Die Corona-Pandemie hat Auswirkungen auf jeden von uns, je nach Lebenssituation in unterschiedlichem Maße und Umfang. Wir planen unseren Alltag anders, arbeiten aus dem Homeoffice und auch unser Medienverhalten hat sich verändert. Soziale Netzwerke etwa waren in den vergangenen Wochen ein wichtiger Anlaufpunkt, um mit dem persönlichen Umfeld in Kontakt zu bleiben, sich auszutauschen und auch, um sich abzulenken.

Wir treffen uns mit Kolleginnen und Kollegen in der Video-Konferenz und verfolgen Events nun via Livestream. Und wir merken: Das alles funktioniert gut und erleichtert vieles stellenweise sogar. Dementsprechend werden einige Veränderungen in unserem Medienkonsum wahrscheinlich auch nach dem Ende der Krise relevant sein.

Um diese Entwicklung genauer zu betrachten und einzuordnen, haben wir mit Prof. Dr. Benjamin Gust gesprochen. Gust ist Professor an der Technischen Hochschule Mittelhessen und forscht unter anderem in den Bereichen Social Media, Digital Communication und Community Management. Im Interview spricht er darüber, welche Rolle soziale Netzwerke in Corona-Zeiten spielen, wie sich Twitter und Co in diesem Zusammenhang verändern und inwiefern etablierte Medienmarken von der Krise profitiert haben.

Prof. Dr. Benjamin Gust, Professor Technische Hochschule Mittelhessen
Bild: Prof. Dr. Benjamin Gust

Hallo Ben! Du bist Professor an der Technischen Hochschule Mittelhessen. Dein Fachgebiet ist Social Media. An welchen Themen forschst du aktuell?

Hi Olli, ich setze mich nach wie vor sehr stark mit der digitalen Kommunikation von Mensch zu Mensch auseinander – sei es in sozialen Netzwerken oder anderen digitalen Kanälen.

Es geht dabei darum herauszufinden, wie wir Menschen miteinander kommunizieren, wenn wir uns nicht Face to Face gegenüberstehen. Was erschwert die Kommunikation – und wie können wir unserem digitalen Gegenüber die jeweilige Interpretation erleichtern? Fairerweise muss ich aber ergänzen, dass ich als junger Professor an einer HAW gerade recht wenig Zeit für die aktive Forschung habe, da ich derzeit neue Lehrveranstaltungen für unsere Social-Media-Studierenden vorbereite. 

Veränderung Social Media durch Corona - die Nutzung sozialer Netzwerke steigt an

Welche Beobachtungen hast du in Bezug auf die Benutzung von Social Media im Kontext der Corona-Krise samt den damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen gemacht?

Ich beobachte vor allem, dass die Nutzung sozialer Netzwerke stark steigt und die physische Distanz zu anderen Menschen unter anderem durch die verstärkte Interaktion in sozialen Netzwerken kompensiert wird.

Und das ist gut so – immerhin ist genau das die eigentliche Stärke sozialer Netzwerke. Egal wo wir sind, egal was wir machen: Wir können unser soziales Leben über Facebook, Instagram, Twitter und Co aufrechterhalten. Uns mitteilen. Mit anderen diskutieren. Für Unterhaltung im Alltag sorgen und emotionale Storys und Gedanken teilen. Und vor allem: uns gegenseitig unterstützen. Gerade das ist aktuell wichtiger denn je, zum Beispiel für alle, die allein wohnen und sonst keinen sozialen Kontakt haben. 

Veränderung Social Media durch Corona - wir können unser soziales Leben über Facebook, Instagram, Twitter und Co aufrechterhalten

Ich persönlich finde da vor allem Twitter spannend: Dort teilen etwa verzweifelte Eltern teils sarkastische und ironische Tipps, wie sie Homeschooling und Homeoffice vereinen, während andere aus dem skurrilen Leben in der Quarantäne berichten. Mal emotional. Mal erheiternd. Und zwischendurch auch etwas verstörend. 

Woran liegt es deiner Einschätzung nach, dass sich ein traditionelles TV-Format wie die 20-Uhr-Tagesschau zu einem Leitmedium in der Corona-Krise entwickelte, und zwar auch für jüngere Zielgruppen?

