Für viele wird es eine Überraschung gewesen sein, als Juliane Leopold aufhörte, für die ZEIT zu arbeiten, und zu BuzzFeed wechselte – von einem Medium, das in Deutschland für den Begriff „Qualitätsjournalismus“ steht, zu einer Seite, die in großen Teilen auf Unterhaltung setzt. Die Journalistin ist sich aber sicher, dass sich die Mediennutzung der Leser verändert: „Inhalte müssen so gestaltet sein, dass sie sich problemlos in das Kommunikations- und Mediennutzungsverhalten von Nutzerinnen und Nutzern integrieren können. Dieses findet jetzt schon immer mehr auf den sozialen Medien und in Instant Messengern statt.“ Und auf diese Kanäle setzt Buzzfeed mit seinen Inhalten. Bekannt wurde die US-Seite vor allem für ihre schnell konsumierbaren Online-Inhalte, eine Mischung aus bewegten Bildern (GIFs), süßen Tierfotos, lustigen Videos und allem, was mit Katzen zu tun hat. Außerdem sind die sogenannten „Listicles“ sehr präsent. Das sind Beiträge, die aus Listen bestehen wie zum Beispiel „25 Dinge, die nur Menschen kennen, die älter als 30 Jahre alt sind“. Und das Konzept scheint erfolgreich zu sein: Unternehmensangaben zufolge hat die Seite monatlich weltweit über 200 Millionen Besucher. In einer Mail von Gründer Jonah Peretti an alle Mitarbeiter im November 2014 sprach er von einem erreichten Umsatz von 100 Millionen Dollar. Mittlerweile betreibt das Portal auch ernsthaften Nachrichten-Journalismus. 2014 entschied das Unternehmen sich, auch den deutschen Markt zu erobern. Im Juli war klar: Juliane Leopold wird Gründungs-Chefredakteurin – und das, obwohl sie in einem Interview mit medium sagt, gar kein Katzen-Typ zu sein. Zuvor Social-Media-Redakteurin bei ZEIT ONLINE, gab sie die neue Stelle standesgemäß per Twitter bekannt.
Bestätigt: Sie wird die Chefredakteurin von BuzzFeed Deutschland./ Confirmed: Founding Editor BuzzFeed Germany. pic.twitter.com/gJKPiHbrA6
— Juliane Leopold (@julianeleopold) 11. Juli 2014
Leopold studierte Publizistik und Kommunikationswissenschaft auf Magister an der FU Berlin. Abschlussnote 1,1 (Zitat: „Ja, ich habe Strebertendenzen!“). Es folgten Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung, der ZEIT und ZEIT ONLINE. Außerdem schreibt sie für den Blog kleinerdrei, der für den Grimme Online Award 2014 nominiert war. Mitte 2014 dann der Wechsel zu Buzzfeed, im September folgte der erste Beitrag der deutschen Ausgabe. Derzeit konzentriert sich das kleine Team noch auf humorvolle, unterhaltende Artikel. Beim Preis “Journalisten des Jahres 2014” wählte das medium magazin Juliane Leopold vor Kurzem auf Platz zwei der Top Drei Newcomer des Jahres. Im Interview spricht Juliane Leopold darüber, warum die Homepage als Zugangsportal an Bedeutung verliert und wieso Demut und Humor für Redakteure wichtig sind.
Juliane Leopold
Chefredakteurin Buzzfeed Deutschland
Twitter: @julianeleopold
Facebook: Juliane Leopold
Xing: Juliane Leopold
LinkedIn: Juliane Leopold
1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?
Zunächst mal schadet dem Journalismus seine Unterteilung in Etikette und Grüppchen. Sie dienen vor allem dazu, die eigenen Positionen zu stärken, verhindern aber den Blick auf Entwicklungen, die alle betreffen, wie zum Beispiel die Frage, wie faire Bezahlung und wirtschaftliches Arbeiten für unabhängigen Journalismus im digitalen Wandel möglich sind. Außerdem verwässern diese Etikette die Grundlagen unseres Berufs. Zu jeder Art von Journalismus gehört beispielsweise, über Missstände aufzuklären und Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen, die für sie wichtig sind. Heute ist es üblich, diese Fähigkeiten in den Investigativ-Journalismus auszulagern. In manchen Fällen dient das nur dazu, Sparmaßnahmen in anderen redaktionellen Bereichen zu rechtfertigen. Das halte ich für gefährlich. Guter Journalismus braucht Ressourcen – unabhängig davon, ob sein Etikett gerade „hip“ ist.
Ich plädiere dafür, weniger über die Schubladen zu diskutieren, in die wir Medien stecken, als über ihre Geschichten und Artikel konkret zu sprechen.
Wichtig ist, zu schauen, wie einzelne Geschichten gemacht sind und ob sie den Qualitätskriterien des guten Journalismus genügen. Dazu gehört bei Nachrichten das Prinzip, zwei unabhängige Quellen zu haben oder in der Wortwahl nicht reißerisch zu sein. Bei der Ermordung von zwölf Menschen in Paris sprachen auch die sogenannten Qualitätsmedien hierzulande von „Blutbad“ und „Schießereien“, obwohl das in einer seriösen Berichterstattung über diesen Fall nichts zu suchen hatte. Zur Gefahr wird für den sogenannten Qualitätsjournalismus das Scheitern an den eigenen Ansprüchen. Ich plädiere dafür, weniger über die Schubladen zu diskutieren, in die wir Medien stecken, als über ihre Geschichten und Artikel konkret zu sprechen.
2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?
