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Liebe Leserinnen, liebe Leser,
sie existieren nicht in der realen Welt – und werden doch oft gefeiert wie Stars: virtuelle Influencer*innen. Studien zeigen dabei: Ihre Follower*innen akzeptieren die Digitalkreationen erstaunlich gut. Sie werden technisch immer beeindruckender und lehnen sich nicht selten an ihre lebensechten Vorbilder an. Doch nicht jeder ist überzeugt von den Avataren. Warum virtuelle Influencer*innen dennoch bereits heute teilweise Millionen Fans weltweit um sich versammeln, was die Zukunft der Technologie mit sich bringt, und welche Chancen sie für Marken aller Geschäftsbereiche bieten, fassen wir im aktuellen OSK Weekly für Sie zusammen.
Viel Spaß beim Lesen!
Viel mehr als Fashion & Beauty: Virtuelle Influencer*innen trenden auf Social Media
Menschen, die ihre Reichweite in den sozialen Netzwerken dafür nutzen, Meinung für Produkte, Dienstleistungen oder gar politische Agenden zu machen, gibt es im Grunde bereits seit der Kommerzialisierung des Social Webs. Dass Influencer*innen aber nicht zwingend menschlich sein müssen, zeigt ein relativ junger Trend: „In den USA und in Asien mischen sich seit einigen Jahren nun auch die virtuellen Persönlichkeiten unter die realen Influencer*innen. Auch im europäischen Markt nimmt die Popularität der Avatare bei Social Media-Nutzer*innen zu“, beschreibt Business Punk den Aufstieg der neuen Meinungsmacher*innen aus dem Computer.
Virtuelle Influencer*innen charakterisiert ihre Anlehnung an Vorbilder aus Fleisch und Blut – aber nicht in jedem Fall, beobachtet quotenmeter.de: „Manche der Avatare sehen echten Menschen zum Verwechseln ähnlich, andere erinnern an Comicfiguren und sind klar als fiktive Wesen zu erkennen.“ t3n skizziert weiter, dass sie sich genau wie echte Models in Szene setzen und ebenso lebensnahe Geschichten erzählten. Kurz: Virtuelle Influencer*innen sind oft glaubhafte Persönlichkeiten – mit eigenem Charakter, eigenem Körper und eigener Stimme. Nur eben: künstlich erzeugten Charakteren, Körpern und Stimmen, die dank zunehmender technischer Möglichkeiten „kaum noch von echten Menschen unterscheidbar“ seien.
In der Popkultur, speziell im Science-Fiction-Bereich, findet man viele Referenzen der grundsätzlichen Idee, beispielsweise in den unendlichen Weiten von „Star Trek“, wo sich computergenerierte Statisten auf virtuellen Holodecks tummeln und als Holo-Arzt sogar echte Wunden verarzten.
Inzwischen existieren die Virtuellen aber nicht mehr nur in der Popkultur, sondern rücken vermehrt in den Fokus von Unternehmen: Laut Business Punk entdecken nicht mehr nur Beauty- und Fashionlabels, sondern vermehrt auch Automotive-Player, Plattenlabels oder Consumer-Elektronik-Hersteller „diesen neuen Weg des Influencer:innen-Marketings“ für sich. Und Stephan Czaja, Geschäftsführer der Influencer-Agentur Socialmediaone, dessen Team bereits selbst virtuelle Influencer*innen erschaffen hat, ist im Gespräch mit LOUT überzeugt: „In zehn Jahren werden 30 Prozent der Models virtuelle Influencer sein.“
Von Robert T-Online bis Lil Miquela: prominente Beispiele für virtuelle Influencer*innen
Doch auch im Hier und Jetzt sind virtuelle Influencer*innen auf Wachstumskurs – und ihre Spielarten werden immer vielfältiger. „Grundsätzlich lassen sich virtuelle Influencer*innen in vier Kategorien einteilen – virtuelle Models, markenunabhängige Avatare, virtuelle Markenbotschafter und virtuelle Corporate-Botschafter“, erklärt Lucas Mohr, Head of Digital Strategy bei OSK: „Gerade die beiden letztgenannten können seitens der verantwortlichen Unternehmen vollständig nach den internen Vorstellungen entwickelt werden. Die besondere Gemeinsamkeit aller vier Typen ist aber: Ihre Tätigkeitsfelder sind ganz bewusst an die der echten Influencer*innen-Pendants angelehnt.“
Und so promoten virtuelle Models, ganz in der Tradition realer Models, die neuesten Highlights der Fashionbranche. Ein prominentes Beispiel ist Shudu Gram: Adrian Lobe von Deutschlandfunk Kultur schreibt, sie gelte als erstes „digitales Supermodel“, dessen Inspiration die Mannequin-Ikone Iman gewesen sei. Shudu versammelt stolze 218.000 Follower*innen auf Instagram.
