WEEKLY TITELBILD_KW45 - Roboterjournalismus

Sie möchten unseren Newsletter zukünftig direkt an Ihr E-Mail-Postfach zugestellt bekommen? Dann melden Sie sich hier für den OSK Weekly an.


Liebe Leserinnen und Leser,

die Gründer eines Münchner Start-ups wollen dem Reportermangel in den unteren Fußball-Ligen mit einer Smart-App entgegenwirken, die einfache Berichte von Fußballspielen auf Knopfdruck erstellt. Die Anwendung ist ein Beispiel für den sogenannten Roboterjournalismus, bei dem Computer die menschlichen Reporter bei ihrer Arbeit unterstützen oder sogar ersetzen sollen. So nutzen viele Verlage und Medienhäuser inzwischen Software und Algorithmen, um Wetterberichte automatisiert zu erstellen oder Veränderungen von Aktienkursen zu beschreiben. In unserem aktuellen Newsletter haben wir den Stand der Entwicklung zum Thema „Roboterjournalismus“ zusammengefasst und wagen einen Ausblick in die nähere Zukunft.

Viel Spaß beim Lesen!

Co-Bots statt Robots: Computer assistieren dem Reporter

Ein Viertel der deutschen Verlage plant den Einsatz von Roboterjournalismus, schreibt Sebastian Jannasch auf süddeutsche.de. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Trendumfrage des deutschen Zeitungsverlegerverbandes BDZV. Autonom arbeitende Algorithmen könnten demnach zukünftig ein festes Arbeitswerkzeug von Journalisten werden. Heute nutzen vor allem Internetportale für Börsenberichte, Wetterprognosen und Sportnachrichten intelligente Software zur Informationserstellung. Aber ersetzen Roboter demnächst den Journalisten vollständig? Eher nicht, sagt Neil Thurman, der an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität zum Thema forscht und in dem Bericht zitiert wird. Denn Maschinen könnten vor allem Texte erstellen, die auf gut aufbereiteten Daten basieren. Sie können jedoch nicht erklären, kreativ sein und ethische Abwägungen vornehmen, sondern lediglich Erwartbares nach festem Muster beschreiben. Er spreche daher auch lieber von Co-Bots, die Journalisten assistieren und von Routineaufgaben befreien.

Washington Post unterstützt Redakteure mit Software-Tool

„Automate or Die“ – das war Thema des Vortrags von Scot Gillespie, Chief Technology Officer der Washington Post, im Rahmen der Münchner Medientage. Die amerikanische Tageszeitung treibt die Content-Automatisierung seit Jahren kontinuierlich voran. Das Kernstück dabei ist das Tool „Arc Publishing Suite“, an dem rund 150 Techniker arbeiten. Es bietet Redakteuren Hilfestellungen, angefangen bei der Planung über den Publishing-Prozess bis hin zur Analyse. So können Redakteure mehrere Versionen von Schlagzeilen testen lassen, um diejenige zu finden, welche die meisten Leser anspricht. Die Software generiert sogar automatisch Vorschläge für Schlagzeilen, von denen sie annimmt, dass sie gut funktionieren.

Die Washington Post hat zudem einen Roboter-Reporter entwickelt. Der „Heliograf“ hat im letzten Jahr 850 Artikel veröffentlicht. Dazu zählten neben Meldungen zu den Olympischen Spielen in Rio ebenso Nachrichten über die US-Wahlen und Berichte sowie Tweets zu Highschool-Football-Spielen. Der Heliograf soll Journalisten zukünftig umfassend unterstützen. Er könnte beispielsweise als Newsticker informieren, wenn etwas Unerwartetes passiert, oder als Trendbarometer Alarm schlagen, wenn sich Aktienkurse plötzlich verändern.

