Christoph Kucklick_kleinSeine Beziehung zur Digitalisierung beschrieb Dr. Christoph Kucklick in einem taz-Interview einmal so: „Ich bin endlos fasziniert – und endlos erschrocken.“ Denn auf der einen Seite, so beschreibt es der Chefredakteur des Reportagemagazins Geo, würde sich durch die technischen Entwicklungen vieles im Leben der Menschen verbessern. Andererseits erschrecke er darüber, wie sehr die Digitalisierung die Gesellschaft überfordere und vor den vielen derzeit noch unlösbaren Fragen, die sie aufwerfe. Wie der digitale Wandel sich auf den Journalismus und damit natürlich auf die Gesellschaft als Ganzes auswirkt, erzählt der Journalist im OSK-Interview zur Zukunft des Journalismus.

Er selbst sagt über sich, dass er zwar ein journalistischer Frühstarter war – mit Anfang 20 absolvierte er ein Volontariat an der renommierten Henri-Nannen-Schule – gleichzeitig sei er aber ein Spätzünder gewesen. Denn so richtig Lust auf die Branche habe er erst mit Mitte 30 bekommen, vor allem auf Reportagen. Nach seinem Volontariat arbeitete der heute 52-Jährige als Redakteur und Ressorleiter bei der Hamburger Morgenpost und war anschließend als freier Autor unter anderem für Stern und Geo Special tätig. 1999 promovierte Kucklick, war im Anschluss Chefredakteur von GEO Saison, danach erneut „freudvoll freier Journalist“ (z.B. für Brand Eins, Capital, Die Zeit etc.).

Dass der Journalist einen starken Hang zu digitalen Themen hat, zeigt er in seinem 2014 erschienenem Buch „Die granulare Gesellschaft. Wie das Digitale unsere Wirklichkeit auflöst“. Im Gespräch mit OSK beschreibt Christoph Kucklick, wie wichtig es für Redaktionen zukünftig wird, redaktionelle Inhalte mit technischen Vorgängen zu verknüpfen, und wieso Roboter-Journalismus seiner Meinung nach ein Trend ist, der zu Unrecht belächelt wird.

Dr. Christoph Kucklick
Chefredakteur Geo-Magazin

Twitter: @chkucklick
Xing: Dr. Christoph Kucklick
LinkedIn: Christoph Kucklick

1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?

Durch dasselbe wie in der Vergangenheit: gute Recherche, erzählerische Kraft, hinreichende Finanzierung. Ihm hat geschadet und wird zukünftig schaden: Einflussnahme von Seiten jener, die Aufklärung fürchten, seien es Politiker, Unternehmer, Verbände oder NGOs; und natürlich: instabile Finanzierung.

2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?

Auch weiterhin heißt der große, alles übergreifende Trend: Wir erleben das Ende der traditionellen Plattformen des Journalismus. Er löst sich vom Papier und vom linearen Rundfunk, die ihm lange eine freundliche, lukrative Heimat geboten haben. Die große Frage: Welche ist seine neue Plattform? Die Antwort: keine (alleinige).

Er wird an unübersehbar vielen Stellen unterschlüpfen, in den Gehegen der großen US-Anbieter und sozialen Netzwerken (von Facebook über LinkedIn zu Snapchat), auf proprietären und fremden Apps und Websites, mobil und stationär. Er wird verteilt über Pocket, Flipboard und Scoop.it, er wird in Tausenden Mutationen serviert, zunehmend automatisiert umgepackt, und jede seiner granularen Erscheinungsformen wird vermessen, bewertet und optimiert.

Die entscheidende zusätzliche Kompetenz von Journalisten und Verlagen wird darin bestehen, die Daten, die in all den Kanälen anfallen, zu verstehen und kluge Schlüsse daraus zu ziehen. Die eigentliche „Plattform“ der Zukunft werden also all jene verstreuten, unvollkommenen, umkämpften Daten und Datennetzwerke sein, die es erlauben, journalistische Inhalte über viele Anbieter hinweg zu vertreiben, ihre Nutzung zu messen und sie zu vermarkten.

Dadurch ändert sich das Wesen der journalistischen Inhalte radikal. Auf den alten Plattformen waren sie vor allem Mitteilungen an Leser und Zuschauer. Nun werden die Inhalte zu Sensoren, die selbst Erkenntnisse über ihre Nutzer sammeln. Fortan gilt eine neue journalistische Weisheitslehre: Ein Inhalt, der nichts über seine Leser erfährt, ist dumm. Journalismus informiert also zukünftig doppelt: Leser über das Geschehen in der Welt und Journalisten über die Nutzer und deren Umgang mit den Inhalten. Nur wer diese zweite Informationsebene beherrscht, hat eine Überlebenschance. Ich fürchte, viele Verlage und Rundfunkanstalten sind von dem entsprechenden datenanalytischen Know-how Lichtjahre entfernt.

