tl;dr (Lesezeit 5-10 Minuten)

  • Ulrike Köppen ist Leiterin des Data-Teams beim Bayerischen Rundfunk.
  • Durch die rasend fortschreitende technische Entwicklung haben Prognosen zur Zukunft des Journalismus für Köppen gerade das Haltbarkeitsdatum eines Joghurts.
  • Die Journalistin findet, Redaktionen sollten von Codern lernen und mit Beta-Versionen arbeiten. Das habe den Vorteil,  die User direkt in den Entwicklungs-Prozess einzubeziehen. “Und man nimmt viel Erfolgsdruck von Projekten, die auch manchmal besser früh als spät in die Tonne getreten werden können.”
  • Ulrike Köppen sieht die Zukunft ebenso im Digitalen, wie im Print: “Es kommt wie immer auf die kreativen Weiterentwicklungen an – und ich sehe keinen Grund, weshalb die nicht auch in der Print-Landschaft stattfinden können.”

© BR, Lisa HinderUlrike Köppen ist Teil einer noch relativ jungen Bewegung im Journalismus: dem Datenjournalismus. Sie leitet BR Data, das Daten- und Interaktivteam des Bayerischen Rundfunks/ARD. Das Team ist interdisziplinär zusammengesetzt aus Journalisten, Programmierern und Designern und widmet sich allen Formen des Datenjournalismus und interaktiven Storytellings.

Im Gespräch mit OSK erklärt Ulrike Köppen, warum Medienhäuser in ihrer Arbeit von Programmierern lernen können und wieso das Alte das Neue nicht verdrängen, sondern umarmen sollte.

Gemeinsam mit Kollegen gründete Köppen zudem ddjmonaco, ein regelmäßiges Technik-Treffen für Journalisten, Programmierer und Open-Data-Leute aus München. Sie studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Semiotik in München und Paris. Bevor Köppen das Web-Innovationsteam beim BR aufbaute, arbeitete sie bei arte, der Süddeutschen Zeitung und der Nachrichtenagentur dapd.

Mit konkreten Prognosen zur Zukunft des Journalismus ist die Daten-Redakteurin vorsichtig, denn solche Voraussagen hätten derzeit das „Haltbarkeitsdatum eines Joghurts.“ Schließlich höre man beinahe wöchentlich von neuen Tools, Ideen und Modellen, die teilweise das Potenzial haben, den Markt zu verändern.

Ulrike Köppen
Leiterin BR Data

Twitter: @zehnzehen
Facebook: Uli Köppen
Xing: Uli Köppen

© BR, Lisa Hinder Das BR Data Team, Foto: BR, Lisa Hinder

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

Prognosen zur Zukunft des Journalismus haben gerade gefühlt das Haltbarkeitsdatum eines Joghurts: im Wochentakt neue Tools, journalistische Start-ups, Geschäftsmodelle – die auch relativ schnell wieder jenseits der Wahrnehmungsgrenze verschwinden. Das ist gut, weil viel versucht wird. Das ist schlecht für Prognosen.

Prognosen zur Zukunft des Journalismus haben gerade gefühlt das Haltbarkeitsdatum eines Joghurts.

Aus meinem Arbeitsalltag kann ich schließen, was im Moment Qualitätsjournalismus tendenziell fördert und was ihm eher schadet. Einer der größten Feinde ist wohl immer noch die Technikferne in Verlagen und Sendern. Trotz aller Hackathons und Coding-Meet-ups, die seit einiger Zeit auch in ehrwürdigen Redaktionshallen veranstaltet werden, tun sich Redaktionen oft schwer damit, andere Arbeitsformen ernsthaft zu integrieren: Coder, Designer und Journalisten, die an einem Tisch arbeiten, brauchen auch andere Infrastruktur, Workflows und manchmal auch andere Publikationszyklen.

Meistens bedeutet das, sich vom journalistisch gewohnten tages- oder wochenaktuellen Rhythmus zu lösen und für jedes Projekt eine angemessene Dauer zu definieren, die auch während der Arbeit daran fließend angepasst werden sollte. Oft bekommen Projektteams nicht die Zeit zugestanden, die sie für Recherche und Umsetzung benötigen. Positiv formuliert: Wer sich dem, was die neuen Verbreitungswege und Kollaborationsmöglichkeiten bieten, öffnet, hat auch die besten Chancen auf guten Journalismus. Und die allerbesten, wenn das Neue nicht das Alte abschaffen möchte, sondern sich beides umarmt.

