Dima Khatib gilt als eine der am besten vernetzten Personen im Mittleren Osten – vor allem digital. Aufsehen erregte die Nachrichtenjournalistin, als sie 2011 auf Twitter über den Arabischen Frühling berichtete. In Echtzeit kommentierte sie das politische Geschehen rund um die Uhr. Auch heute vergeht kaum eine Stunde, in der Khatib nicht mit ihren 320.000 Twitter-Followern kommuniziert. Den Blick hebt sie dennoch gerne vom Smartphone: Die besten Geschichten kämen immer noch von der Straße, versichert Khatib im Gespräch mit OSK.
1997 begann die in Syrien geborene Palästinenserin, für den arabischen Nachrichtensender Al Jazeera zu arbeiten. Es folgten Einsätze in mehr als 30 Ländern, eine Korrespondentenstation in China und die Leitung des Al-Jazeera-Studios in Venezuela. 2015 übernahm Khatib die Leitung von AJ+, das im September 2014 gestartet worden war. Mit dem rein digitalen Projekt will Al Jazeera ein junges, englischsprachiges Publikum erreichen. Die Devise: der Zielgruppe dorthin folgen, wo sie sich aufhält – und Inhalte plattformgerecht anbieten. Eine Homepage mit originären Inhalten fehlt also, auf ajplus.net stehen lediglich Youtube-Videos und Stellenanzeigen. Stattdessen verbreitet AJ+ die Beiträge über eine App und über die sozialen Netzwerke.
Die Rolle des Lesers wandle sich ebenso wie seine Ansprüche, sagt Dima Khatib im Gespräch mit OSK. Schon jetzt wolle der User keine medialen Einbahnstraßen mehr sehen, sondern selbst entscheiden, was er wann und wo konsumiert. Die Strategie, die klassische Homepage hinter sich zu lassen, scheint sich für AJ+ bislang auszuzahlen. Über Facebook und Youtube erreicht der Sender ein Millionenpublikum, allein im März 2016 wurden die Videos 435 Millionen-mal angeschaut. Im Interview warnt Khatib jedoch davor, sich von den großen sozialen Netzwerken abhängig zu machen. Langfristig müssten Medienhäuser ihre eigenen Plattformen schaffen – ansonsten setzten sie ihre Werte aufs Spiel.
Dima Khatib
Managing Director AJ+
Twitter: @Dima_Khatib
Facebook: Dima Khatib
Instagram: ladimakhatib
LinkedIn: Dima Khatib
1. Wie zeichnet sich Qualitätsjournalismus in Zukunft aus und was schadet ihm?
Qualitätsjournalismus ist authentisch und innovativ, erzählt die Geschichten echter Menschen, nimmt Autoritäten in die Verantwortung und beeinflusst die Gesellschaft auf eine wertvolle Weise. Wir sind vom Wandel besessen – sei es von Print zu Online oder vom Analogen zum Digitalen – aber es ist die Nachricht, die sich langfristig durchsetzen wird. Ziel des Journalismus sollte es sein, Menschen eine Stimme zu geben, egal von welchem Medium sie kommen, welche journalistische Darstellungsform sie bedienen oder welche Methoden sie verfolgen.
Foto: Al Jazeera
2. Was sind die großen Trends im Journalismus und was wird sich davon künftig durchsetzen?
Leser wollen nicht länger bevormundet werden und nicht mehr nur Rezipienten sein. Sie möchten selbst entscheiden, welche Nachrichten sie wann und wo konsumieren. Sie wollen teilnehmen, über Themen entscheiden und Fragen stellen. Ich glaube, der Leser der Zukunft wird stärker am Geschehen teilhaben.
Darauf sollten wir uns einlassen. Die Tage des journalistischen Deutungsmonopols sind vorbei. Das Fernsehen ist keine Quelle garantierter Wahrheiten mehr. Menschen glauben nicht länger, dass etwas wahr sein muss, nur weil sie es im Fernsehen gesehen haben.
3. Wie und wo recherchieren Sie nach guten und spannenden Inhalten?
Gute Geschichten kommen immer von der Straße. Früher bedeutete das, dass Medienhäuser ein weltweites Reporter-Netzwerk pflegen mussten. Es ist immer noch wichtig, sich ins Leben zu stürzen und mit Menschen zu sprechen, aber wir können mittlerweile viel mehr Gruppen über das Internet erreichen. Wie AJ+ beispielsweise über die „Black Lives Matter“-Bewegung berichtet hat, ist bislang unerreicht – auch, weil wir uns online mit Aktivisten vernetzt haben.
