Liebe Leserinnen, liebe Leser,

ehemals als kleines Musikfestival gestartet, hat sich die „South by Southwest“ (SXSW) längst als eine der weltweit wichtigsten Digitalkonferenzen etabliert. Dass sie ausgerechnet in Austin, Texas, stattfindet und nicht im Silicon Valley, ist nur auf den ersten Blick eine Überraschung. Denn für viele Branchenkenner ist die Stadt bereits der nächste Star am Tech-Himmel. Austin prosperiert, die Einwohnerzahl wächst. Steuerliche Anreize locken Unternehmen an, auch das Schaffen neuer Jobs wird prämiert. Die Technologiebranche ist einer der größten Wachstumstreiber. Vom Aufstieg Austins profitiert mittlerweile ganz Texas. Nur einer von vielen Gründen, im aktuellen Weekly einen genaueren Blick auf die Themen der diesjährigen SXSW zu werfen.

Viel Spaß beim Lesen!

GAFA: Wann ist groß zu groß?

Immer wieder äußern Politiker, Verbraucherschützer und Regulierer ihren Unmut über die GAFA – Google, Apple, Facebook und Amazon. Deren schiere Größe und die damit verbundene Macht ernten insbesondere in Europa zunehmend Kritik – bis hin zu Forderungen, die Konzerne zu zerschlagen. Auch auf der SXSW gab es Gegenwind für GAFA: Die US-Senatorin Elizabeth Warren will deren Dominanz brechen und den „unglaublich großen Wettbewerbsvorteil“ beenden. Sie will lieber jungen Gründern helfen. Warren, die sich anschickt, als Kandidatin der Demokraten für die Präsidentschaftswahl 2020 ins Rennen um das Weiße Haus zu gehen, hat auch schon konkrete Pläne: Werde sie gewählt, wolle sie Gesetze einführen, die die „Big Four“ vor allem davon abhalten, ihre Produkte auf ihren eigenen Plattformen zu verkaufen. Heißt zum Beispiel: Amazon dürfte in seinem Angebot keine Eigenmarken mehr anbieten.

„Groß zu sein ist kein Verbrechen“, kontern dagegen Kevin Systrom und Mike Krieger die ständigen Vorwürfe. Die Gründer von Instagram verkauften 2012 ihr Netzwerk an Facebook, zogen sich aber erst im September 2018 komplett aus dem Zuckerberg-Universum zurück. Die Politik habe Möglichkeiten, Unternehmen zu regulieren, so die beiden Gründer in Austin. Welche das sind, verrieten sie allerdings nicht. Nur so viel: „Zerschlagung ist nicht die Antwort auf alles“, sagt Kevin Systrom.

Wenn KI, Big Data und Gentechnik sich auf der SXSW vereinen …

Das Wort an sich klingt harmlos, fast wie eine Süßigkeit: Crispr. Doch es schürt Hoffnung ebenso wie Furcht. Denn bei Crispr handelt es sich um eine Gen-Schere, mit der „Fehler im DNA-Code im Prinzip so einfach korrigiert werden wie der Tippfehler in einem Textdokument“, schreibt das Handelsblatt. Damit können genetisch bedingte Krankheiten behandelt werden. Einerseits. Andererseits: Soll der Mensch in die Evolution eingreifen? Wer bestimmt, was im genetischen Code verändert werden darf? Und was passiert, wenn die ganze Entwicklung mithilfe von künstlicher Intelligenz noch einmal beschleunigt wird?

Expertinnen und Experten debattierten in Austin, wie eng Medizin, Gentechnik und künstliche Intelligenz schon zusammengewachsen sind. Selbst Wissenschaftler sind von der rasenden Geschwindigkeit der Entwicklung überrascht. Grund dafür ist auch die schnelle Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Selbstlernende Algorithmen helfen Forschern, die komplexen genetischen Daten viel schneller, preiswerter und präziser auszuwerten. Allianzen von Digital- und Pharmafirmen dürften daher nicht mehr lange auf sich warten lassen. Microsoft und Google stehen schon in den Startlöchern.

Foursquare – der Daten-Gegenentwurf zu Facebook

Foursquare? Sie erinnern sich? Das war diese App, die einem auch jede Menge Daten entlockte – vorzugsweise den Standort. Man konnte an einem Ort einchecken und wurde, wenn man besonders häufig dort war, irgendwann „Bürgermeister“. Vor rund zehn Jahren hatte Gründer Dennis Crowley sein Unternehmen ebenfalls bei der SXSW vorgestellt. Richtig gezündet hat die App nie. Deswegen musste Foursquare sein Geschäftsmodell ändern. Und deswegen gilt Crowley heute als der bessere Mark Zuckerberg.

Foursquare sammelt zwar immer noch Daten und stellt sie anderen Unternehmen zur Verfügung – aber nur anonymisiert und auch nicht jedem alles. Außerdem verfügt das Unternehmen über ein Ethik-Komitee. Und rund 20 Prozent der anfallenden Standortdaten gebe Foursquare gar nicht heraus – aus Sorge, dass dadurch Schaden bei Nutzern entstehen könnte. Wer wann zu einer Chemotherapie geht oder zum Scheidungsanwalt, hält Foursquare beispielsweise zurück. Crowley will das mühsam aufgebaute Vertrauen auch nicht für etwas mehr Profit opfern.

