bartsch_small Studiert hat er Geschichte, Geografie und Politologie in Erlangen, doch schon als Teenager stand für Michael Bartsch fest: Er will Journalist werden. „Einen anderen Wunsch gab es nie. Wäre ich als Historiker auf dem Markt gelandet, wäre ich wahrscheinlich schnell arbeitslos geworden“, erklärt der Redaktionsleiter von heute.de. Seine redaktionelle Laufbahn begann klassisch bei einer Lokalzeitung und auch beim ZDF, während einer Hospitanz in der Redaktion „Zeitgeschichte“ unter der Leitung von Guido Knopp. Es folgte eine freie Mitarbeit bei einem privaten Nürnberger Hörfunksender und beim Bayerischen Fernsehen sowie redaktionelle Stationen beim Südwestfunk und MDR. Für die ZDF-Sendungen „Abendmagazin“ und „hallo Deutschland“ arbeitete Bartsch ebenfalls.

„1998 habe ich gedacht, ich müsse reich und berühmt werden und bin zu „Focus TV – Die Reporter“ gegangen. Aber es hat mich dann doch wieder zum ZDF zurückgezogen.“ Dort war Bartsch unter anderem für die ZDF-Reihe „Was nun?“, das „ZDF-Morgenmagazin“ und das „heute-journal“ tätig. Seit Bartschs journalistischen Anfängen hat sich viel getan in der Branche, die Alleinherrschaft der Redaktionen über das Nachrichtengeschäft gibt es in Zeiten von Blogs und sozialen Netzwerken nicht mehr. „Das, was Journalisten früher aus der Gesellschaft herausgehoben hat, ihre besondere Rolle, gibt es heute so nicht mehr“, so Bartsch. Für heute.de ist Bartsch seit 2008 verantwortlich. Gemeinsam mit seinem Team probiert er auch die Möglichkeiten aus, die im Zuge des Medienwandels zum klassischen Journalismus hinzugekommen sind. So testete heute.de zur Fußball-WM 2014 etwa, wie die Redaktion die Berichterstattung via Instagram ergänzen könnte. Im Interview erklärt Michael Bartsch, warum die besten Artikel seiner Meinung nach immer Autorengeschichten sind und wie wichtig es sei, die Veränderungen der Medienlandschaft zu beobachten.

Michael Bartsch
Redaktionsleiter heute.de

Facebook: Michael Bartsch
Instagram: michael.bartsch
Xing: Michael Bartsch

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

Was Journalismus in Zukunft auszeichnet ist im Prinzip das, was Qualitätsjournalismus schon immer ausgezeichnet hat: eine gute Recherche, hohe Glaubwürdigkeit, die Einhaltung des Zwei-Quellen-Prinzips. Gerade bei manchen Wettbewerbern im Internet ist das nicht immer gegeben, wenn etwa Eilmeldungen gesetzt werden. Aber auch Nachhaltigkeit, das Erklären und das Aufklären waren Elemente, die Journalismus über die letzten Jahre und Jahrzehnte ausgezeichnet haben. Das Besinnen auf diese Werte wird auch künftig wichtig sein. Außerdem wird es immer stärker um eigene Themen, Ideen und Haltungen gehen, damit man sich aus der wachsenden Anzahl von Nachrichtenanbietern und der damit verbundenen Flut des immer Gleichen abhebt. Das heißt Qualitätsjournalismus zeichnet sich dadurch aus, dass man entweder eigene Geschichten hat oder Geschichten, die alle haben, mit einem eigenen Dreh versieht. Wir müssen als Journalisten tiefer in die Geschichten einsteigen und dürfen uns nicht mehr nur auf die reine Darstellung beschränken, so wie das zum Beispiel viele Fernsehnachrichten machen.

Ich will aber noch anmerken, dass ich etwas damit hadere, so im Allgemeinen den Begriff „Qualitätsjournalismus“ zu definieren. Dazu ist unser Metier zu komplex geworden: Was bedeutet Qualitätsjournalismus bei WhatsApp? Wie definiere ich Qualität bei Facebook, genauso wie für eine Webseite, eine Zeitung oder eine Sendung? Kann ich also Qualitätsjournalismus auf allen Ausspielwegen gleich definieren oder sollte oder muss man hier Unterscheidungen vornehmen? Auf diese Fragen habe ich noch keine wirklichen Antworten, aber ich glaube, dass man die Frage nach Qualität nicht mehr so einfach beantworten kann, wie das noch vor zehn oder 20 Jahren ging.

