Professor Peter SzyszkaPeter Szyszka ist nach Stationen in Deutschland, der Schweiz und Österreich seit 2011 Professor für Public Relations und Organisationskommunikation an der Hochschule Hannover. Er betreibt theoretische Grundlagen- und praktische Anwendungsforschung. Daneben ist er im Bereich der strategischen Kommunikationsberatung tätig.

In seinem Buch „Beziehungskapital“ (Kohlhammer 2017) plädiert er für eine neue Sichtweise von Kommunikations-Controlling als Instrument eines modernen sozialen Risk Managements von Unternehmen, das die Möglichkeit schafft, aus der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Konfliktfeldern und Widerstandspotenzialen unternehmenspolitische Mehrwerte zu generieren.

Seit 2016 leitet Peter Szyszka wieder die Jury des Internationalen Deutschen PR-Preises und setzt sich in dieser Funktion intensiv mit der Entwicklung von Public Relations in der Praxis auseinander.

Peter Szyszka
Professor für Public Relations und Organisationskommunikation an der Hochschule Hannover

LinkedIn: Peter Szyszka

1. Wie schätzen Sie den Stellenwert von PR in Unternehmen/Organisationen ein – heute und künftig?

Wer sich mit der Geschichte der modernen, postindustriellen PR-Arbeit seit den 1970er-Jahren beschäftigt, macht schnell die Entdeckung, dass immer Veränderungen im Mediensystem für Entwicklungsschübe und Weiterentwicklung von PR-Arbeit gesorgt haben: zunächst die aufkommende Empörungskommunikation, dann in den 1980er-Jahren die Privatisierung des Rundfunks, damit verbunden eine Vervielfältigung der Informationsnachfrage und Mitte der 2000er-Jahre partizipative Kommunikation und Influencer als neue Form von Informationsverbreitung und Meinungsbildung. Immer musste PR-Arbeit hierauf eine Antwort geben, hat geliefert und sich emanzipiert.

Die Forderung nach Integrierter Kommunikation oder Corporate Communication war vor einem Vierteljahrhundert noch weitgehend Vision. Heute ist dies an vielen Stellen gelebte, bisweilen aber leider auch nur behauptete Realität, wie aus der Interpretation von Studien hervorgeht. Meines Erachtens befinden wir uns in einem Entwicklungsschritt, bei dem aus öffentlichkeitsbezogenem Public Relations Management ein ausdifferenziertes Stakeholder-Beziehungsmanagement wird, weil es zunehmend wichtiger wird, interessen- und bedürfnisbezogen auf Bezugsgruppen einzugehen, sich Widersprüchen zu stellen und Akzeptanzgrenzen und Beziehungskapital zu kennen. Damit wird zwangsläufig unternehmenspolitischer Einfluss steigen.

2. Welche Stärken hat die PR? Wie kann sie ihre Position künftig weiter ausbauen? Was sind die großen PR-Trends und welche werden sich durchsetzen?

Vorstellungen eines modernen Public Relations Managements, das bei Haltung und Verhalten eines Unternehmens als „Corporate Citizen“ ansetzt, finden sich schon 1951 bei Carl Hundhausen und sind dort aus heutiger Perspektive ziemlich modern gedacht. Die dort skizzierte Position hat in der Gegenwart begonnen, Realität zu werden. In den 2000er-Jahren haben wir viel über Kommunikations-Controlling diskutiert, über Kennzahlen und unternehmenspolitisch anschlussfähige Ziele. Dies macht heute nicht nur den Einsatz von Kommunikationsinvestitionen transparenter, sondern legt auch notwendige Wirkungsparameter offen. Wir mussten aber auch einsehen, dass sich der Nachweis eines Return on Investment bei sozialen Artefakten nicht exakt berechnen lässt, auch wenn das heute noch nicht jeder in der Branche wahrhaben will.

Kommunikations-Controlling wird zu einem sozialen Risk Management

Und hier beginnt die Herausforderung für die Zukunft: Stakeholder Management hat Beziehungen, Beziehungsqualität und damit Beziehungskapital im Blick. Kommunikations-Controlling muss im zweiten Schritt lernen, Bedarf und Bestand des sozialen, am Unternehmenserfolg maßgeblich beteiligten immateriellen Kapitals zu ermitteln und zu bilanzieren. Es wird zu einem sozialen Risk Management, das Chancen und Risiken in unternehmenspolitische Entscheidungsprozesse trägt. Dort, wo schon heute so gedacht wird, lassen sich gezielt Steuerungsentscheidungen zur Bewirtschaftung von Beziehungskapital treffen und Mehrwerte erzielen. Dies wird eines Tages die neue PR-Rolle sein.