Meiner Beobachtung nach prallen an dieser Stelle zwei Entwicklungsstränge aufeinander. Auf der einen Seite ist und war gerade die 20-Uhr-Tagesschau schon immer ein Format, das vor allem für ein hohes Maß an Seriosität und Glaubwürdigkeit steht. Und gerade diese seriöse Glaubwürdigkeit brauchen wir in einer Krise, die für uns alle gleichermaßen neu ist.

Wir sehnen uns nicht nur nach den neuesten Entwicklungen, sondern gleichzeitig auch nach möglichst verlässlichen Fakten. Genau diese Mischung bietet die Tagesschau, die als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ja zudem erstklassige Quellen hat. 

Parallel dazu – und das hat eigentlich gar nichts mit der Corona-Krise zu tun – geben die Kollegen der Tagesschau schon seit Längerem Gas im Social Web. Immer wieder landet die Tagesschau in diversen Social-Media-Rankings unter den journalistischen Medien auf dem obersten Platz und scheut gleichzeitig keine Experimente. Erst im November ist die Tagesschau mit einem durchaus selbstironischen Video bei TikTok gestartet – und hat knapp vier Monate später mehr als 410.000 junge Follower, die den Content 6,7 Millionen Mal gelikt haben. Kurz: Was die Kollegen machen, kommt an, auch bei jüngeren Nutzern.

Generell scheinen die etablierten journalistischen Medienmarken, auch im Social Web, die großen Gewinner zu sein. Wer macht hier aus deiner Sicht einen guten Job? Und warum?

Ich bin tatsächlich Fan von dem, was die Tagesschau macht. Ganz allgemein machen die öffentlich-rechtlichen Sender im Social Web einen wirklich guten Job. Die Tagesschau öffnet sich in diesem Kontext einem neuen Publikum – jungen Usern bei TikTok –, bleibt sich aber gleichzeitig selbst treu. Ein anderes Positiv-Beispiel: Die Kolleginnen und Kollegen vom Content-Netzwerk funk haben es geschafft, mitten in die WG- und Wohnzimmern der Instagram- und YouTube-Generation vorzudringen.

Veränderung Social Media durch Corona - Positivbeispiel Tagesschau

Das WDR-Magazin Quarks spielt aus meiner Sicht ebenfalls ganz vorne mit und hat erkannt, wie auch wissenschaftsjournalistischer Content gut und kurzweilig für Facebook, YouTube und Co aufbereitet werden kann. Das gilt sowohl in Bezug auf Hintergründe und Fakten zur Corona-Pandemie als auch ganz allgemein.

Deine Prognose: Inwieweit werden sich derzeitige Mediennutzungsgewohnheiten über die Krise hinaus etablieren oder weiterentwickeln?

Ein Blick in die Glaskugel ist natürlich immer schwer. Aber: Ich gehe fest davon aus, dass die Corona-Krise uns alle – und zwar generationsübergreifend – noch stärker an die Bildschirme unserer Smartphones fesselt und gewöhnt.

Auch diejenigen, die vorher vielleicht noch etwas skeptischer waren. Diese Entwicklung wird Bestand haben. Wir haben nicht nur gelernt, mit der kompletten Großfamilie über Facetime und Zoom zu sprechen, sondern eben auch, die Tagesschau live bei Facebook zu sehen. Das ist vielleicht sogar nur der Anfang einer gänzlich neuen Art und Weise, wie wir zukünftig miteinander kommunizieren und interagieren werden.

Über den Autor

Oliver Nermerich ist Kommunikationswissenschaftler und lebt im Internet. Bei OSK arbeitet er als Manager Online/Social Media und entwickelt kundenübergreifend Strategien, Auftritte und Kampagnen für das Internet und mobile Anwendungen. Auch privat dreht sich bei ihm alles um die digitale Welt: Er gehört zum Autorenteam des Lifestyle-Blogs Whudat.de und betreibt mit Freunden das Rolling-Magazin "Be-Mag". Sein Smartphone gibt er nur aus der Hand, wenn er auf sein Board steigt und an der Algarve die nächste Welle surft. Für das OSK Blog spürt er die neuesten Trends und Entwicklungen im Netz auf und spricht mit Meinungsmachern und Digital Influencern.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.