OSK hat den neuen Streaming-Stick von Google getestet, der Online-Inhalte auf den TV-Bildschirm holt. Unsere Einschätzung zum Technologieansatz von Google: Das Nutzererlebnis stimmt, Chromecast ist genau das Richtige für digitale Multitasker. Der Stick kann einiges besser als Vergleichsprodukte. Der hart umkämpfte Platz auf dem “Big Screen” im Wohnzimmer ist damit aber noch nicht gesichert, denn der Wettbewerb wird intensiver und immer schneller – und die nächste Innovation ist schon da mit Amazons Fire TV.
“Chromecast” ist der jüngste Vorstoß von Google ins TV-Business. Seit dem 19. März ist der daumengroße WLAN-Stick in Deutschland erhältlich. Kostenpunkt gerade mal 35 Euro. Mit Chromecast lassen sich Videos, Musik, Fotos, Spiele, Websites und mehr online auf den TV-Bildschirm übertragen. Die Fernbedienung ist reichlich smart: Die Steuerung von Chromecast erfolgt über Apps auf einem Smartphone, Tablet oder Laptop. Mit dem TV wird Chromecast über HDMI verbunden. Fertig!
Smartphone, Tablet oder Laptop übernehmen bei Chromecast die Steuerung per App. Der Medieninhalt selbst wird direkt aus dem Internet auf Chromecast am TV-Bildschirm gestreamt. Im Moment kommen täglich neue Apps für Chromecast hinzu. // © Google
“Stick”, “Apps als Fernbedienung”, “noch mehr Inhalte” – klingt zu kompliziert, überflüssig oder längst besser gelöst durch Apple TV? OSK wollte es genau wissen und probierte Chromecast aus. Hat der kleine Stick das Zeug, das Nutzerverhalten dauerhaft zu verändern? Welche neuen Möglichkeiten bringt die Google-Technologie? Und wie reagiert der Wettbewerb, wo steht die Branche insgesamt?
Step 1: Die Testumgebung
Unser Test-Setup könnte kaum heterogener sein – gleich drei große Player treffen aufeinander: Wir schließen Chromecast an einen Fernseher von Samsung an und wollen den Stick über ein iPhone steuern. Ob das wirklich gut geht?
Step 2: Einrichtung per “Plug-and-play”
Chromecast einzurichten ist extrem simpel. iPhone und Stick müssen sich lediglich im selben WLAN-Netz befinden. Es gibt also keine Kompatibilitätsprobleme. Initialisiert wird Chromecast über eine Einrichtungs-App. In gerade mal 3 bis 4 Minuten sind wir startklar.
Chromecast – der daumengroße Streaming-Stick von Google wird an einen HDMI-Anschluss in den Fernseher gesteckt und bringt Medieninhalte online auf den TV-Bildschirm // © Google
Step 3: “Wo sind die Apps?”
Dann gehts los – die Suche nach Apps, die Chromecast unterstützen. Wir haben uns etwas vorbereitet. YouTube ist bereits auf dem iPhone. Außerdem kommt “watchever” hinzu, ein neuer Abo-Dienst für Serien und Filme von Vivendi. Für den Start wählen wir noch Apps, die eigene Fotos und Videos auf den TV übermitteln. Erstes Fazit nach wenigen Testrunden: Das Nutzererlebnis ist gut, die Technologie funktioniert solide. Videos und andere Inhalte erscheinen ohne große Verzögerung auf dem TV-Bildschirm, und das in brauchbarer Qualität.
Der Musikvideodienst Vevo von Universal Music Group hat uns als App auf Chromecast besonders gut gefallen. Auf Seiten der großen Sender stellt das ZDF für seine Mediathek eine Integration mit Chromecast ab Ostern in Aussicht; auch der BR plant den Schritt. ARD und 3sat halten sich noch zurück. Wer nicht so lange warten will: Für Android gibt es bereits eine Chromecast App, die alle Mediatheken von ARD, ZDF, 3sat und arte bündelt – auf eigene Faust des App-Anbieter und ohne offizielle Unterstützung der Sender. In Großbritannien ist man weiter: BBC iPlayer liefert seine kompletten Abruf-Inhalte an Chromecast aus. Die Bedienlogik über Smartphone-Apps ist komfortabel und funktioniert nahezu “frustfrei”. Chromecast bildet also in Verbindung mit Apps auf einem Smart-Device zunächst auch eine intelligente Fernbedienung, die wie aus einem Guss den kleinen mit dem großen Screen verbindet.
Chromecast Launchvideo von Google – seit 19. März ist das Streaming-Produkt auch in Deutschland erhältlich
Step 4: Was ist sonst noch anders? Echtes Multitasking!
