Angefangen hat für Peter Pauls alles in der Umbruchredaktion des Kölner Stadt-Anzeigers, zu Zeiten des Bleisatzes. Dort hat er während seines Studiums gearbeitet. Heute ist Pauls Chefredakteur des Stadt-Anzeigers, wohl eine der wichtigsten Tageszeitungen im Großraum Köln. Prägend, so sagt er, sei vor allem seine Zeit als Lokalredakteur gewesen. „In jedem Bereich, in dem ich später gearbeitet habe, egal ob als Auslandskorrespondent, Politikchef oder Chefredakteur, ist mir meine Zeit als Lokalredakteur begegnet.“ Seine gesamte bisherige journalistische Laufbahn absolvierte der heute 62-Jährige beim Kölner Stadt-Anzeiger. „Ich hatte das Privileg, dass ich bei dieser Zeitung wirklich alles machen durfte.“ Sieben Jahre war Pauls die rechte Hand von Herausgeber Prof. Alfred Neven DuMont. Eine Zeit, in der er ungemein viel gelernt habe, auch über die wirtschaftliche Seite des Berufs.
Schon in jungen Jahren engagierte er sich bei der Zeitung seiner Schule. „Ich war immer schon der Meinung, wenn ich etwas schreibe, sollten andere Menschen das auch ruhig lesen können.“ Studiert hat Pauls Germanistik und Sozialwissenschaften, ab 1980 volontierte er beim Stadt-Anzeiger. Im Anschluss war er Redakteur in Bergisch Gladbach, dann stellvertretender Lokalchef. Später wechselte der Journalist ins Politikressort, das er ab 1993 leitete. Es folgte eine Zeit im Ausland – Pauls war drei Jahre lang Afrika-Korrespondent –, bevor er 1999 nach Köln zurückkehrte. Seit 2009 ist er Chefredakteur des Stadt-Anzeigers. Unter seiner Leitung führte das Haus 2013 einen neuen Newsdesk ein, für den die Redaktionsstruktur umgekrempelt wurde. Die Arbeit von Print und Online sollte enger miteinander vernetzt sein. Denn lange seien die Online-Angebote kein gleichberechtigter Bestandteil der täglichen redaktionellen Entscheidungen gewesen, wie Pauls in einem Interview mit dem Magazin „drehscheibe“ erklärt. Bei der Eröffnung machte sich NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ein Bild der neuen Nachrichtenzentrale, kurze Zeit später auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Interview erklärt Peter Pauls, warum Medienhäuser sich auf lange Sicht mit anderen zusammenschließen müssen und welche Vorteile lokale Nachrichtenanbieter in der Informationsflut haben.
Peter Pauls
Chefredakteur Kölner Stadt-Anzeiger
Xing: Peter Pauls
1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?
Eigentlich gelten die klassischen Tugenden. Journalismus soll unabhängig sein, frei von Interessen Dritter. Er soll investigativ sein, mit dem Journalisten als Nachrichten-Makler. Das sind die Komponenten, die meiner Meinung nach unabdingbar sind. Es ist ein begrüßenswerter Trend, dass die Unabhängigkeit des Journalisten heute stärker betont wird als noch in meiner Jugend. Damals glaubte man, den eigenen Standpunkt immer einbringen zu müssen. Wir sollten heute schnell, sachgerecht und unabhängig informieren.
2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?
Es gibt viele Trends, das Feld ist fast unüberschaubar. Natürlich ist die mobile Ansprache im Augenblick der Haupttrend, den ich sehe. Ich werde informiert über mein mobiles Endgerät, mein Smartphone. Durchsetzen wird sich – ganz abstrakt gesprochen – eine wirtschaftlich darstellbare Lösung: Wie informiere ich Menschen schnell, sachgerecht und unabhängig? Und vor allem: Wie verdiene ich Geld damit?
Meine prägenden Jahre habe ich im Lokalen erlebt.
3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?
