Wie heißt es so schön? In jeder Krise steckt eine Chance. In Sachen CEO-Kommunikation besteht die Chance in der Nähe und Emotionalität, die Top-Executives durch Videobotschaften vermitteln können. Das klingt angesichts der räumlichen Trennung zunächst paradox. Doch audiovisuelle Inhalte dominieren bekanntlich zunehmend das Netz.
Niemals zuvor suchten so viele Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführer – von Tim Höttges (Deutsche Telekom) über Eric Malitzke (DPD Deutschland), Stephan Sturm (Fresenius FE) und Andreas Renschler bis Herbert Diess (beide Volkswagen AG) – in aufgezeichneten Statements nach den richtigen, teils sehr persönlichen Worten. Ihre Anliegen? Sie möchten der Öffentlichkeit und den Mitarbeitern die aktuelle Unternehmenssituation und die „neue Normalität“ in Zeiten von Corona erklären.
Die Unternehmenslenker danken den Teams für ihre Flexibilität und werben um Verständnis für Produktionsstopps und Kurzarbeit. Wie besorgte Familienoberhäupter bitten sie die Angestellten, Hygienemaßnahmen einzuhalten, um sich und andere vor dem Virus zu schützen. Sie appellieren an den gesellschaftlichen Zusammenhalt und betonen die am Gemeinwohl orientierte Bedeutung ihres Unternehmens als Corporate Citizen.
Steigerung der Reputation
Auch gewähren die Top-Führungskräfte in ihren Videos mitunter ungewohnte Einblicke: Sie sprechen nicht nur aus ihren Büros zu den Zuschauern, sondern auch aus der Werkshalle oder dem Homeoffice. Manche zeigen sich in legerer Kleidung in einem privaten Umfeld – man sieht also, welche Accessoires den Schreibtisch schmücken, welche Bilder an der Wand hängen oder welche Bücher im Regal stehen.
Durch diese Darstellungsweise können die Videos zum einen die menschliche Seite des CEO hervorheben: Betroffenheit, Nahbarkeit, Emotionalität, Authentizität, Einfühlungsvermögen, Transparenz – und manchmal auch Humor. Zum anderen sollen die Botschaften verdeutlichen, dass der Kapitän das Schiff auch bei stürmischer See souverän steuert. Gelingt dies, können die Videos durchaus die Reputation des CEO und des gesamten Unternehmens steigern – vorausgesetzt, sie werden in den sozialen Medien häufig geklickt, geteilt und gelikt.
Digitale Kommunikation überzeugend nutzen
Momentan ist die Unternehmenskommunikation auf die Pandemie-bedingten Herausforderungen fokussiert. Doch ohne Zweifel gewinnt allmählich auch die Produkt- und Markenkommunikation wieder an Fahrt und digitale Formate gehören auf unbestimmte Zeit zum „new normal“- so ist zum Beispiel Mercedes-Benz gerade mit „Meet Mercedes DIGITAL“ an den Start gegangen.
Denn niemand kann derzeit voraussehen, wann die klassische Live-Kommunikation in Form von Messeauftritten, Weltpremieren, Produktpräsentationen, Pressekonferenzen und Kongressen reanimiert wird. Die Video-Präsenz der Executives wird in den kommenden Monaten wohl noch deutlich zunehmen. Daher lohnt ein Blick darauf, wo es vielleicht noch hapert und wie das Potenzial der digitalen Kommunikation bestmöglich genutzt werden kann.
Ein Dilemma, zwei Hauptverdächtige
In vielen „Corona-Videos“ offenbart sich einmal mehr das traditionelle Dilemma der CEO-Kommunikation: Zum einen muss jedes Wort stimmen, denn jede falsche oder missverständliche Aussage könnte negative Folgen für das Unternehmen haben. Zum anderen soll der Chef bei seinen Auftritten gut rüberkommen – also authentisch, überzeugend, eloquent und locker. Letzteres schafft jedoch nicht jeder. Und dafür gibt es zwei Hauptverdächtige: Das Redemanuskript und den Prompter.
In manchem großen Konzern arbeiten Dutzende Kommunikatoren und Experten aus Fachabteilungen wochenlang an einer wichtigen Rede. Themen und Aussagen werden verhandelt, umformuliert und abgestimmt – an jedem Komma wird gefeilt. Damit ein Executive inhaltlich überzeugt, ist ein sorgfältiges strategisches Botschaften-Management zwar sinnvoll und wichtig. Doch mitunter resultiert daraus ein Dokument, das mit Zahlen, Daten und Fakten überfrachtet ist. Hinzu kommt: Es ist oft in Schrift- und nicht in Sprechsprache verfasst. Das Manuskript enthält dann komplizierte und hölzerne Schachtelsätze, denen ein Zuhörer nur schwer folgen kann.