Es sind weniger die Inhalte selbst, die Chromecast zum Must-Have machen würden. YouTube, Vevo und Co bis hin zu den Mediatheken gibts natürlich überall zu sehen. Das ist auch nicht der Punkt. Es geht darum, wie online verfügbare Inhalte auf den “Big Screen” im Wohnzimmer gelangen, wie komfortabel das geschieht und wie das Ganze zum Verhalten des Nutzers passt. Und hier bietet Chromecast spürbare Vorteile: Denn die Technologie ermöglicht wirkliches Multitasking. Warum? Bei Chromecast erfolgt kein Streaming von Gerät zu Gerät – im Gegensatz zu anderen Anbietern wie auch Apple TV. Die Smartphone-App gibt dem Stick lediglich den Steuerbefehl, den angewählten Inhalt online zu beziehen. Dadurch findet weniger Daten-Traffic zwischen den Geräten statt, unsere iPhone-Batterie wird geschont. Und wichtiger noch: Während die Wiedergabe über Chromecast läuft, kann das Smartphone für anderes genutzt werden – sei es zum Telefonieren, Twittern oder, um nach Inhalten zu suchen, die als nächstes gespielt werden. Die Multitasking-Fähigkeit erscheint uns als das größte Plus des Technologieansatzes von Google – denn die Bedienfreiheit bringt Spaß und fördert eine sinnvolle Interaktivität mit den Inhalten und Apps.
Step 5: Suchen, finden – und etwas zuwarten mit 100+ Apps
Google Chromecast ist als offenes System ausgelegt und verspricht somit viele weitere Apps für die Zukunft. In den USA startete Chromecast Mitte 2013. Dennoch wurde erst jetzt im Februar ein SDK für Chromecast veröffentlicht, also ein „Software-Development-Kit“, mit dem Entwickler Apps erstellen. Als wir den Chromecast vor einer Woche gekauft haben, gab es rund 20 schnell auffindbare Apps für iPhone. Sieben Tage später sind es schon über 30. Und für das Smartphone-Betriebssystem Android lassen sich noch wesentlich mehr finden. Über alle Systeme hinweg (Android, iOS, Mac, Windows 7, Chrome OS) kommen deutlich über 100 Chromecast-Apps zusammen. Wir haben bislang fast jeden Tag neue Apps entdeckt und sind immer wieder auf gute Ideen gestoßen.
Chromecast einrichten – danach übernehmen Apps auf Smartphone und Co die Steuerung und bringen Medieninhalte online auf den Fernseher
Ausblick: Hartes Marktumfeld mit Apple TV, Sky, Netflix – und ganz neu Amazon Fire TV
Der Markt für TV-Content und -Hardware kommt mit Chromecast weiter in Bewegung – und die Dynamik dürfte noch zulegen: Auch die US-Onlineplattform Netflix will in 2014 finanziell gut ausgerüstet nach Europa mit ihren Serien- und Filmangeboten vordringen. Die Onlinedienste Lovefilm/Prime sowie Maxdome von ProSiebenSat1 haben vorsorglich ihre Preise gesenkt. Ebenso ist das neue Sky-Abrufangebot “snap” preislich unter dem Premium-Angebot “Sky” positioniert. Der Markt geht also in eine härtere, schnelle und anspruchsvolle Phase über, mit ersten Anzeichen eines Verdrängungswettbewerbs.
Apple gibt den Qualitätsbenchmark vor – auch für Smart TVs
Schließlich hat Apple TV seit längerem die Messlatte hoch gelegt, zumindest in punkto Qualitätsgarantie: Für rund 100 Euro gibt es mit Apple TV ein hochwertiges Nutzererlebnis, um Medieninhalte auf den Fernseher zu streamen. Wie immer geht das bei Apple im Wesentlichen nur im geschlossenen System, von iPhone und Co bis iTunes. Die Smart TVs der großen TV-Hersteller können da aufgrund wenig intuitiver User Interfaces kaum mithalten. Zwar stehen viele Abrufdienste und TV-Apps zur Verfügung. Aber die Eingabe von Suchbegriffen und die Navigation mit der klassischen TV-Fernbedienung sind einfach umständlich. Denkbar ist, dass auch die TV-Hersteller Smartphones und Tablets als “bessere” Fernbedienung stärker einbeziehen. Bei einigen Anbietern ist das bereits anfänglich so gelöst, um das Nutzererlebnis aufzuwerten.
Sky und Maxdome – mit Multiplattformstrategie so ziemlich überall
Die klassischen Kabelfernseh- und Pay-TV-Anbieter haben bis vor wenigen Jahren noch exklusiv auf eigene Hardware mit Set-Top-Boxen und Digitalrekordern gesetzt, um dem Zuschauer die eigenen Programmwelten näher zu bringen. Zusatz-Apps für Onlinedienste tun sich auf einfacher Set-Top-Box-Hardware aber etwas schwer. So haben Sky und auch Maxdome längst eine Multiplattformstrategie eingeschlagen und sind mittlerweile von Digitalrekorder bis Smartphone, Tablet und Smart TV überall vertreten. Bleibt abzuwarten, ob “snap” für Chromecast angeboten wird. Bei Apple TV und “Samsung Smart TV” ist “snap” dabei. Der Abrufdienst Maxdome unterstützt bereits Chromecast.
