung“. Wie aber wird „Purpose“ im konkreten Kontext unternehmerischen Tuns greifbar?

OSK-Markenexpertin Miriam Schneider definiert „Purpose“ als eine klare unternehmerische Haltung: „Der Purpose ist das Ergebnis einer Suche nach Einzigartigkeit und Authentizität, explizit gewachsen aus der Markenidentität selbst. Er vermittelt etwas, das nicht im Produktnutzen selbst liegt und bringt einen gesellschaftlich relevanten Sinn ins eigene Geschäftsmodell. Im Idealfall dient ein Purpose dem Unternehmen als interner Kompass für sämtliche strategische Entscheidungen.“

Vor dem Hintergrund gesättigter Märkte und immer geringerer Produktdifferenzierung ist der Purpose für Marken somit zu einem entscheidenden Differenzierungs-Faktor gereift. Denn vor allem in den Generationen Y und Z steigt der Anteil an „believe-driven buyers“ rasant. Diese Entwicklung erhöht den Druck auf Unternehmen, Konsument*innen mit einem überzeugenden Purpose vom eigenen Sortiment zu überzeugen.

Ein guter Purpose überzeugt sowohl Kund*innen als auch Mitarbeiter*innen

Ein überzeugender Purpose wirkt jedoch nicht nur nach außen in Richtung der Konsument*innen, sondern ebenso nach innen – in Richtung der eigenen Belegschaft. In einer Kolumne auf handelsblatt.com weitet Prof. Bernd Thomsen, CEO der Thomsen Group, die Definition von Purpose unter dieser Prämisse aus – und definiert Purpose zusätzlich als das, „was die Menschen, die [in einem Unternehmen] arbeiten, bewegt. [Der Purpose] gibt Aufschluss, warum das Unternehmen überhaupt existiert, warum die Mitarbeiter tun, was sie tun, und produzieren, was sie produzieren. Zudem liefert er Informationen darüber, warum sie morgens gerne aufstehen, wieso sie sich ihrem Job widmen und warum sie etwas mit ihrer Arbeit erreichen wollen.“

Diese doppelte Wirkungsebene ist auch für das Team hinter der Initiative weltverbesserer.de charakteristisch für einen gelungenen Purpose: „Statt eine Balance zwischen Leben und Arbeiten zu finden, suchen junge Menschen heute nach einem Sinn, der sie auch während der Arbeitszeit begleitet. […] Da diese Menschen auch in ihrer Freizeit höheren Zielen folgen möchten, verändert sich allmählich auch die Nachfrage auf dem Markt. So verändern sich Purpose[-]Unternehmen von zwei Seiten: von innen und von außen – hin zu mehr Sinn für alle.“ Damit wird der Purpose zum kraftvollen Hebel für modernes Employer Branding.

Ein wirkungsvoller Purpose muss glaubwürdig vertreten und ganzheitlich gelebt werden

Um das Potenzial eines Purpose voll ausschöpfen zu können, müssen ihn Unternehmen authentisch und glaubhaft vertreten: Allein die Absicht auszudrücken, unsere Welt nachhaltiger zu machen, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen oder auf Projekte in Ländern mit problematischer Menschenrechtslage zu verzichten, reicht nicht aus – am Ende messen Konsument*innen die Haltung von Unternehmen immer an konkreten Handlungen. Laut OSK-Expertin Miriam Schneider entwickelt sich ein Purpose daher „aus einem intrinsischen Motiv. Er verschmilzt Markenkern, Markenvision und Markenmission zu einem unternehmerischen Leitbild, welches intern sowie extern gedacht, umgesetzt und gelebt wird.“