Als weiteren Trend sehe ich die wachsende advokatorische Finanzierung von Journalismus durch Stiftungen und NGOs. Sie springen ein, wo klassischen Medien finanziell die Puste ausgeht. Das klingt nach zivilgesellschaftlichem Engagement, erzeugt aber neue Probleme: Um das Weltbild der Geldgeber zu bestätigen, sind viele der so entstandenen Geschichten extrem einseitig. Daher prüfen wir inzwischen jede Fotoproduktion, die mit Unterstützung einer NGO oder Stiftung zustande gekommen ist, doppelt und dreifach auf ihre Richtigkeit. Leider tun das nicht alle Magazine, und so sehen wir oft Geschichten, die wir mit guten Gründen abgelehnt haben, in anderen Medien. Eine ähnliche Entwicklung könnten auch Crowd-finanzierte Geschichten nehmen.

Und schließlich, als zu Unrecht belächelter Trend: Roboterjournalismus. Bereits jetzt lässt sich bei einfachen Sport- oder Wirtschaftsmeldungen nicht mehr verlässlich unterscheiden, ob Menschen oder Maschinen sie geschrieben haben. Die Nachrichtenagentur AP sendet pro Quartal rund 5.000 algorithmisch erstellte Meldungen, Tendenz stark steigend. Das wird sich ausweiten, noch lange nicht zur Kunstform einer Reportage – aber dort, wo sich strukturierte Daten mit standardisierten Erzählformen verknüpfen lassen, wie in der Wirtschaft oder im Sport, wird der Text-Roboter zum Kollegen.

Informatorisch leben wir in der besten aller Welten.

3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?

Ich habe im Laufe der Zeit festgestellt, dass ich die Recherche immer mehr „automatisiert“ und in ein Netzwerk aus Twitter, RSS (ja, noch ganz altmodisch), Flipboard, Scoop.it und seit neuestem Blendle ausgelagert habe. Ich lasse mich also ganz bequem beliefern mit weltweiten Inhalten bester Qualität und in einer Vielfalt, die früher gänzlich undenkbar war. Allein mit marginalrevolution.com, slatestarcodex.com, robohub.org und blog.acolyer.org (und den Links dort) kann ich mich schon ganz intensiv vergnügen. Bei aller Klage über das Schicksal des Journalismus: Informatorisch leben wir in der besten aller Welten. Diesen Umstand sollten wir öfters feiern.

4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?

In den Hochburgen des Print-Journalismus weiterhin das, was bisher verlangt wird: recherchieren, schreiben. Ansonsten und vor allem für Freie: sich clever sozial vernetzen, herausragende Expertise auf einigen Gebieten entwickeln, Nebentätigkeiten wie Vorträge oder Beratung aufbauen, die eigene Produktivität regelmäßig durch neue digitale Technologien steigern.

// Über #ZukunftDesJournalismus

Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.

5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?

Indem sich die Intelligenz der Journalisten mit der Intelligenz der Daten verbindet. Die Zukunft gehört redaktionellen Teams aus Menschen und Maschinen, in denen Journalisten, Datenanalytiker und Vernetzungsexperten eng mit jenen Datennetzwerken zusammenarbeiten, aus denen sie ihre Informationen über die Nutzer beziehen. Das wird üblicherweise als Untergang des Journalismus gewertet, weil die Redakteure ihre Unabhängigkeit verlören und nur noch clickbait produzierten – ich halte das für ein Missverständnis. Gerade hochwertige Inhalte benötigen die Kenntnis, wie sie am geschicktesten ihre Leser erreichen und was die Leser dann mit ihnen veranstalten.

Die Zukunft gehört redaktionellen Teams aus Menschen und Maschinen.

6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?

Journalistische Medien bis auf weiteres: so wie bislang auch. Mit bedrucktem Papier und linearem Rundfunk, also: klassische Verkaufserlöse und Werbeeinnahmen. Das ist nach wie vor das ergiebigste Geschäftsmodell. Und sollten Adblocker und Adbots weiterhin derart irre wüten, werden die „alten“ Medien womöglich einen weiteren Frühling erleben.

Dazu kommen zunehmend: e-Commerce, Events, Konferenzen. Wie die Erlöse des oben beschriebenen distributed Journalismus aussehen und wie sie zwischen Content-Erzeugern (vulgo: Journalisten), Verlagen, sozialen Netzwerken und Datenanalytikern verteilt werden, ist derzeit völlig offen.

7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?

Wie heute. Nur anders. Sprich: keine Ahnung.

Allerdings sehe ich eine große Gefahr, über die wir zu selten sprechen: die Rückkehr massiver Korruption in Deutschland, sollten Lokalzeitungen verschwinden. Großstadtjournalismus und die Beobachtung der „großen“ Politik und der großen Unternehmen werden auf längere Sicht gewährleistet sein, dafür findet sich ein hinreichend großes, zahlungswilliges Publikum. Doch wie ist es um die Fläche bestellt, um die ländlicheren Regionen und kleinen Städte? Wer sorgt, wenn die Lokalzeitungen ausbluten, dort für die Kontrolle von Politikern und Verwaltungen?

Untersuchungen in den USA verraten, wie schnell Korruption aufschäumt, wenn sich Parlamente, Behörden und Unternehmen unbeobachtet fühlen. Es gibt keinen Grund zur Annahme, wir wären davor hierzulande gefeit. Als einzige Antwort wird bislang die Staatsfinanzierung von Lokaljournalismus gehandelt, also die Finanzierung der Kontrolleure durch die Kontrollierten. Schwierig. Vielleicht müssen wir stattdessen über eine veränderte Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nachdenken.

8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?

Das verrate ich nicht.

Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #ZukunftDesJournalismus.

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.