Schnelle Marktentwicklung
Die große Frage für alle Marktakteure wird sein, wie die aktiveren Bedürfnisse des Nutzers nach persönlicher Auswahl und Interaktivität nachhaltig angesprochen, monetarisiert und noch intuitiv-bedienbarer auf dem TV dargestellt werden können. Zu diesen Bedürfnissen zählt beispielsweise auch der lukrative Bereich der Videogames. Es geht also insgesamt um ein Multimilliarden-Marktumfeld. Daher kommen noch mehr Wettbewerber hinzu.
Amazon neu mit Fire TV
Neuester Player im Markt ist der US-Online-Riese Amazon, der sein neues “Amazon Fire TV” am 2. April in New York präsentierte. Amazon setzt auf eine Video-Streaming-Box mit potenter Hardware, eine Fernbedienung mit eingebautem Mikrofon für die Inhaltesuche per Sprachbefehl sowie einem optionalen Game-Controller. Das System bindet Inhalte der großen US-Anbieter wie Hulu, Netflix und Showtime ein sowie den eigenen Videodienst “Prime”. Mit zum Angebot von Fire TV zählen Games: Bei der Präsentation wurden “Tausende von Spielen ab nächsten Monat” in Aussicht gestellt – wiederum als Plattform für Partner sowie die konzerneigenen Spiele von Amazon Game Studios. Games sind weder bei Chromecast noch Apple TV in dieser Art dabei. Fire TV ist damit auch ein Konkurrent kleinerer Konsolenanbieter – allerdings nicht leistungsfähig genug, um direkt die teurere Xbox und Playstation anzugreifen. Fire TV kann neben der Fernbedienung auch über Tablets und Smartphones bedient werden, bevorzugt aber die konzerneigene Tablet-Hardware “Kindle” durch Zusatzfunktionen wie Synchronisation. Die Box kostet 99 US-Dollar und ist ab sofort und nur in den USA verfügbar.
Homescreen von Amazon Fire TV – die Streamingbox kostet 99 US-Dollar und bietet vor allem Videos, Spiele und Musik; gesteuert wird per Fernbedienung, Tablet oder Smartphone // © Business Wire
Amazon nennt Fire TV “dreimal so stark” wie Apple TV und Chromecast. Auch Musikangebote wird Fire TV umfassen, aber “erst ab Mai”. Man hat es also eilig, jetzt am Markt aufzutreten. Wir werden den Start weiter verfolgen, um Fire TV genauer einschätzen zu können. Aus Sicht der Hardware und der eingebundenen Dienste ist Fire TV ein deutlich üppigerer Ansatz als Chromecast und auch Apple TV. Games sind ein USP.
Unser Fazit nach einer Woche mit Google Chromecast
Das Nutzererlebnis mit Chromecast bringt Spaß und Mehrwert. Apps lassen sich per Smartphone einfach besser bedienen, als es wohl jemals über eine klassische TV-Fernbedienung möglich sein wird. Der Stick macht ältere Fernseher internetfähig und bringt so neue Inhalte und Funktionalität. Smart-TVs, die bereits online gehen können, werden mit Chromecast als Ergänzung erweitert – ggf. sogar im Bereich Abruf-Funktionen substituiert, weil die Bedienbarkeit von Chromecast überzeugender ist. Der wahre Erfolg wird von der Anzahl, Kreativität und Qualität der Apps abhängen, die noch kommen. Das klassische Fernsehen, Pay-TV und Co wird ein Stick für nur 35 Euro jetzt nicht bedrängen, aber er fördert die Änderung des Nutzerverhaltens in Richtung einer gezielteren und persönlicheren Auswahl von Medieninhalten. Das hat was von Freiheit und Selbstbestimmung. Trotz der geringen Anschaffungskosten bezahlt man natürlich einen Preis: Beispielsweise bringt Vevo zwischen den Musikvideos meist einen Werbespot. Anfang der Woche kam “Rdio” als Chromecast-App hinzu. Rdio ist ein breit aufgestellter Online-Musikdienst – entweder mit Werbung versehen bei begrenztem Zugriffskontingent oder im Bezahl-Abo erhältlich.
Der Start von Chromecast in Deutschland sieht vielversprechend aus; Google selbst spricht von “starker Nachfrage”, und tatsächlich ist der Stick einer der beliebtesten Artikel auf dem Kaufportal amazon.de. Stellt sich nur die Frage, ob das so bleibt, falls Amazon mit Fire TV doch schon bald nach Europa kommt – bei dem Markttempo. OSK bleibt dran.
// Über den Autor
Ansgar Gerber ist Digital-TV- und Medienexperte der ersten Stunde. Seit dem Beginn des digitalen Fernsehens verfolgt der Betriebswirt beruflich wie privat die Digitalisierung der Medien, egal ob online, per Satellit, Kabel oder IPTV. Angefangen auf Industrieseite beim Digital-TV Pionier galaxis, betreut und berät Ansgar Gerber seit rund 15 Jahren führende Unternehmen der Medien-, Technologie- und Softwareindustrie mit Schwerpunkt PR, Media Relations und Corporate Communications. // E-Mail