Passende Beispiele hierfür sind unter anderem Nike und Gillette, wie Christine Schäfer vom Gottwied Duttweiler Institute in der von ihr mitverfassten Studie „Globale Konsumproteste“ festhält: Im Rahmen seiner „Just do it“-Kampagne unterstützte der Sportartikelhersteller den Profi-Footballer und „Black Lives Matter“-Aktivisten Colin Kaepernick. Eine Aktion, die harsche Kritik und Boykott-Forderungen aus Politik und Kund*innenstamm mit konservativem Hintergrund auf sich zog. Gillette wiederum mischte sich mit einer Neuinterpretation seines traditionellen Slogans „The Best a Man Can Get“ offensiv in die Debatten rund um Sexismus, Mobbing oder toxischer Männlichkeit ein – Teile der männlichen Kundschaft reagierten pikiert. Trotz des Gegenwinds blieben beide Unternehmen bei ihren Botschaften. Eine Standhaftigkeit, die die GDI-Studie als konstituierend für unternehmerische Glaubwürdigkeit ansieht, da Unternehmen „[a]nsonsten […] mit einer «woke» Kampagne mehr Schaden als Nutzen für die Marke an[richten]: Die Konsumenten, die man ansprechen will, nehmen der Marke den Purpose nicht ab und kehren ihr den Rücken. Und auch die anderen Konsumentinnen, die man mit der Kampagne gar nicht erreichen wollte, wenden sich ab – sie fühlen sich von der Marke verraten, da sie für andere Werte einsteht.“

Offensichtlich wurde diese Notwendigkeit eines glaubwürdig vertretenen Purpose etwa im Kontext der Fußball-Europameisterschaft: Während die Social-Media-Aktivitäten zahlreicher Unternehmen in demokratisch-freiheitlichen Staaten im Zeichen der Regenbogenflagge standen, blieben ihre Social-Kanäle in vielfaltskritischen Ländern häufig farblos. Die umfassende Kritik vieler Kund*innen auf Social Media und hundertfache Vorwürfe einer kapitalistisch-getriebenen „Doppelmoral“ ließen nicht lange auf sich warten. Unternehmensberaterin Anne M. Schüller bringt die fatale Wirkung mit Bezug auf ein anderes Beispiel treffend auf den Punkt: „Mit solchem Vorgehen steht nicht nur die Integrität eines Anbieters, sondern auch dessen Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.“

Martin Claßen und Felicitas von Kyaw vom Magazin changement! betonen in diesem Zusammenhang den „schmalen Grat zwischen ökonomischer Rendite und humanistischen Idealen, zwischen vorzeigbaren Resultaten und innerem Zusammenhalt, zwischen Effekthascherei und Glaubwürdigkeit“, während Martina Fuchs-Auer klar macht, dass „Profit und Moral […] in Zukunft zusammen[gehören].“ Die Global Head of Marketing and Communications von Fronius International fordert deshalb, dass Unternehmen „Phrasen oder Plattitüden“ vermeiden und vielmehr „von innen nach außen ehrlich, glaubwürdig und mit klaren Botschaften“ kommunizieren und handeln sollten.

Ins gleiche Horn bläst Andreas Baetzgen: Der Professor für strategische Kommunikation und Branding an der Stuttgarter Hochschule der Medien erklärt auf seinem persönlichen Blog, dass es nicht reiche, „in der Werbung auf moralinsaure Botschaften zu setzen. Die wahre Kraft eines Brand Purpose liegt in dem unternehmerischen Willen und der Fähigkeit, eine erkannte kulturelle und soziale Verantwortung für die Entwicklung innovativer, nachhaltiger Kerngeschäfte zu nutzen.“ Damit sei der Purpose einer Marke „nicht in erster Linie ein kommunikatives Thema, sondern eine unternehmerische Selbstverpflichtung“, die sich an der „Integrität eines Unternehmens, also an der Übereinstimmung von kommunikativem Anspruch und tatsächlichem Handeln“ messe.

Nicht nur Leitbild, sondern USP: Sinn macht Sinn für Unternehmen

Wie wichtig ein authentisch gelebter Purpose darüber hinaus für den wirtschaftlichen Erfolg ist, haben mittlerweile auch die Spitzenvertreter*innen der Marken selbst verstanden. Top-Manager wie Joe Kaeser, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, oder Kasper Rorsted, Vorstandsvorsitzender Adidas, beschwören laut dem Spiegel seit geraumer Zeit Mantra-ähnlich: „Werte und Wege, die ein Konzern ausgibt, sind kaum minder wichtig als das Produkt – und sie werden zunehmend entscheidender.“ Dies unterstreiche eine Konsumentenumfrage der Columbia Business School. 87 Prozent der Befragten hätten angegeben, dass Unternehmen nicht nur Gewinne erwirtschaften, sondern auch einen Wert für die Gesellschaft stiften sollten.