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Das Ganze ist natürlich ein bisschen ein Blick in die Glaskugel. Der Dreiklang „social, Video, mobile“, der die Medienunternehmen schon seit einiger Zeit beschäftigt, wird sich in Zukunft noch weiter verstärken. Darüber hinaus sind, wie bereits angesprochen, Eigenständigkeit, eigene Haltung und Nachhaltigkeit wichtige Themen der Branche. Im Marketing würde man das als Unique Selling Proposition bezeichnen. Hier gibt es natürlich ganz unterschiedliche Ausprägungen. Ich hatte zuletzt Besuch von einem Online-Nachrichtenportal aus Ost-Hessen, das alleine durch seine regionale Verbundenheit einen USP hat, den aber besonders betont. Einen USP für einen nationalen Anbieter von Nachrichten umzusetzen ist schwieriger. Trotzdem müssen wir dorthin kommen, und das gilt für alle anderen Medien auch. Jeder sucht nach seiner Nische, und ich glaube, dieses Nischen- und USP-Suchen wird den Journalismus in den nächsten zehn Jahren prägen. Allen, denen das nicht gelingt, wird ein finanzielles Problem bevorstehen und den Öffentlich-Rechtlichen ein Rechtfertigungsproblem, das am Ende zu einem finanziellen Problem werden könnte.

Als wir vor Jahren unsere Seite bearbeitet haben, sagten unsere Entwickler, dass die Homepage tot sei – und das ist derzeit auch wieder zu lesen. Jetzt stellen wir fest: Die Homepage ist überhaupt nicht tot, vor allem nicht, wenn die Homepage für die Inhalte einer App sorgt. Eine App lebt immer von einer Startseite. Auf dem Smartphone wird relativ wenig gegoogelt. Da konsumieren viele Menschen Nachrichten via Apps. Gleichzeitig ist aber auch offensichtlich, dass die Nutzer nach ihren eigenen Themen suchen. Die Frage lautet nicht Homepage oder Suchmaschine. Es gilt: Homepage und Suchmaschine. Das zeigt, dass die Aussagen zur Zukunft des Journalismus ganz schwierig sind. Wird es in zehn Jahren noch das Unternehmen Facebook geben? Das weiß ich nicht, aber ich bin mir sicher, dass die Art der Kommunikation – die Verbindung von Privatem und Öffentlichem in sozialen Netzwerken – weiter existieren wird.

Die guten Geschichten sind eigentlich immer Autorengeschichten.

3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?

Im Idealfall über unsere Reporter und unsere freien Autoren. Das ist natürlich der Vorteil beim ZDF mit seinen Landes- und Auslandsstudios. Die guten Geschichten sind eigentlich immer Autorengeschichten. Das ist logisch, weil es hier das bereits angesprochene Alleinstellungsmerkmal gibt. Das gilt sowohl fürs Fernsehen als auch für die Website. Sobald man eine Autorengeschichte hat, wird diese automatisch mehr gelesen und geliked, weil dem Nutzer klar ist, dass es diesen Inhalt nur hier gibt. Gleichzeitig haben die Autoren und Reporter, die im „wahren“ Leben unterwegs sind, einen ganz anderen Blick auf die Themen.

Was wir im Moment beim ZDF noch zu wenig machen, ist das Suchen nach guten Geschichten in den sozialen Netzwerken. Hier sind wir personell noch nicht gut genug aufgestellt. Das ist aber etwas, was ich nicht nur für heute.de, sondern auch fürs Fernsehen gerne noch ausbauen würde. Zum Beispiel haben wir vor einigen Tagen über Facebook die Geschichte zugespielt bekommen, dass sich Pegida die Markenrechte in Europa sichern möchte. Das ist keine riesen Nummer, aber eine kleine, pikante Geschichte rund um Pegida. Insgesamt also überall dort, wo man Kontakte mit realen Menschen hat, sei es über Reporter und Autoren oder über soziale Netzwerke.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

Der Journalist muss künftig auf vielen Hochzeiten tanzen können. Zunächst einmal erzählt, erklärt der Journalist, deckt in klassischer Weise auf. Gleichzeitig muss er aber auch wissen, wie der Vertrieb stattfindet, wie er für seinen Inhalt viele Nutzer erreicht. Früher ging es beispielsweise darum, in einer Fernsehsendung, ins Radio oder auf Seite eins in der Zeitung zu kommen. Heute sind die Ausspielwege dagegen vielfältiger. Der Journalist muss in seinen Workflows wissen, dass es eben nicht nur einen Andruck oder einen Sendetermin gibt. Es müssen also viele Ausspielwege bedient werden, um möglichst viele Kunden/Leser/Zuschauer zu erreichen. Insbesondere meine Generation hat noch nicht gelernt, dass man hier kleinteilig und vielfältig arbeiten muss.

Ganz wichtig: Die Rolle hat sich verändert. Journalisten dürfen nicht mehr von oben herab kommunizieren, nur weil man vermeintlich als einziger Zugang zu Pressemitteilungen und Pressesprechern hat. Das, was Journalisten früher in einer Form aus der Gesellschaft herausgehoben hat, gibt es heute so nicht mehr. Diese Arroganz der Macht, die wir Journalisten über viele Jahre gerne pflegten, muss weg. Inhaltlich muss man sehen, dass man den richtigen Punkt findet, der eine gute Geschichte erzählenswert macht. Man muss noch gründlicher recherchieren und kann nicht mehr nur oberflächlich über ein Thema „wischen“. Insgesamt wird es in allen Bereichen intensiver. Der Journalist wird in allen Bereichen viel mehr gefordert sein, als das noch bei meiner Generation der Fall war.

