Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Viele können sich vermutlich noch an den fast schon legendären E-Bay-Claim erinnern. Er gewinnt inzwischen auch bei Unternehmen an Bedeutung, wenn auch in anderer Hinsicht: Auf vielen Websites werden die Anzeigeplätze heute über Auktionen vergeben, bei denen der Höchstbietende den Zuschlag erhält und seine Werbung dann angezeigt wird. Diese Versteigerungen laufen vollautomatisch, individualisiert und in Echtzeit ab, ohne dass Nutzer solcher Websites etwas davon bemerken. Das ganze Verfahren ist Teil des sogenannten Programmatic Advertising. Oder auf Deutsch: programmatische Werbung.
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Darum geht es bei Programmatic Advertising
Programmatische Werbung ist ein Begriff aus dem Online-Marketing. Es geht dabei um den vollautomatischen und individualisierten Ein- und Verkauf von Werbeflächen in Echtzeit. Eine Software entscheidet, wann und wo Online-Werbeplätze auf bestimmten Websites eingekauft werden. Einen großen Teil machen Auktionen für Werbeanzeigen auf bestimmten Internetangeboten aus. Auf der einen Seite gibt es die Werbetreibenden (Unternehmen, Agenturen), auf der anderen Seite stehen mit Websitebetreibern oder Vermarktern die Anbieter für die Werbeplätze. Werbetreibende können Vorgaben machen, wann und wo ihre Anzeigen erscheinen sollen, zum Beispiel nach Alter oder Geschlecht der Nutzer, nach Wetterlage oder geografischen Aspekten. Vereinfacht dargestellt, verläuft der Prozess wie folgt: Ruft ein Nutzer eine Website mit programmatisch angebotenen Werbeflächen auf, startet während des Aufbaus der Seite ein Auktionsprozess. Dabei ermöglicht der Publisher oder Vermarkter als Anbieter allen Bietern Zugriff auf seine Werbeplätze über eine bestimmte Plattform. Dort können zum Beispiel Agenturen, deren Kampagne auf die Anfrage und die Nutzerdaten passt, ein Gebot abgeben. Der Bieter mit dem höchsten Gebot erhält schließlich den Werbeplatz und der Nutzer sieht dessen Anzeige. Werbetreibende können damit ihre Anzeigen einerseits vollautomatisch und zudem individualisiert nur an bestimmte Nutzer einer Website ausspielen. Der ganze Prozess verläuft so schnell, dass der Nutzer ihn während des Seitenaufrufs nicht bemerkt.
Personalisierte Werbung: Männer finden sie gut
Von Bannern und Grafiken genervt? Nicht ganz. 70 Prozent der deutschen Internetnutzer haben in einer aktuellen Umfrage angegeben, dass sie programmatisch ausgespielte Online-Werbung zumindest manchmal bewusst wahrnehmen. 31 Prozent sehen zudem lieber personalisierte Werbung als nicht personalisierte. Die Herren sind dabei für individuelle Werbebotschaften empfänglicher. Denn 45 Prozent der männlichen Befragten finden es gut, dass Anzeigen dank personalisierter Ausspielung ihren Interessen entsprechen. Unter den weiblichen Befragten ist es nur ein Drittel. 38 Prozent der Männer geben zudem an, dass Werbung generell personalisiert sein sollte (Frauen: 25 Prozent). Auch für konkrete Produktvorschläge sind Männer offener als Frauen: 38 Prozent der männlichen Studienteilnehmer sind schon einmal durch Werbung auf ein interessantes Produkt gestoßen, bei den Frauen sind es nur 31 Prozent.
