Lars Wienand ist mit ganzem Herzen Lokaljournalist und hat darüber hinaus ein tiefgreifendes Verständnis für das Social Web. Beide Welten verbindet er seit 2009 als Deutschlands erster Social-Media-Redakteur am Newsdesk einer Regionalzeitung – der Rhein-Zeitung (RZ) in Koblenz. Heute ist er dort Mitglied der Redaktionsleitung und noch immer Bindeglied zwischen Print, Online und Social Web.
Bereits seit der zwölften Klasse arbeitete Wienand als freier Journalist im Print-Bereich. Später brach der Westerwälder sein Studium für ein Volontariat bei der Rhein-Zeitung ab, um nach einem kurzen Abstecher zu „Boulevard Baden“, wo er als Redaktionsleiter arbeitete, schließlich zur RZ zurückzukehren. Wienand ist maßgeblich für den Auf- und Ausbau der redaktionellen Social-Media-Präsenzen verantwortlich – anfangs waren es Twitter und Facebook. Seitdem ist der 41-Jährige „Nachrichtenchef für Social Media“. Dabei steht er in engem Kontakt zu den RZ-Lesern und „seiner“ Community, die ihn oft auf aktuelle Themen aus der Region hinweist. Als Recherchewerkzeug wissen Wienand und seine Kollegen das soziale Netz ohnehin zu nutzen, wie beispielsweise Ende letzten Jahres ein Foto eines Lichtermeers auf Instagram bewies: Ein Heiratsantrag am Deutschen Eck in Koblenz, von einem Passanten zufällig fotografiert und hochgeladen, wurde von Wienand entdeckt und fürs Netz aufbereitet.
In seiner Funktion als Journalist setzt Wienand sich auch mit dem Thema „Zukunft des Journalismus“ auseinander. So arbeitete er bereits als Ideen- und Impulsgeber an der ersten Augmented Reality-Ausgabe einer Tageszeitung und experimentiert regelmäßig mit Datenjournalismus. Neben seinem Job bei der RZ referiert und schult Wienand gelegentlich zum Thema Social Media und dem Nutzen des Leserdialogs, der daraus resultiert. Im Interview erklärt Lars Wienand, welche Medien es zukünftig schwer haben werden und warum er ein YouTube-Magazin spannend fände.
Lars Wienand
Leitender Social Media-Redakteur
Twitter: @LarsWienand
Facebook: Lars Wienand
Instagram: larswienand
Xing: Lars Wienand
1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?
In einem anderen Interview der Reihe war an dieser Stelle zu lesen, dass Journalismus immer eine Qualität hat, und zwar die fürs jeweilige Medium definierte. Das finde ich gut, und das schicke ich voraus. Der Begriff Qualitätsjournalismus taucht vor allem dann auf, wenn Leser etwas stört an „den Medien“, wenn die Erwartung und das Erleben nicht zusammenpassen. Und das kann für das jeweilige Medium jeweils viele Gründe haben. Für „die Medien“ generell lässt sich da nur wenig mitnehmen. Besonders fatal ist es in meinen Augen, in der kurzatmigen Hatz Kontexte zu vernachlässigen und aus Fehlern nicht zu lernen. Wenn der Paritätische Wohlfahrtsverband 2016 wieder seine Armutsstudie vorstellt, wird sich wohl wieder in vielen Redaktionen kaum jemand daran erinnern, dass und wieso die Auswertung 2015 zur „Unstatistik des Monats“ gekürt worden ist.
Die Leser, die das gerade gestört hat und die das der Redaktion ihres Vertrauens kundgetan haben, werden das aber sehr wohl noch im Kopf haben – und erleben immer wieder solche Beispiele. Das Medienbild von noch weit mehr Menschen prägt die breite Skandalisierung von Themen, bei denen sich absehbar in zwei Tagen niemand mehr an diesen vermeintlichen Skandal erinnern wird. Aufgebauschte Un-Skandale in einer an Informationen überbordenden Welt führen zum Empfinden, dass „die Medienmenschen“ in einer abgehobenen Welt leben. Ich spreche hier nicht einmal von unsauberem Journalismus, sondern von Prioritätensetzung bei knappen Ressourcen.
Ich wünsche mir mehr Eigenständigkeit.
2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?
Es werden sich zwei Strömungen fortsetzen: Themen in Echtzeit oder echt Zeit für Themen, ganz nah am Geschehen oder das Geschehen mit einigem Abstand. Ich hoffe auf den Trend, die Finger stärker vom schnellen Nacherzählen der Inhalte anderer zu lassen. Gefühlt ist ein Drittel der News im Netz Zusammenfassung dessen, was im Netz passiert. Es ist wichtig und richtig, dass Journalisten als Lotsen durch die Info-Flut helfen. Aber es ist nicht unbedingt nötig, dass sie dabei vor allem darauf schielen, welche Signale die anderen Lotsen geben. Ganz viel von dem, was entsteht, ist völlig redundant, aber mit SEO-Optimierung im Fokus erfolgreich.
