Liebe Leserinnen, liebe Leser,
es war für viele das Thema der letzten Wochen: die Reform des europäischen Urheberrechts. Während es für die einen das Ende des freien Internets bedeutet, sehen es manche als wichtige Änderung für eine angemessene Vergütung von Künstlern und Kreativen in der digitalen Welt. Nach mitunter kontroversen Diskussionen kam es am letzten Dienstag dann zur Abstimmung in Brüssel. Aber um was geht es bei der Reform überhaupt, was besagen die besonders relevanten Artikel 11 bis 13 (in Zukunft: 15 bis 17)? Was sagen Gegner und Befürworter? Und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Unternehmen? Wir haben das Wichtigste für Sie zusammengefasst.
Viel Spaß beim Lesen!
Reform des Urheberrechts: das Ergebnis der Abstimmung
Mit 348 zu 274 Stimmen bei 36 Enthaltungen votierte das Europaparlament für die Reform des europäischen Urheberrechts, eine Abstimmung über etwaige Änderungsanträge wurde mit fünf Stimmen abgelehnt, sodass einer baldigen Umsetzung nichts mehr im Wege steht. Am 9. April muss der Europarat die Änderungen noch bestätigen, bevor dann die EU-Mitgliedsländer zwei Jahre Zeit haben, die neuen Richtlinien in nationalen Gesetzen zu verankern. Kommen die Änderungen genau wie nun verabschiedet, sehen Experten für Digital-Unternehmen gerade im Umgang mit urheberrechtlich geschützten Inhalten eine große Herausforderung: Ist bei kleineren Internetseiten vielleicht noch die händische Verhinderung von urheberrechtsverletzenden Uploads möglich, so können Plattformen mit vielen Mitgliedern eigentlich nur auf automatisierte Systeme, sogenannte Upload-Filter, zurückgreifen.
Ähnliches wird heute bereits mit Content-Filtern bei YouTube oder Facebook versucht, um Verstöße gegen die Richtlinien der Plattformen zu verhindern. Allerdings bergen Upload-Filter immer auch Risiken, da Formate wie Satire, künstlerische Bearbeitungen etc. nicht erkannt und somit gelöscht werden könnten. Alternativ bietet sich ein pauschales Vergütungssystem an, wie es heute schon bei Vervielfältigungsmedien wie USB-Sticks zum Einsatz kommt. Im Anschaffungspreis ist ein kleiner Anteil für die Verwertungsgesellschaften enthalten.
Reform des Urheberrechts: Artikel 11 kurz erklärt
Artikel 11, in der neuen Nummerierung Artikel 15, schreibt das neue Leistungsschutzrecht für Presseverlage in der EU fest. Seit einigen Jahren existiert solch ein Modell bereits in Deutschland. Es soll dafür sorgen, dass Websites, die kleine Ausschnitte aus Texten von anderen Websites veröffentlichen, Lizenzgebühren an die Urheber zahlen. Dazu zählen beispielsweise Suchmaschinen, soziale Medien wie Facebook und Twitter, RSS-Reader, Newsticker, aber auch Websites, die Fakten von Meldungen prüfen oder aus anderen Gründen Textpassagen zitieren und verlinken. Bisher greift das deutsche Leistungsschutzrecht allerdings nicht wie gewünscht und viele Verlage gestatten Google weiterhin, mit Anreißertexten in den Suchergebnissen zu erscheinen, statt gar nicht mehr gelistet zu werden. In Spanien ist eine schärfere Variante des Gesetzes in Kraft, sodass beispielsweise Google News komplett eingestellt wurde.
Reform des Urheberrechts: Artikel 12 kurz erklärt
Der kaum diskutierte Artikel 12, bald Artikel 16, soll Verwertungsgesellschaften erlauben, Einnahmen zwischen Verlegern und Kreativen zu teilen, statt sie nur an die Kreativen auszuzahlen. Diese Praxis wurde allerdings bereits 2016 vom Bundesgerichtshof für nicht zulässig erklärt. Nach Auffassung des Gerichts ständen Ausschüttungen ausschließlich den Rechteinhabern zu, also den Autoren und nicht den Verlagen. Befürworter wie große Autorenverbände und Verdi verweisen darauf, dass so Urheberrechte zusammen mit den Rechteverwertern besser durchgesetzt werden könnten. Gegner des Artikels 12 befürchten, dass diese Reform weniger den Urhebern als den Rechteverwertern nutzt – zudem sei diese Praxis bereits zuvor für illegal erklärt worden.
Reform des Urheberrechts: Artikel 13 kurz erklärt
Innerhalb der Überarbeitung des europäischen Urheberrechts ist vor allem Artikel 13, zukünftig Artikel 17, besonders umstritten. Der Artikel besagt, dass kommerzielle Online-Plattformen künftig dazu verpflichtet sind, die Veröffentlichung von urheberrechtlichen Werken zu verhindern – es sei denn, die Genehmigung des Urhebers liegt vor. Wie dies geschehen soll, ist nicht festgelegt. Zudem sind dabei die Größe der Plattform, die Anzahl der Nutzer sowie die Verhältnismäßigkeit der zu erwartenden Kosten zu beachten. Seiten wie Wikipedia oder reine Online-Händler wie eBay sind davon ausgenommen, zudem neue Plattformen in den ersten drei Jahren, wenn ihr Jahresumsatz unter zehn Millionen Euro liegt. Kritiker befürchten Kollateralschäden, wenn nicht nur rechtmäßig urheberverletzende Inhalte automatisch gefiltert, sondern auch Inhalte wie Remixe, Mashups, Satire oder künstlerische Bearbeitungen verhindert werden.