Als Positiv-Beispiel nennt der Artikel Edeka. Als das Unternehmen “Wir lieben Lebensmittel” zum Slogan für das eigene Verständnis von Qualität und Hygiene machte, wurde er 2018 damit zur „most trusted brand“ im deutschen Einzelhandel. Das zeigt, dass die Konsument*innen die verschiedenen Initiativen des Supermarktbetreibers im Rahmen seines Purpose honorieren. Dazu gehören unter anderem eine Partnerschaft mit dem WWF zur zielunterstützten Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks der in den Märkten angebotenen Waren, Tipps zur bewussten Ernährung, ein Fokus auf regionale Produkte oder eine international beachtete Guerilla-Aktion, um auf die Wichtigkeit von gelebter (Lebensmittel)-Vielfalt über das Bild globaler Lebensmittel hinzuweisen. Von Verbrauchern online wie auch offline positiv bewertete Marken haben höhere Weiterempfehlungsraten, binden Kunden längerfristig an sich und schaffen die Bereitschaft beim Konsumenten, Aufpreise zu bezahlen, schreibt ergänzend die „Deutsche Unternehmer Plattform für Digitalisierung und Nachhaltigkeit“. In der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen seien 62 Prozent und auch über die Hälfte der über 30-Jährigen „geradezu Purpose-Aktivisten“. Für sie spiele es bei einer Produkt-Empfehlung eine erhebliche Rolle, ob der Artikel nicht nur gut für sie selbst, sondern auch gut für die Welt sei.

Tue Gutes, und sprich (richtig) darüber: Purpose als Chance für B2B

Das grundlegende Problem von vielen B2B-Brands auf Social Media sei, dass sie „zu viel sagen, wenn sie eigentlich nichts zu sagen haben“, schreibt marconomy. Ihren Inhalten fehle es an „Mehrwert, an Sinn, an Purpose.“

Dabei sei die Purpose-Kommunikation nicht nur weniger werblich – sie mache den typischen B2B-Nachteil geringerer Markenbekanntheit obsolet. Das bedeute jedoch nicht, dass B2B-Unternehmen auf sozialen Netzwerken nur noch über gebrandete Baumpflanz- oder Spendenaktionen sprechen sollten. Ein aufgesetzter Purpose komme bei der Zielgruppe gar nicht gut an.

Um den richtigen Ansatz zu finde, gelte auch im B2B-Bereich, in größeren Dimensionen zu denken und „den Blick über den Tellerrand eines 1080px x 1080px kleinen Instagram-Posts zu wagen.“ Statt eines klassischen Unternehmensprofils könne beispielsweise ein IT-Unternehmen einen Edutainment-Account aufbauen, der über Genderungerechtigkeit in der Branche aufkläre und sich für bessere Bildung im Tech-Bereich einsetze.

Wichtig in diesem Kontext: Unternehmen müssen die Sprache der jeweiligen Plattform sprechen und das Corporate Design sparsam einsetzen. Debranding laute das Zauberwort, das sicherstelle, dass der Fokus auf realen Mehrwerten liege.

Ein Purpose bietet viele Vorteile für Unternehmen – aber nicht jedes muss gleich die Welt retten

Welche Implikationen erschließen sich daraus nun für Unternehmen? Ist es mittlerweile obligatorisch geworden, „die Welt retten zu wollen“? Unsere Formulierung gibt einen ersten Hinweis auf die Antwort: nein, nicht zwingend. Denn Purpose bedeutet nicht – und wir hoffen, das macht der Newsletter deutlich –, seinem Unternehmen einen Sinn aus purem Selbstzweck aufzudrücken. Denn: Ein großer Teil der Unternehmen folgt bereits einer Art Purpose, auch wenn dieser bislang noch nicht als solcher definiert worden ist. Denn im Regelfall steht bereits früh fest, wofür eine Marke steht und nach welchen Werten sie handelt.

