Das gesprochene Wort hat gegenüber dem geschriebenen einen bedeutenden Vorteil: Jeder Mensch kann es schnell verstehen. Auch im digitalen Zeitalter geht das Bedürfnis nach verbalen Gesprächen nicht verloren. Das zeigt unter anderem die Beliebtheit von Sprachnachrichten, Hörbüchern oder Podcasts. Mittlerweile sind Tonspuren sogar mitten im Social-Media-Kosmos angekommen. So zog vor allem zu Beginn des Jahres etwa die Social-Audio-App Clubhouse viel Aufmerksamkeit auf sich. Auch Facebook und Twitter wollen jetzt nachziehen.
Inzwischen ist ein regelrechter Audio-Hype ausgebrochen, der neue Möglichkeiten für den sozialen Austausch eröffnet. Woher der Trend kommt und welchen Reiz die Stimme auf Social Media ausmacht, erklären wir im Blogartikel.
Podcast-Hype
Vom Telefonat über Chatnachrichten zu Audiosystemen – viele Smartphone-Anwendungen setzen auf Stimme und Gehör. Dazu zählen auch Hörbuch- und Podcast-Apps, die seit circa 2005 einen Boom erleben: In den letzten 15 Jahren sind zahlreiche Apps auf den Markt gekommen, die es möglich machen, unabhängig von Zeit und Ort Geschichten anderer zuzuhören. Die Podcast-Ära begann mit der iTunes-Version 4.9, mit der Apple digitale Hörbücher erstmals für ein breites Publikum zugänglich machte.
Zwar hören Deutsche im globalen Vergleich weniger Podcasts; dennoch startete das Format 2019 auch bei uns durch – in einer Phase, als immer mehr User ihre Vorliebe für die digitalen Sprachinhalte entdeckten. 2020 erreichten Podcasts endgültig die Spitze des Mainstreams. Die meistgestreamten Podcasts, wie zum Beispiel „The Michelle Obama Podcast“ im Sommer 2020, erreichen Millionen an Hörer*innen.
Nach einer Studie des Rheingold Instituts ist ein Hauptgrund für die Beliebtheit von Podcasts, dass immer mehr Nutzer*innen bewusst die visuelle Ebene meiden, um ihrem reizüberfluteten Alltag zu entfliehen. Außerdem kann man Podcasts egal wann und wo „on demand“ konsumieren.
Audio goes social
Digitale Sprachinhalte müssen jedoch nicht zwingend auf Abruf zur Verfügung stehen. Die Live-Podcast-App „Stereo: Discover Live Podcasts” macht es vor: Sie setzt auf das Mithören einer Art Live-Talkshow. Die Plattform gibt es bereits seit Sommer 2020 – in Deutschland angekommen, ist sie bisher aber noch nicht wirklich. Die Macher der App beschreiben Stereo als „Social-Media-Plattform für Live-Broadcasts, mit der User echte Gespräche in Echtzeit entdecken und selber führen können“. Nutzer*innen haben die Wahl, den Gesprächen ähnlich wie bei einem live gestreamten Podcast zu lauschen, über Sprachnachrichten an ihnen teilzunehmen oder sogar zum Gastredner zu werden.
Kommt uns das nicht irgendwie bekannt vor? Genau, Clubhouse! Anders als die Social-Media-App versteht sich Stereo eigenen Angaben zufolge jedoch als Plattform für die Erstellung von Podcasts. So werden die aufgezeichneten Gespräche des Öfteren beispielsweise auf Podcast-Streamingdiensten wie Spotify hochgeladen.
Auch Clubhouse ist 2020 auf den Markt gekommen. Es ähnelt Stereo in vielen Aspekten, ist in einigen anderen Punkte aber stärker auf „social“ ausgerichtet. Daher platziert sich die App als Social-Plattform. Obwohl es diese Art von sozialen Sprach-Netzwerken schon länger gibt, ist Clubhouse vor einigen Monaten durch die Decke gegangen – plötzlich wollte jeder in den „exklusiven Club“. Im Februar 2021 zählte der Dienst bereits sechs Millionen registrierte Nutzer*innen – selbst Persönlichkeiten wie Ashton Kutcher, Joko Winterscheidt oder André Schürrle sind auf der Plattform aktiv. Das Besondere an dem sozialen Netzwerk: Die Kommunikation ist auf Audio beschränkt – in den Gruppen-Chats können die User nur zuhören und/oder mitreden.
