Niddal Salah-Eldin „Die Zukunft des Journalismus ist nicht, dass man über die Gegenwart des Journalismus jammert.“ Sie sei begeisterte Netzbewohnerin mit einem Faible für Popkultur, Social Media und TV, sagt Niddal Salah-Eldin über sich selbst. Und obwohl ihr erster Tag im Netz schon lange zurückliegt – es war der 1. Juni 1998 – erinnert sie sich noch genau daran. Damals begann ihre Leidenschaft fürs Web, heute ist Salah-Eldin Redakteurin im Bereich Social Media bei der „Welt“. „Die Themen Social und Mobile werden immer wichtiger, gerade auch, was Video angeht“, ist die 29-Jährige sich sicher. Niddal Salah-Eldin stieß Ende vergangenen Jahres zur Redaktion. Die studierte Publizistik- und Politikwissenschaftlerin hat während des Studiums unter anderem für das ZDF, CNN, RTL, Phoenix und den Spiegel gearbeitet. Doch auch den Blick auf die andere Seite des Schreibtisches hat sie während ihrer Arbeit für eine Agentur gewagt. Dort beschäftigte sie sich intensiv mit digitalen Trends und Social Media. Im Interview erklärt sie uns – wenn auch nicht als Sprecherin der Welt-Redaktion, sondern als Privatperson –, welche Entwicklung dem Journalismus schadet und inwiefern die aktuellen Nutzungsverhalten der User in der Ausgestaltung der Medienangebote, vor allem im Bereich Social und Mobile, immer wichtiger werden

Niddal Salah-Eldin
Social-Media-Redakteurin bei der „Welt“

Twitter: @Nisalahe
Instagram: @Nisalahe
About.me: Nisalahe
Xing: Niddal SalahEldin

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

A little less Schadenfreude, a little more action, please!

Qualitativ hochwertiger Journalismus muss auch in Zukunft vielfältig, gut recherchiert, relevant und professionell sein. Nicht zuletzt muss er sich an die Spielregeln halten – auch im Eifer des Nachrichtengefechts. Zur Qualität gehört auch die Akzeptanz durch das Publikum. Was ihm schadet: Totengräberstimmung, Schnappatmung und Fortschrittsfeindlichkeit. Die Zukunft des Journalismus ist nicht, dass man über die Gegenwart des Journalismus jammert. Außerdem wundere ich mich manchmal über den wenig konstruktiven Umgangston in öffentlichen Diskussionen. Aktuell gesehen am Beispiel der Krautreporter oder auch Buzzfeed Deutschland, die zum Teil auch berechtigt Kritik einstecken mussten. Völlig daneben finde ich nicht die Kritik an sich, sondern die Häme, die dabei teilweise mitschwingt. Das finde ich uninspiriert und ätzend. A little less Schadenfreude, a little more action, please!

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Es wird mehr um Gewohnheiten und Nutzungsverhalten gehen als um reine technologische Fortschritte oder DAS neue Supergerät. Auch kontextuelle Fragen werden wichtiger, beispielsweise wann und wo und warum Nutzer bestimmte Inhalte konsumieren wollen. Die Themen Social und Mobile werden immer wichtiger, gerade auch, was Video angeht. Die Inhalte müssen dahin, wo der Nutzer ist. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass er die Inhalte irgendwie schon finden wird, wenn sie ihn interessieren. Die Zugriffe über Social steigen kontinuierlich. Auch Mobile wird immer mehr zur häufigsten Anlaufstation und generiert einen großen Anteil des Traffics. Das war schon 2014 ein Wachstumsfeld und wird in diesem Jahr noch wichtiger sein – auch mit Blick auf die Verbreitung von Bewegtbild über Facebook, YouTube, Instagram und vor allem den bislang unterschätzten Videodienst Vine. Alle wollen daran teilhaben und am liebsten nicht nur ein paar Krümel abbekommen, sondern die ganze Bäckerei.

Damit verbunden ist übrigens auch die Frage nach innovativen journalistischen Formaten für Mobile. Denn wir wissen: Nicht alles, was stationär funktioniert, ergibt automatisch auch mobil Sinn. Abgesehen davon wird 2015 auch das Jahr des Comebacks für Newsletter und Podcasts. Newsletter wurden ja schon oft zu Unrecht totgesagt. Dass sie durchaus gefragt sind, zeigt auch der Erfolg von Newslettern wie dem Weekly Filet von David Bauer oder dem Social Media Watchblog von Martin Giesler & Team. Die Klicktipps und News richten sich an eine ganz spitze Zielgruppe. Sie geben eine Orientierungshilfe und versorgen die Leser mit sorgfältig kuratierten Inhalten. Die spannende Frage wird sein, wie man perspektivisch damit Geld verdienen kann. Wichtiger denn je werden in diesem Jahr auch Algorithmen und automatisierte Prozesse. Zum einen in den Bereichen Recherche, Filterung, Analyse und Produktion von Inhalten, zum anderen, was die Sichtbarkeit journalistischer Inhalte in sozialen Netzwerken wie Facebook angeht.

3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?

Raus aus der Filterbubble! Augen und Ohren auf im Alltag. Mit Menschen reden – auch mal mit dem herumlungernden Teenie an der Bushaltestelle. Da erfährt man die dollsten Sachen!

