tl;dr (Lesezeit 5 Minuten)
- Kelly Toughill ist Professorin an der School of Journalism am University of King’s College in Halifax.
- Sie betrachet es mit Sorge, dass sich Verleger gesponserten Inhalten oder Native Advertising zuwenden. “Das tut dem Journalismus nicht gut.”
- Ein Trend, den die Expertin sieht, ist der Nischen-Journalismus: “In Zukunft wird der Journalismus vor allem gesellschaftliche Gruppen bedienen, die sich über Interessen, Alter oder Branche definieren. “
- Journalisten dürfen heute ihrer Meinung nach keine Generalisten mehr sein, sondern müssen zu Experten in einem bestimmten Feld werden.
- Jedem technischen Trend hinterherzulaufen, hält Toughill für falsch. Vielmehr sollten Medien sich an den Bedürfnissen der Leser orientieren.
Die Idee kam ihr am Strand, kurz nachdem sie ihr erstes Studium abgeschlossen hatte und nicht wusste, was sie damit anfangen sollte: Sie wollte reisen, interessante Orte besuchen und ihren Freunden in Briefen davon erzählen. Um davon leben zu können, würde sie sich dem Journalismus zuwenden, beschloss Kelly Toughill, und schrieb sich kurzerhand für einen entsprechenden Studiengang an der San Francisco State University ein. Nach ihrem Abschluss heuerte sie bei der Fort Myers News Press in Florida an, bevor sie 1986 zum Toronto Star wechselte, der größten Tageszeitung Kanadas.
Zwanzig Jahre später verließ Toughill – mittlerweile stellvertretende Chefredakteurin des Toronto Star – das Tageszeitungsgeschäft, um sich der Ausbildung von jungen Journalisten am University of King’s College in Halifax zu widmen. Ihren Studenten bringt sie nicht nur das Schreiben näher, sondern auch journalistische Geschäftsmodelle. Deren Versagen würde vor allem die klassischen Massenmedien treffen, analysiert Toughill im Gespräch mit OSK. Ihre Prognose: Zeitungen oder Sender mit einer klar definierten Zielgruppe werden es in Zukunft leichter haben, Werbekunden zu finden.
Den kanadischen Zeitungsmarkt betrachtet Toughill indes mit Sorge. „Die Personen, die die wirklich zentralen Entscheidungen treffen, könnten alle an meinen Esstisch passen.“ Das gefährde die Meinungspluralität. Die ist der Professorin heilig – nicht zuletzt in ihren Social-Feeds, in denen auch Personen auftauchen, deren Ansichten sie nicht teilt. „Man sollte alle Meinungen kennen“, erklärt Toughill, „nicht nur die eigene.“
Kelly Toughill
Director, School of Journalism, University of King’s College
Twitter: @ktoughill
Facebook: Kelly Toughill
LinkedIn: Kelly Toughill
1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?
Qualitätsjournalismus bedeutet, dass Journalisten die Bedürfnisse ihrer Leser kennen. Sie verpflichten sich der Wahrheit und recherchieren gewissenhaft und gründlich. Es ist vor allem die Glaubwürdigkeit, die den Journalismus ausmacht.
Die größte Gefahr liegt derzeit darin, dass die traditionellen Geschäftsmodelle zusammenbrechen. Das betrifft vor allem die Massenmedien – diejenigen, die über Alters- und Interessengrenzen hinweg schreiben. Sie können sich immer seltener über Werbung finanzieren. In der Folge wenden sich Verleger gesponserten Inhalten oder Native Advertising zu. Das tut dem Journalismus nicht gut: Gesponserte Inhalte sind ein erstes Anzeichen dafür, dass finanzielle Interessen vor denen der Leser stehen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Gesponserte Inhalte können hochwertig sein, aber sie sind nicht glaubwürdig.