Glaubwürdigkeit als Maxime
Das im eigenen Unternehmen langwierig erstellte Rede-Werk bekommt der CEO nun meist auf Redekarten oder Prompter serviert. Das ist für die chronisch überbeschäftigten Vorstände zwar komfortabel, da sie den Text ja „nur noch“ vorlesen müssen. Doch das könnte theoretisch jeder tun.
Klar ist: Liest der Redner seinen Text mit monotoner Stimme und reduzierter Gestik ab, leiden nicht nur Aspekte wie Souveränität, Natürlichkeit und Charisma, sondern auch und vor allem die Glaubwürdigkeit. Denn der Rezipient kann nicht sicher sein, dass der Redner wirklich weiß, wovon er spricht und meint, was er sagt. Das gilt doppelt, wenn ein Video viele Schnitte aufweist, die jedem verraten, dass der CEO mehrere Anläufe gebraucht hat.
Redenschreiber konzipieren spannende Geschichten
Das Prompter-Dilemma trifft zunächst gleichermaßen für Live-Veranstaltungen wie für Videoaufnahmen zu. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied: Die An- bzw. Abwesenheit von Publikum. Vor einem großen Auditorium avanciert sogar manch nüchterner Zahlenmensch zum leidenschaftlichen Redner, wenn er die Macht der Interaktion mit den Zuschauern spürt und nutzt. Aber genau dieser Austausch, die Magie des Live-Erlebnisses, fehlt in der digitalen Kommunikation. Was also ist zu tun? Helfen können Redenschreiber, Rhetorikcoaches und Medientrainer.
Ein guter Redenschreiber konzipiert eine Rede als spannende Geschichte mit klaren Kernaussagen und als imaginären Dialog mit dem Publikum, um es zu fesseln, zu gewinnen und zu begeistern. Es ähnelt der Komposition eines Musikstückes, statt Noten erzeugen die sorgsam gewählten Worte und Metaphern Stimmungen – und Zustimmung. Die räumliche und zeitliche Distanz des Mediums Video verlangt dem Redenschreiber und erst recht dem Redner eine besondere Empathie-Fähigkeit ab: Ohne direktes Feedback muss er sich in den Zuschauer hineinversetzen und dessen Erwartungen und Stimmungen antizipieren.
Das Geheimnis des gefüllten Kelches
Ein brillantes Redemanuskript ist eine gute Basis, mehr jedoch nicht. Denn ein Redner kann nur dann wirklich überzeugen, wenn er die Rede verinnerlicht, seine eigenen Worte findet – und weitgehend frei vorträgt. Das heißt keinesfalls, sie auswendig zu lernen, denn auch das merkt der Zuhörer, zum Beispiel an dem nach innen gerichteten Blick des angespannt wirkenden Redners. Als äußerst effektiv hat sich die sogenannte „Kelch-Methode“ erwiesen: Ein fiktiver Kelch wird mit einem Schlagwort – zum Beispiel Nachhaltigkeit, Innovation oder Corona – versehen und mit spezifischen Inhalten gefüllt.
Diese „Befüllung“ mit passenden Aussagen ist keineswegs banal, jeder ist herzlich zum Selbsttest eingeladen. Die Erfahrung lehrt, dass viele schon ins Schleudern geraten, wenn sie in ein paar Sätzen erläutern sollen, wofür das eigene Unternehmen steht. Ein Rhetorikcoach kann dabei als Sparrings- und Gesprächspartner wertvolle Unterstützung leisten. Ziel des Coachings ist, dass der Executive je nach Situation sofort aus einem großen Regal voller Kelche nach dem richtigen Kelch greift und ihn ausschütten kann: Aus dem Mund des CEO sprudeln dann lauter schlaue und mediengerechte Sätze zu dem jeweiligen Thema.
Da die einzige Konstante der Wandel ist, müssen die Kelche immer wieder mit frischen Inhalten befüllt werden. Das erfordert regelmäßiges Training. Doch es lohnt sich: Noch nie war Wirtschaft spannender als in dieser fundamentalen Krise. Die Menschen gieren nach – überzeugend vermittelten – Informationen, Argumenten und Botschaften aus erster Hand. Die CEOs sollten diese Chance nutzen. Nicht nur, um über die Krise selbst zu reden, sondern hoffentlich bald vermehrt über faszinierende neue Produkte und steigende Umsatzzahlen.
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// Über den Autor
Wolf Zinn leitet bei OSK den Bereich Executive Communications. Sein Team schreibt Reden für Top-Führungskräfte, gibt Rhetorikcoachings sowie Medientrainings und berät Executives in allen kommunikativen Fragen.