Demgegenüber sollte das, was in der PR-Praxis als Trends gehandelt wird, kritisch darauf hin geprüft werden, was davon „alter Wein in neuen Schläuchen“ respektive neue Geschäftsmodelle sind.

3. Spielen Daten, Algorithmen und künstliche Intelligenz Ihrer Einschätzung nach bereits eine Rolle in der täglichen PR- und Kommunikationsarbeit?

Daten und Algorithmen spielen heute bei Foresight Management, Issues Management, Kommunikations- und Sozio-Controlling eine große Rolle. Sie lassen dort andere Formen des Scannings zu, die dann in Monitoring und Analyse gezielt auf Themen- und Frame-Strukturen, Stakeholder-Interessen und -motive, Konflikt- und Engagement-Potenziale und mehr untersucht werden können: etwa der Ausweis von Beziehungsqualität und -problemen als sozialem Risk Management. Spannend ist zum Beispiel die Entwicklung, wie aus klassischer Pressebeobachtung moderne, nutzbringende Analyse von Medien- und Netzöffentlichkeit geworden ist. Dies zeigt etwa das Beispiel des Medienbeobachters Unicepta, der heute auch Beratungsleistungen anbieten kann. Andererseits muss mitgedacht werden, dass große Daten nach programmierter Logik gewonnen werden und das Bild von Wirklichkeit immer verzerren.

Bei künstlicher Intelligenz (KI) sollten wir vor allem im PR-Kontext prüfen, an welchen Stellen hier einem Buzzword gehuldigt wird. Dass automatisierte Prozesse neue Formen von Transparenz schaffen und aufwendige Korrelationen sekundenschnell zur Verfügung stellen, steht außer Frage. Ob auf Unternehmensseite aber die Reaktionsgeschwindigkeit angepasst werden muss, ist dann eine ganz andere Frage. Und wie „intelligent“ Algorithmen sein können, dann schließlich eine dritte Frage. Und: Dahinter stehen immer Menschen mit nicht immer transparenten Motiven und Zielen.

4. Welchen Stellenwert haben die etablierten Medienmarken im Vergleich zu den neuen? Sind die Newcomer für PR-Arbeit bereits wichtiger als die Platzhirsche?

Zunächst einmal halte ich den Begriff „Medienmarke“ für Twitter, Instagram, YouTube und Co für hochproblematisch, weil er den Blick für etwas ganz Wesentliches verstellt: Zuallererst sind dies nichts anderes als Geschäftsmodelle, bei denen die jeweilige Kommunikationsleistung nur Mittel zum Zweck ist und die nicht zur Verbesserung von Kommunikation entwickelt wurden. Und neu ist das meiste im Grunde auch nicht: Twitter ist ein kollaborativer Kurznachrichtendienst, Instagram setzt auf den Wert des Bildes und YouTube auf Bewegtbild. Wesentlicher ist, dass mit dem Influencer ein neuer Typ von Kommunikator, Multiplikator und Meinungsführer entstanden und neben den Journalisten getreten ist, in einer neuen, anderen Rolle. Das ist spannend und Gegenstand aktueller Forschung.

Etablierte Medienmarken, ob in analoger Form oder digitaler Variante, haben zwar Studien zufolge an Glaubwürdigkeit verloren, verfügen aber bei politischen und gesellschaftlichen Themen immer noch über eine ungleich höhere Akzeptanz; sogar bei den Digital Natives, wie jüngere Untersuchungen zeigen. Dass es eine neue Rollenkonstellation im Mediensystem gibt, die neue Rollen verteilt und alte Rollen neu zugeschnitten hat, steht außer Frage. Deshalb sollten wir unseren Blick vor allem auf das gemeinsame Ganze richten und erst dann auf Newcomer oder Platzhirsche.

// Über #ZukunftDerPR
Nach unserer erfolgreichen Serie #ZukunftDesJournalismus, die sich mit dem Medienwandel und den damit verbundenen Veränderungen für den Journalismus beschäftigt hat, werfen wir nun einen Blick auf die PR-Arbeit von morgen. Wie schon bei der #ZukunftDesJournalismus, werden wir die spannendsten Folgen unserer Blog-Reihe auch wieder in einem Buch veröffentlichen.
Worauf wird es dabei ankommen? Was sind die großen Trends? Gemeinsam mit Profis und Entscheidern der PR- und Kommunikationsbranche wollen wir diese Fragen beantworten. Das Prinzip ist immer das gleiche: sieben Fragen, sieben Antworten von PR-Experten aus den unterschiedlichsten Branchen und Bereichen. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das interessante Aussagen zu entscheidenden Entwicklungen von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Stichwort Content Marketing: Immer mehr Unternehmen/Organisationen sind inzwischen selbst zu Publishern geworden und bauen eigene Kanäle weiter auf/aus. Sehen Sie dabei häufiger die PR oder das Marketing im Lead?

