eSports boomt. Weltweit und auch hierzulande verzeichnet die Branche von Jahr zu Jahr neue Wachstums- und Umsatzrekorde. Viele Marken tun sich mit einem Engagement aber schwer. Zu undurchsichtig scheint die Gaming-Branche. In unserer Artikelreihe wollen wir daher mit eSports-Experten sprechen und sie fragen, welche Potenziale die Szene für die Marketing- und Kommunikationsbranche hat, wie man einen authentischen Zugang zur Community bekommt und wer die Multiplikatoren sind.
Chris Hana ist Mitgründer und CEO bei The Esports Observer (TEO). Die B2B-Publikation analysiert Finanzströme und Geschäftsmodelle in der eSports-Branche und wendet sich explizit an Entscheider und Marketingexperten. 2018 wurde TEO vom amerikanischen Medienunternehmen Advance Publications aufgekauft. Neben der Nachrichtenplattform veranstaltet TEO auch eSports-Konferenzen in Los Angeles, New York, Berlin und London. Im Interview spricht Hana über das eigene Geschäftsmodell, über eindeutige Fakten im eSports-Markt sowie verschiedene Anknüpfungspunkte für Brands.
Herr Hana, mit The Esports Observer haben Sie eine B2B-Plattform geschaffen, die alle wachstumsrelevanten Kriterien im eSports-Markt wie Investitionen, Sponsorengelder, Zuschauerzahlen etc. analysiert. Wie sieht der eSports-Markt im Herbst 2019 aus?
Für den eSports-Markt stehen derzeit alle Zeichen auf Wachstum. Dabei muss man bedenken, dass viele Teile der dazugehörigen Infrastruktur erst noch geschaffen werden. Auch wenn das Thema eSports als Hype durch alle Medien geht, stehen wir erst noch am Anfang.
Aber eSports ist bereits heute ein großes Geschäft – oder?
Andrea Agnelli, Chairman bei Juventus Turin, sagte kürzlich, dass der demografische Wandel klar aufseiten des eSports ist. Die größte Gefahr für europäische Fußballvereine – in Bezug auf die Aufmerksamkeit der Generation Z – ist nach ihm nicht der Fußballverein von nebenan, sondern eher Spiele wie League of Legends und Fortnite. Netflix machte ein ähnliches Statement. Aussagen in diese Richtung häufen sich, was die Signifikanz von Gaming und eSports unterstreicht.
Lässt sich der Trend mit Zahlen belegen?
Für ein Panel auf der Gamescom habe ich mithilfe von Newzoo einige Fakten zum deutschen Markt zusammengestellt. Zum Beispiel: 25 Prozent der deutschen eSports-Enthusiasten sind weiblich. Die Hälfte der eSports-Fans ist 26 Jahre oder älter. Fast ein Drittel spendet regelmäßig Geld an Streamer oder Videospiel-Kanäle. Zudem haben 78 Prozent unter den in Deutschland lebenden Enthusiasten bereits Geld für und in Spielen ausgegeben, verglichen mit 34 Prozent der deutschen Bevölkerung, die Spiele spielt, aber nicht zwangsläufig eSports folgt. Die Zielgruppe ist jung, gebildet und hat verfügbares Einkommen – ein Traum für viele Marken.
Woran können Marken im Bereich eSports anknüpfen?
eSports ist ein soziales Phänomen sowie Teil einer Jugendbewegung und deren Identität. eSports gehört zur Popkultur und hier sehen wir eindeutige Trends in Richtung Musik und Kleidung. Große Sportartikelhersteller wie Adidas, Nike und Puma sind bereits in den Markt eingestiegen. Zusätzlich gibt es viele Marken, die mit Streetwear die junge Zielgruppe für sich entdeckt haben und danach streben, für eSports das zu werden, was Burton für Snowboarding ist.
Gibt es neben Mode auch andere Anknüpfungspunkte?
Ja, zum Beispiel beim Thema Musik. Die ESL, als Vorreiter in vielen eSports- und Crossover-Themen, hat gemeinsam mit der Universal Music Group ein eigenes Label gegründet. Musiker investieren in eSports-Teams. Riot Games’ Song für das Finale der League-of-Legends-Weltmeisterschaft 2018 hatte innerhalb weniger Wochen knapp 30 Millionen Aufrufe auf Spotify. Das dazugehörige Musikvideo schaffte es in der gleichen Zeit auf fast 100 Millionen Aufrufe auf YouTube.
