tl;dr (Lesezeit 8 Minuten)
- LaSharah Bunting ist Senior Editor for Digital Transition bei der New York Times
- Laut Bunting reicht es nicht mehr aus, wenn Journalisten sich nur als Sender von Nachrichten verstehen. “Nachrichten sind heutzutage Zwiegespräche. Man muss den Lesern gegenüber deutlich machen, dass man die eigenen Texte gerne mit ihnen diskutiert.”
- Jedem Journalisten müsse klar sein, dass die Gesellschaft nie wieder hinter den jetzigen Entwicklungsstand zurückfalle. “Die Dinge ändern sich, sie ändern sich schnell und sie werden sich auch immer weiter ändern. Und das muss auch der Journalismus.”
- Bunting erkennt in der Branche eine Art Unsicherheit, wohin die Entwicklung führen wird. “Aber damit müssen wir umgehen. Wir sollten das als Chance sehen und auf den Zug aufspringen. Wenn wir neue Dinge ausprobieren und sie unseren Lesern erklären, werden uns die Menschen folgen.”
- Zur Rolle von Facebook im Medienmix sagt die Journalistin: “Facebook mag diese Bezeichnung nicht gefallen, aber sie sind nichts anderes als ein Medienunternehmen. So nehmen die Menschen diese Plattform jedenfalls wahr.”
Sorgfalt, Kontext und Neutralität – obwohl LaSharah Bunting bei der New York Times für den digitalen Wandel zuständig ist, hält sie die klassisch-journalistischen Tugenden immer noch für die wichtigsten Kriterien ihrer Arbeit. Aber auch die beste Zeitung der Welt muss sich immer wieder neu erfinden.
LaSharah Bunting ist verantwortlich für die Erneuerung einer altehrwürdigen Institution. Als leitende Redakteurin der New York Times verantwortet sie die Digitalstrategie des Unternehmens und arbeitet an der Umgestaltung der Redaktion nach Maßgaben des digitalen Zeitalters.
Als langjährige Digitalredakteurin im Landesressort hat sie viele Multimedia-Projekte auf den Weg gebracht und unter anderem die Social-Media-Profile der Zeitung gemanagt. Sie ist überzeugt: Journalismus muss heute vor allem die mobilen Endgeräte im Blick haben und den Lesern immersive Erlebnisse ermöglichen. Trotzdem – oder gerade deshalb – bleibt die journalistische Qualität wichtig: Wer Kunden langfristig an sich binden will, der sollte laut Bunting bei seinen Storys einen offenen Ansatz finden, sich mit Kritik auseinandersetzen und diese wertschätzen. Nur so werde man als vertrauenswürdige Marke wahrgenommen.
Das Interview wurde kurz nach der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten geführt und erschien zunächst in unserem Buch “Über Morgen – 25 Interviews zur Zukunft des Journalismus“. Obwohl die Rolle der Medien im Kontext dieser Wahl stark diskutiert wurde, sieht Bunting diese Entwicklung als Chance. In der Nachrichtenflut des 21. Jahrhunderts könne sich hochwertiger Journalismus gut profilieren – indem er Informationen auswählt, prüft, einordnet und interessant gestaltet. Aus diesem Grund setzt sie sich auch für eine größere Vielfalt in der Medienlandschaft ein. Wer viele unterschiedliche Standpunkte in einer Redaktion vereine, könne Themen besser ausleuchten und den Lebensalltag der Leser authentischer abbilden.
LaSharah Bunting
Senior Editor Digital Transition New York Times
Twitter: @LaSharah
Facebook: LaSharah Bunting
LinkedIn: LaSharah Bunting
Instagram: @lasharah
1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?
Qualitätsjournalismus ist für mich eine Frage der Grundlagen. Also Sorgfalt, Faktenüberprüfung, neutrale Analysen mit entsprechendem Kontext und der richtige Tonfall. Man redet heute viel darüber, wie sich der Journalismus ändern kann, und ich finde dieses Umdenken wichtig. Aber im Grunde geht es bei guter journalistischer Arbeit immer noch um dieselben Qualitäten. Diese werden sich nicht ändern.
