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Liebe Leserinnen, liebe Leser,
„Online wird immer wichtiger“, heißt es in den meisten deutschen Parteizentralen, wenn es um die Kommunikation mit den Wählern geht. Das gilt erst recht in Zeiten wie diesen, in denen das sonstige öffentliche Leben stark eingeschränkt ist. In welchem Maß die einzelnen Parteien und ihre Vertreter*innen sich schlussendlich an diesen Spruch halten und danach handeln, ist allerdings sehr unterschiedlich. Im OSK Polit Special betrachten wir daher vor dem Hintergrund der kürzlich stattgefundenen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, wie die Spitzenkandidat*innen der größten Parteien in dieser Beziehung abschnitten.
Viel Spaß beim Lesen!
Dreyer spricht via Social Media breites Publikum an
In Rheinland-Pfalz waren die Chancen aufgrund der Corona-Krise ungleich verteilt. Die seit 2013 amtierende Ministerpräsidentin Malu Dreyer war durch die medienwirksamen Runden der Ministerpräsident*innen mit der Bundeskanzlerin omnipräsent und konnte dies und ihr Regierungsamt für ihre Wiederwahl nutzen. Der Plan von Herausforderer Christian Baldauf, sie zu beerben und der erste CDU-Ministerpräsident nach 30 Jahren SPD-geführter Regierungen im Land zu werden, litt von Beginn an unter einem Wahrnehmungsdefizit, das auch online zu keiner Zeit behoben werden konnte. Trotzdem lagen SPD und CDU, dem Bundestrend folgend, rund sechs Wochen vor der Wahl ungefähr gleichauf, ein Wechsel schien, je nach Abschneiden möglicher Koalitionspartner, lange Zeit nicht ausgeschlossen.
Die im Land beliebte Amtsinhaberin trat mit einer exklusiv auf sie zugeschnittenen Kampagne unter der Überschrift „Wir mit ihr“ an. In den sozialen Medien beschränkte sie sich – von Parteikanälen abgesehen – auf Facebook und Instagram, wo sie mit über 70.000 beziehungsweise knapp 13.000 Followern eine im Vergleich mit den anderen Kandidat*innen hohe Reichweite hat. Ins Auge fallen bei Dreyer vor allem die Wohnzimmeratmosphäre, die sie mit einer entsprechenden Studio-Einrichtung für Bilder und Videos erzeugte, und die gezielten Versuche, Inhalte für ein Publikum jenseits der langjährigen SPD-Stammwählerschaft anzubieten: Ob Kochsendung zum Tag der gesunden Ernährung, ob Interview mit türkischer Synchronisation mit dem YouTuber Oktan Erdikmen, der das Video ebenfalls verbreitete, oder auch eine Online-Wahlbroschüre im Stil einer Publikumszeitschrift – an Ideen mangelte es nicht.
Baldauf ohne digitale Impulse
Ihrem Herausforderer Christian Baldauf gelang es kaum, sich bemerkbar zu machen, geschweige denn, sich zu profilieren – nicht nur Dreyer gegenüber. Bei gemeinsamen Auftritten mit der CDU-Landesvorsitzenden und Bundesministerin Julia Klöckner fiel es ihm schwer, aus ihrem Schatten zu treten. Da Baldauf als Oppositionsführer nicht Teil der Exekutive war, stand er vor der Herausforderung, sich in Zeiten der Corona-Krise Gehör zu verschaffen.
Bei dieser Ausgangslage hätte man erwarten können, dass er im Online-Wahlkampf alle Register ziehen würde. Tatsächlich war Baldauf auf den meisten relevanten Kanälen vertreten. Aktiv eingesetzt hat er sie jedoch nicht konsequent. Sein vielsagenderweise noch nicht mal verifiziertes Twitter-Profil zum Beispiel wurde im Wahlkampf überhaupt nicht genutzt.
