Thomas Derksen, 30, ist in China eine Berühmtheit. Als er 2016 eine Parodie über die chinesische Familie seiner Frau drehte und diese ins Netz stellte, ging er damit viral. Seitdem ist er in der Volksrepublik als „Afu“ bekannt, was grob übersetzt „der Glückliche“ bedeutet. Der gebürtige Rheinländer postet Videos über sein Leben in China auf verschiedenen chinesischen Plattformen, darunter natürlich WeChat, und hat dadurch eine beachtliche Reichweite aufgebaut. Im April erschien sein Buch über den Alltag als deutscher Schwiegersohn in China, das er gemeinsam mit seinem Schwiegervater geschrieben hat.
Derksen lebt heute als Vlogger und Influencer in Shanghai und kennt wie kaum ein anderer Deutscher Chinas Kultur. Eine ideale Voraussetzung dafür, um mit ihm über die Eigenarten seiner Wahlheimat und die besonderen Kommunikations-Herausforderungen für (deutsche) Unternehmen zu sprechen.
Humor und kulturelle Referenz sind wichtige Zutaten deiner Inhalte. Warum sind diese Aspekte so bedeutend für deinen Erfolg?
Wer nach China kommt und nicht über sich selber lachen kann, wird es schwer haben. Man muss offen sein, wenn man sich zwischen den Kulturen bewegt. Das hilft dabei, kulturelle Differenzen zu überbrücken.
Wenn ich mit meinen chinesischen Freunden darüber spreche, was sie mit Deutschen verbinden, denken die meisten an Fleiß, harte Arbeit, Qualität und Tradition, aber wenig an Humor. Humor ebnet mir aber wiederum den Weg, mit meinem Content erfolgreich zu sein, da chinesische User einen Deutschen, der witzig ist, interessant finden.
Wie nutzt du die vielen verschiedenen Plattformen?
In China gibt es für so gut wie jede Zielgruppe eine eigene Plattform, weswegen wir unsere Videos mittlerweile auf 15 bis 20 verschiedenen Netzwerken veröffentlichen. Um herauszufinden, was für uns funktioniert, haben wir viel getestet. Für mich geht dabei Probieren über Studieren. Publisher müssen testen und vor allem durchhalten. Nicht alles wird sofort klappen und nur wenige haben unser Glück, mit dem ersten Video viral zu gehen. Trotzdem rate ich: einfach mal machen! Dann wird sich zeigen, was Sinn ergibt.
Für uns funktioniert zum Beispiel Douyin, das chinesische TikTok, nicht wirklich. Die 15-sekündigen Videos sind meiner Meinung nach zu kurz, um eine Beziehung zu den Fans aufzubauen.
Was glaubst du, können Unternehmen in Europa und den USA von Chinas Tech- und Digital-Szene lernen?
Chinesen sind neuen Technologien gegenüber offener. Nehmen wir mobiles Bezahlen als Beispiel: Innerhalb von zwei, drei Jahren haben es 99 Prozent der Kunden und Händler akzeptiert und wickeln ihre Transaktionen über WeChat Pay oder Alipay ab. Das ist im Westen anders. Vor allem wir Deutsche lieben unser Bargeld und halten daran fest, obwohl das Modell aus meiner Sicht als gelernter Bankkaufmann nicht zukunftsfähig ist. In China hingegen denken die Menschen: „Es macht mein Leben bequemer – also akzeptiere ich es.“
Viele Grundsätze, auf die deutsche Unternehmen Wert legen, wie etwa Nachhaltigkeit und Qualität, werden weiterhin essenziell und ein Wettbewerbsvorteil bleiben. Wir müssen aber einen Mittelweg zwischen diesen alten und neuen Werten finden. Im Moment denken die meisten noch, wir können so weitermachen wie bisher. Diese Einstellung wird uns meiner Meinung nach aber in 10 bis 15 Jahren Probleme machen.
Wie müssen Unternehmen ihre Angebote auf chinesischen Plattformen platzieren?
Die Geschichte hinter dem Produkt ist wichtig. Es geht nicht nur darum zu sagen: „Wir sind das beste Shampoo auf dem Markt!“ Die Nutzer müssen die Markengeschichte kennenlernen und nachvollziehen können, wie und warum sich ein Produkt in Deutschland verkauft. Dementsprechend ist das Storytelling neben den harten Fakten sehr wichtig.
Außerdem müssen Unternehmen verstehen, wie sich chinesische User im Netz bewegen. In Deutschland ist beispielsweise Google ein wichtiges Tool, um die Brand Awareness zu steigern. Da Baidu als chinesisches Google gilt, möchten viele ihre Google-Strategie eins zu eins darauf übertragen. Das ist jedoch der völlig falsche Ansatz, da Chinesen nicht über Suchmaschinen, sondern direkt auf Shopping-Plattformen wie JingDong oder Taobao nach Produkten suchen.
Welche Kanäle sollten westliche Firmen dieses Jahr beobachten?
WeChat ist das Kommunikationsmittel Nummer eins in China und spielt daher weiterhin eine große Rolle. Außerdem sind Verkaufsplattformen wie Taobao oder Tian Mao für Marken wahnsinnig wichtig, weil dort die Masse der potenziellen Käufer aktiv ist. Als Basis sollten Unternehmen, vor allem Neueinsteiger, sich dementsprechend auf die klassischen Plattformen konzentrieren.
Welche Tipps hast du für jemanden, der auf einer chinesischen Plattform aktiv werden möchte?
Man braucht definitiv einen Ansprechpartner, der sich mit dem jeweiligen Netzwerk auskennt. Ohne die chinesische Sichtweise und Expertise ist es fast unmöglich, ein Business in China aufzubauen. Man braucht jemanden, der einen in die chinesische Digital-Welt einführt. Es ist also wichtig, dass man jemanden zur Seite hat, der China versteht – und Chinesisch versteht.
Insgesamt sollten Deutschland und China meiner Meinung nach viel mehr miteinander und weniger übereinander sprechen. An meinen chinesischen Freunden und Followern sehe ich, dass sie sehr interessiert an Deutschland und dem Westen sind. Umgekehrt mangelt es aber an diesem Interesse. Wir sind China gegenüber immer noch distanziert, manchmal sogar arrogant. Das ist heutzutage sehr gefährlich, weil man sich im Jahr 2019 nicht mehr fragen sollte, ob man mit China Geschäfte macht, sondern wie man mit China Geschäfte macht.