Trotzdem erleben wir Verstöße gegen diese Kriterien. Häufig sieht man auf Facebook einen Artikel und hält das für eine echte Nachricht – aber dann ist es doch nur ein Informationsfetzen, den irgendwer auf Twitter gefunden hat. Niemand hat die Information nachgeprüft, jemanden angerufen, einen Kommentar eingeholt oder das Ganze in einen größeren Zusammenhang gebracht. Das untergräbt unseren Anspruch und stellt uns Journalisten damit vor eine Herausforderung.
Unsere Aufgabe als Journalisten ist es, das Vertrauen der Leser zu gewinnen.
Die US-Wahl hat gezeigt, welches Problem diese Entwicklung mit sich bringt. Vor allem der Aufstieg der sogenannten Fake-News-Seiten. Einerseits stand uns noch nie eine solche Masse an Informationen zur Verfügung, was ja eigentlich großartig ist. Aber auf der anderen Seite sind dadurch sehr viele Fehlinformationen im Umlauf. Unsere Aufgabe als Journalisten ist es, das Vertrauen der Leser zu gewinnen, indem wir diese Informationen prüfen und aufbereiten. Über diesen Punkt machen sich gerade viele Medien Gedanken. Und Social-Media-Plattformen tragen eine große Verantwortung, sich ernsthaft mit diesem Thema auseinanderzusetzen.
Facebook zum Beispiel vertreibt und verdient an Inhalten. Deshalb müssen sie ihren Nachrichten-Algorithmus mit großer Sorgfalt behandeln – insbesondere, wenn sie ihn verändern. Das ist im Endeffekt eine redaktionelle Entscheidung, wie wir sie auch jeden Tag bei der New York Times treffen. Facebook mag diese Bezeichnung nicht gefallen, aber sie sind nichts anderes als ein Medienunternehmen. So nehmen die Menschen diese Plattform jedenfalls wahr.
2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?
Auf jeden Fall der Medienkonsum auf mobilen Endgeräten. Das ist wirklich Trend Nummer eins, der uns alle beschäftigt. Damit ändert sich nämlich die Art, wie Nachrichten präsentiert und geschrieben werden. Wir müssen die Leute dort abholen, wo sie sind. Der Mobiltrend ist ein gutes Beispiel dafür, wie einigen das gelingt, während andere scheitern. Wir müssen ermitteln, was und wie die Leute auf ihren Endgeräten lesen wollen. Denn dass sie auf diesen Endgeräten lesen, ist keine Frage. Die Fragen für uns lauten: Was ist die richtige Geschichte für dieses Format, was ist der passende Anreißer und wie präsentieren wir das auf diesem kleinen Display am besten?
Der zweite Trend, den wir miterleben, dreht sich um die Distribution via Messaging, diese Entwicklung finde ich wirklich interessant. Wir hatten in dieser Hinsicht großen Erfolg mit unserem Olympia-Experiment. Leser konnte sich registrieren und bekam dann Kurznachrichten zum Thema. Einer unserer Sportredakteure war vor Ort und hat hinter den Kulissen immer wieder per SMS ein Foto, Video oder Gif verschickt, um die ganze Geschichte etwas bunter zu machen.
Der dritte große Trend ist das sogenannte immersive Storytelling. Immersion heißt: Wir wollen die Leser in das Ereignis hineinziehen, direkt in den entscheidenden Augenblick. Darüber denken Journalisten schon eine ganze Zeit nach, aber erst heute haben wir dazu das passende Werkzeug. Wenn wir zum Beispiel über die Flüchtlinge aus Syrien berichten wollen oder auch über einen Teil von Amerika, der früher Obama gewählt hat und jetzt Trump favorisiert. Wir fragen uns dann: Was ist die beste Art, diese Geschichte zu erzählen?
3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?
Die beste Methode ist immer noch, mit den Menschen zu reden und ihnen zuzuhören. Das klingt wie eine Binsenweisheit, aber ich bin fest davon überzeugt. Es gibt viele Möglichkeiten dazu, in den sozialen Medien zum Beispiel. Wobei man aufpassen muss, nicht in der eigenen Filterblase zu bleiben. Aber ganz allgemein passieren auf diesen Plattformen eine Menge spannender Sachen. Das gilt übrigens auch für Leserkommentare, da kann man sich in interessante Gespräche einklinken.
