Wir beeinflussen uns. Alle gegenseitig. Jeder jeden. Und das stärker, als uns jeder Blogger oder YouTuber beeinflussen könnte. Wir alle sind digitale Meinungsführer. Da ist sich Prof. Dr. Bernad Batinic sicher. Batinic lehrt und forscht an der Linzer Johannes-Kepler-Universität. Einer der Schwerpunkte des 46-Jährigen ist die Meinungsforschung aus psychologischer Sichtweise. Auch mit dem Internet und digitalen Medien beschäftigt sich Batinic seit langem intensiv. Er zieht eine klare Trennung zwischen den Begriffen „Influencer“ und „Meinungsführer“. Denn im Netz verwischt die Trennlinie zwischen beidem schnell. Ein großer YouTuber ist bestimmt ein Influencer, aber ist er auch ein Meinungsführer? Einige würden das sicher abnicken. Batinic sieht das anders. Nicht die Blogger, YouTuber oder Instagrammer seien die digitalen Meinungsführer. Tatsächliche Influencer fänden sich an ganz anderen Orten. Begeben wir uns auf die Suche.
Influencer aus der Mitte
Schon Batinics Definition von „Meinungsführer“ verdeutlicht, wie sehr sich seine Vorstellung eines Meinungsführers von vielen anderen unterscheidet. Demnach ist erst einmal jeder ein Meinungsführer. Nur in unterschiedlichem Ausmaß. So wie jeder Mensch irgendwie witzig ist. Der eine mehr, der andere weniger. Die Trennlinie zwischen Meinungsführern und dem „Rest“ zieht der Wissenschaftler nicht: „Es gibt keine Gesetzmäßigkeit, die sagt, ab welcher Stufe ich Meinungsführer bin.“
Der Meinungsführer zeigt laut Bernad Batninic die Mitte seiner sozialen Gemeinschaft.
Mit dieser Ansicht stellt sich der 46-Jährige komplett gegen die Position, dass es Meinungseliten gibt, die Medien konsumieren und die Inhalte an die übrige Gesellschaft weitergeben. „Daran glaube ich nicht. Unsere Auffassung ist, dass jeder seine Meinung in unterschiedlicher Weise weitergibt.“ Er sei sich sicher, dass die Kraft und Bedeutung bestimmter Personengruppen deutlich überschätzt werde.
Meinungsführer seien Menschen, die in der Mitte ihrer sozialen Gruppe stehen und ihrem Umfeld die Richtung weisen. Ein Beispiel: Wir alle kennen die Situation, dass wir mit mehreren Freunden ins Kino wollen. Doch in welchen Film? Der eine will einen Actionfilm sehen, der andere eine Komödie. Der Meinungsführer würde dann sagen: „Dann nehmen wir eine Action-Komödie. Die passt für die meisten von uns.“ Er zeigt also die Mitte der Linie. Und dafür ist die Interaktion mit anderen Individuen essentiell. Ohne gegenseitigen Austausch keine Meinungsführer.
Schnittpunkt aller Meinungen
Es gibt laut Bernad Batinic übrigens mehrere “Typen”, die Einfluss auf eine Gruppe haben und damit als “Influencer” bezeichnet werden könnten. Trendsetter, Experten und Meinungsführer. Schauen wir uns erneut das Kino-Beispiel an, würde der Trendsetter sagen: „Da gibt es einen besonderen Film, der ist ganz neu und total interessant.“ Der Experte: „Der Film hat ganz tolle Kritiken bekommen, es spielen folgende Schauspieler mit …“ und der Meinungsführer schlussendlich die Ansichten zusammenführe und die Gruppe leiten: “Kommt wir entscheiden uns für folgenden Film. Mit dem sind alle glücklich.”
Kann es nach dieser Definition überhaupt digitale Meinungsführer geben? Allerdings, es sind laut dem Wissenschaftler nur nicht die Blogger und Social-Stars. Für Batinic sind ihre Seiten eher ein Medium, das besonders positiv gesehen wird. Überhaupt schauen wir uns einen bestimmten YouTuber nur an, weil ein Meinungsführer für meine Gruppe entschieden hat, dass es ok ist. Dennoch könne es ein soziales Umfeld digital genauso geben wie offline. „Ich kann Mitglied einer virtuellen Gemeinschaft sein, genauso wie ich offline Freunde haben kann.“
Der Meinungsführer ist am Gruppenzusammenhalt interessiert.