Auf seinem YouTube-Kanal dagegen finden sich 43 Videos, die in den Monaten vor der Wahl hochgeladen wurden. Nur der erste Spot erzielte mit rund 25.000 Aufrufen eine gewisse Reichweite. Die weiteren 42 Videos zeigen Einblicke in den Wahlkampf, wie Besuche bei Feuerwehren, Wirtschaftsbetrieben oder auch Bauernhöfen. Trotz relativ professioneller Produktion mit Intro, Outro und Untertiteln fanden diese Beiträge praktisch kein Publikum: Die Aufrufzahlen sind maximal dreistellig, die meisten deutlich darunter. Es scheint so, als hätte das Team hinter dem Kanal keine stringente Strategie verfolgt. Über Zielgruppe und Distribution beispielsweise hat man sich anscheinend wenig Gedanken gemacht.
Die Hauptkanäle im Wahlkampf waren auch für Baldauf Instagram und Facebook, wo er rund 4.500 beziehungsweise 10.000 Follower hat. Hier wurden Inhalte in recht hoher Frequenz geteilt, auf Termine hingewiesen und gestreamt. Die Kanäle richten sich augenscheinlich vor allem an Anhänger der eigenen Partei und des Kandidaten: Es werden klassische Unions-Themen gespielt, darüber hinaus das Grab Helmut Kohls besucht und mit CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zum Einstieg in ein halbstündiges Gespräch erst mal über die Altersgrenze der Jungen Union und die Organisation des Bundesparteitags gesprochen – für eventuell wechselwillige Wähler*innen sicherlich keine sonderlich ansprechenden Themen. Beide Profile wurden außerdem eher zum einseitigen Senden genutzt als zum Austausch mit der Zielgruppe. Kommentare unter den Beiträgen blieben weitgehend unbeantwortet.
Die rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Julia Klöckner konstatierte nach der Wahl im ZDF, dass es für Christian Baldauf schwierig gewesen wäre, mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Das war auf den Straßenwahlkampf bezogen, ein Vergleich der digitalen Aktivitäten bestätigt den Eindruck. Auf keinem Kanal ging er auf die Nutzer*innen ein. Weder waren die Inhalte auf den Kandidaten zugeschnitten, noch wurden sie optimal verwertet. Immer wieder stahl ihm auch in den digitalen Formaten die Landesvorsitzende die Schau. Insgesamt ist festzustellen, dass es keine dezidierte Kommunikationsstrategie für einen Wahlkampf im Lockdown gegeben hat.
Wie geht es in Rheinland-Pfalz weiter?
Seit Sonntag wissen wir: Malu Dreyer ist mit gutem Ergebnis, gegen den Bundestrend ihrer SPD, wiedergewählt worden. Da auch die beiden bisherigen Koalitionspartner, Grüne und FDP, gestärkt beziehungsweise bestätigt aus der Wahl hervorgegangen sind, steht nahezu fest, dass die Ampelkoalition fortgesetzt wird. Der Erfolg der SPD ist auch darauf zurückzuführen, dass sie in Rheinland-Pfalz sehr bürgerlich agiert hat, wodurch sie sich auch bei der Generation 60 plus gegenüber der CDU behaupten konnte. Auch hat die rheinland-pfälzische SPD von allen Parteien in beiden Ländern die harmonischste Wahlkampagne geführt.
So bleibt der CDU auch in den nächsten fünf Jahren nur die Opposition, allerdings unter verbesserten Rahmenbedingungen. Mit dem Einzug der Freien Wähler kann die Union künftig parteiübergreifend Initiativen aus der Opposition im Landtag starten. Das ist deutlich wirkungsvoller als bisher, als sie mit der AfD allein war, mit der es keine Zusammenarbeit gibt.
David gegen Goliath in Baden-Württemberg
Die Konstellation in Baden-Württemberg war vergleichbar mit der in Rheinland-Pfalz: Den langjährigen und recht populären Amtsinhaber Winfried Kretschmann wollte eine konservative Herausforderin beerben. Im Vergleich zu ihrem CDU-Spitzenkandidaten-Kollegen Christian Baldauf war Susanne Eisenmann allerdings durch ihr Amt der Kultusministerin im Land bekannter – hier allerdings nicht zwingend ein Vorteil. Als Teil der Regierung stand Eisenmann im Mittelpunkt der mit viel Ärger verbundenen Frage der Öffnungen von Schulen während der Corona-Pandemie und geriet damit nicht nur indirekt in den Sog, der Unionspolitiker in der Krise derzeit erfasst – auch wenn zumindest die Maskenaffäre durch die großen Briefwahl-Anteile in beiden Ländern keine entscheidende Rolle mehr spielte.
