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Liebe Leserinnen, liebe Leser,
das „digitale China“ hat zwei Seiten. Zum einen die höchst umstrittene, die durch Vorwürfe in puncto Datenschutz, Zensur und Überwachung massiv in der Kritik steht, insbesondere in den USA. Zum anderen ist da aber auch die sehr fortschrittliche, höchst innovative und konsequent user-orientierte Seite, die hierzulande wenig bekannt ist. Tech-Konzerne wie Tencent, Alibaba und Bytedance zeigen, wie sich digital und „mobile first“ Millionen von Menschen erreichen lassen. Westliche Unternehmen, die in China aktiv werden und ihre Zielgruppen schnell und direkt ansprechen möchten, müssen sich auf eine andere Digital- und Social-Media-Landschaft einstellen, die nach sehr eigenen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Wir geben Ihnen einen Überblick über die aktuelle Situation bei TikTok, WeChat und Co.
Viel Spaß beim Lesen!
TikTok: Zwischen Boom und schwarzer Liste
An keiner App scheiden sich die Geister derzeit so stark wie am Videoportal TikTok, in der Volksrepublik China bekannt als Douyin. Wegen Erlässen von US-Präsident Donald Trump steht die weltweit boomende Erfolgs-App in den USA vor dem Aus, wie unter anderem die Tagesschau berichtete. Trump sehe in der App aufgrund von Bedenken hinsichtlich Daten- und Jugendschutzes sowie Spionage und Zensur eine Gefahr für die nationale Sicherheit, weshalb er Anfang August ein Dekret unterzeichnete, das auf ein Verbot von TikTok ab Mitte September hinauslaufen soll. Der einzige Ausweg, das drohende Verbot zu umgehen, scheint für den chinesischen Mutterkonzern ByteDance ein Verkauf der Plattform an ein US-Unternehmen zu sein. Microsoft soll ebenso zu den interessierten Unternehmen gehören wie Twitter. Selbst die US-Supermarktkette Walmart soll erwägen, sich einer Kaufofferte von Microsoft anzuschließen. Manchmal treibt die Globalisierung überraschende Blüten…
Die Regierung in Washington warnt schon länger, über TikTok könnten Daten von US-Amerikanern in die Hände chinesischer Behörden geraten. TikTok hingegen versichert, Chinas Regierung habe keinen Zugriff auf Nutzerdaten und habe dies auch nie verlangt. Die Daten von US-Nutzern würden in den USA gespeichert und verarbeitet. Auch seien keine von Nutzern hochgeladene Inhalte zensiert worden.
In einer aufgeheizten Stimmung, die zwischen Spionagefilm und Wirtschaftskrimi angesiedelt ist, kündigte TikTok jetzt eine Klage gegen das Vorgehen der US-Regierung an. Das Unternehmen bemühe sich seit fast einem Jahr um eine Lösung mit der US-Regierung, erklärte TikTok. Die Regierung halte sich aber nicht an die gültigen Verfahren und die Fakten. Um sicherzustellen, dass alles nach rechtsstaatlichen Grundsätzen ablaufe und TikTok ebenso wie seine Kunden fair behandelt würden, habe das Unternehmen keine andere Wahl, als gegen das Transaktionsverbot juristisch vorzugehen.
Ende und mögliche Auswirkungen: völlig offen.
Interactive E-Commerce macht Online-Shopping zum Erlebnis
Shopping in der realen Welt ist für viele Menschen weiterhin ein angenehmer Zeitvertreib. Man bummelt durch die Einkaufsstraße und an Schaufenstern vorbei, sieht ein Schnäppchen, kauft es und freut sich über die „Beute“. Online fehlt dieser spontane Erlebnisfaktor meistens, schreibt Matthew Brennan, Speaker und Experte für China-Marketing. Dem Einkauf im Netz geht eher eine konkrete und gezielte Suchanfrage voraus. In China setzten Plattformen stärker auf einen Event-Charakter sowie ein Einkaufserlebnis, das Menschen mit anderen teilen, erläutert Brennan in einem Whitepaper. Zur Beschreibung dieses Trends nutzt der Autor den Begriff „Interactive E-Commerce“, der das User-Erlebnis in den Mittelpunkt des „Commerce“-Gedankens stellt.