Wir recherchieren national, im Bundesland, in der Region und im Lokalen bis in die Stadtviertel hinein, die Sub-Lokalität. Ich bin gebürtig Lokalredakteur, war auch viele Jahre Auslandskorrespondent. Aber meine prägenden Jahre habe ich im Lokalen erlebt. Im Grunde schlägt nichts die Erkenntnis, dass ein Abend in der – natürlich richtigen – Kneipe mit einer Unterhaltung mehr Erkenntnis und Rechercheanlass bieten kann als ein ganzer Tag am Schreibtisch. Das heißt, es geht darum, die relevanten Themen für unsere Kunden, für unsere Leser im realen Leben zu finden. Dabei kann Social Media eine ganz enorme Hilfe sein, weil ich Gesprächspartner finden und schnell Rückmeldung bekommen kann. Letztlich ist Social Media aber auch nur ein Hilfsmittel, um sich der Wirklichkeit zu versichern.
4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?
Digital machen wir die Erfahrung, dass es den richtigen Inhalt eigentlich nur zum richtigen Zeitpunkt gibt. Anders gesagt: Ich will dann essen, wenn ich auch Hunger habe. Auf der einen Seite gibt es reine Aktualität – ein furchtbares Erdbeben in Nepal, der Absturz der Germanwings-Maschine –, die es schnell zu vermitteln gilt. Davon abgesehen wird die Kunst darin bestehen, bei anderen Inhalten stärker zu erkennen, wann die Mehrheit unserer Leser oder Nutzer diesen bestimmten Inhalt wünscht und wann nicht.
Das ist faszinierend. Ein Beispiel: An einem Wochenende sind Informationen nach außen gedrungen, dass die wissenschaftliche Kommission, die die Arbeit des Bundesfinanzministeriums begleitet, sich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten angenommen hat. Wir hatten für die Montagausgabe einen Agenturbericht im Blatt, den wir auch online gestellt haben. Wir hatten online enormen Erfolg mit diesem Bericht, weil das Thema viele Menschen interessierte – das kann man ja messen. Wir hatten dann nachfolgende, qualitativ hochwertige Berichterstattung, die wir selber gemacht haben. Und dennoch haben wir feststellen müssen, dass das Interesse nach diesem schnellen Aufflackern schon zurückging. Sie fragten, was man künftig tun muss: punktgenau die richtigen Inhalte liefern!
Eine Zeitung zu machen ist im Grunde genommen eine Wette, bei der es heißt: „Ich gehe mal davon aus, das wird die Mehrheit unserer Leser in dieser Form interessieren“. Digital arbeitet man anders. Sie finden ganz schnell heraus, ob das, was Sie servieren, Anklang findet. Das ist im Grunde, als ob Ihnen jemand sagt: „Schmeckt mir, schmeckt mir nicht.“ Und dann müssen Sie reagieren. Dann müssen Sie schauen, wie geht das weiter, wie behandeln wir das weiter?
// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.
5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?
Weil bei technischen Lösungen ein hoher Aufwand erforderlich ist, werden wir uns in größeren Einheiten mit anderen zusammentun müssen, um sie umzusetzen. Wir stehen kurz davor, dass es automatische Übersetzungsprogramme gibt und man in internationale Nachrichtenströme einspeisen kann. Das ist nicht Jules Verne. Davon sind wir zwei, drei technologische Schritte entfernt. Um Teil davon zu werden, können wir nicht eine Vielzahl von insularen Lösungen allein in einem deutschen Markt haben. Wir brauchen Standardisierung, wo sie notwendig ist. Das Stoppschild ist beispielsweise international. Sie wissen – in welchem Land Sie auch immer sind – das ist ein Stoppschild. Das wussten Sie vor 40 Jahren nicht, da sah unser Stoppschild anders aus. Wir werden die Regeln international einheitlich definieren müssen.
Dort, wo es kulturelle Unterschiede in der Behandlung von Nachrichten und der Verbreitung von Inhalten geht, müssen wir die bleiben, die wir sind. Aber wir werden nur Teil einer auch technologischen, internationalen Community werden, wenn wir uns in der notwendigen Weise diesem System anpassen. Das wird nur gehen, indem wir eine nationale Lösung finden. Heute haben alle VHS-Videorekorder – und selbst VHS-Videorekorder sind Vergangenheit –, von Video 2000, der überlegenen Grundig-Lösung, spricht keiner mehr. Das ist eine Fußnote der technologischen Entwicklung.
