Während ich in gewohnter Sonntagsmontur auf meinem WG-Sofa sitze und durch die neuesten Instagram-Beiträge scrolle, sehe ich viele Posts von top-gestylten Menschen in ihrer modernen Stadtvilla. Sie zeigen eine Welt, die eine andere zu sein scheint als meine: eine perfekte. In letzter Zeit entwickeln sich die sozialen Netzwerke allerdings in eine andere Richtung. Die Influencer werden authentischer und erscheinen dem User dadurch näher. Wir erklären, wie Unternehmen von dieser Entwicklung in der Zusammenarbeit mit Influencern profitieren können.
Einfluss von Social Media auf Kinder und Jugendliche
Die perfekt inszenierte Welt der Influencer hat unterschiedliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, die gerade dabei sind, ihre eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Verschiedene Studien haben in der Vergangenheit belegt, dass soziale Netzwerke bei starker Nutzung teils negative Auswirkungen auf Heranwachsende haben können. Als Auslöser wird in Fachkreisen oft die inszenierte, perfekte Welt genannt, die von den Nutzern zunehmend als real wahrgenommen wird.
Doch bedeutet das für ein Unternehmen, dass es sich von seinen Influencer-Kooperationen distanzieren muss? Die Antwort lautet: nein. Denn nicht das Netzwerk kann krank machen, sondern die dort inszenierte heile Welt. Natürlich gibt es Ausnahmen und einige Influencer treten durchaus divers auf ihren Kanälen auf, sodass eine Pauschalisierung nicht möglich ist. Allerdings scheint es so, als würden online überwiegend Traumkörper, Luxusgüter und Traum-Urlaubepräsentiert – kurz gesagt eine Welt, in der die eigene Inszenierung im Vordergrund steht. Selbst bei gekennzeichneten Werbeanzeigen steht oftmals nicht das Produkt im Fokus, sondern der Werbetreibende. Doch ist das im Interesse des Unternehmens?
Neuer Trend: Selflove
Einem neuen Trend folgend, rücken Multiplikatoren im Netz ab von Perfektion und Inszenierung. Diese Strategie eignet sich sicherlich nicht für jede Marke. Trotzdem lohnt sich der Blick über den Tellerrand. Denn immer mehr Influencer folgen dem Wunsch nach mehr Authentizität in den sozialen Netzwerken und treten nicht länger nur mit perfekt bearbeiteten Bildern an die Öffentlichkeit. Hashtags wie #Bodypositivity, #Selflove und #Nofilter unterstreichen diese Entwicklung.
Nicht mehr der perfekte Post oder die beste Eigeninszenierung steht im Vordergrund, sondern der Mensch inklusive seiner angeblichen Makel. Statt Perfektion vermitteln einige Influencer nun Selbstliebe und folgen damit einer langjährigen Grundsatzdebatte über die Selbstdarstellung im Netz. Das Auffällige ist, dass nicht nur neu aufkommende, sondern auch bereits bekannte und etablierte Content Creator diese Entwicklung vorantreiben.
Wirkung auf den User
Schaut man sich die bekanntesten Vorreiter dieser Bewegung an, erkennt man schnell, dass sie viele Fans, Unterstützer und vermehrt auch Nachahmer finden. In aktuellen Umfragen und Studien wird die Wirkung der traditionellen Influencer-Relations mit dem neuen Body-Positivity-Trend verglichen. Das Ergebnis zeigt, dass ein Großteil der User eher von authentischen Inhalten angesprochen wird. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Ein Mensch, der ehrlich zu seinen Makeln steht und sich somit öffentlich angreifbar macht, ist dem Nutzer näher.
Zur Veranschaulichung hilft ein simples Beispiel: Wirbt ein Mensch mit unreiner Haut für eine Hautcreme, bemerkt der Nutzer mit der Zeit im besten Fall eine positive Veränderung. Er sieht, dass das Produkt den versprochenen Nutzen bringt und einen Mehrwert für ihn persönlich liefern kann. Dieser Effekt bleibt bei „perfekten“ Influencern meist aus. Die dort beworbene Hautcreme zeigt keine Veränderung, da sich der Werbetreibende hinter Make-up und Filtern versteckt.