In einer Online-Diskussion, in der sich mehrere Teilnehmer austauschen, vertritt der digitale Meinungsführer den Schnittpunkt aller vertretenen Ansichten. Ein Meinungsführer ist am Gruppenzusammenhalt interessiert. Er gibt die Norm vor und zeigt, wo die Gruppe hinsteuert. „Menschen sind soziale Wesen. Gruppenzugehörigkeit ist für uns wichtig. Zu unseren größten Ängsten zählt, unsere Gruppe zu verlieren. In elektronischen Medien ist das nicht anders“, erklärt Batinic. Um dazuzugehören, müsse jeder von uns wissen: Wo geht es hin? Und darum orientierten wir uns am Meinungsführer, der zeigt: Was ist der Kern dieser virtuellen Gemeinschaft?
Meinungsführer, wie Batinic sagt, sind übrigens klar von Trendsettern abzugrenzen. Trendsetter tragen Themen von einer Gruppe in die andere. Der Trendsetter bringt mich auf Neuerungen, während der Meinungsführer daran nicht unbedingt interessiert ist. Denn Innovation bringt das Rollengefüge der Gruppe durcheinander.
Was ist in Ordnung?
Es habe sich in Experimenten gezeigt, dass Menschen mit hohen Meinungsführer-Werten (siehe Kasten) andere in ihrem Verhalten tatsächlich stark beeinflussen. Zwar orientierten Menschen sich bei ihren Kaufentscheidungen an mehreren Faktoren, Meinungsführer spielten dabei aber eine wichtige Rolle. Bernad Batinic beschreibt es konkret: „Stellen Sie sich vor, Sie würden morgen einen Mercedes kaufen. Was würden Ihre Freunde dazu sagen? In manchen sozialen Gruppen wird es geschätzt, in anderen nicht.“ Für diesen Prozess sei der Meinungsführer wichtig. Denn er zeigt, was in der eigenen Gruppe in Ordnung ist.
Meinungsführer-Wert
Bernad Batinic hat mit seinem Forschungsteam eine Skala entwickelt, die den Meinungsführer-Wert einer Person messen soll. Denn laut Studien hat ein Mensch mit hohem Meinungsführer-Wert bestimmte Charaktereigenschaften. Um den Wert zu messen, bekamen die Studien-Teilnehmer gut 20 Aussagen vorgelegt. Die Probanden mussten auf einer Skala von 1 bis 5 (1: trifft gar nicht zu, 5: trifft völlig zu) entscheiden, wie sehr die Aussagen für sie selbst zutrafen. Dazu gehörten Sätze wie „Ich kann durch meine Person andere in ihrer Meinung beeinflussen“ oder „Ich nutze meine Überzeugungskraft, um in Diskussionen schnell zu einer Einigung zu kommen“. Am Ende des Tests hatte jeder Teilnehmer einen Punktewert. Dieser zeigt, ob der Teilnehmer ein starker Meinungsführer ist oder nicht.
Dabei gebe es aber nicht den einen Meinungsführer in der Gruppe. Wie erwähnt, sind nach diesem Ansatz alle Menschen Meinungsführer. Wir gewichten ihre Ansichten nur unterschiedlich stark. Freund A findet einen Mercedes super, Freund B mag das Auto nicht. Beide haben aber nur einen geringen Meinungsführer-Wert. Freund C mit hohem Meinungsführer-Wert findet, ein Mercedes ist ein schönes Auto, solange er nicht zu protzig ausgestattet ist. Die Entscheidung ist an diesem Punkt so gut wie gefallen.
Jeder ist laut dem Wissenschaftler ein Meinungsführer.
„Ich brauche diese Kaffeemaschine!“
Bernad Batinic hat ein Beispiel aus seinem eigenen sozialen Umfeld: Einer seiner Freunde kaufte sich einen Kaffee-Vollautomaten. Anderthalb Jahre später hatte jeder im Freundeskreis einen. Der Freund mit dem Kaffeeautomaten war in diesem Fall der Trendsetter. Ein andere Freund hatte sich bereits über die Maschine informiert und konnte genaue Infos liefern – der Experte. „Wenn ein Meinungsführer in der Runde sagt, wie schön es ist, dass alle bei so einem guten Kaffee zusammensitzen, ist das der Auslöser. Es macht unbewusst klick im Kopf der anderen.“ Beim nächsten Kauf einer Kaffeemaschine sei es dann wahrscheinlich, dass wir uns für den Vollautomaten entscheiden, den wir beim Freund gesehen haben.
Die Meinungsführer in diesem Modell haben demnach einen enormen Einfluss auf ihre Umgebung. Doch wie können Unternehmen das für sich nutzen? Und wie identifiziert man diese Personen überhaupt? Diese Fragen klären wir im zweiten Teil.