6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?
Wenn ich es mir einfach mache, dann sage ich: nach dem klassischen Modell. Jemand bezahlt dafür, dass ich ihm eine Information gebe. Wir müssen feststellen: Das Zeitungsmodell ist analog. Sie haben eine Zeitung gekauft, weil Sie zum Beispiel eine Wohnung gesucht haben oder ein Auto kaufen wollten. Das ist weg. Sie müssen mit Ihrer Information heute überzeugen und zeigen: Was wir jetzt liefern, ist dem Nutzer, dem Kunden entweder ein Micro-Payment wert oder auch ein Abonnement. Darauf wird es so oder so hinauslaufen. In welcher Organisationsform das wirtschaftlich stattfindet, kann ich nicht sagen. Und als Journalist habe ich auch genug mit dem journalistischen Feld zu tun. Dort will ich erfolgreich sein.
Ich glaube, dass sich der Informationsbegriff fundamental verändern wird.
7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?
Ich glaube, dass wir ein Mobilangebot erleben werden, das informiert, unterhält und uns in einem viel größeren Maße informiert, als wir uns das heute vorstellen können. Ich glaube, dass sich der Informationsbegriff fundamental verändern wird. Wir werden da eine Art Partner in der Tasche haben, eine gleichsam lebendige Siri, die stets zur Hand ist und uns von Nachrichten über das Weltgeschehen bis hin zu der Ansage, wann die nächste Straßenbahn kommt, Antworten geben wird.
Die Medienanbieter fungieren dabei als Zulieferer. Wir als Lokalzeitung haben wirklich exklusiven Inhalt – das ist unsere Lokalität. Ein Beispiel: Ein Flugzeug landet im Hudson River, der Pilot und die Insassen stehen auf der Tragfläche. Diese Nachricht verbreitet sich in etwa 60 Sekunden um die Welt. Jetzt ist die Nachricht nicht mehr exklusiv. Jeder hat sie. Jeder hat auch über Kurz oder Lang das Bild.
Ich wohne in Köln, und wenn Sie mir dort exklusive, lokale Informationen liefern, die für mich relevant sind, sehe ich nicht, dass die um die Welt gehen, einfach weil sie keinen anderen interessieren. Aber sie interessieren mich. Auch bei lokalen Informationen ist immer das Entscheidende: Relevanz, Relevanz, Relevanz. Der Lieferant, der mich kennt, liefert mir Informationen, die für mich von Bedeutung sind. Und das interessiert im Grunde keinen Dritten, in Düsseldorf etwa. Wir erbringen sozusagen strukturell exklusive Leistungen.
8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?
Im Grunde das Medium, das ich gerade beschrieben habe. Das ist dieser Begleiter, der mir die Informationen liefert, die ich haben will, und das in einer Form tut, die mir entspricht. Das kann eine Art elektronisches Papier sein – das ist für Menschen wie mich immer gut, weil sie es gewohnt sind, die Welt immer noch in Zeitungsform sortiert zu bekommen. Es bietet zudem vielfältige Interaktionsmöglichkeiten. Diese klassische mediale Teilung wird aufgelockert. Im Grunde genommen werden diese Medien zusammenkommen. Sie werden lesen, Sie werden bewegte Bilder sehen, Sie werden Fotos sehen, Sie werden eine Frage stellen und ein System, ausgestattet mit einem Algorithmus, wird Ihnen antworten. Wir erleben gerade, wie Wissen und technologisches Vermögen sich zum Quadrat vermehren und vergrößern. Das, was wir heute haben, war vor 20 Jahren, als ich Korrespondent in Afrika war, Zukunftsmusik. Heute stelle ich einem iPad eine Frage,und es gibt mir verblüffend genau Antworten.
Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #ZukunftDesJournalismus.