Als Fallbeispiel wählt Brennan die App Pinduoduo, die auf sogenannte „Team Purchases“ setzt. Die Grundidee dahinter: Nutzer können wählen, ob sie ein Produkt allein kaufen und den vollen Preis bezahlen möchten oder Freunde einladen, die das Produkt ebenfalls erwerben. Dann zahlt jeder jeweils den günstigeren „Team Purchase“-Preis.
Der Dienst ist für den User personalisiert und basiert auf Empfehlungen. Nutzer rufen die App häufig ohne besondere Intention auf, vergleichbar mit einem Shopping-Bummel. Pinduoduo zeigt dem Nutzer dann Produkte an, basierend auf seiner Freundesliste, seinen bevorzugten Produkt-Kategorien und Empfehlungen von Bekannten und persönlichen Kontakten. Zudem setzt Pinduoduo auf Livestreaming- und Gamification-Features, um den Erlebnischarakter zu erhöhen.
Laut Brennan macht die Emotionalisierung des E-Commerce-Erlebnisses den Erfolg der App aus. Das Fazit des Whitepapers: „Was im Fall von Pinduoduo sehr deutlich wird, ist, dass sich Menschen von ihrem Einkaufserlebnis mehr wünschen als das kalte und unpersönliche Erlebnis, das der E-Commerce traditionell bietet.“
Die Power von Private Traffic
Chinesische Digital-Kanäle emotionalisieren das Einkaufserlebnis nicht nur, sie rücken auch Käufer und Verkäufer wieder näher zusammen. Als die Lieferketten aufgrund der Pandemie ins Stocken gerieten und Märkte geschlossen wurden, saßen Landwirte auf ihren Produkten und vollen Lagern. Um zu helfen, machte die E-Commerce Plattform Taobao ihre Livestreaming-Funktion frei zugänglich. Die Bauern nutzen kurzum diesen kostenlosen Service, wie Campaign schreibt, und verkauften so in den ersten drei Tagen 15 Millionen Kilogramm an Produkten an 41 Millionen Menschen.
Das Engagement der Landwirte habe speziell Stadtbewohnern die Chance gegeben zu erfahren, woher die gekauften Produkte stammen, und so die Distanz zwischen Stadt- und Landbewohnern verkleinert. Diese Entwicklung habe einen nachhaltigen Einfluss auf das Nutzerverhalten gehabt.
Im Bereich Social Selling hätte sich in der jüngeren Vergangenheit zum Beispiel Private Traffic bezahlt gemacht. Dabei kommunizieren Anbieter und Kunden in privaten Chats oder Chat-Gruppen direkt miteinander. Diese Entwicklung zeige, wie Anbieter und Unternehmen versuchen, auf diesem dynamischen, neuen Markt solide Kundenbeziehungen aufzubauen.
Um dieses Ziel allerdings zu erreichen, müssten die bisherigen E-Commerce-Aktivitäten westlicher Firmen an den chinesischen Digitalmarkt angepasst werden, weit über den Sales-Gedanken hinaus. Daran seien bereits große Luxusmarken wie Prada, Giorgio Armani und Miu Miu gescheitert, die angesichts deutlicher Rückgänge der Offline-Verkäufe Flagshipstores online eröffneten. Ohne lokale Relevanz oder einen Versuch, der Community einen Mehrwert über den reinen Verkauf hinaus zu bieten, hätten diese Kampagnen aber für wenig Interesse gesorgt. Dies verdeutliche, wie wichtig in China ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Umsatz-Zielen und unterhaltsamen, verbraucherfreundlichen Inhalten sei.
Mit Livestreaming, Private Chat und USG zum Erfolg
Die Hautpflegemarke Chando ist ein Beispiel für ein Unternehmen, das die Möglichkeiten des chinesischen E-Commerce-Markts gewinnbringend nutzt, berichtet Jing Daily. Zum Start einer Kampagne im vergangenen Juli startete Chando einen zweistündigen Livestream, in dem die Firma einen Einblick in die Forschungs- und Entwicklungslabore gewährte, und zeigte, wie die Produkte hergestellt werden. Während des Streams konnten Zuschauer auf einen Link klicken, der sie in den Online-Store führte. Wer sich dort registrierte, bekam einen Rabatt-Coupon, der auch in Offline-Shops eingelöst werden konnte.
Zusätzlich richtete die Marke einen privaten VIP-Chat ein, in dem Follower exklusive Infos zu Rabatten, Kampagnen, Goodies und Verlosungen bekommen. Auf diese Weise ist der User nicht nur immer auf dem Laufenden bezüglich neuer Produkte und Aktionen, er fühlt sich gleichzeitig auch vom Unternehmen wertgeschätzt.
