Alexander Mankowsky arbeitet für den ältesten Automobilhersteller der Welt und denkt über dessen Zukunft nach. Der gebürtige Berliner ist seit 1989 für die Daimler AG im Bereich Forschung tätig. Sein Hauptaugenmerk als Zukunftsforscher liegt darin, soziale und technische Innovationen für die Mobilität von Morgen zu erkennen und umzusetzen. Dafür beschäftigt er sich seit 2001 in seinem Arbeitsgebiet „Gestaltende Zukunftsforschung“ auch mit gesellschaftlichen Themen – wie etwa dem Gaming. Wir haben Alexander Mankowsky am Rande der gamescom in Köln getroffen. Mit 345.000 Zuschauern bestätigte die gamescom in diesem Jahr ihren Ruf als weltweit wichtigste Messe für Computer- und Videospiele. Beim gamescom congress war Alexander Mankowsky Teil der Panel-Diskussion zum Thema „Spielen statt lenken: Das Auto der Zukunft“.
Mit Smartphone oder Handheld-Konsole kann ich heute schon als Passagier im Auto zocken. Welches „Upgrade“ wird dann das autonome Fahren bringen?
Der Reiz wird der sein, dass sich das Auto durch die Welt bewegt und zu einem Raum mit Ausblick wird. Außerdem spürt man die Bewegung im Körper. Wir haben physische Daten und eine Datenlandschaft. Ich kann mir vorstellen, dass man daraus eine Art Geo-Gaming macht. Dass also das Spiel, das man spielt, in einen Kontext zu der Landschaft gebracht wird, durch die man fährt. Das alles kann durch Augmented Reality eingeführt werden. Durch die Vermischung von Spiel und Außenwelt.
Sind damit auch Multiplayer-Games denkbar im autonomen Fahrzeug?
Ja, ich kann mir soziale Spiele vorstellen, denn man ist ja selten alleine auf der Straße. In einem Stau beispielsweise weiß man nicht immer, ob vorne einer steht, der eine Reifenpanne hat oder ob etwas Schlimmeres passiert ist. Das ist für die Leute stressig. Es entstehen Angst und Sorge. Eine Möglichkeit in diesem Kontext wäre eine Art Avatar-Spiel, bei dem man sich nach vorne durchfragt. Die Person vorne ist dann der Live-Reporter für die Personen weiter hinten. So wird eine neue Art Kategorie an Spielen ermöglicht. Denn wir Menschen sind ja mehr soziale als egoistische Wesen. Das kann man in einer neuen Spielform reflektieren.
Aus Pokémon Go würde dann „Daimler Go“?
So eine Art, ja. Man kann es vielleicht in die Navigationskarte einbinden. Die Frage ist: Wie bringst du dich und die Passagiere auf eine spielerische Art und Weise und mit den technischen Mitteln in das Netz des Erlebens draußen? Virtual Reality sehe ich in diesem Kontext weniger, weil man dadurch wieder von der Umwelt abgekoppelt ist.
Klingt so, als könnte die Maschine – das Auto – einen dazu animieren, dass man die Umgebung wieder bewusster wahrnimmt?
Ja, dass man wieder „echter“ drin ist. Das ist im Prinzip eine Entwicklung zurück. Wenn man an die Anfänge denkt, da saß man draußen im Freien und hat allen „Guten Tag“ und „Hallo“ gesagt.
Die Hülle heutiger Fahrzeuge hat etwas Sperrendes, Abschließendes.
Mittlerweile grüßt das Auto! Der Mercedes-Benz F 015 Luxury in Motion hat es demonstriert.
Ja, aber man bekommt in dem Fall nun wieder Freiheiten. Die Hülle heutiger Fahrzeuge hat etwas Sperrendes, Abschließendes. Wenn man diese in Zukunft zu einer Membran entwickelt, indem man gewisse angenehme, soziale Interaktionen ermöglicht, dann hat das Perspektive, finde ich.
Die Spielemesse gamescom in Köln verzeichnet Besucherrekorde, die Branche ist im Wachstum. Zu welcher gamescom kann man sich vorstellen, dass die meisten der Gäste mit selbstfahrenden Fahrzeugen kommen und nicht mit dem Auto im Stau stecken?
Ich glaube nicht, dass man im Rahmen von solchen Massenveranstaltungen primär autonome Pkw nutzen wird. Sondern eher eine andere Art automatisierter Verkehrssysteme, in die man immer einsteigen kann. Eine Art Paternoster-System. Man hüpft rein und wieder raus.
Sie sagen, die Entwicklung der Technik und deren Akzeptanz durch die Menschen werde nicht gleichförmig sondern als eine Mischphase ablaufen. In welchem Zeithorizont kann man sich sowas vorstellen?
