Macht der Konsumenten Titel

tl;dr (Lesezeit 8 minuten)

  • Heute müssen Marken die Kluft zwischen sich und dem Verbraucher online wie offline überbrücken.
  • Millionen Menschen nutzen Social Media, um sich mitzuteilen. Sie werden damit zu mächtigen Micropublishern, die ihrem Lob, aber auch ihrem Ärger über Unternehmen machen. Der Shitstorm droht quasi ständig.
  • Die Macht liegt beim Konsumenten.
  • Je schneller Unternehmen die Marktmacht der Konsumenten und damit ihrer Zielgruppe anerkennen, desto aktiver oder sogar proaktiver können sie damit umgehen.

Es gibt Produkte, die wirken durch die Bank weg harmlos: Schokoladenmännchen etwa, mit denen Discounter zum Herbstanfang ihre Regale füllen. Genauso harmlos scheinen TV-Köche, die durch Gaumenfreuden zu Sympathieträgern werden. Sowohl Schokomännchen-Anbieter als auch Sterneköche werden eines Besseren belehrt – durch die Macht der Konsumenten.

So führen regelmäßig vor Weihnachten die sogenannten „Zipfelmänner“ von Penny zu wutentbrannten Protesten bei Facebook. Wie es denn sein könne, dass in einem christlichen Abendland der Zipfel- und nicht der Weihnachtsmann aus Schokolade verkauft werde.

Nun könnte Penny alle Jahre wieder entweder gar nicht oder recht trocken auf die Shitstorms reagieren. Doch das Unternehmen entschied sich bisher für eine pfiffigere Variante: Mit dezenten, ironisch angehauchten Hinweisen etwa, dass der Weihnachtsmann damit schon klarkomme. Oder mit der Bemerkung, dass selbiger nach wie vor seinen festen Platz im Regal habe. Jahr für Jahr zeigt Penny, wie der Macht der Konsumenten in den Social Media begegnet werden kann.

Und genau darum soll es in diesem Artikel gehen: Was ist die Macht der Konsumenten und wie zeigt sie sich?

Macht der Konsumenten 1

Ein Koch verdirbt die Paella

Der Starkoch Jamie Oliver musste auf andere Weise erfahren, wie ausgeprägt die Marktmacht der Konsumenten ist. Im Oktober 2016 wagte er es, das spanische Nationalgericht Paella mit zwei weiteren Zutaten zu „verunstalten“: Chorizo und Hühnchen.

Denn so lecker die feurige Paprikawurst und das Geflügel auch sind – in der traditionellen Paella haben sie nichts verloren. Der Meinung waren jedenfalls Tausende Konsumenten. Und so führte sein Link auf Twitter nicht nur zum Rezept, sondern auch zu einem gehörigen Shitstorm unter dem Hashtag #Paellagate.

Mit halb Spanien sollte sich eben auch ein Starkoch nicht anlegen. Und anders als das Social-Media-Team von Penny entschied Oliver sich dafür, nicht zu reagieren. Im Gegenteil, im Februar löste er mit seinem Spaghetti-Carbonara-Kuchen unter #Carbonaragate ähnlich heftige Reaktionen aus. Da drängt sich die Frage auf: Werden die Empörten noch Produkte der Marke Jamie Oliver kaufen? Vermutlich nicht.

Was ist die Marktmacht der Konsumenten?

In seinem Buch The Sharing Economy stellt der Wissenschaftler Arun Sundararajan fest, dass digitale Businessmodelle und die Consumer Experience das Ende der Industrie-Ära bedeuten.

Um im modernen Wettbewerb zu bestehen, müssen Unternehmen eine gewaltige Leistung erbringen. Denn Tatsache ist, dass erst Vertrauen zum Kauf führt. Früher entstand dieses Vertrauen durch soziale Beziehungen. Der Bauer kannte den Bäcker und der wiederum den Schmied. Wer gute Arbeit leistete, genoss Ansehen in der Dorfgemeinschaft. Wer schlechte Waren anbot, wurde geächtet.

Heute müssen Marken die Kluft zwischen sich und dem Verbraucher online wie offline überbrücken. Die wichtigste Maßnahme für Unternehmen lautet daher, Vertrauen an jedem möglichen Touchpoint aufzubauen und dem Konsumenten zu zeigen: Wir nehmen deine Werte ernst. Andernfalls unterschätzen sie die lauten Stimmen im Netz.

Durch unsere moderne Lebensweise sind wir weitgehend von diesen traditionellen, vertrauensstiftenden Beziehungen entwurzelt. Soziale Netzwerke versprechen dagegen eine weltweite Vernetzung, eine Art digitale Wiederherstellung dieser Gemeinschaft. Auch ihnen geht es um das Vertrauen der Konsumenten.

