Spiegel Online war nicht nur das erste Nachrichtenmagazin, das sich 1994 ins Netz wagte, die Seite zählt heute auch zu den reichweitenstärksten Portalen in Deutschland. Glaubt man Raphael Raue, ist es vor allem die journalistische Qualität, die die Seite so erfolgreich macht. Ganz unbeteiligt ist Raue jedoch auch nicht an den hohen Besucherzahlen: Er ist seit 2015 Head of SEO von Spiegel Online, hat der Seite eine neue mobile Struktur verpasst und den Launch von Bento begleitet, dem Jugendportal des Nachrichtenmagazins. „Wir wachsen, also muss einiges gut laufen“, beschreibt Raue die Arbeit seines Teams. Das ist, gelinde gesagt, leicht untertrieben. Nach Raues eigenen Angaben sind seit seinem Start bei Spiegel Online die Suchmaschinenzugriffe im ersten Jahr um 20 Prozent, im zweiten Jahr sogar um 25 Prozent gewachsen.

Bevor er zu Spiegel Online ging, hat der SEO-Experte bei der Rheinischen Post in Düsseldorf gearbeitet und der Seite ein rasantes Wachstum auf Google News verschafft. Zuvor baute er Websites, um sich das Philosophiestudium in Marburg zu finanzieren. Wenn er nicht über Code-Schnipseln brütet, dokumentiert Raue seine Umgebung mit der Kamera. Die Ergebnisse teilt er auf Instagram und auf seiner Website.

Im Interview mit OSK spricht Raphael Raue darüber, worin sich technisches und redaktionelles SEO unterscheiden, warum Journalisten wissen sollten, wie die Google-Suche funktioniert, und warum es sich nicht lohnt, bei jeder Gelegenheit „Eilmeldung!“ zu schreien.

Journalismus und Suchmaschinenoptimierung – wie hängen die beiden Bereiche zusammen?

Menschen nutzen Suchmaschinen, um eine bestimmte Information zu finden. Schafft der Journalismus es, diese Information zu liefern, kann er seine gesellschaftliche Rolle festigen: Er liefert Antworten. Außerdem kann Journalismus durch Suchmaschinenoptimierung neue Nutzer gewinnen und sich so finanzieren.

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Suchmaschinenoptimierung im Journalismus vereint klassisches SEO und redaktionelle Arbeit. SEO ist ein Marketinginstrument, mit dem die Sichtbarkeit bestimmter Produkte erhöht werden soll. Redaktionelles SEO leistet mehr. Es muss das Informationsinteresse der Suchenden befriedigen und die redaktionelle Verantwortung mittragen. Wir müssen beispielsweise verdeutlichen, wenn wir noch nicht viel über ein Thema wissen, auch wenn es gerade oft gesucht wird.

Es ist für die Suchmaschine beinahe unmöglich, bei mehreren Millionen indizierten Dokumenten immer das richtige auszuwählen.

Diese Aufgabe hört sich trivialer an, als sie ist, denn die Suchmaschine spuckt auch mal alte Texte aus, Übersichtsseiten, die gerade niemand auf dem Schirm hat, oder längst abgeschaltet geglaubte Bereiche. Es ist für die Suchmaschine beinahe unmöglich, bei mehreren Millionen indizierten Dokumenten immer das richtige auszuwählen. Aber im redaktionellen Umfeld fällt diese Aufgabe stärker ins Gewicht, da jedes einzelne Ergebnis immer auch Teil der Glaubwürdigkeit des gesamten journalistischen Produkts ist.

Inwiefern müssen sich Redakteure ebenfalls mit SEO beschäftigen? Sollten ihre Texte von Beginn an darauf ausgerichtet sein?

Das kommt auf die Größe und Struktur der Redaktion an. In einem kleinen Team, wo alle alles machen, ist es sicher wichtig, dass sich jeder mit SEO befasst. In einem großen Team, in dem mehr Spezialisten arbeiten, nicht unbedingt.

Ein gewisses Grundverständnis ist aber hilfreich. Suchmaschinen sind Mittler, sie sind die Brücken, über die Nutzer einen ersten Kontakt mit journalistischen Inhalten aufnehmen. Journalisten sollten wissen, wie Facebook seinen Newsfeed ausliefert – aber eben auch, welche Faktoren einen Einfluss auf das Ranking bei Google haben können. Alle drei Kanäle, Google, Facebook und die Startseite, erfordern verschiedene Formate und Erzählweisen. Nutzer, die eine Suchmaschine verwenden, haben andere Interessen als Nutzer, die gerade ein Facebookposting angeklickt haben. Diese Interessen sollten Redaktionen ernst nehmen.

Kein Journalist muss seine Artikel mehr mit Keywords spicken.