Es geht dabei um Beobachtung: Wenn ich in der U-Bahn sitze, auf dem Weg zur Arbeit, was sehe ich da? Was verändert sich? Worüber unterhalten sich die Leute im Restaurant? Wenn ich in die alte Heimat und den Mittleren Westen der USA fahre, worüber reden die Leute dort? Als ich noch im Landesressort gearbeitet habe, war ich trotzdem häufig auf den Seiten von Lokalzeitungen unterwegs. Das beansprucht zwar Zeit, ist aber wichtig. Man ist viel näher am Alltag der Leser.
4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?
Man muss sich auf die Leser einlassen. Wenn man als Journalist oder Medium positiv wahrgenommen werden will, ist das der Schlüssel. Es reicht nicht mehr, einfach nur ein Lautsprecher zu sein. Nachrichten sind heutzutage Zwiegespräche. Man muss den Lesern gegenüber deutlich machen, dass man die eigenen Texte gerne mit ihnen diskutiert. Bei der New York Times haben wir zum Glück Reporter, die genau diesen Ansatz verfolgen. Die reden erst mal mit den Leuten, bevor sie den Verlauf ihrer Geschichte festlegen. Das führt dazu, dass die Leser uns als jemanden wahrnehmen, der sich wirklich für sie interessiert. Weil wir offen an eine Sache herangehen, uns mit Kritik auseinandersetzen und diese wertschätzen.
Das gilt auch dann, wenn das Niveau der Diskussion zu wünschen übrig lässt. Medienunternehmen stehen heutzutage in der Verantwortung, einen kultivierten Diskussionsraum zu schaffen – wo die Debatte etwas anspruchsvoller geführt wird als an anderen Orten im Netz. Dazu braucht man ein Team von Moderatoren und Social-Media-Redakteuren. Natürlich wird es dort dennoch Trolle und unqualifizierte Kommentare geben. Aber da muss man durch und sich umso stärker auf die qualifizierten Beiträge einlassen.
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.
5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?
Jedem Journalisten muss klar sein, dass wir nie wieder hinter die jetzigen Entwicklungen zurückfallen. Die Dinge ändern sich, sie ändern sich schnell und sie werden sich auch immer weiter ändern. Und das muss auch der Journalismus. Wir müssen über den Tellerrand schauen und unsere erzählerische Erfahrung auch in neuen Bereichen anbieten. Ich erkenne in der Branche eine Art Unsicherheit, wohin uns die Entwicklung führen wird. Aber damit müssen wir umgehen. Wir sollten das als Chance sehen und auf den Zug aufspringen. Wenn wir neue Dinge ausprobieren und sie unseren Lesern erklären, werden uns die Menschen folgen.
So viel ist klar: 18- bis 24-Jährige sitzen nicht an ihrem Computer und rufen unsere Website auf. So konsumiert diese Zielgruppe ihre Nachrichten einfach nicht, sie hat dafür andere Plattformen. Wir haben glücklicherweise Experten, die auf diesen Plattformen arbeiten: Die Kollegin, die unseren Instagram-Feed betreut, war lange Zeit Fotoredakteurin und hat einen visuellen Background. Bei Snapchat ist es dasselbe: Eine junge Kollegin mit großem redaktionellen Sachverstand verwaltet den Kanal. Sie ist sehr gut darin, den Kollegen zu erklären, wie sie auf dieser Plattform ihre Geschichten erzählen können. Obwohl wir ein Medium sind, das von den Snapchat-Usern normalerweise nicht unmittelbar gelesen wird, bauen wir dort langsam eine Markenidentität auf.
6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?
Eine pauschale Antwort ist in diesem Zusammenhang nicht möglich, denn das hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Die Einkommensmodelle von digitalen Anbietern entwickeln sich auf jeden Fall weiter. Für einige wird ein Abo-Modell gut funktionieren, wir waren damit zumindest sehr erfolgreich. Andere arbeiten mit Werbung, Mikrozahlungen oder lassen ihre Berichterstattung sogar subventionieren.
Was den Erfolg angeht: Wachstum ist für uns natürlich wichtig, wir wachsen ja auch und das ist großartig. Aber wir müssen diese Zahlen im Zusammenhang sehen. Wenn wir bei einem Artikel zum Beispiel die Klickzahlen überprüfen, müssen wir uns erst mal anschauen, wie ähnliche Themen laufen. Dann müssen wir uns fragen: Haben wir diesen Artikel ausreichend beworben? Welche Maßnahmen haben wir genutzt, hätten wir da vielleicht anders rangehen müssen? Man muss dabei langfristig denken, denn letztendlich wollen wir ja einen einmaligen Leser zu einem regelmäßigen Besucher unserer Website machen – oder zu einem Abonnenten. Und der beste Weg dahin ist eben hochwertiger Journalismus mit guten Inhalten.