Ich wünsche mir mehr Eigenständigkeit – und ich denke, dass es in Zeiten vermehrter Paywalls auch in manchen Medien dahin gehen wird. Klar ist auch, dass Nachrichten keinen Wert mehr haben, weil sie sich jeder sofort aneignen kann. Deshalb werden wir meinungsstärkere und bessere Inhalte erleben – oder auch besser aufbereitete. Ich möchte zwar trotz meiner Nähe zu Mainz ein Fragezeichen hinter die Überschrift machen, habe aber „11 Dinge, die du über die «Stellwerkstörung» wissen musst“ trotzdem fasziniert gelesen – inhaltlich eigentlich nur ein Wikipedia-Beitrag. Ein kleiner Trend ist die „tl;dr“-Entwicklung, also die Entwicklung, am Textanfang oder – was ich allerdings weniger verstehe – am Textende die wichtigsten Punkte zu benennen. Ich denke, dass das ein Zeichen der Rücksicht gegenüber vor allem mobilen Lesern ist. Ich denke auch, dass wir noch manches erleben werden, was deren Bedürfnissen stärker Rechnung trägt. Ich habe noch Zweifel, ob Eil-Sätze auf einer Smart Watch zu den Bedürfnissen gehören. Aber das Beispiel zeigt, dass die Technik immer wieder und weiterhin Umwälzungen bringen könnte.
3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?
Ich vertraue da Listen auf Twitter und Facebook sowie meinen Followings. Und dazu bin ich – wir sind ja regional geprägt – noch in einigen WhatsApp-Gruppen und suche in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen nach regionalen Suchbegriffen auf YouTube und Instagram, bei besonderen Lagen gezielt. Nach dem „Boston Bombing“ habe ich mich auch vermehrt mit Reddit beschäftigt, was beeindruckend Input liefern kann – aber in der Regel in den Fällen, in denen wir aufgrund unseres Profils wenig davon hätten. Es hilft aber, damit ein wenig vertraut zu sein.
4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?
Fast so häufig wie Texte vom lebenden Gegenbeweis Richard Gutjahr lese ich, dass die Zeit der Generalisten unter den Journalisten vorbei ist. Demzufolge muss man als Spezialist gut sein – und es mit Kollegen zu tun haben, die in ihren Nischen ebenfalls richtig gut sind. Und wenn es ideal läuft, dann auch noch so, dass das Thema immer noch aktuell ist, bis es alle in den Händen hatten. In der Tat erlebe ich zunehmend, dass Kollegen darum bitten, ihren Artikel doch 1) auch online 2) prominent zu veröffentlichen, gerne 3) angereichert, und ihn mit reichweitenstarken Accounts 4) in Sozialen Medien zu verbreiten. Da könnten dann auch noch stärker Grafiker und Entwickler ins Spiel kommen. In einer idealen Welt sind der begnadete Rechercheur und der begnadete Schreiber aber nicht nur in ihrem Kämmerlein, sondern auch selbst im Netz zu finden und ansprechbar.
Dort zeigen sie, dass sie auch lesen (und beantworten) wollen, wie andere sich mit ihren Werken auseinandersetzen und warum ihre Werke konsumiert werden. Eine persönliche Verbindung zu Lesern aufzubauen hilft sehr bei der Verbreitung seiner Texte. Das Wort „Marke“ nehme ich da noch gar nicht in den Mund. Und um viel gelesen und konsumiert zu werden, hilft es natürlich ungemein, Texte vor einem Paygate zu veröffentlichen. Da wird sich stärker die Frage stellen, was jemand tun muss, um bei einer Paywall gelesen zu werden. Das ist ein schmerzvoller Prozess, weil Journalisten zum Teil an Klickzahlen wie Junkies an der Nadel hängen und weil es Beliebigkeit abstraft, auch wenn sie gut gemacht ist.
// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.
5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?
Ich fange da mit etwas an, was manche Kollegen mit technologischer Veränderung meinen: Manche Journalisten haben immer noch nicht verstanden, dass es eine Öffentlichkeit neben ihnen gibt. Wenn die regional verwurzelte Brauerei der Redaktion zur Insolvenz keine Stellungnahme abgibt, erklärt sie sich vielleicht trotzdem ihren Tausenden Facebook-Fans. Das dann nicht auf dem Radar zu haben ist nicht nur verpasste Chance, sondern offenkundige Ahnungslosigkeit, und das ist noch nicht einmal Dialog mit dem Leser. Diese Veränderung aufseiten der Journalisten ist noch längst nicht abgeschlossen, das Netz wird weithin immer noch nicht als Teil der Recherche und der Geschichte wahrgenommen.