Was würden Sie Unternehmen raten, die im eSports-Markt aktiv werden möchten?
Automarken, Banken, Versicherungen – ich habe aktuell das Gefühl, dass sich jeder Sektor das Thema eSports genauer ansieht. Leider nimmt sich nicht jeder die Zeit, den Markt ausreichend zu analysieren, und entwickelt Produkte, welche aus Konzernsicht sinnvoll sind, aber nicht mit der Zielgruppe funktionieren.
TEO hat eine globale Leserschaft. Besonders aus den USA kommt viel Traffic. Wie würden Sie den deutschen eSports-Markt im Vergleich zu den USA verorten?
Durch TEO schaue ich meist durch die internationale Brille auf den eSports-Markt. Obwohl auch der deutsche Markt wächst, hinken wir im internationalen Vergleich, vor allem mit den USA, hinterher. Vom asiatischen Raum wie beispielsweise Korea müssen wir da gar nicht sprechen. Mit TEO haben wir uns 124 Disclosed Investments, also Investments, bei denen der Investitionsbetrag bekannt gegeben wurde, aus der ersten Hälfte 2019 genauer angesehen. Nur zwölf dieser Investments entstanden unter Beteiligung deutscher Investoren.
Woran könnte das liegen?
Während wir in Deutschland viel zu oft eine „Killerspiel-Debatte“ führen und für Akzeptanz kämpfen, werden in den USA die großen Ligen nach dem Vorbild von US-Franchise-Ligen modelliert. Investoren geben zweistellige Millionenbeträge aus, um dabei zu sein und die große Wette einzugehen, dass es auch diese eSports-Franchises über Zeit auf Milliarden-Bewertungen schaffen.
Ist Deutschland zu konservativ?
Ich denke, es ist fair zu sagen, dass der deutsche Markt anders und sehr speziell funktioniert. Deutschland ist das Land der Vereine, daher diskutieren wir regelmäßig über eSports im Breitensport. Fußballvereine widmen sich oft Spielen wie FIFA, da eine Sportsimulation sehr nah an ihrem eigentlichen Business ist. In Metriken wie Zuschauerzahlen, Preisgeld, Partnerschaften etc. spielt FIFA jedoch nicht ganz oben mit.
Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
Generell halte ich es für gefährlich, an alten Strukturen festzuhalten, wenn eine neue Generation in einer völlig anderen globalen und digital vernetzten Welt mit weniger Grenzen aufwächst. Viele Communitys werden heute online und über Landesgrenzen hinweg gebaut. Im Kern ist eSports digital und global. Benötigte regionale Strukturen zur Talentförderung und für den Weg zum Profi werden aktuell aufgebaut. Dennoch benötigt eSports dafür, und auch generell, nicht zwangsläufig den traditionellen Sport. Wir müssen sicherstellen, dass Stakeholder, wie Spieler und Teams, ordentlich ihrer Arbeit nachgehen können, das geht aber auch ohne die Anerkennung als Sport.
Gibt es auch positive Beispiele aus Deutschland?
Eine positive deutsche Ausnahme ist Schalke 04. Schalke hat sich als Sportverein früh an League of Legends herangetraut und trotz negativer Erfahrungen an dem Thema festgehalten. Mittlerweile spielt Schalke 04 Esports sogar in der europäischen Top-Liga, der LEC.
Zum den vorherigen Teilen der Reihe geht’s hier.
// Über den Autor
René Krempin hat Kultur- und Medienwissenschaften studiert und über mehrere Stationen bei Print- und Online-Medien den Weg in die Agentur gefunden. In den letzten zwei Jahren betreute er als Redakteur den Online-Auftritt des Wirtschafts- und Lifestyle-Magazins Business Punk. Bei OSK arbeitet er als Online- und Social-Media-Redakteur. Mit großem Interesse verfolgt er unter anderem die Entwicklungen in der eSports-Szene. In seiner Freizeit ist er aber auch gerne analog unterwegs: mit Freunden auf dem Bolzplatz.