In den Umfragen zu einer theoretischen Direktwahl des Ministerpräsidenten lag Kretschmann mit 69 zu 16 Prozent um Welten vor seiner Gegenkandidatin.
Wie agierte also die Union in dieser schwierigen Lage? Unter dem Motto „Eisenmann wills wissen“ kämpfte kein Team, sondern eine Kandidatin allein. Lächelnd könnte man sagen, „sie“ wollte es ja auch wissen. Die Zweifel an der eigenen Kandidatenauswahl zogen sich durch den Wahlkampf der CDU.
Eisenmann scheut sich vor Austausch auf ihren Kanälen
In den sozialen Medien sah das beispielsweise so aus: Seit September 2020 betreibt Susanne Eisenmann einen Instagram-Account. Etwas über 3.600 Abonnenten hat sie seitdem gewonnen. Drei Phasen des Wahlkampfs sind auf der Seite erkennbar: Die ersten Botschaften waren poppig-orange und positiv gehalten. Anschließend wurden viele Schnappschüsse von der Wahlkampf-Tour durchs Ländle geteilt. Und zuletzt reihten sich Bilder der Kandidatin in Grautönen auf dunkelgrauem Grund aneinander.
Die Bildsprache spiegelt die Tonalität der Kommentare wider, die oft eher negativ sind. Vor allem die Rolle der Kultusministerin während der Pandemie (Präsenzunterricht „unabhängig von den Inzidenzzahlen“) steht vielfach in der Kritik. Von Moderation und Diskussion vonseiten der Betreiber des Accounts ist wenig zu sehen.
Ähnliches Bild auf Facebook: Unter praktisch jedem Post auf der Seite, die zum Ende des Wahlkampfes über 21.000 Personen abonniert haben, finden sich kritische Anmerkungen. Entgegnungen dagegen gibt es nicht – und damit wurde die Chance vertan, durch einen offenen und direkten Austausch für sich zu werben.
Grafikdesign, Moderation, Themenaufbereitung – könnte man die Zeit noch mal zurückdrehen und den Online-Wahlkampf der Union von vorne starten, es gäbe vieles, was man nicht nur anders, sondern besser machen könnte.
Kretschmann macht sich rar im Social Web
Trotz des Wahlerfolgs kann auch der Wahlkampf der Grünen mit Winfried Kretschmann durchaus hinterfragt werden. Als Paradebeispiel für eine erfolgreiche digitale Politik-Kampagne kann er jedenfalls nicht herangezogen werden. Inhaltlich stießen Winfried Kretschmann und die Grünen genau in die Lücke, die von der Union hinterlassen worden war. Sein Wahlslogan „Sie kennen mich“ war nicht nur eine Kopie zweier Wahlkämpfe der Bundeskanzlerin, sein undramatisches, stabiles und höchstens „hellgrünes“ Regieren in den letzten zehn Jahren hat die wirtschaftsorientierten Baden-Württemberger nicht vergrault und die Unterstützer der politischen Mitbewerber demobilisiert. Angela Merkel lässt grüßen. Mit der Online-Welt fremdelte der Ministerpräsident allerdings.
Kretschmann war im Wahlkampf im Prinzip ohne eigene Kanäle aktiv. Man findet ihn weder auf Twitter noch auf Instagram, sein Facebook-Profil mit über 80.000 Abonnent*innen wird von der Online-Redaktion der Staatskanzlei betreut. Wenigen Posts stehen deswegen extrem viele Antworten gegenüber: Mehr als 3.000-mal reagierten die Betreuer der Seite auf Kommentare. Klar: Das gehört nicht zum Wahlkampf. Auf die Wahrnehmung des Ministerpräsidenten als Landesvater und Kümmerer zahlt die Kommunikation aber sicherlich dennoch ein.
Der eigentliche Wahlkampf fand auf den Seiten der Partei statt, auf denen unter anderem sieben Folgen eines auf den Kandidaten zugeschnittenen Podcast-Formats beworben wurden und sich der Ministerpräsident in der Bilderserie „Mensch Kretschmann“ den Wähler*innen persönlich nahbarer präsentierte.