Markenunabhängige Avatare wiederum teilen ihren simulierten Alltag und kooperieren mit verschiedenen Unternehmen – Bibi’s Beauty Palace lässt grüßen. Und genau wie die echte deutsche Influencerin versammelt diese Kategorie auch die erfolgreichsten Varianten virtueller Influencer*innen. Die wohl berühmteste ist Miquela Sousa a.k.a. Lil Miquela: Online Marketing Rockstars schreibt, sie komme „aus dem Computer und begeistert mit ihren Posts trotzdem über drei Millionen Instagram-Follower*innen. Sie ist der Star der virtuellen Influencer*innen, hat Werbedeals mit großen Brands und eine kleine Musikkarriere. Rund um Miquela und weitere 3D-Models ist ein millionenschweres Ökosystem entstanden.“
Im Vergleich liegen die Vorteile der Kategorie virtueller Markenbotschafter*innen in ihrer expliziten Produkthaftigkeit und der maximalen Formbarkeit durch die Marke selbst. So hat die Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken mit einer virtuellen Social-Media-Version von Colonel Sanders zeitweise „ihrem Gründer, der seit 40 Jahren tot ist, zu neuem Leben verholfen. […] 115 Millionen Mal wurde [die Kampagne] auf Instagram ausgespielt“, fasst t3n den Erfolg der digitalen Reinkarnation zusammen. Übrigens: Erinnert sich noch jemand an Robert T-Online?
Die letzte der vier Kategorien bilden die virtuelle Corporate-Influencer*innen. „Genau wie die virtuellen Markenbotschafter*innen sind sie praktisch im Unternehmen ‚angestellt‘ und gewähren ihrer Followerschaft Einblicke hinter die Kulissen, was insbesondere für den Bereich Employer Branding wertvoll sein kann“, so OSK-Kollege Lucas Mohr. Ein Beispiel für diese Kategorie ist neben der brünetten Kenna von essence cosmetics etwa das laut virtualhumans.org an Schauspielerin Hannah Gross angelehnte Online-Model Daisy. Sie promotet die Produkte des Modeunternehmens yoox. Die Influencer-Agentur t5content schreibt, dass sie nicht nur „Herz des Instagram Kanals“ des Unternehmens sei, sondern auch „in der App […] von Kunden nach Wunsch zusammengestellte Outfits digital anprobieren“ könne.
Echt problematisch: Virtuelle Influencer*innen und die Frage nach Menschlichkeit und Authentizität
Die Beispiele zeigen: Virtuelle Influencer*innen lassen die Grenzen zwischen der digitalen und der echten Welt zunehmend verblassen. Das wirft weitere Fragen auf: Was ist eigentlich echt – und kann die Grenze der Realität überhaupt festgelegt werden?
Für OSK-Experten Lucas Mohr beweisen virtuelle Influencer*innen zunächst einmal mehr, dass Realität im Social Web ein fließender Begriff sei. „Anhand der Reaktionen mit ihren Profilen und der Art der Interaktion können wir sehr anschaulich beobachten, dass Nutzer*innen sich im Austausch mit den virtuellen Charakteren letztlich genauso verhalten wie im Umgang mit realen Influencer*innen – und sie im Alltag auch als solche wahrnehmen.“
Für diese Wirkung setzen die Entwickler*innen der Avatare auf genuin menschliche Charakteristika. Dazu gehört laut marketing-boerse.de auch die humane Konstante der Fehlerhaftigkeit: „Während Influencer versuchen, das perfekte Bild zu schaffen, legen virtuelle Influencer besonderen Wert auf Menschlichkeit. Sie posten unscharfe Bilder oder welche auf denen sie nicht perfekt getroffen sind. Alles soll möglichst authentisch wirken. […] Schlechte Angewohnheiten, die persönliche Einstellung und Schwächen helfen dabei, Glaubwürdigkeit zu vermitteln.“
Die „Täuschungen“ virtueller Influencer*innen funktionieren neben der bewussten Nutzung von Unperfektheit auch aus weiteren menschlichen Motiven heraus – einerseits durch Emotionalität und andererseits dank des Suchtpotenzials guter Geschichten: „Emotion und Nahbarkeit sind bei Social Media der Schlüssel zum Erfolg“, schreibt t3n. „Nur wenn emotionale Verbindungen entstehen, bleiben die Fans auf Dauer treu. […] [Denn] [d]er Mensch ist zweifellos in der Lage, auch zu einem virtuellen Influencer eine emotionale Beziehung aufzubauen. Das belegen die Kommentare auf den Accounts von Lil Miquela. Auch wenn sie nicht existiert, hat sie eine reale Wirkung.“