„Wir sehen doch die Fehltritte von Facebook – und all den Schlamassel, mit dem die sich dort rumschlagen müssen“, so Crowley. Menschen fragten sich immer öfter, ob sie einem Tech-Konzern wirklich alle ihre Daten überlassen sollten, nur um dessen Dienst kostenlos nutzen zu können. Und man darf davon ausgehen, dass die Antwort immer häufiger „nein“ lautet.

Wohltaten mit Facebook-Milliarden – aber irgendwie auch nicht

Und noch einmal eine andere Perspektive auf Facebook: Die Milliarden, die das Unternehmen verdient, fließen auch in die „Chan Zuckerberg Initiative“ (CZI), die ähnlich einer deutschen GmbH konstruiert ist. Diese Organisationsform macht es in den USA einfacher, politische Lobbyarbeit zu betreiben und in gewinnorientierte Unternehmen zu investieren.

An der Spitze steht Priscilla Chan, Ehefrau von Mark Zuckerberg. In Austin präsentierte Chan die durchaus ehrgeizigen Ziele: Das Ehepaar habe sich zum Beispiel vorgenommen, bis zum Ende des Jahrhunderts alle Krankheiten zu besiegen, und gebe Geld für entsprechende Forschungsprojekte aus. Es setze sich auch für eine Reform der Einwanderungspolitik und des Gefängniswesens ein und unterstütze Initiativen, die Menschen erschwinglichen Wohnraum verschaffen.

Über Facebook spricht Priscilla Chan dagegen nicht so gern: „Wir sind nicht die Facebook-Stiftung“, beschied sie. Und auch politisch hält sie sich lieber bedeckt: „Für Menschen, die sich das leisten können, ist es keine schlechte Sache, höhere Steuern zu bezahlen“, sagte Chan etwa. Aber auch dieses Thema will sie bei ihrem Auftritt offenbar lieber schnell abhaken. „Ich bin wirklich keine Politikerin.”

R.I.P Privatsphäre

Für Oliver Nermerich, Head of Digital Media bei OSK und ebenfalls vor Ort in Austin, war ein Highlight der Vortrag von Amy Webb, Professorin an der Universität New York und Gründerin des „Future Today Institutes“. Webb stellte die zwölfte Ausgabe ihres alljährlichen Tech Trends Reports vor, der mit insgesamt 315 Tech- und Wissenschaftstrends und 48 Szenarien so umfangreich und beängstigend wie nie zuvor ist.

Die zentrale Prognose: Deine Privatsphäre ist tot. Wer denkt, er sei noch unbeobachtet, irrt sich. Ob Face Tracking, eigene Smartphone-Aktivitäten, Pulsmessungen durch Wearables oder Mitschnitte durch Sprachassistenten im eigenen Heim – alles wird gespeichert und landet auf den Servern der Tech-Konzerne. Neu dabei sind sogenannte Biodaten, das heißt Daten über die körperliche Gesundheit. Amazon gilt hier als Vorreiter. Der Tech-Riese hat ein Patent für eine AI-basierte Technologie eingereicht, die es Alexa ermöglicht, die körperliche und emotionale Verfassung von Menschen anhand ihrer Stimmlagen zu erkennen und dem Patienten schnell die richtige Medizin zur Verfügung zu stellen.

Spätestens Ende 2020, so prognostiziert die Forscherin, werde die Hälfte aller Interaktionen zwischen Nutzer und Computer über Sprache ablaufen. Sprechen ersetze das Tippen. Ob Publisher, Marketingverantwortliche oder der Handel – sie alle müssen sich künftig mit VSO (Voice Search Optimization) auseinandersetzen.

Nur gemeinsam stark: Medien und technische Plattformen

„The media is in crisis“ – doch bei dieser Feststellung allein beließ es Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti nicht. Er hat zwar einen Schuldigen für die Krise ausgemacht – die technischen Plattformen, allen voran Facebook. Allerdings zeigte er in Austin auch einen Lösungsweg auf: Digitale Medien und technische Plattformen müssten zusammenarbeiten.

Digitale Medien hätten großartigen Content, aber unzureichende Werbeeinnahmen, die Plattformen hingegen verfügten über hervorragende Werbeeinnahmen, allerdings über schlechten Content, weil sie ihn nicht mehr kontrollieren könnten. Peretti ging sogar noch einen Schritt weiter und sagte, dass die Plattformen selbst gerade in der Krise steckten. Selbst Algorithmus-Änderungen, künstliche Intelligenz und Tausende von menschlichen Moderatoren, sogenannte Cleaner, könnten die Verbreitung von Falschinformationen oder sittenwidrigen Inhalten nicht verhindern.

Die Plattformen bräuchten vielmehr ein gesundes Ökosystem, in dem die Erstellung von gutem Content gefördert werde. Ob sich die Netzwerke auf engere Kooperationen mit den digitalen Medienhäusern einlassen, bleibt noch abzuwarten.

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Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.