Rückblende. Wir schreiben das Jahr 1971. Über die Kinoleinwände flimmert ein gelber VW Käfer, amtliches Kennzeichen DU – DU 926. Ein ganz besonderes Auto, das bereits über ein Navigationsgerät verfügt, in der vorderen Haube eine Kamera versteckt hat, bei Bedarf wie ein Sportboot schwimmt oder wie ein Hubschrauber fliegt. Und selbstverständlich entweder per Fernsteuerung oder ganz allein fahren kann. Lakonischer Kommentar seines Besitzers Jimmy Bondi: “Dudu macht das schon.”
Das gelbe Krabbeltier nimmt vor mehr als 40 Jahren in der Fantasie vorweg, was heute immer mehr zur Realität wird: das intelligente Auto. Wobei Dudu seinerzeit laut Filmtitel “Das verrückteste Auto der Welt” war.
Zurück ins 21. Jahrhundert. Das intelligente Auto ist längst Wirklichkeit. ABS und ESP verhindern schlimme Unfälle, zahlreiche Assistenzsysteme unterstützen den Fahrer in kritischen Situationen. Jetzt folgt der nächste logische Schritt: das autonome Fahren.
Die Google-Fahrzeuge mit dem auffälligen Laser-Radar-System auf dem Dach haben bereits mehrere hunderttausend Kilometer in den USA unfallfrei zurückgelegt. Mercedes-Benz hat im August 2013 eine S-Klasse autonom die rund 100 Kilometer lange Strecke von Mannheim nach Pforzheim zurücklegen lassen und damit bewiesen, dass hochkomplexe Situationen kein Problem sind – mit Ampeln, Kreisverkehren, Fußgängern, Radfahrern und Straßenbahnen. Konzernlenker Dr. Dieter Zetsche ließ sich bei der IAA-Pressekonferenz ohne Fahrer am Steuer publikumswirksam auf die Bühne fahren. Das alles mit Hilfe seriennaher Technik, die überwiegend schon heute verfügbar ist.
Audi, BMW, Ford, Toyota und Volvo eifern mit Versuchsfahrzeugen den Vorreitern zügig nach, Renault- und Nissan-Chef Carlos Ghosn kündigt das selbstfahrende Auto selbstbewusst für 2020 an. Alle großen Zulieferer wie Bosch, Continental, Valeo und Visteon sind mit im Boot, und teilautonome Funktionen lassen sich vielfach längst ab Werk bestellen – vom Totwinkel- und Fahrspurassistenten bis zur Lenkunterstützung.
Schon heute bieten Mercedes-Benz und BMW einen Stau-Assistenten an, der im Stop-and-go-Verkehr nicht nur selbstständig anhält und wieder losfährt, sondern dem Vordermann auch spurgenau hinterherlenkt. Das funktioniert jedoch nur, wenn der Fahrer eine Hand am Lenkrad hält. Laut Gesetzgeber muss er in Deutschland sein Fahrzeug nämlich jederzeit kontrollieren können. Für einen höheren Automatisierungsgrad fehlt es derzeit an den rechtlichen Rahmenbedingungen.
Die USA sind da schon weiter: In Nevada, Florida, Kalifornien und Michigan dürfen autonom fahrende Autos bereits am Straßenverkehr teilnehmen, wenn sie definierte technische Voraussetzungen erfüllen und eine Lizenz erhalten haben.
“Selbstfahrende Autos werden die Mobilität insbesondere in Ballungsgebieten verändern”, sagt Google-Mitbegründer Sergej Brin, der in dem Suchmaschinenkonzern das Projekt autonomes Fahren seit drei Jahren vorantreibt und dabei auf das umfangreiche Datenmaterial aus Google Maps und Google Street View zurückgreifen kann. Weniger Verkehrsunfälle, weniger Staus und mehr Fahrzeuge pro Straßenmeile sind nur einige der Ziele.