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Datenjournalismus und interaktives Erzählen sind die beiden Felder, die wir bei BR Data aktiv beackern – und natürlich glauben wir daran, dass man damit einen echten Mehrwert für den Journalismus erreicht. Der Datenjournalismus, weil er unser Angebot um meist exklusive und manchmal auch investigative Geschichten bereichert, die wir ohne die Zusammenarbeit mit Codern und Statistikern nicht erzählen könnten. Die User bekommen mit interaktiven Tools die Möglichkeit, unsere Recherche und Thesen transparent nachzuvollziehen.

Das interaktive Erzählen, weil wir die richtige Form für jede Geschichte finden und User unsere journalistischen Stücke im besten Fall intensiver erleben können. Sehr inspirierend finde ich auch Bewegungen wie den Structured Journalism, der vereinfacht gesagt Ideen aus der digitalen Archivarbeit in den Journalismus übertragen möchte. Mit Augmented und Virtual Reality wird gerade viel experimentiert, massentauglich sind beide Bewegungen allerdings noch lange nicht.

3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?

Tatsächlich: überall. Wenn ich auf etwas stoße, das mich trifft oder das ich nicht verstehe, ist meine Neugier geweckt. Bei BR Data haben wir einen speziellen Ansatz: Wir suchen Geschichten in Daten. Wenn wir eine Themenidee haben, machen wir uns auf die Suche nach Datensätzen – oder andersherum: Wir stoßen auf einen interessanten Datensatz und suchen darin nach einer guten Geschichte.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

Zuerst: Gute Geschichten produzieren. Denn der eine Satz einer Story, den man im Netz oder in der Kneipe weitererzählt, ist immer noch das beste Erfolgskriterium. Außerdem wird die Vermarktung der eigenen Geschichte natürlich immer wichtiger. Auch über die eigene Marke: Journalisten, die sich nicht hinter ihrem Medium verstecken, sondern als Person authentisch für ihre Arbeit einstehen, haben eine größere Glaubwürdigkeit – und werden letztendlich besser wahrgenommen.

// Über #ZukunftDesJournalismus

Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Von Codern lernen und mit Beta-Versionen arbeiten. In Redaktionen und Verlagen wird oft unglaublich viel Zeit und Geld in die Neuentwicklung von Tools und Erzählformen gesteckt. Viel entspannter sind da Entwickler, die ihre neuen Ideen bis zu einer gewissen Reife bringen, mit Hinweis auf den Beta-Status veröffentlichen und dann mit Hilfe der Reaktionen am Produkt weiterarbeiten. Das hat den Vorteil, dass man die User direkt in den Prozess einbeziehen kann – schließlich sind diese Produkte für sie. Und man nimmt viel Erfolgsdruck von Projekten, die auch manchmal besser früh als spät in die Tonne getreten werden können.

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Wahrscheinlich wie bisher: mit einem Bauchladen aus Produkten und Abo-Modellen, versehen mit einer Prise Crowdfunding. Zumindest sehe ich noch kein Bezahlmodell, das durchschlagend andere Bezahlmodelle ablösen kann.

7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Das kann ich nach Antwort 1 nicht wirklich seriös beantworten. Salomonische Antwort: Digital ist die Zukunft, Print aber auch. Es kommt wie immer auf die kreativen Weiterentwicklungen an – und ich sehe keinen Grund, weshalb die nicht auch in der Print-Landschaft stattfinden können.

Digital ist die Zukunft, Print aber auch.

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Es wird gerade so viel cooles Zeug entwickelt, dass ich immer wieder den Überblick verliere. Wahrscheinlich gibt es für jeden Ausspielweg und jedes Randthema gleich mehrere Produkte. Aus dem Spirit entstehen immer wieder feine Dinge – und es muss nicht immer die Riesen-Idee sein, die alles umwirft. Vor Kurzem habe ich Journalisten aus Schweden getroffen, die ein investigatives Jugendmagazin planen. Seriöser Journalismus mit neuen Mitteln recherchiert und erzählt – Alt umarmt Neu.

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.