Das bedeutet aber nicht, dass Redakteure ihre Texte ausschließlich auf SEO trimmen sollten. Zumindest nicht, indem sie bestimmte Keywords ständig wiederholen oder über ein Thema schreiben, weil es häufig gesucht wird. Die Zeiten von Keyworddichte und Synonymrankings sind zum Glück vorbei. Google verbessert sich kontinuierlich. Das wichtigste Keyword eines Texts findet der Crawler zwar immer noch nicht von allein, aber kein Journalist muss seine Artikel mehr mit Keywords spicken. Generell gilt: Wer nichts zu einem Thema zu sagen hat, muss keinen Text dazu schreiben – fehlende inhaltliche Tiefe enttäuscht die Leser und sie verlassen die Website. So entsteht ein langfristiger Schaden.

In welche Richtung verändert sich Google und wie muss sich die technische Struktur beziehungsweise die Inhaltserstellung ändern, damit wichtiger Content Leser erreicht?

Google ändert sich ständig, und zwar rasant. Früher gab es vereinzelte, groß angekündigte Updates, mittlerweile testet und verbessert Google seine Suchmaschine am laufenden Band. Die eine Google-Suche gibt es aber gar nicht mehr: Seit dem vergangenen Jahr unterscheidet sich die mobile Suche von der auf dem Desktop. Und selbst für die Desktopsuche gilt: Verschiedene Bereiche sind unterschiedlich aufgebaut: Was sich in der Finanznische bewährt hat, funktioniert bei Reisesuchen noch lange nicht. Außerdem unterscheidet sich Google News grundlegend von den normalen Algorithmen.

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Grundsätzlich gilt aber: Eine Website muss sowohl für den Leser als auch für den Crawler verständlich sein. Sie muss schnell aufrufbar sein, sich aber auch leicht durchsuchen und vom Crawler indizieren lassen. Das ist nicht immer leicht: Der Crawler ist kein Mensch und versteht viele Dinge anders als wir. Das wird sich vermutlich auch erst mal nicht ändern.

 

Wie verändern sich die technischen Plattformen, die den Content-Strom und Traffic leiten? Inwiefern müssen sich Publisher-Seiten daran anpassen?

Da wir in einer unheimlich spannenden und bewegten Zeit leben, muss sich der Journalismus zwar nicht in seinen Grundfesten ändern, wohl aber in seiner Form. Das betrifft technische und kulturelle Aspekte: Twitter ist nicht gleich Facebook, Google nicht die eigene Website. Blendle ist nicht der Newsstand, auch wenn beide Bezahlinhalte anbieten. Journalisten müssen die Kultur der Plattformen verstehen, um Nutzer zu erreichen – und zwar in der Situation, in der sie sich gerade befinden. Die Tür aufzureißen, „Eilmeldung!“ zu brüllen und sie dann wieder zuzuschmeißen, ist sicher nie ein probates Mittel.

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Journalisten müssen die Kultur der Plattformen verstehen, um Nutzer zu erreichen.

Sie sind Head of SEO bei Spiegel Online. Gehen Sie also über alle Texte drüber und optimieren Sie sie für Google oder wie dürfen wir uns Ihre Aufgaben vorstellen?

Es gibt vier Aufgaben: technisches SEO, redaktionelles SEO, Schulungen durchführen und Redaktionen vernetzen. Ich bin für alles verantwortlich, den redaktionellen Teil betreut mein Team aber eigenständig. Das beinhaltet die Headlineoptimierung, Google News, den redaktionellen Kalender, Keywordrecherchen und Absprachen mit den Redakteuren. Ich helfe, wenn Technik und redaktionelles SEO ineinandergreifen.

SEO ist noch relativ neu bei Spiegel Online, daher wachsen wir noch. Ich übernehme den strategischen und technischen Teil und tausche mich regelmäßig mit Maximilian Rau aus, der den redaktionellen Teil koordiniert. So kann ich mich in die Probleme rund um Indexierung, Canonicals, Accelerated Mobile Pages und Webseitenarchitektur eingraben und dennoch sicher sein, dass wir aktuelle Themen besetzen und dort auch ranken.

Spiegel Online ist gewissermaßen eine SEO-Macht. Was machen Sie besser als andere?

Wir sind eines der führenden Onlineportale in Deutschland und auf allen Kanälen schon wegen unserer Inhalte gut aufgestellt. Da macht auch Google keine Ausnahme. Die Seite war schon vor dem Start des SEO-Teams stark. Sebastian Cario hat als externer Berater darauf geachtet, dass die Website die wichtigsten SEO-Grundlagen erfüllt. Zudem sind Links und Domain Trust, also die Vertrauenswürdigkeit einer Site, immer noch wahnsinnig wichtig – und die sammelt man eben mit herausragenden Inhalten.

SEO ist heute viel mehr, als Links zu sammeln.

Welche Rolle spielt der große Name „Spiegel Online“ bei der Auffindbarkeit der Inhalte?

Man müsste verdammt viel falsch machen, um die Sichtbarkeit von Spiegel Online auch nur um ein Viertel zu reduzieren. Aber optimale Auffindbarkeit ist nicht alles: Wir wollen die reine Sichtbarkeit in zufriedene und wiederkehrende Nutzer umwandeln.

