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Vom Hochglanz-Format zur „schmutzigen“ Momentaufnahme – die Autofotografie hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Sie ist abwechslungsreicher geworden, die Hersteller sind mutiger. Sie wollen ihre Fahrzeuge nicht mehr nur in perfekt inszenierten Werbebildern zeigen, sondern im natürlichen Umfeld – auf der Straße, in Bewegung. Staub und Schmutz sind durchaus erwünscht. Wir haben uns mit den beiden Fotografen Florian Roser und Andreas Lindlahr sowie dem Filmemacher Vincent Urban über die Herausforderungen, die Trends und den Reiz der Autofotografie unterhalten.
Was reizt euch am Auto als „Foto-Modell“?
Florian: Ein Auto ist, wie es ist. Die reizvolle Aufgabe für den Fotografen ist es, die Stärken zu erkennen und in Szene zu setzen. Setting und Hintergründe spielen eine große Rolle. Ich bin einfach ein absoluter Autofan. Wenn da ein echter Traum auf vier Rädern vor mir steht, steigt mein Puls – dieses Gefühl möchte ich mit meinen Fotos auch beim Betrachter auslösen.
Bild: Florian Roser
Vincent: In meinen Augen verkörpern Autos Freiheit und Individualität, beides zentrale Themen meiner Reisefilme. Der Gedanke, in ein Auto einzusteigen und einfach loszufahren, ist für viele ein Traum – und genau den versuche ich zu erzählen.
Autos verkörpern Freiheit und Individualität.
Andreas: Mitte der Achtziger entdeckte ich die Autofotografie. Es war und ist ein Abenteuer, eine ständige Herausforderung mit unendlich vielen Möglichkeiten. Autos sind, ebenso wie Yachten, Flugzeuge oder Gebäude, in meinen Augen von großer Ästhetik.
Worauf muss man bei der Autofotografie besonders achten? Wie lasst ihr ein Auto gut aussehen?
Andreas: Das Auto sollte optisch immer in einer Beziehung zu seiner Umgebung stehen. Stimmungen, besonders Landschaften, oder Menschen bereichern ein Autobild – und vor allem Bewegung. Das macht es zu einem lebendigen Produkt.
Vincent: Dynamik spielt eine große Rolle, das sehe ich genauso. Außerdem setze ich auf das schöne natürliche Licht am frühen Morgen oder späten Nachmittag. Damit die Aufnahmen nicht lahm wirken, hilft zudem eine Handkamera und – tatsächlich – wenn der Fahrer ein bisschen mehr aufs Gas steigt als üblich. Die Belichtungszeiten sind dann besonders wichtig.
Bild: Vincent Urban
Was ist euch bei der Zusammenarbeit mit Fahrzeugherstellern wichtig?
Florian: Ich möchte mit Herstellern zusammenarbeiten, die meinen Stil und meine Handschrift mögen. Wer Hochglanz-Anzeigen möchte, die wie animiert aussehen, ist bei mir falsch. Zu meiner Arbeitsweise gehört auch eine gewisse Freiheit, weil ich es recht realistisch und rau bevorzuge. Bei mir darf ein Auto auch ruhig mal verstaubt sein, wenn es in der Wüste geshootet wird.
Bei mir darf ein Auto auch ruhig mal verstaubt sein.
Vincent: Auch von mir können die Fahrzeughersteller keinen schicken, polierten Autofilm erwarten. In meinen Filmen geht es mehr um die Reise als das Auto an sich. Natürlich spreche ich mit dem Kunden ab, welche Inhalte und Gefühle so eine Reise transportieren soll, aber im Prinzip bin ich da recht frei.
Welche Trends gibt es im Moment bei der Autofotografie?
Andreas: Ich sehe einen Trend zum „Schnappschuss“ – eine Momentaufnahme, nicht ganz scharf, aber voller Ausdruck. Das perfekte Bild gerät aus der Mode. Es ist schön und gestochen scharf, es kann aber auch langweilig sein.
Bild: Andreas Lindlahr
Florian: Ich würde auch sagen, dass es heute etwas natürlicher zugehen darf. Es muss nicht der perfekt ausgeleuchtete oder sogar computergenerierte Shot sein. Solange die Qualität und die Bildsprache stimmen, kann auch mal ein Störer im Bild sein. Aufnahmen aus der Egoperspektive laufen außerdem derzeit sehr gut. Sie vermitteln den Eindruck, dass das Auto tatsächlich gefahren und nicht nur als Prototyp im Studio abgelichtet wurde.
Vincent: Ich denke, es kommt wirklich darauf an, was der Kunde will: Wenn ich daran interessiert bin, ein Auto zu kaufen, will ich einen Film mit dem Auto im Mittelpunkt sehen. Und dann gibt es Filme, die die Reise, die Erlebnisse und Abenteuer mit dem Auto zeigen. Ich mag es, dass einige Hersteller inzwischen darauf abzielen – denn ein Auto ist mehr als ein reines Verkehrsmittel oder Statussymbol.
Wie setzt man sich bei der starken Konkurrenz im Bereich „Automotive“ durch?
Florian: Als Blogger und Fotograf habe ich eine andere Ausrichtung und konkurriere daher nicht mit den ganz Großen und ihren aufwendigen Hochglanzproduktionen. Mein Vorteil ist, dass ich zusätzlich zur reinen Fotografie auch Reichweite anbieten kann. Als Digital Native weiß ich, was in sozialen Netzwerken läuft. Es war aber eine Geduldsprobe – irgendwann kamen dann die lukrativeren Jobs.
Einen Fotografen aus Leidenschaft erkennen die Leute.