PRO: Deutsche Presse-Agentur und weitere Organisationen für die Reform
Rund 260 Verlage, Zeitungen, Nachrichtenagenturen, Rundfunkanbieter, Produktionsfirmen und Medienschaffende hatten sich für eine Reform des Urheberrechts ausgesprochen und einen europaweiten Aufruf unterzeichnet. Ihre Forderung: die Sicherstellung, dass Medien und Künstler an den Online-Einnahmen durch ihre Inhalte fair beteiligt werden. Es sei eine Frage des Überlebens für ein reichhaltiges und vielfältiges Internet, in dem Information und Kultur ihren festen Platz haben. Valdo Lehari jr., Verleger und Geschäftsführer des Reutlinger General-Anzeigers und Mitunterzeichner, betonte: „Es muss Schluss sein mit digitalem Diebstahl hochwertiger journalistischer Angebote.“ Im Artikel 11 der Reform geht es auch um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage, wonach Suchmaschinen wie Google künftig nicht mehr ohne Weiteres Artikelausschnitte in den Suchergebnissen zeigen dürfen.
CONTRA: Technologieunternehmen aus ganz Europa gegen die Reform
130 Unternehmen aus 16 verschiedenen europäischen Ländern sprachen sich gegen die Änderungen im Urheberrecht aus. In einem offenen Brief warnten sie davor, dass sich die Reform in der vorliegenden Form negativ auf die europäische Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit auswirken werde, dafür aber die großen US-Internetfirmen stärke. Das Ziel, die Rechte der Urheber und Verleger zu stärken, sei allerdings im Ansatz begrüßenswert. Kritik gab es speziell an Artikel 13, der dafür sorge, dass Unternehmen über jegliche Inhalte ihrer Nutzer rechtliche Entscheidungen treffen müssten, was automatisiert nicht möglich sei. Und auch das in Artikel 11 formulierte Leistungsschutzrecht ist laut der Initiative noch nicht genügend durchdacht, da es Hürden für neue wirtschaftliche Projekte wie Start-ups schaffe.
Auch das noch: Wikipedia war tot – zumindest einen Tag lang
Auch die Online-Enzyklopädie Wikipedia bezog in der Diskussion Stellung und schaltete am 21. März die deutsche Seite für einen Tag ab. Nutzer wurden in dem Zeitraum mit der Botschaft „Dies ist unsere letzte Chance. Helfen Sie uns, das Urheberrecht in Europa zu modernisieren.“ begrüßt. Obwohl Wikipedia ausdrücklich vom Artikel 13 der neuen Urheberrichtlinie ausgenommen ist, werde das freie Wissen selbst dann darunter leiden, „wenn Wikipedia eine Oase in der gefilterten Wüste des Internets“ bleibe. Innerhalb der Wikipedia-Community war die Aktion umstritten: Von fast 5.000 berechtigten Autoren hatten sich nur 215 an der Abstimmung beteiligt, 146 stimmten für die Abschaltung, 69 dagegen. Die mobile Variante der Seite war weiterhin verfügbar.
Nicht lustig: Tötet die Urheberrechtsreform das Meme?
Das Bild eines Charakters aus der Cartoon-Serie Futurama bringt es auf den Punkt: In großen weißen Lettern steht darauf: „NOT SURE IF FUNNY“, darunter, etwas kleiner: „OR COPYRIGHT INFRINGEMENT“. Einfach nur lustig oder schon Urheberrechtsverletzung? Diese Frage müssen sich unter Umständen viele Leute in Zukunft stellen, wenn sie ein Meme teilen, also ein Bild oder Video, das sich viral im Internet verbreitet und häufig Bezug auf Fremdwerke wie Filme oder Serien nimmt. Der Hintergrund: Das neue europäische Urheberrecht sieht zwar Upload-Filter nicht explizit vor, allerdings lassen sich nutzergenerierte Inhalte auf Websites kaum anders kontrollieren, so sind sich Experten einig. Dass eine solche Filterung gar nicht so einfach ist, beweist bereits der Facebook-Algorithmus zur Erkennung von Nacktheit. Dieser wurde zwar stetig weiterentwickelt, hat aber bis heute große Probleme, zwischen Nacktheit im künstlerischen Sinne und Pornografie zu unterscheiden.
“Clash der Generationen”
Die Politiker im Europaparlament hätten das Vertrauen junger Menschen massiv enttäuscht, sagt Journalist Dennis Horn auf wdr.de. Die Meinung und Kritik der Menschen, die im Mai das erste Mal ihre Stimme bei einer Europawahl abgeben können, seien heruntergespielt worden, ihr Protest schulterzuckend hingenommen.
Horn glaubt in dem Zusammenhang, dass viele der beteiligten Politiker die Kritik nicht nur nicht verstehen wollten, sondern dass sie diese nicht verstehen konnten. Sie hätten versucht, Regeln der analogen Welt, in der es nur wenige Urheber gab, auf die digitale zu übertragen. Dabei brauche die digitale Welt neue Regeln, die ihr gerecht werden. Zum Beispiel der Tatsache, dass quasi jeder Urheber ist – vor allem junge Nutzerinnen und Nutzer in ihren sozialen Netzwerken.
Doch das Internet sei nicht der Lebensraum dieser Politiker. Sie wurden nicht mit dem Netz sozialisiert. „Wir hatten es hier also mit einem Kultur- und Generationskampf zu tun – und nicht allein mit einem Sachstreit.“ Der Schaden aus dem Streit um die Urheberrechtsrichtlinie ist für Horn eindeutig: „Eine Generation, die zu Europa steht wie keine andere, muss erleben, wie ihr Vertrauen in die Politik erschüttert wird, weil sie abgekanzelt wird, statt ihr zuzuhören.“
Zu weiteren spannenden Themen aus der Digital- und Kommunikations-Branche geht es hier.