Pascal Wabnitz von WUV ergänzt um die Komponente Storytelling – und stellt jenen, die ungläubig oder gar abfällig in Richtung der Follower*innen von virtuellen Influencer*innen blicken, die „Gegenfrage“: „Was faszinierte uns damals daran, stundenlang – und das über Wochen oder Monate – die Abenteuer unserer Helden auf der Playstation oder dem Gameboy zu verfolgen? Ganz einfach, es war das Interesse, wissen zu wollen[,] wie es weitergeht sowie ein Teil der Geschichte sein zu wollen.“
Doch ist allein die überzeugende Simulation echter Gefühlswelten und mitreißender Alltagsgeschichten der Stoff, aus dem funktionierende virtuelle Influencer*innen sind? Nicht ganz, denn auch der Faktor Glaubwürdigkeit spielt eine entscheidende Rolle – genau wie bei lebendigen Meinungsmacher*innen.
Business Punk hat die vorhandene Datenbasis zum Thema Authentizität zusammengetragen. So sind in Deutschland laut einer Onlinebefragung der Agentur OMD Germany 39 Prozent „offen“ für virtuelle Influencer*innen. Für beinahe den gleichen Anteil seien sie genauso glaubwürdig wie ihre echten Vorbilder, wobei der Grad der Glaubwürdigkeit bei weiblichen Befragten niedriger ausfällt als bei männlichen.
Mögliche Einsatzbereiche: Geben virtuelle Influencer*innen bald Pressekonferenzen?
Virtuelle Influencer*innen stellen damit für Unternehmen eine spannende Alternative zu ihren realen Pendants dar. Denn dadurch, dass ihre Einsatzgebiete nicht an die Gesetze der analogen Realität gebunden sind, verfügen sie über das Potenzial, Kampagnen das gewisse Etwas zu geben. Ein gutes Beispiel dafür ist Noonoouri, eine Kreation von Opium Effect. Die CGI-Ikone ist in der Jet-Set-Welt der Mode-Labels zuhause und zierte bereits das Cover der Vogue, schreibt LOUT. Ihre CGI-Kulleraugen schaden ihrer Beliebtheit aber nicht: „(…) Pixel-Perfektion ist nur ein Erfolgs-Kriterium. Mindestens ebenso wichtig ist das Storytelling. Denn nur mit starken Storys können die virtuellen Figuren eine emotionale Nähe und Bindung zu ihren Fans aufbauen.“
Für Marken bieten virtuelle Influencer*innen damit viele Chancen, speziell für Kommunikation, die nicht in Echtzeit erfolgt. Laut t3n könnten künstliche Doppelgänger*innen bald als Online-Trainer*innen oder Berater*innen ihre echten Pendants ersetzen. Der Artikel spinnt den Gedanken noch eine Stufe weiter: „Was wäre, wenn Cristiano Ronaldos Avatar seine Fans bei einer Sportkonferenz begrüßt, während er selbst am anderen Ende des Planeten Fußball spielt? Sein Management könnte einfach einen PR-Text schreiben und den Avatar sprechen lassen.“
Unternehmen, die mit virtuellen Influencer*innen arbeiten wollen, sollten dabei zunächst überlegen, wie sie vorgehen möchten: Arbeiten sie mit bereits existierenden, markenunabhängigen Avataren zusammen oder erschaffen sie eine*n eigene*n virtuelle*n Markenbotschafter*in? Wer mit externen Influencer*innen kooperiert, profitiert von ihrer vorhandenen Reichweite und Verbindung zu den Follower*innen, erklärt Business Punk. Bei markeneigenen Kreationen hingegen könne die Persönlichkeit auf die Markenwerte angepasst werden. „Dies inkludiert nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern auch die Wortsprache, Gesten, Umgebungen, Lebensweisen sowie die Themen und Inhalte, die der Charakter transportieren soll. Alle Inhalte folgen einem Skript und sind somit zu hundert Prozent Brand-Safe.“
Virtuelle Influencer*innen sind maximal flexibel und steuerbar
Virtuelle Influencer*innen haben einige Vorteile für Marken, von denen Quotenmeter einige kompakt zusammengefasst hat:
1: Sie altern nicht und ändern nie ihre Meinung oder Lebensumstände.
