Apps in China

Chinas digitales Ökosystem wird in den kommenden Jahren Innovationstreiber und Vorreiter in vielen Bereichen sein. Die Nutzer in China sind jung, aufgeschlossen und haben eine hohe Zahlungsbereitschaft für Onlinedienste. Anfang dieses Jahres haben chinesische Start-ups zum ersten Mal mehr Wagniskapital eingesammelt als neu gegründete Firmen in den USA im gleichen Zeitraum. 2018 waren allein in den vier größten Start-up-Zentren des Landes, Peking, Hangzhou, Shanghai und Shenzhen, 123 Unicorns angesiedelt. Jungfirmen, die mit über einer Milliarde Dollar bewertet werden.

Zunehmende Zensur

An der Spitze stand die Hauptstadt Peking mit 61 Unicorns und einer Gesamtbewertung von 305 Milliarden Dollar. Die Jungunternehmen sind dabei längst nicht mehr nur eine Kopie ausländischer Geschäftsideen, sondern innovative Techkonzerne. Internationale Player wie Facebook und WhatsApp schauen immer häufiger in Richtung China, wenn es um neue Trends bei Anwendungen und Dienstleistungen geht. Gleichzeitig steht die chinesische Techbranche vor großen Herausforderungen.

Apps in China

Der technologische Fortschritt wird von der chinesischen Regierung immer stärker als Mittel zur Überwachung und Kontrolle der eigenen Bevölkerung genutzt. Ein Beispiel dafür ist die zunehmende Zensur, aber auch das sogenannte Social Credit System, das bis 2020 zu einem landesweiten Bewertungssystem ausgebaut werden soll. Es soll dazu dienen, dass Menschen auf der Grundlage ihrer Finanzen, ihrer Arbeit und ihres Verhaltens in der Öffentlichkeit sowie im Internet bewertet und bestraft beziehungsweise belohnt werden. Mehrere Pilotprojekte laufen bereits auf lokaler Ebene. Aktuell sind beispielsweise über sechs Millionen Menschen in China von der Nutzung von Flugzeugen und rund 3,4 Millionen Menschen von der Buchung von Schnellzügen ausgeschlossen, weil ihre Kreditbewertung zu schlecht ist.

Apps in China

Vermischung zwischen Privatfirmen und Staat

Chinesische Firmen wie Alibaba und Tencent werden dabei in Kooperationen mit dem chinesischen Staat gedrängt. FinTech-Firmen wie Alipay und WeChat Pay sind zunehmend strengeren Regulierungen unterworfen. China wird die FinTech-Firmen nicht zu einer Gefahr für die Staatsbanken und ihre Marktmacht werden lassen. Wahrscheinlich ist, dass ihre Dienstleistungen auch Staatsbanken zugänglich gemacht werden – freiwillig oder nicht.

Apps in China

Ende 2017 kündete das Wissenschaftsministerium zudem mehrere neue „innovative und offene Plattformen“ an. Darunter eine Plattform zu autonomem Fahren von Baidu, Aliyun, ein Clouddienst von Alibaba für Smart Cities, sowie eine Plattform für medizinische Bilder und Diagnosen. Die Vermischung zwischen Privatfirmen und dem Staat nimmt zu. Es ist davon auszugehen, dass dies Einfluss auf die Innovationskraft der Firmen haben wird. Die Zensur und Überwachung erschweren zudem freie Forschung und Entwicklung, unabhängig von politischen Interessen.

Zweigeteiltes Internet

Auch westliche Firmen tragen Verantwortung an dieser Entwicklung. Google und Facebook sind zwei Firmen, die zurück in den chinesischen Markt drängen. Sie wollen von den zahlreichen Nutzern profitieren und in Bereichen wie künstlicher Intelligenz konkurrenzfähig bleiben. So heißt es etwa, dass Google eine zensierte China-Suchmaschine entwickeln soll, die speziell auf die Zensurvorgaben der chinesischen Regierung ausgelegt ist.

Auch Apple hat in den vergangenen Jahren mehrfach auf Druck der chinesischen Regierung die Rechte seiner Nutzer eingeschränkt, um den Zugang zu dem Milliardenmarkt nicht zu verlieren. Ex-Google-Chef Eric Schmidt zeichnete erst im September eine negative Prognose. Er fürchtet, dass das Internet in den kommenden zehn Jahren in zwei Hälften zerbrechen könnte – ein US-amerikanisches und freies Netzwerk sowie ein chinesisches Netzwerk mit fortschrittlichen Diensten, aber strikter Zensur.

Vorreiter im Digitalen

Auf der anderen Seite wird China auch in den kommenden Jahren Vorreiter im Bereich der digitalen Dienstleistungen bleiben. Das Land hat viele Millionen gut ausgebildeter, hungriger IT-Fachkräfte und Akademiker, die ihre Zukunft in einer der Techfirmen des Landes sehen. Sie sind jung, kreativ und in einer voll digitalisierten Welt aufgewachsen.

Gerne tauschen sie den sicheren Job in einem der Staatsunternehmen gegen niedrig dotierte Stellen in Start-ups. Ausgestattet mit Wagniskapital in Milliardenhöhe und einem Staat, der Innovation zu seinem Zukunftsmodell erklärt hat, wird das Tempo atemberaubend bleiben und die Ideen immer häufiger auch ein Vorbild für ausländische Techfirmen im Silicon Valley und darüber hinaus.

Die komplette Serie mit allen bisher erschienen Teilen der Reihe finden Sie hier.

Über den Autor

Oliver Nermerich ist Kommunikationswissenschaftler und lebt im Internet. Bei OSK arbeitet er als Manager Online/Social Media und entwickelt kundenübergreifend Strategien, Auftritte und Kampagnen für das Internet und mobile Anwendungen. Auch privat dreht sich bei ihm alles um die digitale Welt: Er gehört zum Autorenteam des Lifestyle-Blogs Whudat.de und betreibt mit Freunden das Rolling-Magazin "Be-Mag". Sein Smartphone gibt er nur aus der Hand, wenn er auf sein Board steigt und an der Algarve die nächste Welle surft. Für das OSK Blog spürt er die neuesten Trends und Entwicklungen im Netz auf und spricht mit Meinungsmachern und Digital Influencern.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.