Die Macht der Micropublisher

Millionen Menschen nutzen Social Media, um sich mitzuteilen. Sie werden damit zu mächtigen Micropublishern, die ihrem Lob, aber auch ihrem Ärger gegenüber Unternehmen, Medien und Einzelpersonen auf den Fanpages, in Blogs und auf YouTube Luft machen. Die Zahl der Follower kann entscheidend sein, doch üben auch kleinere Influencer erheblichen Einfluss auf die Zielgruppe aus. Ganz besonders dann, wenn sie sich in einer Nische bewegen.

Micro Publisher-01 - Macht der Konsumenten

Um zu den beiden Beispielen zurückzukommen: Sowohl bei Pennys Zipfelmännchen als auch bei Jamie Olivers Paella-Rezept zeigt sich die kommunikative Macht der Konsumenten. Nur hat das Unternehmen sich anders als der Koch dazu entschieden, der Macht auf originelle Weise zu begegnen.

Mit dieser Strategie gelang es Penny nicht nur, Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Auch die Zeitungen reagierten positiv auf diesen Umgang mit Konsumenten und betrieben mit ihren Lobeshymnen indirekt Marketing für den Konzern – über die Landesgrenzen hinweg. So lauteten einige Schlagzeilen:

„Eine Kundin flippt aus – und Penny reagiert großartig“ (Merkur)

„,Wir wollen keine Zipfelmänner‘ – Penny nimmt Shitstorm auf Facebook mit Humor“ (Focus)

„Deutscher Supermarkt gerät in braunen Shitstorm – und reagiert grandios“ (watson.ch)

Selbst Spiegel Online lobt die Strategie:

„Bei Penny und bei Lindt führte der Social-Media-Protest dazu, dass andere Kunden dazu aufriefen, die Produkte jetzt erst recht zu kaufen. Der Lindt-Adventskalender sei zwischenzeitlich sogar ausverkauft gewesen, schrieben Facebook-Nutzer.“

Zur Erklärung: Lindt hatte zuvor ein ähnliches Schicksal ereilt wie Penny. Und einige Firmen gehen im Hinblick auf die Marktmacht der Konsumenten noch einen Schritt weiter.

Macht der Konsumenten 2

Die Marktmacht proaktiv nutzen

Je schneller Unternehmen die Marktmacht der Konsumenten und damit ihrer Zielgruppe anerkennen, desto aktiver oder sogar proaktiver können sie damit umgehen. Ein gutes Beispiel hierfür lieferte Ritter Sport. Warum sich selbst den Kopf über neue Sommersorten für Schokolade zerbrechen, wenn die Konsumenten diese Arbeit übernehmen?

So rief die Firma 2013 im Sommersorten-Voting dazu auf, aus 30 Sorten mindestens 5 zu bewerten. Als Anreiz wurden 50 „Schokopakete“ als Gewinne für alle Teilnehmer in Aussicht gestellt.

Auch clever: Abseits der Sondervotings hat Ritter Sport einen permanenten Link auf der Website, der zu einem individuellen Sortengenerator führt. Die fertige Kreation kann anschließend an das Unternehmen übermittelt werden. Setzt sie sich durch, geht das gewünschte Produkt in die Herstellung.

So sieht die Marktmacht der Konsumenten im 21. Jahrhundert aus: Der Kunde stellt sich die Lieblingsschokolade ganz einfach selbst zusammen. Das Unternehmen produziert auf dessen Wunsch. Das kann jedoch auch gehörig schiefgehen, wie das Burger-Experiment von McDonald’s zeigt. Umso wichtiger ist es, die Stimmung innerhalb der eigenen Zielgruppe so genau wie möglich zu erfassen.

Anders als im Penny-Beispiel verringert Ritter Sport die Gefahr eines Eklats durch Produkteinführungen. Denn es lässt sich immer auf den Ursprung verweisen: den Wunsch des Konsumenten und/oder das Voting.

Auf diese Weise zeigen Firmen die heutzutage so vielfach beschworene Transparenz. Darüber hinaus öffnen sie sich. Unternehmen wie Ritter Sport und Penny arbeiten also nicht gegen die Marktmacht der Konsumenten, sondern lenken diese Macht elegant und mit der Möglichkeit zur Teilnahme auf die eigene Marke.

Auf dem Weg zur Macht

Je mehr der Verbraucher weiß, desto kritischer wird er. Experten bezeichnen unsere heutige Zeit daher auch als Postmaterialismus: Werte wie Nachhaltigkeit, ökologisches Wirtschaften und Fairness sind für immer mehr Konsumenten wichtiger als bloßer Besitz.