Andreas: Auch ich habe mich durchgebissen – indem ich das tat, was ich am besten kann, was ich liebe. Einen Fotografen aus Leidenschaft erkennen die Leute. Ein bisschen Glück gehört auch dazu. Ich sehe mich auch eher als Fotograf denn als Autofotograf. Ich liebe zum Beispiel auch die Natur. Es gilt, Schönheit zu erkennen und festzuhalten.
Kommen die Hersteller mit Anfragen auf euch zu?
Andreas: Seit ich Autos fotografiere, hatte ich nie Schwierigkeiten, Auftraggeber zu finden. Ein Problem ist allerdings, dass schnell ein Exklusiv-Anspruch entstehen kann – für einen freien Fotografen ist das auf Dauer ein Nachteil. Man sollte daher vielseitig bleiben und möglichst viele verschiedene Auftraggeber haben.
Bild: Florian Roser
Florian: Bei mir ist das sehr unterschiedlich und da ist noch viel Luft nach oben. Oft finde ich mich auf offiziellen Fahrveranstaltungen wieder, da bleibt wenig Zeit. Am liebsten ist es mir, ein Auto für einige Tage zu leihen, um mein eigenes Ding zu machen. Wenn ich konkrete Ideen habe, gehe ich auch aktiv auf die Hersteller zu. Ich habe natürlich auch ein paar Träume, gerade auf italienische Supersportwagen à la Ferrari und Lamborghini hätte ich unglaubliche Lust.
Mit welcher Ausrüstung fotografiert beziehungsweise filmt ihr?
Andreas: Meine Ausrüstung beinhaltet die CANON EOS 1DX, höher auflösende Modelle wie die CANON EOS 5D Mark III sowie eine Panasonic GH4 für die Profidrohne. Auf hoher See verwende ich auch eine GoPro und andere Spielzeuge. Ein Foto muss „nur“ gut sein – egal, womit es aufgenommen wurde.
Florian: Zu meinem Standard-Equipment zählt ebenfalls die Canon EOS 5D Mark III – damit geht fast alles. Je nach Situation verwende ich auch ein 50mm- oder neulich sogar ein 135mm-Objektiv von Canon, wenn Zoom notwendig ist. Je nach Licht sind Pol-, ND- oder Grauverlaufsfilter hilfreich. Generell ist mein Credo aber eher „Quick & Dirty“. Wenn möglich schieße ich aus der Hand.
Vincent: Ich filme ebenfalls größtenteils einfach aus der Hand. Momentan arbeite ich hauptsächlich mit einer Sony Alpha 7s Mark II. Für Time Lapses und Fotos im Allgemeinen benutze ich wie die beiden Kollegen auch eine Canon 5D Mark III.
Bild: Vincent Urban
Wenig bearbeitet und natürlich oder stark bearbeitet mit „Wow“-Effekt. Auf welcher Seite seht ihr euch?
Vincent: Meine Herangehensweise ist wohl etwas unorthodoxer. Ich will das Auto nicht nur als Protagonisten, sondern vor allem als Perspektive erzählen. Deswegen filme ich in erster Linie mit der Handkamera, denn genau so einen wackligen Blick auf die vorbeiziehenden Landschaften hat man, wenn man auf einem Road Trip ist. Es geht darum, das Auto zu spüren und die Orte, Menschen und Kulturen auf der Reise zu zeigen.
Das Auto muss im Alltag auf der Straße wirken.
Florian: Ganz klar und natürlich. Das entspricht meinem Geschmack und vor allem – der Realität. Das Auto muss im Alltag auf der Straße wirken. Ein perfekt animiertes Foto bringt nichts, wenn der Wagen live nur halb so sportlich aussieht. Ich habe auch einfach keinen Spaß daran, stundenlang in der Postproduktion zu sitzen. Mein Fokus liegt daher auf live geschossenen, qualitativ hochwertigen und im Look besonderen Fotos.
Andreas: Es braucht keinen Photoshop, es erweitert die Kreativität jedoch enorm. Ein Bild sollte aber immer glaubhaft bleiben. Ich nehme jede technische Neuigkeit als Bereicherung wahr, liebe es, damit zu spielen und zu experimentieren.
Bild: Andreas Lindlahr
Welche Tipps habt ihr für angehende Autofotografen?
Florian: Einfach ausprobieren. Meine ersten Car Shots sind heute absolut peinlich! Aber irgendwie muss man reinkommen. Man sollte nur am Anfang keine zu großen Erwartungen haben, weder an sich selbst noch an potenzielle „Kunden“. Jeder fängt klein an und muss sich beweisen.
Vincent: Denkt bei Filmen vor allem daran, was ihr erzählen wollt, und nicht nur daran, wie es aussieht.
Autofotografie ist für mich ein Mix aus Emotion und Technik.
Andreas: Autofotografie ist für mich ein Mix aus Emotion und Technik. Die Kunst ist, das Gesehene – mit technischem Know-how im Hinterkopf – in ein Ergebnis zu verwandeln, das den Betrachter einen Moment lang ablenkt und einen kleinen Funken im Kopf auslöst.
Bild: Vincent Urban
Da Vincent Filmer ist und kein Fotograf im eigentlichen Sinne, zeigen wir hier zum besseren Eindruck einen seiner Filme:
The Next Chapter. from Mercedes-Benz on Vimeo.
// Über den Autor
Holger Schubart ist Creative Director Motion Design und leitet die Bewegtbild-Abteilung von OSK. Der Experte für Filmkonzeption und -produktion sowie Regie und Postproduktion hat ein gutes Auge für das perfekte Bild und weiß, wie Motive in Szene gesetzt werden.