Twitter ist eine wahre Goldgrube für spannende Geschichten. Zum Lesen und Kuratieren von RSS- und Newsfeeds nutze ich Feedly. Seit der Renaissance der Newsletter im letzten Jahr flattert auch wieder der ein oder andere Medien- und Tech-Newsletter in mein Postfach. Blogs und Agenturmeldungen lese ich regelmäßig, Pressemitteilungen hingegen eher selten. Und nicht zuletzt: raus aus der Filterbubble! Augen und Ohren auf im Alltag. Mit Menschen reden – auch mal mit dem herumlungernden Teenie an der Bushaltestelle. Da erfährt man die dollsten Sachen!

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

In erster Linie verstehen, dass die journalistische Deutungshoheit und das Gatekeeper-Monopol von einst passé sind. Das „Verkaufen“ von Inhalten wird wichtiger. Denn: Spannende Inhalte gibt es im Überfluss. Warum sollte der Leser/Nutzer sich denn bei einem riesigen Überangebot genau für Inhalt X entscheiden? Selbst die brillante Edelfeder und der dekorierte Fernsehautor müssen sich verstärkt darüber Gedanken machen, wie sie ihre Inhalte dem Publikum schmackhaft machen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass man in sozialen Netzwerken aktiv ist (oder zumindest versteht, wie sie funktionieren) und den Austausch sucht.

// Über #ZukunftDesJournalismus

Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Die klassischen journalistischen Tugenden und Werkzeuge sind nach wie vor gefragt. Hinzu kommt eine digitale Kompetenz, gerade auch im Bereich Social Media. Für Medienmacher ist das natürlich auch eine große Chance, sich als Marke zu etablieren, sich eine eigene Community aufzubauen und den Austausch zu suchen. Digitale Kompetenz ist übrigens keine Frage des Alters: Es gibt viele kompetente und digital sattelfeste Journalisten jenseits der 40 und viele vermeintlich digital native Mittzwanziger, die den Schuss eher noch nicht gehört haben. Man darf den älteren Kollegen da durchaus etwas zutrauen. Generell finde ich es wichtig, über den Tellerrand und Schreibtisch zu schauen, zu wissen, was gerade in anderen Branchen los ist. Beispielsweise empfiehlt es sich, zu wissen, was Programmierer und Produktentwickler den lieben langen Tag so machen, wie PR funktioniert und in welchen Gewändern sie aktuell daherkommt. Fest steht: Aussitzen ist nicht! Es gilt das Motto „Trial and Error“. Aufgeschlossen und neugierig sein, ausprobieren, keine Angst vorm Scheitern haben, noch mehr über Potenziale und Visionen sprechen. Wie heißt es so schön: „You’re either part of the solution or you’re part of the problem.“

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Viele Häuser werden weiterhin auf eine Mischung zwischen Abo-Erlösen und Werbung setzen. Spannend finde ich aktuell, dass viele andere große Medienhäuser endlich die Themen Paid Content und (partielle) Paywall angehen. Trotz vieler spannender Pilotprojekte glaube ich nicht, dass sich Crowdfunding als langfristiges Business-Modell im Journalismus durchsetzen wird. Branded Content und Native Advertising werden in Deutschland zukünftig eine noch größere Rolle spielen, auch wenn die Verquickung von PR und Journalismus vielen (mitunter zu Recht) ein Dorn im Auge ist.

7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Die Online- und Printredaktionen werden in vielen Häusern zusammengelegt. Es wird zusammenwachsen, was im modernen Journalismus zusammengehört und bei der „Welt“ ja schon lange Alltag ist: Print und Online werden eins. Die Grenzziehung zwischen Online und Print ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Es soll ja um Inhalte gehen – und das plattformübergreifend. Mit den Zusammenlegungen spart man sich überflüssige Doppelstrukturen, vereinfacht die Redaktionsabläufe und bündelt die Ressourcen. Das Beispiel macht gerade Schule: Auch SZ und Handelsblatt wollen Online und Print vereinen. Es werden immer mehr große und kleine, extrem spezialisierte Player aufs Spielfeld kommen, die ihre Wurzeln nicht im klassischen Verlagsgeschäft haben. Diese arbeiten vielleicht gar nicht klassisch journalistisch und konkurrieren trotzdem mit uns um die Aufmerksamkeit und Gunst der Zielgruppe. Und diese neuen Akteure sollte man unbedingt ernst nehmen und sich fragen: Was machen die? Wer sind die, wie arbeiten die, wieso, weshalb, warum?

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Noch mehr deutscher „Structured Journalism“ und für Mobile gemachte Projekte nach dem Vorbild von Vox Media und der News-App Circa. Bei diesen Angeboten geht es darum, journalistische Inhalte durch eine optimierte Struktur und Aufbereitung für den Nutzer nachhaltiger und wertvoller zu machen. Was mir außerdem fehlt: Eine große und unabhängige Fact-Checking-Website für Deutschland wie beispielsweise PolitiFact. Hier werden die Aussagen wichtiger Politiker auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft und anschaulich dargestellt.

Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #ZukunftDesJournalismus.

Über den Autor

Oliver Nermerich ist Kommunikationswissenschaftler und lebt im Internet. Bei OSK arbeitet er als Manager Online/Social Media und entwickelt kundenübergreifend Strategien, Auftritte und Kampagnen für das Internet und mobile Anwendungen. Auch privat dreht sich bei ihm alles um die digitale Welt: Er gehört zum Autorenteam des Lifestyle-Blogs Whudat.de und betreibt mit Freunden das Rolling-Magazin "Be-Mag". Sein Smartphone gibt er nur aus der Hand, wenn er auf sein Board steigt und an der Algarve die nächste Welle surft. Für das OSK Blog spürt er die neuesten Trends und Entwicklungen im Netz auf und spricht mit Meinungsmachern und Digital Influencern.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.