Es hätte sicherlich mehr sein können. Allerdings waren die Formate, die hier gespielt wurden, gut auf den Kandidaten zugeschnitten, der durchaus authentisch wirkte – sicherlich mehr, als er es in einer Facebook-Kochshow getan hätte.
Wie geht es in Baden-Württemberg weiter?
Klar ist: Winfried Kretschmann wird dank seines sehr guten Ergebnisses Ministerpräsident bleiben. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bleibt es bei einer grün-schwarzen Koalition, auch wenn SPD und FDP Brautschau betreiben und Bundespolitiker*innen von SPD und Grünen Baden-Württemberg gerne zu einer Blaupause für eine Ampelkoalition im Bund machen würden.
Winfried Kretschmann wird sich bei seiner Entscheidungsfindung kaum reinreden lassen und in seiner letzten Legislaturperiode nur eingeschränkt geneigt sein, einer Koalition vorzustehen, die deutliche Risse zwischen der SPD und der traditionell besonders wirtschaftsliberalen Südwest-FDP aufweisen wird. Im Übrigen kann die SPD, die sich in Baden-Württemberg am Wahltag minimiert hat, kaum auf den Wählerwillen verweisen, wenn sie sich für die Regierung bewirbt.
Umfragen im Auftrag der ARD am Wahltag haben ergeben, dass die Menschen im Ländle sich zumeist eine Fortsetzung der bestehenden Koalition wünschen. Und die ist für Kretschmanns Grüne „günstiger“ zu haben denn je. Der Landesvorsitzende der CDU, Thomas Strobl, ist durch das Ergebnis geschwächt, hat zudem selbst den Einzug in den Landtag verpasst. Der seit Jahren bestehende Riss zwischen Landesverband und Landtagsfraktion schwächt ihn zusätzlich, sodass Strobl einzig die Regierungsbeteiligung bleibt, soll die Gefahr eines Komplettabsturzes nicht virulent werden. Da werden die Grünen viel durchsetzen können. Sie sollten allerdings nicht den Fehler begehen, den Wahlsieg als uneingeschränkte Zustimmung der Menschen zu ihrem kompletten Wahl- und Parteiprogramm misszuverstehen. Denn die Grünen haben in den letzten Jahren in Baden-Württemberg auch daher ihre Zustimmung gezogen, dass sie „hellgrün“ waren.
Digitale Kommunikation mit großem Potenzial im Superwahljahr
Auch nach dem Ende der Corona-Krise, wenn analoge Formate im Wahlkampf wieder zunehmen, werden digitale Kampagnen trotzdem die Benchmark aller kommenden Wahlkämpfe sein. Ihre Umsetzung wird entscheidend sein für Erfolg oder Misserfolg. Sind technische Standards einmal gesetzt, führt kein Weg zurück. Die Wähler*innen wollen abgeholt werden, und in Bezug auf die digitalen Medien sind dies nicht nur die Jüngeren, sondern stark zunehmend auch die Älteren. Wie bei den analogen Formaten wollen sich die Wähler*innen auch beteiligen und Nähe zu den Kandidat*innen erfahren. Gerade hier gibt es, das hat diese Analyse der Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gezeigt, noch erheblichen Verbesserungsbedarf.
Beide Länder zeigen, dass man Nähe nicht durch ein Mehr an Plakaten und Printmedien herstellen kann, die im Vergleich zu anderen Wahlkämpfen gedruckt wurden. Sie führen nur weiter in die kommunikative Einbahnstraße. Digitale Formate führen aus der kommunikativen Einbahnstraße hinaus, wenn sie interaktiv gedacht, entwickelt und stringent gemanagt werden. Vor allem am Letzteren hat es gefehlt. Und digitale Formate sollten von Beginn an digital gedacht werden, sie sind nicht die Übersetzung eines analogen Wahlkampfes in den digitalen Raum. Auch hier wäre in beiden Ländern deutlich mehr möglich gewesen.
// Über den Autor
Thomas Helm, seit Januar 2021 Direktor Public Affairs bei OSK, ist seit 23 Jahren im politischen und vorpolitischen Raum aktiv. In diesem Kontext war er mehr als ein Jahrzehnt in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion tätig, unter anderem als Büroleiter beim Parlamentarischen Geschäftsführer. Zuletzt war er mehr als fünf Jahre Leiter des Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kasachstan.
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