Software wählt userrelevanten Content aus

Neben der Texterstellung und Recherche können Maschinen ebenfalls bei der Content-Ausspielung helfen. In einem Podcast zum Thema „KI und Medien“ erläutert digital-kompakt-Gründer Joel Kaczmarek mit der Medienexpertin Katja Nettesheim und dem IT-Spezialisten Johannes Schaback unter anderem, wie künstliche Intelligenz bei der Individualisierung von Inhalten hilft (ab Minute 33). Gemeint ist damit die Ausspielung von Content nach den individuellen Vorlieben eines Nutzers. Hat die Software den User zum Beispiel als Auto-Fan identifiziert, ist sie in der Lage, dementsprechende Beiträge in den Vordergrund zu stellen. Dadurch empfinde der Nutzer die Inhalte als besonders relevant. Die Kehrseite der Medaille sei jedoch, dass User Gefahr laufen, in einer Filterblase gefangen zu werden. Denn die Software würde Themen ausblenden, welche den Leser vielleicht nicht interessieren, über die er aber dennoch Bescheid wissen sollte.

Google unterstützt Roboterjournalismus

Der Internet-Riese Google finanziert Bots, die womöglich bald bis zu 30.000 Meldungen pro Monat verfassen. Um eine solch hohe Anzahl von Berichten von Menschen produzieren zu lassen, müsste die Angestelltenzahl der Medienunternehmen utopisch hoch sein, erklärt Wired-Autorin Cindy Michel. Die britische Nachrichtenagentur Press Association (PA) setzt daher mit dem Projekt RADAR (Reporters And Data And Robots) auf künstliche Intelligenz. Bots sollen dabei 360.000 Berichte jährlich für lokale Medien und Blogger in England und Irland produzieren. Über 700.000 Euro investierte Google im Rahmen der Digital News Initiative (DNI) in das Projekt. Doch auch der Mensch soll weiterhin eine Rolle bei RADAR behalten. „Menschliche Journalisten werden immer notwendig sein. RADAR aber gibt uns die Möglichkeit, das Volumen lokaler Geschichten mit künstlicher Intelligenz so stark zu steigern, wie es händisch gar nicht möglich wäre“, erklärt Peter Clifton, Chefredakteur der PA.

Gleichzeitig Feind und Freund

Künstliche Intelligenz sei für den Journalismus Freund und Feind zugleich, erklärt Oliver Nermerich, Social-Media-Experte bei OSK, in einem Horizont-Gastbeitrag. Redaktionen wie die „Washington Post“ zeigten, wie mithilfe intelligenter Tools journalistische Produkte korrekter, schneller und personalisierter erstellt werden können. Dennoch scheine die betriebswirtschaftlich motivierte Versuchung groß, mehr und mehr Redakteure durch Maschinen zu ersetzen. Doch genau dieser Gedankengang sei gefährlich: Denn Roboterjournalismus greife ausschließlich auf digitale Daten und Spuren zurück. Das sei zwar ausreichend bei Aktienberichten, nicht jedoch bei Geschichten wie etwa zu Steuerbetrug. „Das Leben findet nun mal hauptsächlich draußen in der realen Welt statt und eben nur zum Teil im Digitalen, zumindest bislang“, schreibt Nermerich.

Unsere Meinung – Content wird immer das Menschliche benötigen

Was für den Journalismus gilt, zählt für die Kommunikationsbranche im Allgemeinen. Maschinen können Kommunikationsabteilungen sinnvoll unterstützen und werden daher zukünftig wahrscheinlich immer häufiger eingesetzt. Algorithmen machen Themenvorschläge, recherchieren oder generieren einen ersten Textentwurf. Sie sind in der Lage, einen zahlenbasierten Jahresbericht so schnell zu erstellen, wie es kein Redakteur könnte. Und sie helfen dabei, soziale Netzwerke nach Themen oder aufkeimenden Krisen zu scannen, denn sie erkennen, was die Nutzer im Netz über eine Marke sagen. „Helfen“ ist dabei das zentrale Stichwort. Denn der Sinn der „Roboter-Kollegen“ ist die Unterstützung des Menschen, nicht seine Abschaffung. Kreativ entwickelter Content, emotionale und spannende Geschichten sowie kluge Einschätzungen und Abwägungen werden bis auf Weiteres ohne Menschen nicht entstehen können. Denn der Mensch ist fähig zu Überraschung, Witz und differenzierendem Tiefgang. Er ist in der Lage, größere Zusammenhänge und Kausalitäten herzustellen. Und nur er versteht die Emotionen der Kunden wie Freude, Ärger oder Trauer und kann angemessen darauf reagieren.

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.