Zum Glück haben wir darin eine lange Tradition. Die New York Times hat 119 Pulitzer-Preise gewonnen – mehr als irgendein anderes Unternehmen. Deshalb genießen wir eine hohe Glaubwürdigkeit und haben einen großen Vertrauensvorschuss. Damit gehen wir ins Rennen – und mit vielen Ressourcen, die andere Medien nicht mehr haben.
7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?
Wir werden auf jeden Fall mehr Innovation und Kreativität erleben. Der Tonfall vieler Medien wird sich ebenfalls ändern, mehr in die Richtung eines eloquenten Plaudertons. Einige werden das gut hinbekommen, andere nicht – aber letztendlich wird die Branche von all diesen Ansätzen etwas mitnehmen. Und ich denke, dass sich die glaubwürdigen Seiten weiter gut entwickeln werden: Medienhäuser wie die New York Times oder die Washington Post werden gute Zeiten erleben, gerade wegen der Fake-News-Seiten. Die Leute werden sich immer mehr diesen vertrauten, altbewährten Marken zuwenden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Print eine Zukunft hat.
Ich bin außerdem fest davon überzeugt, dass Print eine Zukunft hat. Damit Zeitungen wieder zu alter Kraft finden, müssen Medienhäuser die hohe Innovationskraft des digitalen Sektors auch für den Printkanal aufbringen. Die Menschen lesen die New York Times noch immer als Zeitung und das wird sich auch nicht ändern. Trotzdem müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir unsere Inhalte interessant aufbereiten und diesen Kanal ausreizen können.
In den letzten Monaten haben wir einiges in dieser Richtung unternommen. Zum Beispiel eine Doppelseite, die wie ein großes Poster einer Thanksgiving-Tafel aussah – das war ein Zusammenspiel von Inhalt und Form. Man muss darüber nachdenken, wie man seine Texte auf neue und interessante Weise präsentiert. Dabei dürfen wir uns nicht nur auf das Netz beschränken oder auf Social Media – sondern eben auf diese eine Plattform, auf der wir seit über hundert Jahren sehr erfolgreich sind.
8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?
Ich vermisse nicht so sehr ein einzelnes Medium, sondern eher ihre Weiterentwicklung. Wenn wir uns anschauen, wie sich der Video-Konsum über die letzten Jahre verändert hat, ist diese Entwicklung schon beeindruckend. Mir ist zum Beispiel aufgefallen, dass ich bei Facebook mittlerweile einfach weiterscrolle, wenn ein Video keine Untertitel hat. Das ist der Grund, weshalb ich viel über die Chancen anderer Medienarten nachdenke. Wie sieht es zum Beispiel mit Audio aus? Dort haben wir noch nicht das ganze Potenzial abgeschöpft. Da gibt es auf jeden Fall einige Möglichkeiten; auch jenseits von Podcasting. Ich bin mir nur nicht sicher, wie genau das aussehen könnte. Auf jeden Fall bin ich gespannt, was da noch kommt.
9. Jeff Jarvis hat in einem Interview gesagt, dass die Wahl von Donald Trump auch ein Scheitern der amerikanischen Journalisten war, wie würden Sie darauf antworten?
Aus der Wahl kann man eine ganze Reihe von Lektionen ziehen. Einerseits haben die New York Times und andere Medien sehr gute Artikel darüber gebracht, weshalb ein Wahlsieg von Trump durchaus wahrscheinlich wäre. Andererseits hätte unsere Branche öfter mit Menschen reden sollen, die sich außerhalb der liberalen New-York-Washington-Blase bewegen.
Es zeigt deutlich, was wir eigentlich schon lange wissen: Vielfalt ist für eine Redaktion sehr, sehr wichtig. Dort arbeiten nämlich häufig sehr ähnliche Leute. Ich selbst bin eine schwarze Frau aus Omaha in Nebraska. Ich habe einen völlig anderen Hintergrund als jemand, der in New York City aufgewachsen ist. Wenn man über die Berichterstattung nachdenkt, sollten in der Redaktion auch unterschiedliche Ansichten vertreten sein.