Eine andere bislang noch weniger beachtete Audio-App ist „Cappuccino“. Sie setzt auf Gruppen-Sprach-Chats mit Freunden und Familie. Nutzer*innen können aber auch öffentlichen Gesprächsrunden beitreten. Die Sprachbeiträge der einzelnen Gruppenmitglieder werden zu einer Datei zusammengefasst und lassen sich am Stück abspielen und downloaden.
Trotz der zahlreichen neuen Apps ist die Idee hinter Social Audio – die digitale Sprachkommunikation – nicht neu. WhatsApp bietet zum Beispiel seit 2013 Sprachnachrichten an, die für viele User nicht mehr aus dem Alltag wegzudenken sind. Auch auf der Gaming-Plattform Discord ist der Austausch via Voice Chat bereits seit 2015 möglich.
Seit dem Erfolg von Clubhouse planen auch Facebook und Twitter immer konkreter, in das Social Audio-Business einzusteigen – und entwickeln vergleichbare Konkurrenzangebote, die sie auf ihren Plattformen zur Verfügung stellen wollen. Seit Sommer 2020 bietet etwa Twitter Sprach-Tweets an. Damit können Nutzer*innen ihre Stimme direkt in die Timeline einbringen. Twitters neuestes Projekt ist das Audio-Chat-Feature „Spaces“: Es ermöglicht moderierte Live-Unterhaltungen zwischen zwei oder mehr Nutzern*innen.
Facebooks Sprach-Feature soll genauso funktionieren – und entweder in Echtzeit einen Broadcast für Hörer*innen oder einen privaten „Audio only“-Chat mit Freund*innen starten. Mit der Web-App „Hotline“ testet Facebook darüber hinaus einen Mix aus Clubhouse und Instagram Live: Die App bietet ein Q&A-Format für Content Creators, mit dem sie via Live-Audio-Session zu und mit ihrer Community sprechen können. Im Gegensatz zu Audio-only-Apps können die Hosts aber ebenso ein Live-Video zuschalten und das Publikum kann Fragen nicht nur via Audio, sondern auch via Text stellen.
Zwischen Bildschirmmüdigkeit, Stress und Alltag
Social Audio passt perfekt zu Abstandsregeln und Social Distancing: Einerseits bieten die Apps die Möglichkeit, während des Lockdowns in Kontakt zu bleiben und sich mit anderen auszutauschen. Andererseits sind die Sprachinhalte für Menschen im Home-Office eine willkommene Abwechslung, um nach der Arbeit dem Laptop- oder Smartphone-Bildschirm zu entfliehen und den eigenen Augen eine Pause zu gönnen.
Audio-Anwendungen verändern auch den Austausch auf Social Media: Während Bilder und Videos schnell durch Filter, Effekte und Photoshop verändert werden können, lässt sich die Stimme nur schwer manipulieren. Das verleiht dem jeweiligen Audio-Content im Vergleich zu visuellen Inhalten einen persönlichen, intimeren Touch und größere Authentizität.
Ein weiterer großer Vorteil: Nutzer*innen können sich mit den sozialen Audio-Formaten die Zeit vertreiben, während sie anderen Beschäftigungen nachgehen. Speziell in unserer schnelllebigen Gesellschaft empfinden User*innen das als angenehm, da sie zuhören können, ohne ihre volle Aufmerksamkeit dafür zu verwenden, ein Video zu schauen, einen Text zu lesen oder durch einen Feed zu scrollen. Außerdem interagieren User*innen auf sozialen Audio-Plattformen oft tiefgehender, da sie nicht innerhalb weniger Sekunden durch eine Vielzahl von Inhalten scrollen, sondern sich nur auf einen Beitrag konzentrieren.
Zeit- und Moderationskonflikt
Nutzer*innen müssen sich bei Social Audio im Klaren sein, dass der Fokus auf Echtzeit liegt. Das bedeutet: Wer in etwas Bestimmtes hineinhören möchte, muss sich an die Uhrzeit halten. Das kann für User, die aktiv an bestimmten Talks teilnehmen möchten, die Krux sein, wenn der Ausstrahlungstermin nicht mehr in den Kalender passt. Viele Nutzer*innen hören aber auch ungebunden rein, wenn ihr Alltag es zulässt – und suchen sich das Beste der angebotenen Gesprächsrunden heraus.