Gute Geschichten kommen immer von der Straße.
4. Was muss man als Journalist künftig tun und können, um gelesen und wahrgenommen zu werden?
Sie müssen sich auch weiterhin den journalistischen Werten verschreiben und immer an der Wahrheit dranbleiben. Das war schon immer so, doch gilt umso mehr mit einem immer schneller wachsenden Netzwerk von Bürgerjournalisten, die jeden Schritt der klassischen Medien genau beobachten. Da wird jeder Fehler sofort bemerkt. Glaubwürdigkeit kommt nicht von allein. Wir müssen sie jeden Tag neu verdienen.
// Über #ZukunftDesJournalismus
Mobiles Internet, immer leistungsfähigere Smartphones, neue Nachrichtendienste: Die Medienlandschaft verändert sich rasant und mit ihr der Journalismus. Viele Fragen bewegen die Branche: Ist die Tageszeitung ein Auslaufmodell, weil die jüngeren Zielgruppen aktuelle Nachrichten nur noch auf mobilen Endgeräten konsumieren? Erledigen bald Schreibroboter typische Routineaufgaben und machen damit einen Teil der Redakteure überflüssig? Mit welchen neuen journalistischen Darstellungsformen können Menschen erreicht werden, die immer weniger lesen und nur noch Bilder anschauen? Gemeinsam mit Journalisten und Medienmachern aus ganz unterschiedlichen Richtungen wagt OSK einen Blick in die Zukunft des Journalismus. Das Prinzip ist immer das gleiche: acht Fragen, acht Antworten. Stück für Stück entsteht so ein Bild, das belastbare Aussagen zu entscheidenden Trends von morgen und übermorgen ermöglicht.
5. Die technologischen Veränderungen sind rasant – wie müssen sich vor diesem Hintergrund der Journalismus verändern und dessen Anbieter anpassen?
Wir müssen dahin, wo unsere Leser sind. Wenn sie sich auf eine neue App stürzen, sollten wir das auch tun. Aber wir sollten immer auch versuchen, diese Apps und Technologien zu nutzen, um unsere Geschichten besser zu machen. 3D-Videos und Virtual Reality sind nur zwei Beispiele. Wir sollten uns auf die Innovationen einlassen. Und wir dürfen niemals aufhören, Geschichten zu erzählen.
6. Wie verdient der Großteil der Medien künftig Geld?
Mit Kooperationen, Trainings, gesponserten Inhalten und auf die klassische Art und Weise – mit Werbung. Außerdem müssen Medienhäuser einen Weg finden, ihren Auftritt in den sozialen Netzwerken zu monetarisieren. Die Menschen im Nahen und Mittleren Osten lesen weniger Zeitung und schauen weniger Fernsehen – insbesondere die jungen. Die jüngeren Leser sind auch kaum noch an den Homepages klassischer Online-Nachrichtenportale interessiert. Sie bewegen sich in den sozialen Netzwerken.
Foto: Al Jazeera
7. Wie sehen Ihrer Ansicht nach journalistische Inhalte und die Angebotslandschaft in fünf Jahren aus?
Interaktiv und innig mit der Leserschaft verbunden. Die Leser werden den Großteil der Inhalte erstellen, Journalisten werden die redaktionellen Leitlinien vorgeben und überprüfen. Journalistische Angebote werden sich stärker auf lokale Nachrichten konzentrieren – auf die Inhalte, die Menschen bewegen und berühren. Über das Weltgeschehen und die Dinge, die der Leser nicht beeinflussen kann, werden sie weniger berichten. Die Geschichten, die jetzt wichtig sind – von Politikern, Wahlen und Gipfeln beispielsweise – werden in Zukunft weniger wichtig sein als Details aus der Lebenswelt der Leser.
Die Medien müssen sich endlich eigene Plattformen schaffen.
8. Welches Medium fehlt heute noch auf dem Markt?
Die Medien müssen sich endlich eigene Plattformen schaffen. Derzeit machen sie sich immer stärker von sozialen Netzwerken und Plattformen abhängig, die sie nicht besitzen oder kontrollieren können. Wenn sie den Absprung nicht schaffen, werden sie immer den Bedingungen und Interessen der dahinter stehendenden Firmen unterworfen sein. Damit setzen sie ihre Werte aufs Spiel.