Ich glaube daran, dass sich gute Geschichten durchsetzen werden – unabhängig von den Autorinnen und Autoren oder Medienmarken, die sie in die Welt setzen. Ich glaube, die Entkopplung der Inhalte von Ankerpunkten wie Homepages wird weitergehen. Das gilt auch für die Entkopplung von audiovisuellen Inhalten von linearer Verbreitung. Rezipienten wollen Medien dann und dort konsumieren, wo es ihnen passt – sie werden sich nicht 1000 neue Apps runterladen, um das zu ermöglichen. Inhalte müssen so gestaltet sein, dass sie sich problemlos in das Kommunikations- und Mediennutzungsverhalten von Nutzerinnen und Nutzern integrieren können. Dieses findet jetzt schon immer mehr auf den sozialen Medien und in Instant Messengern statt. Also müssen Inhalte in granularer Form dort konsumierbar sein. Für Bewegtbild bedeutet dies, dass YouTube noch wichtiger wird (weil es als ein Anlaufort für alle Suchen beim Thema Video begriffen wird). Inhalte, die im Bewusstsein von vielen Menschen sein sollen, müssen dort auch verfügbar sein.
Seit Jahren nehmen die Zugriffszahlen auf Websites über die sozialen Medien zu. Wie im Innovationsreport der New York Times korrekt dargestellt, verliert die Homepage als Ansteuerungspunkt für Nachrichtenmarken an Bedeutung. Stattdessen stellen sich die Rezipienten ihr Medienmenü in den sozialen Medien zusammen. Dort erfolgt die Auswahl von Quellen aber nicht mehr nur aufgrund alter Markenwerte. Stattdessen stehen Freunde, Bekannte, Familie, Kollegen und eben Medienmarken gleichberechtigt nebeneinander, was die Steuerung unserer Aufmerksamkeit auf Inhalte angeht. Wir entscheiden, wer uns die besten Links zu einem Thema gibt – und das müssen eben nicht mehr nur große Medienseiten sein. Medien werden in ihrer Bedeutung verlieren, was das Vertrauen des Publikums in ihre Deutung der Weltlage angeht. Soziale Bindungen und Empfehlungen werden diese Rolle immer stärker übernehmen.
3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?
Meine Hauptquelle ist Twitter. Hier finde ich Informationen professioneller Publikationen, kann in tausend Quellen auf der ganzen Welt recherchieren und erfahre, was mein Publikum bewegt. Facebook spielt eine Rolle, Instagram, Pinterest und Tumblr auch. Um eine Geschichte zur Geschichte zu machen, bleibt es aber auch wichtig, zum Telefon zu greifen. Außerdem schadet es nichts, die Augen und Ohren aufzuhalten, wenn man mal nicht im Internet ist.
4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?
Es ist ein Privileg, die eigene Meinung auf einer großen Plattform verbreiten zu können.
Wichtig ist, das eigene Gefühl für Relevanz von Geschichten nicht zum alleinigen Maßstab zu nehmen, sondern sich intensiv und ohne Dünkel mit dem eigenen Publikum zu beschäftigen. Sei es durch das Eintauchen in soziale Netzwerke oder durch das zur Kenntnis nehmen von Lebensrealitäten außerhalb der eigenen, meist von Medienmenschen geprägten Umgebung. Außerdem schaden eine gesunde Portion Humor sowie Demut nicht. Es ist ein Privileg, die eigene Meinung auf einer großen Plattform verbreiten zu können. Aber es ist auch nicht so, dass sich dadurch gleich die Welt in den Staub werfen müsste.
// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.
5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?
Technologie ist heute bereits Träger des Journalismus. Deswegen muss sie in seinem Zentrum stehen. Das bedeutet nicht, dass die Maschinen Journalistinnen und Journalisten (in jedem Fall) ersetzen, aber es bedeutet, dass Journalistinnen und Journalisten leistungsstarke und smarte Technologie für ihre Werke benötigen, um sie überhaupt noch an den Mann und die Frau zu bringen. Das gilt für technologische Infrastruktur wie Content Management Systeme oder Computer, aber auch die Manpower, mit der Verlage den Journalismus technologisch unterstützen. Es braucht große Teams von Programmiererinnen und Programmierern, viele Tests mit Nutzerinnen und Nutzern und eine unprätentiöse Zusammenarbeit.
6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?
Ich glaube, dass der Großteil der Medien beim Erlösmodell der Querfinanzierung über Werbung bleibt. Wer damit Geld verdienen wird, weiß ich nicht. Momentan gilt es, eingeschlagene Experimente zu beobachten. Dazu zählt sicher das Abomodell der Krautreporter. Ich glaube, Community-basierte Freemium-Modelle oder Paid Content werden sich auf breiter Basis nicht durchsetzen. Grund dafür ist in meinen Augen die fehlende einheitliche technologische Infrastruktur für ein Bezahlsystem über verschiedene Medien hinweg.
7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?
Allgemein: weniger Bleiwüsten, mehr Bilder. Das Erzählen wird visueller und hoffentlich nutzerfreundlicher. Ein TL:DR am Anfang jedes Nachrichtenstücks wäre zum Beispiel großartig. Die zwei größten Nachrichtenanbieter im Netz werden die größten bleiben, weil sie eine sehr loyale Nutzerschaft haben. Videos werden aus den Walled Gardens einzelner Senderseiten befreit und dürfen Sendungsmarken endlich ins ganze Netz tragen. Und natürlich Katzen auf allen Kanälen!
8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?
Meiner Meinung nach ist der Markt derzeit gut durchdrungen.
Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #ZukunftDesJournalismus.