Ebenfalls wichtig: Nicht jeder Purpose ist grundsätzlich mit Nachhaltigkeit oder Umweltschutz verbunden. Genauso sind etwa faire Löhne für die eigenen Mitarbeiter*innen oder eine gerechte Geschlechterverteilung in der Führungsetage übergeordnete Ziele, die einem gesellschaftlichen Sinn folgen. Im Gegensatz dazu steht die Aussage „Wir wollen maximalen Gewinn erzielen“ zwar durchaus für ein unternehmerisches Ziel, kann aber aufgrund fehlender gesellschaftlicher Relevanz kein Purpose nach der anfangs erwähnten Definition sein.

Im Kontext der Abgrenzung zum Wettbewerb und für wirkungsvolles Employer Branding ist es aber durchaus empfehlenswert für Unternehmen, sich mit dem Thema Purpose auseinanderzusetzen. Ausschlaggebend ist dabei – wir können es nicht oft genug sagen –, dass der Purpose zum Unternehmen passt sowie glaubwürdig und realisierbar ist. In diesem Sinne ist für einen mittelständischen Handwerksbetrieb ein Purpose mit der Kernaussage „Wir stehen für sichere Arbeitsplätze, ausgeglichene Löhne und ein gutes Miteinander in der Region ein“ in den meisten Fällen passender als ein „Wir stoppen den Klimawandel“ – es sei denn, der Betrieb produziert Photovoltaikanlagen, unterstützt systematisch Baumpflanzaktionen weltweit und gestaltet seine Produktion schon jetzt klimaneutral. In diesem Fall ist der Grundstein für einen überzeugenden Purpose bereits gelegt. Vielleicht ja, ohne es selbst zu wissen.

Übrigens: Unsere Expert*innen bei OSK stehen Unternehmen, die beim durchaus komplexen Thema Purpose Beratung benötigen, jederzeit gerne als kompetenter Partner zur Seite.

How to Purpose: die wichtigsten Grundlagen – zusammengefasst von OSK-Expertin Miriam Schneider

Einen Purpose zu etablieren, ist ein komplexer Prozess und bedarf einer strategischen Basis. Dennoch gibt es einige Grundsätze, die bei der Entwicklung einer unternehmerischen Haltung helfen können.

Um Authentizität und Glaubwürdigkeit sicherzustellen, sollten Unternehmen ihren Purpose grundsätzlich von innen heraus entwickeln. Dabei sollte das Thema von der Geschäftsführung zwar niemals „von oben“ verordnet, aber durchaus vorangetrieben werden. Schließlich dient der Purpose als über der gesamten Markenidentität aufgehängtes Manifest und grundsätzlicher Impulsgeber, was gelebte „Management Attention“ unabdingbar macht. Wichtige grundsätzliche Leitfragen auf diesem Weg sind etwa:

  • Auf welche Kernaussagen setzen wir, auf welche Themen begrenzen wir uns – und auf welche Weise kommunizieren wir diese?
  • Hat der Purpose das Potenzial, zu inspirieren oder zur Lösung eines relevanten kulturellen oder sozialen Konflikts beizutragen?
  • Welche Auswirkungen hat der Purpose auf unsere internen Strukturen – und welche auf unsere externe Kommunikation?

Sobald der Purpose im Unternehmen gedacht, umgesetzt und gelebt wird, sollte im zweiten Schritt die Kommunikationsstrategie auf Basis dieser neuen Ausrichtung geschärft werden.

Da der Purpose als unternehmerisches Leitbild fungiert, welches das eigene Geschäftsmodell in eine Form von Sinnhaftigkeit einbettet, aber keine neuen Themen generiert, wird die Stoßrichtung der Kommunikation im Grundsatz nicht verändert. Markentonalität, Bildwelt und Kernaussagen werden vielmehr durchleuchtet und mit Blick auf den Purpose nachgeschärft, um diesen stringent über alle Touchpoints hinweg zu kommunizieren. Ein gutes Mittel, um diesen Prozess für alle Mitarbeitenden verständlich zu machen, ist die Definition von klaren Dos und Don’ts. Darüber hinaus sollten sich Unternehmen auch die Frage stellen, welche Schwächen und Bedrohungen der neuentwickelte Purpose im Tagesgeschäft und im Austausch mit den eigenen Stakeholdern mit sich bringt – und im Anschluss festlegen, wie mit solchen möglichen Krisenszenarien umgegangen werden soll.

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.