Content Marketing ist wie Influencer Marketing ein Begriff, den die Praxis schnell in Stein gemeißelt hat, den wir uns aber genauer anschauen sollten. Bei „Content“ geht es um Rolle und Stellenwert von Inhalten und den Umgang mit und die Darbietung von Inhalten in einer möglichst zweckmäßigen Art und Weise, bei Influencern um einen neuen Typ von Meinungsbildner mit neuen Beziehungsmustern und so weiter. Mit Marketing hat das alles erst in einem absatzbezogenen Marketingkontext zu tun.

Das eigentlich Interessante im Kontext von beispielsweise Content, Publishing oder Corporate Influencern ist doch, dass in der angeblich online- und Social-Media-getriebenen Medienwelt auch totgesagte analoge Medien neu oder repositioniert werden. Also gilt offenbar auch hier, dass es um ein neues Zusammenspiel von Funktionen und Aufgaben rund um Content und Usability geht und nicht um die ewig gestrige machtpolitische Frage nach dem vermeintlichen Lead. Nur eines ist hier sicher: Marketing etikettiert bei so etwas immer zuverlässig schnell. Das sollte immer mitgedacht werden. Ideologiefrei gilt hier die Faustregel, dass bei öffentlichkeitssensiblen Unternehmen ein Lead von PR-Arbeit und bei produktgetriebenen Unternehmen von Marketing sinnvoll ist. Alles andere lässt sich aber nur in jedem Einzelfall sinnvoll bestimmen. Ein festgelegtes Majorat sehe ich hier nicht.

6. Was kann Marketing von PR lernen und wo kann PR sich eine Scheibe vom Marketing abschneiden?

Zunächst sicher: der eine mehr Bescheidenheit, der andere mehr Selbstbewusstsein. Dann sollte jeder die Anliegen der „anderen“ Seite besser verstehen. Und wir sollten die Welt nicht ständig aus der B2C-Perspektive betrachten und die vielen B2B-Beispiele übersehen, bei denen Corporate-, Marken- und Produktkommunikation häufig eng verzahnt sind und es völlig egal ist, ob man dabei von PR-Arbeit, Marketing oder anderem spricht. Hier gibt es nur ein gemeinsames Lernen.

Zunächst sicher: der eine mehr Bescheidenheit, der andere mehr Selbstbewusstsein

Da Marketing in der Regel das größere Geld hat und damit versuchen muss, immer wieder neue Wege zu gehen, sollte die schwächer budgetierte PR-Arbeit genau hinschauen, ob sich Erprobtes auch ihrem Kontext und mit ihren Mitteln sinnvoll angepasst nutzen lässt. Andererseits bieten Marken-PR und Produkt-PR ein marketingseitig nicht ausgeschöpftes Potenzial. Vor anderthalb Jahrzehnten haben die Amerikaner Ries & Ries mit ihrem Buch „The Fall of Advertising & the Rise of PR“ die Erkenntnis verbreitet, dass Unternehmenskommunikation an verschiedenen Stellen zweckmäßiger mit Mitteln der PR-Arbeit statt mit denen von Werbung und Marketing arbeiten sollte. Hier ist meines Erachtens aufgrund eingefahrener Denkhaltungen noch immer an verschiedenen Stellen die bekannte „Luft nach oben“.

7. Bitte nennen Sie Ihr aktuelles Lieblingsbeispiel für kluge, effektvolle und moderne PR (Strategie, Maßnahme, Person).

Der „Coffee Mug“ von Siemens, eine personalisierte Newsfeed App für die Mitarbeiterkommunikation in einem Großunternehmen, bei dem Mitarbeitenden Unternehmensinformationen angeboten werden, die sich an deren individuellen Interessen orientieren, und der ihnen gleichzeitig Möglichkeiten zu Feedback und Meinungsaustausch gibt. Der „Kaffeebecher“ steht als Symbol für einen kurzen Break zum „Informationsaustausch“ am virtuellen Kaffeeautomaten.

Das Tool schneidet auf der Grundlage von aktuellen Inhalten, Eingaben, Anforderungen, Aufrufen und Nutzerinteressen auf Basis der Inhalte der Siemens-Plattformen Informationsangebote individuell zu, die dann den Nutzergewohnheiten entsprechend gelesen werden können. Das Team um Clarissa Haller hat hier in einem Großunternehmen ein strategisch intelligentes internes Informationstool zum Einsatz gebracht. Ganz nebenbei rückt dies auch den Stellenwert der internen Kommunikation ins Blickfeld.

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