Weil das Modell Werbung nicht mehr funktioniert, werden wir auch mehr Kampagnenjournalismus sehen, der von Gewerkschaften und Verbänden finanziert wird. In einem gewissen Sinne hat Werbung also für mehr Objektivität in der Berichterstattung gesorgt. Denn durch die Werbefinanzierung waren die eigentlichen Texte unabhängiger, es standen keine Interessen dahinter. Das könnte sich verändern, wenn Journalismus nicht mehr durch Werbung finanziert wird und Redaktionen daher stärker Native Advertising einsetzen.
2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?
Der Trend geht zur Nische. In Zukunft wird der Journalismus vor allem gesellschaftliche Gruppen bedienen, die sich über Interessen, Alter oder Branche definieren. Das hat zwei Gründe: Anzeigenkunden finden diese klar umrissenen Märkte toll, und zielgruppenspezifische Nachrichten lassen sich besser verkaufen. Dieser Trend geht zulasten der Massenmedien. Und das führt zu dem zweiten Trend, den ich leider beobachte und auf den ich vorher schon kurz einging: den Zusammenbruch der Massenmedien. Unternehmen wie Buzzfeed oder Vice haben spannende Business Modelle, die funktionieren. Wir brauchen aber die klassischen Massenmedien, da sie der Gesellschaft eine Art intellektuelles Gemeingut bieten. Ich fürchte dieser intelektuelle Standard könnte verloren gehen. Wir sollten den Wert eines Mediums nicht unterschätzen, das uns mit ungewohnten Ansichten konfrontiert. Und eben das tun die Massenmedien.
Mobile wächst weiterhin und verändert nicht nur Geschäftsmodelle, sondern auch die Art, wie wir Geschichten erzählen und verbreiten. So werden Geschichten zunehmend nicht-linear erzählt. Als Gutenberg den Buchdruck erfand, begannen wir, linear zu denken. Ein Text hat einen Anfang und ein Ende, daran haben wir uns über die Zeit gewöhnt. Jetzt müssen wir umdenken und uns an diese holistische, netzwerkartige Erzählweise gewöhnen, die weder einem bestimmten zeitlichen Ablauf folgt, noch linear ist. Zu einem Text gibt es im Netz vielleicht noch ein Video auf YouTube, eine Livebereichterstattung via Facebook etc. Die einzelnen Elemente folgen nicht unbedingt einer zeitlichen Abfolge, jeder kann sie so konsumieren, wie es für ihn passt. Daran müssen wir unseren Medienkomsum erst einmal anpassen.
Man sollte alle Meinungen kennen – nicht nur die eigene.
3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?
Ich nutze vor allem die sozialen Netzwerke. Manchmal lese ich die New York Times, den Economist, BBC, The Globe and Mail. Ich interessiere mich jedoch viel stärker dafür, was einflussreiche Denker in den sozialen Netzwerken teilen – auch die, die ich nicht mag. Ich kuratiere meinen Feed mit Bedacht und bemühe mich, nicht nur ähnlich denkenden Leuten zu folgen. Man sollte alle Meinungen kennen – nicht nur die eigene.
4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?
Ich habe während meiner Arbeit als Journalistin oft über das politische Geschehen berichtet, sehe mich aber als Generalistin. Ich habe von allem etwas gemacht. Das geht heute nicht mehr. Heutzutage müssen Journalisten zu Experten in einem gewissen Feld werden. Sie müssen sich spezialisieren.
// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.
5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?
Das hört sich vielleicht nach einem Klischee an, aber der Journalismus muss akzeptieren, dass er sich in einer Phase des fortwährenden technologischen Wandels befindet. Technologien sind weniger starr als früher. Heute ist Mobile wichtig, morgen könnte es Virtual Reality sein. Wir sollten vermeiden, den technologischen Wandel in eine bestimmte Richtung drängen zu wollen. Stattdessen müssen wir lernen, Technologien besser einzuordnen. Wir sollten auch aufhören, überall mitmachen zu wollen. Es gibt diese Website in Halifax, die sich auf lokale Nachrichten beschränkt, All Nova Scotia. Die Zeitung beschäftigt 19 festangestellte Journalisten und betreibt die Website seit 14 Jahren. Sie finanziert sich über Abonnements – und ist damit wahnsinnig erfolgreich. Das ist ziemlich einzigartig, vor allem, weil es keine Multimedia-Elemente auf der Website gibt, keine Grafiken und auch keine Social-Media-Aktivitäten. Nur Text! Das ist eben das, was ihre Leser wollen. Was wir daraus lernen können? Wir lassen uns von neuen Tools und Technologien oft ablenken. Stattdessen sollten uns vor jeder Geschichte genau überlegen, mit welchen technischen Hilfsmitteln wir sie erzählen wollen.