Das hängt stark von dem Fortschritt des autonomen Fahrens ab. Eine Variante ist die, dass in den nächsten Jahren – in denen der Mensch häufig doch noch der Fahrer bleibt und überwachen muss – das Interesse am Verkehrsgeschehen durch Augmented Reality wachgehalten wird. Das wird vielleicht eine Form des Übergangs sein, in der dieses „aus dem Fenster gucken“ spielerisch erledigt wird. Das wäre doch nett.
Schon bei frühen Rennspielen gab es Controller, die Lenkrädern nachempfunden waren für ein möglichst authentisches Erlebnis. Wird es in Zukunft auch Autos mit Gamepads geben?
Ja, das finde ich nicht unrealistisch. Gerade in der Übergangsphase zum vollautonomen Fahren könnte man so dem Fahrzeug den Weg weisen – ganz ohne Lenkrad. Ein Tablet würde da gut passen. Man sieht ein Bild von der Straße und zeichnet ein, wo man lang will. Das Fahrzeug folgt dann dem Weg.
Wir geben Impulse und überschreiten Tabus.
Beim Konsolen-Gaming gibt es die drei großen Player: Nintendo, Sony, Microsoft. Sie sind seit langem die Innovationstreiber der Branche. Übertragen wir das auf die Autoindustrie: In welcher Rolle sehen Sie Daimler?
Die Dreierkonstellation ist auf jeden Fall auffällig, denn die gibt es in der Autoindustrie auch: BMW, Audi, Mercedes-Benz. In unserem Fall habe ich manchmal den Eindruck, dass wir die sind, die ein bisschen pieksen und nach vorne treiben. Mit dem F 015 Luxury in Motion und seinen autonomen Funktionen haben wir einen Stachel gesetzt. Wir geben Impulse und überschreiten Tabus. Das war auch der Fall mit car2go und der Einführung des smart. Ich denke, Daimler ist am ehesten wohl das Nintendo der Autobranche
Momentan sind Fahrzeuge mit autonomen Fahrunktionen hoch technisiert und hochpreisig. Wird das Autonome Fahren einer technikaffinen aber auch recht solventen Gesellschaftsschicht vorbehalten bleiben?
Da sehe ich zwei Entwicklungen. Die hochpreisigen Fahrzeuge brauchen redundante Bremsanlagen und Ähnliches. Man braucht große Rechner und viel Energie. Das kostet nun einmal Geld, die Sensorik ist teuer. Diese Pkw werden wohl zunächst von Geschäftsleuten genutzt werden. Auf der anderen Seite wird es Entwicklungen eines öffentlichen, nicht schienengebundenen Verkehrs geben, den viele Menschen nutzen werden.
Wohin werden diese beiden Entwicklungen führen?
Diese Bewegungen werden sich langsam in der Mitte treffen. Beim Carsharing wird man eine Mehrfachnutzung haben. Viele Menschen nutzen es, wodurch es bezahlbar wird. Auf der anderen Seite haben wir das Hochpreisige, wo mehr Wert auf Komfort und Schönheit gelegt wird – auch als Lebensraum für die Leute. Das wird sich irgendwann in der Mitte treffen.
Dann wäre quasi der autonome, öffentliche Verkehr der Multiplayer-Modus?
(lacht) Ja, so kann man das schön sagen. Und da die Technologie die gleiche ist und diese über Masse und Massenproduktion günstiger wird, wird dies der Hebel dafür sein, dass es günstiger wird.
Sie sprechen weltweit mit ganz verschiedenen Menschen und Berufsgruppen über das Autonome Fahren. Spüren Sie Unterschiede in der Euphorie, der Wahrnehmung oder auch in der Akzeptanz des Themas?
Eine interessante Frage. Ja, es gibt Unterschiede. Die größten Widerstände gab es skurrilerweise bei Zukunftsforschern, die kundenorientiert arbeiten. Und in der Autoindustrie selbst. Je ferner die Leute dem Auto waren, umso begeisternder war für sie der Gedanke, dass das Ding von alleine fährt. Das Carsharing und das Lenkrad, das scheinen die Probleme der Leute zu sein, die nah an der Autoindustrie sind. Die anderen wollen einfach ein schönes, eigenes Auto, das selbst fährt
// Über den Gastautor
Matthias Reintgen hat Technikjournalismus studiert und ist als Manager Consulting & Content bei OSK für die inhaltliche Entwicklung und Umsetzung von Kommunikations-Formaten im Automotive-Bereich verantwortlich. Sein Aufgabengebiet umfasst dabei Beratung, Entwicklung und Realisierung von multimedialen Inhalten bei Technik-Workshops mit Schwerpunkt R&D Kommunikation sowie auf Automobilmessen und Weltpremieren – meist in Deutschland, den USA und China.