Konsumenten holen sich Informationen über Gift-, Zusatz- und Farbstoffe mit Apps wie Codecheck. Sie meiden außerdem Produkte, von deren problematischen Herstellungsabläufen sie wissen. Und treffen auf dieser Basis ihre Kaufentscheidung.

Der Kulturwissenschaftler Nico Stehr geht hierbei von einer „Moralisierung der Märkte“ aus. Und auch die Trendstudie der Otto Group zum ethischen Konsum liefert erstaunliche Ergebnisse: 97 Prozent der Teilnehmer sind der Überzeugung, dass ein Unternehmen zur Erhöhung der eigenen Lebensqualität beitragen kann, wenn es auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen achtet und Mitarbeiter fair behandelt.

93 sprachen sich dafür aus, dass Firmen, die ethisch korrekt hergestellte Produkte (bio, regional, fair gehandelt, umweltfreundlich hergestellt) anbieten, ebenfalls dazu beitragen. Die Gruppe der bewussten Konsumenten, die sowohl mit ihrer Kaufkraft als auch mit ihrer Kommunikationsfähigkeit eine Marktmacht ausüben, ist also alles andere als klein. Oder einfach gesagt: Niemand will Kommentare von wütenden oder enttäuschten Konsumenten auf seiner öffentlich sichtbaren Fanpage haben.

Macht der Konsumenten 3

Konsumenten werden kritischer

Im Umkehrschluss bedeutet das: Verbraucher achten genauer darauf, ob diese Kriterien erfüllt werden. Und kaufen im Zweifel nicht. Denn es geht ihnen nicht nur um den eigenen Nutzen, sondern auch um Werte. Der Einzelne mag gegenüber dem Konzern vergleichsweise wenig Macht haben. Doch sollten Unternehmen das Potenzial von informierten Konsumenten nicht unterschätzen.

Wissen steht nicht mehr nur über den PC, sondern auch über mobile Geräte wie Smartphone oder Tablet jederzeit zur Verfügung. Und auch ein Teil der Branche geht mit dem Trend, wie der wachsende Absatz des Fairphones zeigt.

Corporate Responsibility statt Clean Labelling

Ist tatsächlich drin, was draufsteht? Und ist das, was draufsteht, auch verständlich für den Konsumenten? Denn wenn nicht, wird er sich auf alle Fälle selbst darüber informieren. Und dem Unternehmen jeden Versuch übel nehmen, zum Beispiel durch Clean Labelling davon abzulenken, dass sich an der Herstellung von Produkten und deren Inhaltsstoffen wenig bis nichts geändert hat.

Unternehmen, die diese Tatsache ignorieren, riskieren weit mehr als nur ein paar missmutige Verbraucher. Sie säen damit den Wind für Shitstorms, in denen sie ihre Kommunikationshoheit verlieren können. Konsumenten empfehlen Produkte weiter oder raten davon ab. In Zeiten der Digitalisierung haben diese Botschaften eine wesentlich höhere Reichweite und damit mehr Gewichtung.

Marketer sollten diese Macht daher auf keinen Fall ignorieren, sondern stattdessen nutzen – proaktiv durch Votings zum Beispiel. Aber nur, wenn sie den Wertewandel innerhalb der Zielgruppe vorab richtig einschätzen.

Fazit

Firmen nutzen die Macht der Konsumenten am effektivsten, wenn sie wertvolle, hilfreiche und ehrliche Produkte herstellen und ihr Marketing entsprechend ausrichten. Authentizität und Transparenz sind also keineswegs Buzzwords, sondern Grundvoraussetzungen dafür, nicht die „dunkle Seite“ der Konsumentenmacht in Form von Gesichtsverlust und Umsatzeinbußen zu spüren zu bekommen.

// Über den Autor

Benjamin BrücknerBenjamin Brückner ist Journalist, Blogger und Gründer der Online-Plattform Freelance Start. Nach mehrjährigen Tätigkeiten in Hörfunk- und Fernsehredaktionen veröffentlichte er zwei Bücher und arbeitet unter anderem als Redakteur und Newsletter-Teamleiter bei Zielbar. Auf seinem eigenen Blog verfasst er regelmäßig Rezensionen, Lesetipps und Analysen zu gesellschaftlichen Themen. Privat interessiert Benjamin sich für Philosophie, Geschichte, Sport, digitale Entwicklungen und natürlich für kreatives Schreiben. Für den OSK-Blog schreibt der 30-Jährige als Gast-Autor über aktuelle Internettrends, die Digitalisierung und die Medienbranche.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.