Zehn Jahre lang war Ralf Heimann Lokaljournalist, dann zog er einen Strich darunter. Irgendwann, so erklärt er auf seinem Blog Operation Harakiri, habe er angefangen, darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn er nicht mehr für die Zeitung arbeiten würde. Wenn sich in seinem Leben etwas ändern würde.
Auf seinem Blog schreibt Heimann über seinen Ausstieg aus dem Lokaljournalismus und über das, was im Journalismus seiner Meinung nach schiefläuft. Zur Zeitung kam er nach seinem VWL-Studium, relativ spät, mit 27 Jahren. Er machte ein Volontariat bei den Ruhr Nachrichten und war danach sieben Jahre lang Redakteur bei der Münsterschen Zeitung. Unter anderem löste er dort mit einem Tweet über einen Blumenkübel einen Internet-Hype aus. 2014 kündigte Heimann, um als freier Journalist und Autor zu arbeiten. Seit dem vergangenen Jahr arbeitet der 38-Jährige unter anderem für SPIEGEL ONLINE, das SZ-Magazin und Wired Germany. Über die Erlebnisse eines Reporters auf dem Land verfasste er das satirische Buch „Die tote Kuh kommt morgen rein“. Im September erscheint die Missgeschicke-Sammlung „Lepragruppe hat sich aufgelöst – Perlen des Lokaljournalismus“, die er zusammen mit Jörg Homering-Elsner herausgibt.
Im Interview erklärt Ralf Heimann, warum einer der wichtigsten Trends im Journalismus nur indirekt mit Technik zu tun hat und warum es für einige Medienhäuser wahrscheinlich keine Rettung geben wird.
Ralf Heimann
Freier Journalist und Autor
Web: Operation Harakiri
Twitter: @ralfheimann
Facebook: Ralf Heimann
Instagram: ralfheimann
Xing: Ralf Heimann
LinkedIn: Ralf Heimann
1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?
Ein Qualitätsprodukt ist für mich etwas, das von guten Leuten unter vernünftigen Bedingungen hergestellt wird. Und das ist auch im Journalismus nicht anders. Das Problem sind die Bedingungen. Man kann da eine Handvoll Redaktionen ausnehmen, aber in den meisten gilt: Es fehlt die Zeit, und die Bezahlung wird im Vergleich zu anderen Berufen immer unattraktiver. Für Regionalverlage kann man als freier Journalist eigentlich nur arbeiten, wenn man kein Geld braucht. Das schadet dem Journalismus, weil man so natürlich keine guten Leute findet. Und ich schätze, das wird in den nächsten Jahren auch nicht besser werden.
2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?
Eine Entwicklung, die ich ziemlich interessant finde, ist, dass Redaktionen heute viel transparenter arbeiten als noch vor ein paar Jahren. So etwas fängt ja immer in den großen Redaktionen an, und dann übernehmen es irgendwann auch die kleineren. Fehler werden nicht mehr nur heimlich berichtigt, sondern transparent korrigiert. Man schreibt, was man nicht weiß – wie die SZ nach dem Charlie-Hebdo-Anschlag. Und mittlerweile haben viele Redaktionen erkannt, dass es sich lohnen kann, Artikel nicht nur auf Facebook zu posten, sondern sich danach auch an der Diskussion zu beteiligen.
3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?
Das hat sich in den letzten Jahren immer mal wieder verändert, aber ich im Moment lese ich wahnsinnig viele Newsletter. Welchen ich zum Beispiel sehr empfehlen kann, auch wenn er mittlerweile kein richtiger Geheimtipp mehr ist: The Next Draft von Dave Pell.
Man braucht Informationen, die sonst keiner hat.
4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?
Die Antwort ist recht einfach: Man braucht Informationen, die sonst keiner hat, Geschichten, die sonst keiner sieht, und Perspektiven, die andere nicht einnehmen. Und man muss irgendwie zusehen, dass die Leute den eigenen Namen damit in Verbindung bringen. Das Dumme ist: Das ist leichter gesagt, als getan. Was bei mir selbst ganz gut geklappt hat: ein Buch schreiben. Mein Blog Operation Harakiri hilft mir da oft ebenfalls sehr weiter. Das kann ich eigentlich nur jedem empfehlen. Fest steht: Wenn irgendwas bei Facebook schon die Runde macht, kann man das als Geschichte meist vergessen. Da muss man was anderes finden.
// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.
5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?
Vielleicht ist das gerade das Problem – dass viele Anbieter zu groß sind, um sich an die neuen Bedingungen anzupassen. Mit den Erlösen aus dem digitalen Anzeigengeschäft werden die ganzen Regionalverlage zum Beispiel ihren großen Berg aus Fixkosten auf Dauer nicht decken, mit den Erlösen aus der Papierzeitung auch nicht. Aber vielleicht ist das ja eine Chance für Start-ups, die sich besser an die neuen Bedingungen anpassen können. Viele Verlage machen noch immer Dinge, die schon heute kaum noch jemand braucht. Es gibt zig Zeitungen, die nahezu identische Mantelausgaben aus Agenturmeldungen zusammenbauen, die man am Tag davor im Netz lesen konnte. Von solchen Firmen würde ich zum Beispiel keine Aktien kaufen.
Ich zahle ein ganzes Medium, obwohl ich nur einen Artikel haben möchte.
6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?
Das weiß ich natürlich auch nicht, aber ich wundere mich oft, dass Medienhäuser mir nicht das verkaufen, was ich gut gebrauchen kann, sondern das, was für sie am lukrativsten ist. Ein unhandliches Abo, das nur den Vorteil hat, dass der Verlag planen kann. Und dann muss ich den Digitalzugang noch dazu buchen. Ich zahle ein ganzes Medium, obwohl ich nur einen Artikel haben möchte. Ins Archiv komme ich gar nicht, obwohl ich dafür gut zahlen würde. In den meisten Branchen funktioniert das ja eher umgekehrt. Da orientieren sich die Firmen an den Kunden. Die Musikindustrie hätte die Leute gern gezwungen, weiter die teuren Alben zu kaufen. Das hat auch nicht funktioniert. Aber jetzt kommt der Zeitungskiosk Blendle nach Deutschland, bei dem man einzelne Artikel kaufen kann. Das wird auch nicht die Rettung sein, aber das ist das Produkt, auf das ich schon lange warte.
7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?
Wahrscheinlich gibt es einige Medienhäuser weniger, aber ich glaube nicht, dass genau die dann fehlen werden.
8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?
Ich frag mich immer, was aus den NEON-Lesern der ersten Generation wird, die irgendwann auf die NIDO umgestiegen sind – also die NEON für junge Eltern. Die sind jetzt auch schon ein paar Jahre älter, aber danach kommt ja nichts mehr. Da könnte man sich vielleicht mal was überlegen.
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