Heute ist Mobile wichtig, morgen könnte es Virtual Reality sein.
Vor einigen Jahren hat die Zeitung, bei der ich damals gearbeitet habe, eine 3D-Version veröffentlicht. Durch die richtige Brille betrachtet, erschienen die Bilder dreidimensional. Es war lustig, eine Scherzaktion, völlig überzogen. Aber es war eben auch eine einmalige Sache, niemand hätte auch nur im Traum daran gedacht, fortan täglich eine 3D-Zeitung zu drucken. Manchmal fühlt es sich an, als würden wir das derzeit online versuchen. Wir wollen uns andauernd übertreffen, alles muss interaktiv sein, alles muss social sein. Das halte ich für falsch. Wir sollten nicht jedem Trend hinterherlaufen, wir sollten uns daran orientieren, was der Leser möchte.
6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?
Die öffentlichen Rundfunkanstalten werden überleben. Nischenmedien werden sich über Abonnements finanzieren können, weil sie die Interessen einer gewissen Gruppe bedienen oder ihre Inhalte Lesern dabei helfen, Geld zu verdienen. Diese Spartenpublikationen werden es auch leichter haben, weiterhin Anzeigenkunden zu gewinnen. Derzeit experimentieren viele Verlage mit Dienstleistungen. Canadaland beispielsweise, eine Community-finanzierte Seite, die sich mit Medienthemen befasst, veranstaltet Events. Wer teilnehmen möchte, muss bezahlen. Kürzlich haben sie eine Kinoreihe gestartet, in der sie alte Filmklassiker zeigen und darüber sprechen. Die Diskussion wird von einem Journalisten moderiert. Ein weiteres Beispiel ist Texas Monthly. Auf der Seite wird Werbung geschaltet, es gibt eine Paywall und Abos. Sie haben allerdings auch ein riesiges Datenarchiv, in dem sie öffentliche Aufzeichnungen sammeln. Das Archiv ist kostenpflichtig.
7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?
Ich bin kein großer Fan solcher Prognosen, aber ich denke, dass es in Kanada weniger Zeitungen geben wird. Wir sehen jetzt schon so viele Fusionen, auch unter den Rundfunkanstalten. Die privaten Sender kaufen einander auf. Die Personen, die die wirklich zentralen Entscheidungen treffen, könnten alle an meinen Esstisch passen. Das ist keine gute Entwicklung innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft. Ich könnte mir vorstellen, dass wir mehr erfolgreiche Nischenseiten hinter Paywalls sehen werden, und auch Crowdfunding wird wichtiger. Aber ansonsten möchte ich wirklich nicht spekulieren.
8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?
Es gab noch nie all die Medien, die ich mir gewünscht hätte. Aber wenn ich könnte, würde ich mir bessere Lokalnachrichten im Netz wünschen. Es gibt zwei spannende Seiten in Halifax: eine ist der Halifax Examiner, eine ziemlich eklektische Ein-Mann-Show. Der Examiner berichtet beispielsweise über die Abschlussarbeiten der fünf großen Universitäten in der Gegend oder über die Schiffe, die den Hafen ansteuern und verlassen. Auf der Seite steht das Wichtige neben dem Schrulligen. All Nova Scotia, über die ich eingangs schon gesprochen habe, erlaubt einen schnellen und umfassenden Überblick. Ich würde mir mehr davon wünschen – auch auf einer landesweiten Ebene.