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SEO ist heute viel mehr, als Links zu sammeln und den richtigen Title zu setzen. Nur Marken finden den Weg aus der Nische. Daher spielt der Name „Spiegel Online“ natürlich eine wichtige Rolle. Das Social-Media-Team hilft uns enorm, weil es unsere Marke noch bekannter macht. SEO ist eines von vielen digitalen Instrumenten. Erst wenn die einzelnen Instrumente zusammenarbeiten, können sie ihr volles Potenzial ausschöpfen.

Was sind die großen Trends in der Suchmaschinenoptimierung, vor allem für Medienpublisher?

Ich hatte Anfang des Jahres auf t3n orakelt, dass AMP und Mobile die wichtigsten SEO-Themen in diesem Jahr werden würden. Jetzt hat Google angekündigt, AMP nicht nur im News-Karussell, sondern auch in den normalen mobilen Suchergebnissen zum Einsatz kommen zu lassen. Das ist eine enorme SEO-Herausforderung. Auf einer mobilen Seite lässt sich schwieriger zeigen, wofür die Marke steht und was man noch zu bieten hat.

Roboter können dem Journalismus helfen.

Als Nächstes werden Automation, Artificial Intelligence und Machine Learning auf uns zukommen. Websites und die Kanäle, auf denen Inhalte stattfinden, werden immer komplexer. Wir brauchen also größere Teams in allen Bereichen. Und hier kommen die drei genannten Trends ins Spiel. Ich kann nicht mehr jeden Link händisch setzen, in jedem Bereich den nächsten interessanten Artikel auswählen, drei Homepages und unzählige Ressort- und Spezialseiten bestücken, die mobile Seite anders ausspielen als die App oder darauf achten, dass AMP genauso gut aussieht wie Instant Articles. Wir brauchen clevere Automation, um weiterhin überall dort zu sein, wo unsere Nutzer sind, und müssen anfangen, Aufgaben abzugeben. Roboter können dem Journalismus helfen, diese Aufgaben zu meistern. Wir müssen noch herausfinden, wo Roboter sich am besten einsetzen lassen. Das wird sicher nicht ganz einfach, aber ich denke, dass es sich lohnt. Der Einsatz von Robotern wird meines Erachtens auch dazu führen, dass wir mehr und bessere Ergebnisse liefern und so die Bounceraten schrumpfen lassen.

Bei dem jungen SPON-Ableger Bento spielen Social Media eine große Rolle. Wird Social irgendwann wichtiger als SEO?

Da bin ich natürlich etwas voreingenommen, aber ich denke nicht, dass Social wichtiger für Nachrichtenseiten wird als SEO. Auf Google suchen Menschen nach Informationen. Die finden sie auf Nachrichtenseiten. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Menschen irgendwann aufhören zu suchen. Vielleicht suchen sie nicht mehr in klassischen Suchmaschinen, sondern auf Facebook, dann machen wir eben SEO auf Facebook. Wenn die irgendwann eine richtige Suche einführen, die Menschen auch benutzen, wird genau das passieren. Dann machen wir SEO auf Social.

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Bento ist nicht ganz so nachrichtlich ausgerichtet wie Spiegel Online. Deshalb ist Social dort wichtiger. Nicht weil die nur Quatsch machen, im Gegenteil, die großen Medienmarken haben auch auf Facebook viele Fans. Aber das Grundbedürfnis dort ist es nicht, Informationen zu finden, sondern sich eben mehr oder weniger sinnvoll die Zeit zu vertreiben, Spaß zu haben und sich mit anderen zu vernetzen. Aber auch bei Google kann man Spaß haben und auf Facebook findet man Informationen. Im Endeffekt muss man erkennen, wo Inhalte am besten funktionieren. Und wenn ich in der Breite der Gesellschaft relevant sein möchte, dann muss ich auf meiner Website, in Google und auf Facebook funktionieren. Richte ich mich an eine spezielle Zielgruppe, muss ich eben Marktforschung betreiben, um herauszufinden, welche Kanäle relevant sind.

Wir drehen uns häufig zu sehr um uns selbst.

Die Frage, ob SEO oder Social wichtiger ist, interessiert doch im Endeffekt nur Medienmenschen selbst, aber nicht den Nutzer. Der nutzt eben, was ihm gerade im Moment sinnvoll, verfügbar, bequem oder interessant erscheint. Wir drehen uns häufig auch ein bisschen zu sehr um uns selbst und da erscheint Social eben immer wichtiger. Die Wahrheit ist aber doch, dass es schon sehr lange sehr wichtig war, Medienmenschen es aber jetzt erst für sich entdeckt haben. Google ist schon länger unser digitaler Begleiter, wir haben uns eben schon an ihn gewöhnt.

Wie sehen die News der Zukunft aus – vom Inhalt bis zum technischen Aspekt?

Das unheimlich Spannende an unserer Zeit ist doch, dass dies niemand wirklich sagen kann.

 

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

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