Bedeutung der voll automatisierten Werbung wächst
Programmatic Advertising ist für Werbetreibende mittlerweile unverzichtbar geworden, um ihre digitalen Botschaften gezielt und effizient bei den Zielgruppen zu verankern. Der programmatische Anteil von Displaywerbung, Mobile und Video Advertising steigt laut einer aktuellen Studie. Gleichzeitig wird das Inhousing des Prozesses beziehungsweise von Teilaufgaben des Verfahrens auch für Marken zunehmend relevanter, um die Kontrolle über die Entwicklung der Marke und die Hoheit über die Daten zu behalten. In einem aktuellen Ländervergleich mit Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien zeigen sich deutsche Unternehmen dennoch bisher zurückhaltend: Nur 48 Prozent setzen darauf. Zum Vergleich: In Spanien und Italien kaufen 70 Prozent der Unternehmen Werbung so ein. Die Studienexperten erklären die deutsche Zurückhaltung mit den historisch strikteren Privatsphäre-Regelungen und Datenschutznormen. Allerdings setzen die deutschen Unternehmen hier zu einer Aufholjagd an.
Gezielte Werbeansprache auch an Bus- und Bahnhaltestellen
Obwohl ursprünglich im Online-Marketing gestartet, erobert der automatisierte Werbeeinkauf weitere Medien. Was mittlerweile möglich ist, hat E-Bay mit seiner letzten Weihnachtskampagne gezeigt. Denn das Auktionshaus beschränkte das automatische Ausspielen nicht auf Internetseiten, sondern bezog sogar digitale Außenwerbetafeln (DooH) ein. Dabei wurden DooH-Werbespots in zehn deutschen Großstädten programmatisch ausgesteuert – darunter Berlin, Hamburg, Düsseldorf, München, Frankfurt und Köln. Im Fokus stand dabei die gezielte Ansprache der E-Bay-Zielgruppen mit passenden Produktvorschlägen des Online-Handelsplatzes auf digitalen Screens an Haltestellen für Bus und Bahn. Anhand von Bewegungsdaten wurde identifiziert, wann die definierte Zielgruppe überproportional stark an einem vorher festgelegten Touchpoint vertreten war. Daraufhin wurden die Werbebotschaften voll automatisiert ausgespielt. Die statischen Standortdaten wurden im Vorfeld der Kampagne auf Basis von Marktforschungsstudiendaten ermittelt. Die Kampagne konnte somit nahezu in Echtzeit, anhand der dynamischen Bewegungsprofile und auf Basis der Soziodemografie (Alter und Geschlecht) optimiert werden. War eine adressierte E-Bay-Zielgruppe in der Location überproportional vertreten, hat der Adserver auf dieser Basis eine Stunde die entsprechende Kampagne ausgesteuert. Zusätzlich erfolgte eine Anpassung der Kreation in Echtzeit über den direkten Zugriff auf Produktinformationen bei E-Bay.
Individualisierte Werbung und der Datenschutz
Programmatische Werbung auf Internetseiten und auch das E-Bay-Beispiel zeigen eine große Klippe: den Datenschutz. Um Internetnutzern möglichst individuell auf ihre Bedürfnisse und Interessen zugeschnittene Anzeigen einzublenden, müssen die Anbieter ihre Nutzer gut kennen. Und hier greift seit vergangenem Jahr die Datenschutzgrundverordnung, die das Sammeln der Daten erschwert. Sie bremste in Deutschland das Wachstum bei Programmatic Advertising, dessen Volumen bei rund zwei Milliarden Euro liegt. Deutlicher kritisiert Thomas Promny von der d3con den Einfluss der DSGVO: „Zahlreiche Datenschutzaktivisten verlegen sich inzwischen darauf, gegen hiesige Datenprovider und Ad-Tech-Unternehmen vorzugehen, da sie dort gegebenenfalls deutlich größere Erfolgschancen sehen als in der rechtlichen Auseinandersetzung mit den gut gerüsteten und abwehrerprobten großen US-Playern. Für mein Dafürhalten war und ist die DSGVO vor diesem Hintergrund vor allem eine einzige große Verschwendung von Geld und Ressourcen.“ Die großen Player wie Google, Facebook und Amazon sind beim Programmatic Advertising ohnehin im Vorteil, da sie durch ihre Log-ins über große Mengen aussagekräftiger Daten verfügen.
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