Für Anbieter kommt es darauf an, in einer Welt immer weiter zerfasernder Aufmerksamkeiten sichtbar zu bleiben. Die Entwicklung, per Messenger das Display der Nutzer zu erobern, ist da eine Antwort. Vermeintlich unverzichtbar zu erscheinen gelingt wohl am ehesten Medien mit stark fokussiertem Inhalt – lokal oder thematisch. Dazu gehört auch eine lernende Fokussierung auf die Interessen und Lebensumstände des Nutzers. Es gibt bisher nur wenige Ansätze einer Personalisierung von News. Die Möglichkeiten sind bisher noch kaum genutzt, setzen aber auch Bereitschaft der Nutzer voraus. „Google Now“ warnt mich vor dem Stau auf meinem bevorstehenden Heimweg, aber noch liefert es mir nicht die Bilder des umgestürzten Lasters dazu. Verlage verwerten vielfach ihre oft mühsam zusammengetragenen und georeferenzierten Informationen in keiner Weise für mobile Nutzungen, wo es auch wirtschaftlich interessant sein könnte. Und bei Leseranalysen sind auch noch sehr viele Möglichkeiten ungenutzt. Journalisten und Entwickler im Zusammenspiel können sicher noch vieles bewegen.
6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?
Mein Verständnis ist zunächst, dass man Manager zu wenig ernst und zu wenig in die Pflicht nimmt, wenn man sich auf die Frage von Journalisten befriedigende Antworten erhofft. Journalisten sollten in erster Linie die Inhalte schaffen, mit denen Medienmanager Geld verdienen können. Trotzdem der Versuch einer Antwort: Wenn für die klassischen Medien keine Formate hochwertiger und hochpreisiger Online-Werbung vom Himmel fallen oder erdacht werden, verdient mit dem gängigen TKP-Ramsch nur ein kleiner Teil nachhaltig Geld auf diesem Weg: die mit geringer Kostenstruktur und Riesengießkanne und die mit starker Wurzel; die mit gigantischer überregionaler Reichweite oder die mit sehr starker Verknüpfung an ein kleinteiliges Thema. Für einen großen Teil der Medien wird das aber nicht der Fall sein.
Print und E-Paper-Äquivalent werden weiter funktionieren, allerdings für einen kleiner werdenden Teil der Nutzer, der auch einen höheren Preis zu tragen bereit ist. Bei Verlagen werden Bereitschaft und Fähigkeit nachlassen, in gleichem Umfang Inhalte zu erstellen und sie einem Teil der Leser kostenpflichtig und denen im Netz kostenlos zu präsentieren. Wir werden also fürs Netz mehr Abo-Modelle und Bezahlschranken erleben. Ich denke, dass es nach einer Lernphase unter den Nutzern auch einen selbstverständlicheren Umgang damit geben wird – wenn die Inhalte das rechtfertigen. Das heißt aber auch, dass es Medien geben wird, die damit keinen Erfolg haben werden. Was Community-finanzierten Journalismus angeht, bin ich leider skeptisch, wenn ich mir anschaue, welche Klimmzüge eine wichtige Seite wie netzpolitik.org machen muss. Welche Rollen Tierfutter und Onlinebörsen fürs Geldverdienen weiterhin spielen, fragen Sie dann aber wirklich lieber die Manager von Medienkonzernen.
Ich würde mir auch verlagsübergreifende Abonnements wünschen.
7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?
Ich denke, dass es im Netz eine Konzentration auf Stärken geben wird. Und weil nicht jeder klar umrissene Stärken hat, wird das für manche zum Problem werden. Wie stark das innerhalb von fünf Jahren schon durchschlägt – keine Ahnung. Aber wenn die bisherigen redaktionellen Strukturen aufrecht erhalten bleiben sollen, müssen neue Erlöswege her. Wenn es nicht nur nach meiner Ansicht, sondern auch um meine Hoffnung geht: Ich würde mir auch verlagsübergreifende Abonnements wünschen. Ich bin seit grauer Vorzeit Abonnent einer privaten Mailingliste zur Eintracht Frankfurt, die mir jeden Artikel zur magischen SGE ins Postfach spült. Ich wäre aber auch bereit, für die Eintracht-Berichterstattung diverser Medien eine monatliche Pauschale zu zahlen. Für Verlage ein Riesensprung über einen gewaltigen Schatten, für Nutzer eigentlich ein folgerichtiger Schritt und nicht nachvollziehbar, dass es ein Spotify-Modell für Texte nicht gibt. Und umso nötiger, je mehr Paywalls im Netz errichtet werden.
8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?
Also, wenn ich das sicher wüsste, würde ich ins Grübeln kommen, ob ich es an dieser Stelle rausposaune. Mutmaßlich ist es aber etwas, wo dann doch der Experte gefragt ist, der zu diesem speziellen Thema eine große Affinität mitbringt. Ich kann mir vorstellen, dass vielleicht Medien entstehen könnten, die nichts anderes tun, als Überblick und detaillierten Einblick in Szenen wie YouTube oder Instagram zu verschaffen – mit geschriebenem Wort, auch wenn das fantastisch klingt. In dem Maße, in dem YouTube alle Generationen durchdringt, werden solche Formate interessanter. Vielleicht gibt‘s so was aber auch schon, und mich hat es nur noch nicht erreicht. Ich gehe mir jetzt mal tubertimes.de, tuberflash.de und instainsider.de sichern. Vielleicht fehlen aber auch perspektivisch regionale Medien, wenn Verlage unter Spardruck Regionen faktisch aufgeben.
Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #ZukunftDesJournalismus.