// Über #ZukunftDesJournalismus

Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Sowohl Journalisten als auch Anbieter müssen genau wissen, was es am Markt gibt bzw. welche Trends sich abzeichnen. Sie sollten alles ausprobieren, aber dann ganz klar entscheiden, ob eine Entwicklung passt oder nicht. Wir haben alle nur begrenzte Budgets bzw. sind begrenzt personell aufgestellt und können deshalb nicht überall mitmachen. Ganz konkret haben wir das bei heute.de während der Fußball-WM mit Instagram versucht, und es war alleine technisch recht kompliziert, die Videos aus unserem TV-Produktionssystem für den Upload auf ein Smartphone zu bekommen. Aber selbst wenn uns das gelingt, muss man sich am Ende überlegen, ob das für Nachrichten ein Ausspielweg sein kann. Wir werden das jetzt nochmal zum G7-Gipfel testen und dann entscheiden, ob und wenn ja, wie wir weiter machen. Vielleicht ist Instagram auch eher für „Leute heute“, also für die leichteren Themen geeignet, für People und Society.

Außerdem muss man relativ genau beobachten, welche Kundschaft jeweils dahintersteckt und ob man diese auch wirklich erreicht. Beispielsweise haben wir auf Instagram etwa 3300 Follower. Wenn man Martin Giesler jede Woche in eine Schulklasse stecken würde, könnte man übers Jahr gerechnet wahrscheinlich mehr Leute in der Altersklasse erreichen. Gleichzeitig kommen aber plötzlich Beschreibungen wie: „Das ist ja cool!“. Wir erzielen als ZDFheute also durch Instagram einen Imagegewinn. Es gilt also: ausprobieren, entscheiden und es richtig machen, wenn man auf einem neuen Kanal aktiv werden möchte. Jeder Anbieter muss Entwickler und Scouts haben, die genau wissen, was sich auf dem Markt tut. Zum Beispiel müssen wir uns als ZDF Gedanken machen, ob wir Push-Mitteilungen auf die Apple Watch schicken oder nicht, machen wir bei WhatsApp mit oder nicht?

Das Krautreporter-Modell könnte funktionieren.

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Die meisten Medien werden auf mehreren Standbeinen stehen. Es wird immer noch Zeitungen plus Online-Angebote bzw. Social Media und App geben, außerdem Privatsender, ob Hörfunk oder TV. Ich gehe davon aus, dass es am Ende eine Art Mischkalkulation aus den großen Einnahmequellen sein wird. Ansonsten ist alles denkbar. Vorstellbar ist Mäzenatentum. Es wird sicherlich immer Menschen geben, die finanziell gut ausgestattet und davon überzeugt sind, dass eine gute Presselandschaft zu einer funktionierenden Demokratie gehört. Das Krautreporter-Modell könnte funktionieren.

Eine andere Idee, mit dem beispielsweise die ZEIT sehr erfolgreich ist, sind Vorträge und Akademien. Die Kollegen aus Ost-Hessen sind Partnerschaften mit verschiedenen Geschäften aus ihrer Region eingegangen und bilden ihre Website in einer Art Videotext ab. Die Geschäfte hängen dann einen Bildschirm auf und versorgen ihre Kunden auf diese Weise mit journalistischen Inhalten. In Zukunft werden wir hier noch eine Vielzahl an Ansätzen und Möglichkeiten sehen, die wir in den letzten Jahren aufgrund des Ertrags- und Erlös-Modells nicht brauchten. Natürlich muss man insbesondere bei Partnerschaften mit Unternehmen schauen, dass die journalistische Unabhängigkeit gewahrt bleibt.

7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Hier sind wir wieder beim bereits angesprochenen Blick in die Glaskugel. Ich glaube auf jeden Fall, dass es eine große Bereinigung in der Angebotslandschaft geben wird. Daneben werden die Marktführer im Bereich Print, TV und Online eher ihre Position festigen. Konkret gesprochen glaube ich nicht, dass im Online-Bereich der Spiegel, der Focus und Bild in absehbarer Zeit von der Süddeutschen, der FAZ oder der Welt überholt werden. Im TV-Bereich sehe ich in den nächsten fünf Jahren noch keine großen Veränderungen, hier sind die verschiedenen Anbietergruppen mit all ihren Online-Angeboten recht etabliert. Social Media wird weiter ein großes, wenn nicht das beherrschende Thema in den kommenden fünf Jahren sein: Wie kann ich dort erfolgreich sein? Aber auch: In welche Abhängigkeit begebe ich mich?

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Keins! Das gilt aber nur für heute. Ich kann nicht ausschließen, dass in drei Wochen irgendetwas auf den Markt kommt, von dem ich sage: „Stimmt, ich habe nie darüber nachgedacht, aber das ist super smart, und das möchte ich jetzt haben“.

Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #ZukunftDesJournalismus.

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.