Google stützt sich bei seinem Projekt vor allem auf die Forschungsergebnisse des Wissenschaftlers Sebastian Thrun. Der Informatiker, der lange Zeit als Professor für künstliche Intelligenz an der Universität Stanford in Kalifornien lehrte und auch Googles geheimes Forschlungslabor X gründete, brennt für das Projekt des selbstfahrenden Autos. Er selbst habe im Alter von 18 Jahren seinen besten Freund bei einem Autounfall verloren. Seine große Hoffnung: Durch die langfristige Integration von selbstfahrenden Autos in den Verkehr soll die Zahl der Verkehrsunfälle sinken. Unter seiner Leitung gewann ein Team der Stanford University im Jahr 2005 mit dem Volkswagen Touareg “Stanley” die DARPA Grand Challenge. Das ist ein von der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) des US-Verteidigungsministeriums geförderter Wettbewerb für unbemannte Landfahrzeuge – das Pendant zur Drohne. Der Anreiz zur Entwicklung selbstfahrender Autos stammt ursprünglich – wie so oft – aus militärischen Interessen.
Ziel 2020: der Fahrplan zum autonomen Fahren
In Deutschland haben der Verband der Automobilindustrie (VDA) und die staatliche Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) drei Stufen des autonomen Fahrens definiert: teil-, hoch- und vollautomatisiert.
Beim teilautomatisierten Fahren muss der Fahrer die automatischen Funktionen ständig überwachen und darf keiner fahrfremden Tätigkeit nachgehen. Diese Funktionen gibt es heute bei einigen Herstellern schon in Serie.
Beim hochautomatisierten Fahren muss der Fahrer das System nicht mehr dauerhaft überwachen. Dann sind fahrfremde Tätigkeiten in begrenztem Umfang denkbar – wie E-Mails schreiben. Das System erkennt seine Grenzen selbst und gibt die Fahraufgabe rechtzeitig und mit genügend Zeitreserve zurück an den Fahrer. Diese Stufe wird bald erreichbar sein.
Beim vollautomatisierten Fahren kann das System alle Situationen autonom bewältigen; der Fahrer muss das System nicht überwachen und darf fahrfremden Tätigkeiten nachgehen. Ebenso ist in dieser Stufe fahrerloses Fahren möglich. Diese Funktion soll bis zum Jahr 2020 in ausgewählten Märkten bei vielen Herstellern erhältlich sein.
Die Vision des unfallfreien Fahrens treibt dagegen die deutschen Forscher besonders an, etwa an der TU Braunschweig und der Freien Universität in Berlin. Die Industrie ist auf demselben Weg. “Autonome Fahrzeuge sind für uns ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum unfallfreien Fahren”, erklärt Daimler-Chef Dr. Dieter Zetsche. “Denn autonome Fahrzeuge reagieren auch dann, wenn der Fahrer unaufmerksam ist oder etwas übersieht, und nehmen ihm unangenehme oder schwierige Fahraufgaben ab.”
Zu mehr Verkehrssicherheit könnte als nächste Stufe der Autobahnassistent beitragen, der bis 120 km/h den Sicherheitsabstand zum Vordermann stets einhält und darüber hinaus selbstständig lenkt – eine Funktion, die nicht nur laut Zulieferer Bosch deutlich vor 2020 serienreif sein wird.
Mehr Komfort und zusätzlichen Zeitgewinn verspricht indes der Parkhaus-Assistent, der per Handy-App das Auto automatisch in einen passenden Stellplatz einparkt. Der Fahrer muss dazu nicht mehr an Bord sein und kann schon einkaufen gehen – oder am Flughafen noch seinen Flieger erreichen.
Die Frage ist also nicht, ob, sondern wann das autonome Fahren selbstverständlich wird. Bei lästigen Routineaufgaben ist es ein Segen und wird dazu beitragen, entspannter und sicherer das Ziel zu erreichen. Wer weiterhin aktiven Fahrspaß genießen möchte, kann die Funktionen ja einfach abschalten und auf abgelegenen, kurvenreichen Straßen sein ganz persönliches Fahrvergnügen erleben.
Branchen-Vordenker Frank M. Rinderknecht geht noch weiter. Er platziert in seiner Studie Rinspeed XchangeE auf Basis des Tesla S das Lenkrad in Wagenmitte. Und schafft damit Platz für bequeme Liegesessel und einen 32-Zoll-Monitor. “Bis heute hat kaum jemand das Thema autonomes Fahren konsequent zu Ende gedacht. Schließlich muss ich dann nicht weiter wie gebannt auf die Straße schauen, sondern kann etwas anderes tun.”
Unser Vorschlag: Während der autonomen Fahrt läuft zur Entspannung auf dem TV-Screen die DVD mit den Käfer-Filmen aus den 1970er Jahren: “Dudu macht das schon“.