Eine weitere Herausforderung für die Zuhörer*innen ist, die Speaker*innen auseinanderzuhalten. Bei fünf Redner*innen in einem Live-Panel, ist es schwierig, die Stimme den einzelnen Gästen zuzuordnen, wenn der Blick einmal nicht auf dem Bildschirm fällt. Das zwingt Hörer*innen dazu, andere Beschäftigungen zu unterbrechen, sobald sie wissen möchten, wer gerade spricht.
Darüber hinaus ist es nicht immer leicht, den Überblick in einer hitzigen Diskussion zu behalten – wer erst später zu einem Stream hinzustößt oder sich zwischenzeitlich kurz ausklinken muss, kann nicht direkt nachvollziehen, an welchem Punkt sich das Gespräch gerade befindet. Darum sind Moderator*innen essenziell, um die Zuhörer*innen regelmäßig zum Status quo des Talks abzuholen. Geschieht dies nicht, droht der Absprung der User.
Fazit: Zukunft der Online-Interaktion?
Laut Digiday kühlt der erste Podcasts-Boom langsam ab – zumindest auf dem US-Markt. Einige bekannte Medien haben die Produktion reduziert oder pausiert. Auch die Clubhouse-App wird laut der Standard immer weniger genutzt. Trotzdem ist die Begeisterung für Audio auf sozialen Plattformen weiterhin groß. Aber wird die verstärkte Audionutzung auch so bleiben? Ist Social Audio die Zukunft des digitalen Austauschs?
Fakt ist: Täglich kommen neue Podcast-Inhalte raus. Diese Flut an Informationen macht es den einzelnen Formaten aber zunehmend schwerer, ein geeignetes Publikum für sich zu finden. Gleichzeitig steigen die Erwartungen der Zuhörer*innen. Zudem sind professionelle Podcast-Produktionen aufwendig und teuer. Aus diesen Gründen steigen viele Multiplikator*innen auf Social Audio um, gehen in die Live-Talks und teilen ihre Erfahrungen direkt mit dem Publikum – ohne auf einen besonders hohen „Production Value“ achten zu müssen.
Social Audio für die breite Masse
Soziale Medien befeuern aktuell die Demokratisierung der Stimme. Und der Erfolg von Clubhouse beweist es: Zu sprechen und – im wahrsten Sinne des Wortes – gehört zu werden, ist ein Trend im Social Web. Social Audio scheint derzeit der nächste große Schritt in der Online-Welt zu sein. Und durch die weiteren Entwicklungen von Facebook und Twitter wird die Macht der Stimme auf sozialen Netzwerken auch an die breite Masse herangetragen.
Zumal für manche Zielgruppen reiner Text-Content vielleicht nicht ausreicht, Video-Inhalte aber wiederum zu aufwändig zu konsumieren sind – in diesem Fall bieten Social-Audio-Plattformen die perfekte Mitte, die andere Netzwerke bisher nicht bedienen können.
Trotzdem gilt: Der aktuelle Trend befindet sich immer noch in der Anfangsphase. Sowohl Prominente als auch Medien und Unternehmen testen die Chancen und Grenzen verschiedener Audio-Ideen und -Formate derzeit noch aus. Sollten sich die digitalen Sprachinhalte aber tatsächlich nachhaltig behaupten, wird das die Social-Media-Landschaft mächtig aufwirbeln – und die Ohren werden neben den Augen zum zweiten unabdingbaren Sinnesorgan im Social Web.
// Über die Autorin
Jennifer Winter ist studierte Tech-Journalistin und Kommunikations-wissenschaftlerin. Ihren Master in Technik- und Innovationskommunikation hat sie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg absolviert. Bei OSK arbeitet Jennifer als Online- und Social-Media-Redakteurin. Sie hat sich schon immer für neue Trends und Innovationen im digitalen Bereich interessiert und schreibt darüber für den OSK Blog. Privat ist sie auf dem Fußballplatz zu Hause, verfolgt den internationalen Fußball und spielt auch selbst im Verein.