Eine dritte Säule von Chandos Erfolgsrezept besteht aus User-Generated Content und Content Marketing. Im Mini-Programm-Store sind Kunden dazu eingeladen, ihre Erfahrungen mit den Produkten zu teilen. Darüber hinaus ist ein Archiv mit Make-up-Tutorials verfügbar, die zeigen, wie man die Produkte anwendet.
Setzt sich Live Commerce im Westen durch?
Live Commerce ist in China bereits sehr erfolgreich und könnte nun auch in den USA Fuß fassen, wie Forbes schreibt. Das Grundprinzip kurz erklärt: Ein Moderator oder eine Moderatorin stellt im Livestream Produkte vor, die Zuschauer direkt kaufen können, ohne selbstständig danach suchen zu müssen. Dabei sind die User jedoch keine rein passiven Konsumenten, sondern interagieren sowohl mit dem Moderator als auch miteinander. Sie tauschen sich beispielsweise darüber aus, ob sie Produkte kaufen und wie sie verwendet oder getragen werden sollen.
2019 soll Shoppable Livestreaming in China einen Umsatz von 64 Milliarden US-Dollar erzielt haben, dieses Jahr könnten laut Schätzungen sogar rund 138 Milliarden US-Dollar erreicht werden. Diese beindruckenden Zahlen sind sicherlich auch ein Grund dafür, warum sich erste Firmen in den USA für das Konzept interessieren. So hat Amazon ein eigenes Live-Feature für Unternehmen gestartet, das in einer Oberfläche Livestreaming, Chat, Produktinfos, Kundenservice, Bezahlung, Tracking und Nutzerbewertungen vereint. Zwar stehe Shoppable Livestreaming im Westen noch ganz am Anfang, jedoch sei China häufig ein Indikator für den Durchbruch neuer technologischer Entwicklungen. Zudem seien die Menschen aktuell offen für neue Shopping-Erfahrungen, bei denen sie Gesundheitsrisiken vermeiden können.
“Die Menschen müssen nach China schauen”
Einen Schritt weiter geht CNBC und prognostiziert, dass sich der Onlinehandel zukünftig stark in Richtung der Trends in China verändern werde. Grund für diese Annahme ist eine Analyse der Beratungsfirma Bain, nach dem Asia Pacific für ein Drittel des weltweiten Einzelhandelswachstums verantwortlich sei. Betrachte man nur online, seien es gar zwei Drittel. An der Spitze dieser Entwicklung stünden die Unternehmen Alibaba, JD.com und Pinduoduo, die mittlerweile international zu den Top 10 Retail-Anbietern gehören.
“Was heute in China passiert, wird je nach Markt in geringerem oder höherem Maße in anderen Ländern passieren”, sagt Kanaiya Parekh, Expert Partner bei Bain. “Die Menschen müssen nach China schauen, insbesondere im Hinblick auf die Zukunft des Einzelhandels.”
Unsere Einschätzung dazu: Es ist davon auszugehen, dass Technologien und Trends aus China zunehmend den westlichen Markt verändern. Ein gutes Beispiel dafür sind Instagram Reels. Für die Funktion hat Instagram das Prinzip des chinesischen Vorbilds TikTok in der eigenen App umgesetzt. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen China bei anderen kopierte. Inzwischen ist es oft genug anders herum.
TikTok-Anleitung – wir erklären Schritt für Schritt, wie die App funktioniert
TikTok ist ein Beleg für diese Entwicklung. Als eine der ersten chinesischen Plattformen hat die App den Durchbruch im Westen geschafft. Auch in Deutschland laden sich immer mehr Menschen TikTok herunter. Weltweit hat der Dienst monatlich rund eine Milliarde Nutzer.
Nutzer erstellen selbstgedrehte Handyclips, unterlegen sie mit der Musik von bekannten Songs oder Filmszenen und bearbeiten die Kurzvideos mit Filtern, Schnitt-Tools sowie Effekten. Dabei haben User so viele Möglichkeiten, dass besonders TikTok-Neulinge am Anfang überfordert sein können. Hinzu kommt, dass das Interface nicht sehr intuitiv ist. Deswegen geben wir eine Übersicht zu den Grundfunktionen der App und erklären, welche Möglichkeiten TikTok zur Content-Erstellung bietet.
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