Es hilft nichts, kritische Kommentare schnell zu löschen, in der Hoffnung, dass niemand sie sieht. Damit verärgert man die Nutzer nur. Unternehmen sollten stattdessen Verständnis für die Ansichten ihrer Kunden zeigen und die eigenen Motive transparent kommunizieren. Vorab festgelegte Richtlinien mit Infos zu häufig gestellten Fragen sowie Ansprechpartnern im Unternehmen helfen, auf Kritik schnell und sicher zu reagieren.
In einer Kooperation mit dem PRSH. e.V veröffentlichen Studenten des Fachs “Public Relations” an der Hochschule Hannover regelmäßig Artikel auf dem OSK Blog. Der Nachwuchs bildet die Kommunikationsprofis von Morgen, weswegen wir uns schon heute ihre Meinung zu Branchenentwicklungen, der Ausbildung und Kommunikations-Trends anhören.
Influencer, die zu ihren Makeln stehen, wirken auf den Nutzer authentischer und vertrauter. Das ist ein Erfolg, der sich auch auf das beworbene Produkt übertragen kann. Die neu gewonnene Glaubwürdigkeit bringt den Werbetreibenden und den Nutzer näher zusammen, wodurch sich auch Unternehmen und Kunde annähern.
Das grundlegende Ziel der Influencer-Relations wird somit unterstützt: Glaubhafte Menschen treten für ein glaubhaftes Produkt ein. Durch das Vertrauen in den Influencer und das Unternehmen können in Folge nachhaltige Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen entstehen.
Warum brauchen wir Authentizität?
Die Welt ist in den sozialen Netzwerken miteinander vernetzt, jeder kann sich mit anderen vergleichen. Dadurch entsteht bei vielen Multiplikatoren das Gefühl, sie müssten sich wegen des Konkurrenzdrucks besonders in Szene setzen, sich und ihr Leben perfektionieren, um sich von der Masse abzuheben.
Die aktuelle Entwicklung wirkt dem entgegen. Denn Authentizität ist in der jetzigen Zeit scheinbar wichtiger denn je. Auch die Corona-Krise hat einen Einfluss auf diese Entwicklung. Durch Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln wird das Netz zu einem wichtigen Kanal, um mit anderen in Kontakt zu bleiben. Da die Nähe der eigenen Freunde fehlt, wenden sich Nutzer auch an Influencer, um diese Lücke zu schließen.
Aber nicht nur Corona hat diesen Trend vorangetrieben. Zur DNA von Plattformen wie Snapchat und TikTok gehört es, dass der Content roher und unbearbeiteter wirkt.
Was bedeutet das für ein Unternehmen?
Einige Unternehmen haben erste Kooperationen mit „unperfekten“ Influencern gestartet. Dr. Oetker zum Beispiel ließ seine Produkte von der Bloggerin Victoria Niamh Spence bewerben. Dafür zeigt sie sich beim Backen mit Oetker-Produkten und beim Kuchenessen mit Freunden. Die Kooperation mit Spence ist besonders, da sie bekannt wurde, nachdem sie ihre Essstörung öffentlich machte und ihren Weg zurück ins Leben dokumentierte. Heute steht sie zu ihrer Geschichte und zu ihrem Körper.
Auf den ersten Blick scheinen Kooperationen dieser Art mitunter riskant zu sein. Denn wer will schon, dass seine Marke mit jemandem in Verbindung gebracht wird, der mit unreiner Haut oder gar einer Krankheit kämpft? Auf der anderen Seite stellt sich jedoch die Frage: Spiegeln diese „ganz normalen“ Personen nicht die tatsächliche Zielgruppe wider? Sind das nicht die Menschen, die das Unternehmen mit seinem Produkt ansprechen möchte?
Zugegeben, die ohnehin schwierige Auswahl für eine Kooperation im Dschungel der Content Creator wird durch den Trend nach Authentizität in den sozialen Netzwerken nicht einfacher. Denn die Entwicklung zwingt zum Umdenken, ja macht eine Grundsatzentscheidung nötig, doch sie kann sich lohnen. Der Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist stets der Nutzer. Daher sollten sich Influencer und Unternehmen auf ihn einstellen und seine Bedürfnisse und Wünsche berücksichtigen. Schließlich soll der Follower von heute der Kunde von morgen sein.
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// Über die Autorin
Sabrina Glitz ist 20 Jahre alt und studiert im dritten Semester Public Relations an der Hochschule Hannover. Dort engagiert sie sich im PRSH e.V. in den Bereichen Ehrenamt und Kommunikation.