Zeit ist Geld. Und beides wird in den meisten Redaktionen der Nachrichtenpresse immer knapper. Auf der einen Seite bröckeln Werbeeinnahmen und Personaldecke, auf der anderen wollen die Leser mit leicht konsumierbarem Video-Content „to go“ versorgt werden. Dieser ist in der Regel aber nur mit viel Zeit und Geld produzierbar. Ein Dilemma in Zeiten des mobilen Internetbooms. Da kommt eine Erfindung aus dem Start-up-Eldorado Israel gerade recht: Wibbitz. Die junge Firma aus Tel Aviv bietet eine Technologie an, die redaktionelle Texte automatisch in Videos transformiert – in nur zehn Sekunden! OSK stellt das Unternehmen im zweiten Teil der Serie “Start-up Picks” vor.
Nachdem die US-Verlagswelt den Service der Wibbitz-Gründer Yotam Cohen und Zohar Dayan gut angenommen hat, nimmt der Text-to-Video-Converter, der erst 2013 in Israel und Europa gestartet ist, jetzt auch den deutschsprachigen Markt ins Visier. Zohar Dayan hat ein gutes Argument für seine Kunden: „Es ist nicht sinnvoll, viel Zeit und viel Geld in News-Videos zu stecken. Nachrichten sind zu schnelllebig.“ Genau deshalb konzentriert sich Wibbitz auf die kostengünstige automatisierte Produktion rund einminütiger Nachrichten-Clips für den schnellen Konsum.
Wie funktioniert das?
Die Plattform analysiert die geschriebenen Nachrichtentexte der Redakteure, identifiziert dabei handelnde Personen und Sachverhalte und wandelt diese Informationen mit Hilfe eines ausgeklügelten Algorithmus in HD-Videoclips um. Dazu zieht das System blitzschnell zum Text passende und lizensierte Fotos und Filmsequenzen von den großen Bildagenturen wie Reuters, Getty und Co. zusammen und generiert ein Sprechertext-Audio. Die Computerstimme ist dabei kaum von einer echten Stimme zu unterscheiden. Wibbitz wirbt damit, dass die Anwendung sogar in der Lage sei, längere Texte im Stil einer Meldung zu kürzen und dabei die wesentlichen Informationen herauszufiltern. Zudem kann auch selbst produziertes oder anderweitig beschafftes Bildmaterial als Footage verwendet werden. Infografiken und Texteinblendungen werden ebenfalls automatisch erstellt.
Laut dem Unternehmen entstehen auf diese Weise schon jetzt über 10.000 Videos pro Tag. Vier Sprachen (Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch) werden voll unterstützt, weitere zwölf Sprachen teilweise (darunter Chinesisch, Russisch, Italienisch und Arabisch). „Wir wollen zum Playbutton des Internets werden und es auch bleiben“, sagte Dayan kürzlich auf einem Kongress in Wien, auf dem er auch die Expansion in die deutschsprachigen Länder ankündigte. Der Erfolg liegt auf der Hand, denn gerade mit dem Mobiltelefon ist es anstrengend, lange Texte im Web zu lesen. Egal ob News, Sport, Lifestyle, Finanzen oder Technologie – der Trend zum visuellen Storytelling mit Videos wird durch die wachsende Zahl der mobilen Zugriffe auf das Internet weiter angefeuert.
Wibbitz-Gründer Zohar Dayan (l.) und sein Geschäftspartner Yotam Cohen (Bild: Wibbitz).
Ein filmisches Meisterwerk darf man bei so viel Automatismus natürlich nicht erwarten, zumal die Maschine in der Regel nur 95 Prozent eines Videos vollautomatisch generiert. Die restlichen fünf Prozent Feintuning kann die Redaktion mit Editiertools nachfeilen, die laut Wibbitz keine besonderen Cutter-Kenntnisse erfordern. Eine Kurzmeldung zu einem Auftritt der Kanzlerin, ein paar Bilder vom roten Teppich oder zum Start der Apple Watch – manches Retortenvideo erinnert eher an eine einfache Foto-Slideshow, je nachdem, ob zu einem Thema Bewegtbild-Footage in den Bilddatenbanken im Web auffindbar war. Solche simplen Visualisierungstricks aus Mangel an Filmmaterial sind allerdings auch im Fernseh-News-Alltag die gängige Praxis. Qualität wird eben immer mit Aufwand und Kosten aufgewogen. Um den hektischen, mobilen Alltagskonsum der Ware „Nachrichten“ schnell und günstig zu befriedigen, könnte der pure Zweck also durchaus auch hierzulande die Wibbitz-Mittel heiligen.