2: Sie porträtieren exakt, was die Auftraggeber sich wünschen. Damit lassen sich Kampagnen passgenau auf die Wünsche von Kund*innen anpassen.
3: Sie leisten sich keine Skandale, unter denen ihr Image leidet.
4: Sie sind leicht zu steuern.
Darüber hinaus böten sie eine gewisse Planungssicherheit, da sich Inhalte mit ihnen recht unkompliziert anpassen ließen, ohne das ein Fotoshooting oder Videodreh komplett wiederholt werden müsse. Insgesamt sind die CGI-Stars flexibel einsetzbar, da für Produktionen Reisen zu weit entfernten Foto-Locations nicht mehr zwingend notwendig sind, wie t3n schreibt. Selbst „Sets auf dem Mond“ seien mit ihnen denkbar.
Zwar spart diese Flexibilität manche Kosten, jedoch binden virtuelle Influencer*innen an anderen Stellen Ressourcen. Ihre Kreation benötigt Expert*innen auf verschiedensten Gebieten, neben CGI-Profis, Grafiker*innen und Programmierer*innen sind je nach Ziel und Ausrichtung beispielsweise auch Stylist*innen, PR-Profis und Fotograf*innen notwendig. Die Einstiegshürde wird jedoch mit fortschreitender Technik immer geringer – und schon jetzt lassen sich mit vergleichsweise geringem Budget gute Ergebnisse erzielen.
Virtuelle Hollywood-Stars?
Mit zunehmender Akzeptanz virtueller Influencer könnten sie sich auch in anderen Bereichen außerhalb des Social Webs etablieren. „Schon jetzt begeistern CGI-Charaktere mit Live-Auftritten ihr Publikum. Mit fortschreitender Technik ist auch ein VI-Hollywood-Star, der neben Leonardo DiCaprio oder Meryl Streep als Hauptrolle auf der Leinwand zu sehen ist, keine reine Fantasievorstellung mehr“, sagt OSK-Kollege und Head of Digital Strategy Lucas Mohr im Zukunftsinstitut-Gastbeitrag.
Immer mehr rücke zudem die Frage ins Zentrum, wie sich „reale“ und CGI-Influencer*innen künftig sinnvoll ergänzen. Die Computer-Charaktere könnten zum Beispiel dort einspringen, wo Kooperationen mit echten Menschen zu aufwendig wären. Eine direkte Interaktion mit ihren realen Kolleg*innen wäre der nächste Schritt, der virtuellen Influencer*innen einen „Echtheits-Credit“ geben würde – und die Grenze zwischen physischer und computergenerierter Wirklichkeit weiter verschwimmen ließe.
Verdrängen werden virtueller Influencer*innen ihre realen Mitstreiter*innen nach Ansicht von Mohr aber nicht. „Beide haben ihre jeweiligen Vorteile und Einsatzgebiete, in denen sie ihre Stärken ausspielen können. Während Lil Miquela und Co maximal flexibel und steuerbar sind, befruchten reale Meinungsbildner*innen Kampagnen mit ihrem kreativen Input und ihrer Erfahrung.“
Damit sind virtuelle Influencer*innen für Unternehmen eine wertvolle Ergänzung im Portfolio des Influencer Marketings. Zukünftig werden wir die Meinungsmacher*innen aus Bits & Bytes also sicher noch öfter in Kampagnen sehen.
// Über den Autor
Für Marcel Bender dreht sich alles um die Stories hinter den Marken, Menschen und Technologien der Unternehmenswelt. Bevor er 2014 als Redakteur ins Agenturleben einstieg, tauchte der Postrock-Bassist an der Uni Essen in die Frage ein, was Kommunikation eigentlich ist, wie sie funktioniert – und warum wir uns trotz ihres Hangs zum Scheitern dennoch verstehen. Für OSK textet Marcel vor allem für Social-Media- und Digital-Projekte. Auf der Rasierklinge der rasanten, digitalen Veränderungen kämpft er für mutige, kreative und authentische Corporate-Kommunikation entlang aller Kanäle. Nach Feierabend verbringt er seine Zeit gerne mit Freunden, in Youtube-Sessions und mit Dortmunder Fußball-Philosophie.