// Über #StartupPicks
Im digitalen Zeitalter finden viele dieser Ideen im Netz statt. Doch glaubt man Experten, scheitern neun von zehn Start-ups und verschwinden nach kurzer Zeit wieder. Denn neben einer guten Idee braucht es mindestens ein ebenso gutes Konzept und bedingungslose Hingabe, damit sich ein kleiner Funken zu einem Lauffeuer entwickelt. Überstehen Start-ups die ersten Hürden, haben sie gute Chancen, sich am Markt zu etablieren. Solche Start-ups – mit einer guten Idee, einem herausragenden Konzept und vielversprechender Perspektive – stellen wir in unsere Reihe Start-up Picks vor. In loser Reihenfolge sprechen wir mit den Köpfen, denen die Ideen entsprungen sind, oder mit Menschen, die Teil dieser Unternehmens-Idee sind. Was braucht ein Start-up, um sich behaupten zu können, und was sind die entscheidenden Erfolgskriterien in diesem Prozess, vor allem im Hinblick auf die Kommunikation im Social Web?
Der Gründer und sein Partner Yotam Cohen arbeiteten vier Jahre lang an der Technologie, bis sie 2013 eine erste Wibbitz-Version vorstellten. Die größte Herausforderung sei gewesen, geeignete Spezialisten aus dem Bereich „Natural Language Process“ zusammenzustellen, um Texte tatsächlich visuell konvertieren zu können, erzählten die Internet-Entrepreneure damals in einem Interview mit deutsche-startups.de. Kernzielgruppe im professionellen Bereich sind für Dayan Verlagshäuser und Webseiten-Betreiber, die täglich große Mengen von Nachrichten verbreiten.
Mobile Apps für Endbenutzer
Neben der professionellen Anwendung für Verlage gibt es Wibbitz auch als Gratis-App (iTunes) für das Smartphone. Mit der als „Best Mobile Publishing Product“ beim Mobile World Congress 2014 ausgezeichneten Applikation können User sich Videos auf Basis geschriebener Online-Artikel ausgeben lassen. Auch hier liest eine synthetisch generierte Stimme die News vor. Die Jury begründete ihre Wertung damit, dass diese Dienstleistung auf die aktuellen Bedürfnisse der Konsumenten eingehe, deren Zeit immer knapper würde.
Zohar Dayan hat bereits weitere Anwendungsmöglichkeiten für seine Technologie fest im Blick: Eine neue Applikation für Endbenutzer wird gerade getestet. Damit können Smartphone-User einen Screenshot oder ein Foto laden, zum Beispiel von einer Sehenswürdigkeit oder einem Promi etc. Ein paar Sekunden später präsentiert die App dann ein kurzes Video zum Thema, gespeist mit Material aus dem Web und mit einem informativen Audiotext unterlegt.
An Ideen scheint es nicht zu mangeln, sowohl B2C als auch B2B. Zunächst darf man jetzt gespannt sein, ob sich die professionelle Wibbitz-Anwendung in den deutschsprachigen Ländern durchsetzen kann.
P.S.: Zu Beginn des Online-Zeitalters machte ein beliebter Scherz unter Schreibern die Runde, mit dem wir damals einen freien Journalisten-Kollegen schockten: „Kennst Du schon PULITZER PRO? Das neue Programm aus den USA, das aus einem Haufen von Keywords und ein paar Zusatzinformationen völlig automatisch einen lupenreinen Text erstellt!?“ Der noch junge Kollege war augenblicklich fassungslos und sah ernsthaft seine hoffnungsvolle Karriere als Autor bedroht. So ein Programm gab es damals natürlich noch nicht. Heute, rund 20 Jahre später, ist die Technik deutlich weiter, aber wirklich anspruchsvolle Texter sind nach wie vor durch keinen Algorithmus zu ersetzen. Dasselbe gilt übrigens – trotz Wibbitz – auch für anspruchsvolle Videoproducer.