eSports boomt. Weltweit und auch hierzulande verzeichnet die Branche von Jahr zu Jahr neue Wachstums- und Umsatzrekorde. Viele Marken tun sich mit einem Engagement aber schwer. Zu undurchsichtig scheint die Gaming-Branche. In unserer neuen Artikelreihe wollen wir daher mit eSports-Experten sprechen und sie fragen, welche Potenziale die Szene für die Marketing- und Kommunikationsbranche hat, wie man einen authentischen Zugang zur Community bekommt und wer die Multiplikatoren sind.

Tim Reichert war früher Fußballprofi. Heute verantwortet er als Chief Gaming Officer beim FC Schalke 04 die strategische Ausrichtung im Bereich eSports. Der Bundesligaverein aus dem Ruhrgebiet ist seit 2016 in Titeln wie League of Legends, FIFA und Pro Evolution Soccer aktiv. Welches Ziel der Fußballclub mit seinem eSports-Engagement verfolgt und welche Chancen sich daraus für den Traditionsverein ergeben, erklärt Tim Reichert im OSK-Interview.

eSports Schalke 04
Auf die Nachwuchsarbeit des Schalke 04 ist Tim Reichert stolz. Neben der Förderung von LoL-Talenten gibt es auch ein Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche, das klassischen und elektronischen Sport miteinander verbindet. (Bild: FC Schalke 04 Esports)

Herr Reichert, welches primäre Ziel verfolgt Schalke 04 bei eSports?

Mithilfe des eSports erreichen wir junge Menschen, bei denen es immer herausfordernder wird, sie über unser Kerngeschäft – insbesondere international – anzusprechen. In Asien und den USA ist eSports extrem beliebt, beides sind Kernmärkte unserer Internationalisierungsstrategie. Dort, wo sich der elektronische Sport gegenwärtig noch viel größerer Beliebtheit erfreut als in Europa, möchten wir die Menschen mithilfe des eSports für den FC Schalke 04 emotionalisieren.

Steckt hinter Ihrem Engagement eine bestimmte Philosophie?

Wir achten sehr stark darauf, im eSports auf die Werte zu setzen, die der Verein seit Jahrzehnten vorlebt. Entsprechend ist unser Engagement auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Beispielsweise legen wir unser Augenmerk auf die Förderung und Entwicklung junger Talente.

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Sie sind selbst lange Profifußballer gewesen. Welche Parallelen sehen Sie zwischen dem klassischen Sport und eSports?

Kompetitives Gaming ist längt zu einem professionellen und vollwertigen Sport herangewachsen. Entsprechend gibt es eine Vielzahl von Parallelen zum klassischen Sport: Die Ligastrukturen, der Wettkampf, die mentalen Anforderungen an die Spieler und das regelmäßige Training sind nur ein Bruchteil der tatsächlichen Berührungspunkte.

Wie kann man sich den Trainingsalltag eines eSports-Profis bei Schalke 04 vorstellen? Ihre eSports-Teams werden sicherlich kein Ausdauertraining machen müssen, oder?

Klassischer Sport ist ein wichtiger Bestandteil im Trainingsalltag unserer Athleten. Es liegt an uns, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln und uns von Stereotypen zu lösen. Unsere Spieler verbringen viel Zeit im Sitzen. Daraus entstehen besondere Anforderungen an ihre Gesundheit und an ein optimales Training. Mit entsprechenden Übungen steigern und erhalten wir die körperliche Fitness unserer Spieler und minimieren gleichzeitig das Risiko einer Verletzung.

Achten Sie hierbei auch auf die richtige Ernährung?

Klar, zu einem ganzheitlichen Trainingskonzept gehört auch eine ausgewogene Ernährung. Denn nur ein gesunder Körper kann über mehrere Stunden mentale Höchstleistungen vollbringen. Hier können wir auf die Learnings aus dem Profifußball zurückgreifen.

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Die meiste Zeit verbringen Ihre Spieler aber schon vor dem Monitor, oder?

Natürlich trainieren unsere Athleten neben dem klassischen Sport hauptsächlich am Computer. Aber auch dieses Training ist weitaus vielschichtiger, als man es sich zunächst vorstellen mag: Gemeinsam mit dem Head Coach und Head Analyst werden Videoanalysen und Teambesprechungen durchgeführt. Zu jedem Spiel gibt es eine intensive Vor- und Nachbereitung.

Manche Bundesligavereine wie der VfL Wolfsburg oder eben Schalke 04 haben schon sehr früh in eSports investiert – andere verzichten darauf und setzen weiterhin auf den traditionellen Sport. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis alle Bundesligavereine ihre eigenen eSports-Teams haben werden?

In der vergangenen Saison haben 22 Vereine der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga an der Virtual Bundesliga Club Championship teilgenommen. Der Deutsche Fußball-Bund hat eine eigene eNationalmannschaft berufen. Vor drei Jahren wäre diese Entwicklung für die meisten Clubs noch unvorstellbar gewesen. Sicherlich hat der FC Schalke 04 mit seinem Engagement auch zu dieser Entwicklung beigetragen. Ich bin überzeugt, dass in Zukunft weitere Vereine nachziehen werden.

In einer aktuellen Studie von Deloitte zum europäischen eSports-Markt wurde der Umsatz von 2018 auf etwa 240 Millionen Euro beziffert. In den nächsten fünf Jahren wird ein jährliches Wachstum von etwa 23 Prozent erwartet. Freuen Sie sich über den Boom von eSports oder sehen Sie das Ganze eher kritisch und glauben, der Hype ist bald vorbei?

Trotz der enormen Aufmerksamkeit, die eSports momentan genießt, wäre es meiner Meinung nach falsch, elektronischen Sport auf einen Hype zu reduzieren – im Gegenteil: Eben diese Aufmerksamkeit hat dazu beigetragen, dass sich professionelle Strukturen wesentlich schneller entwickeln, die auf Nachhaltigkeit und Langlebigkeit ausgelegt sind. eSports wird weiter wachsen und seine Popularität wird zunehmen, da eine neue Generation wie selbstverständlich mit dem elektronischen Sportangebot aufwächst.

Gerade Millennials können sich mit eSports identifizieren. Eine Zielgruppe, an die etablierte Marken für gewöhnlich nur schwer herankommen. Welche Chancen ergeben sich für Unternehmen, die sich hier engagieren möchten?

Unternehmen sehen sich damit konfrontiert, eine junge Zielgruppe zu erreichen, die über etablierte Kommunikationskanäle kaum noch erreichbar ist. eSports bietet Unternehmen die Möglichkeit, diesen Menschen dort zu begegnen, wo sie sich aufhalten und wo ihre Interessen liegen. Diese Gelegenheit nutzen längst nicht nur Unternehmen, die aus dem Gaming kommen. Der Hauptsponsor des „FC Schalke 04 Esports“, die R+V Versicherung, ist ein sehr gutes Beispiel für ein Unternehmen, das sich sympathisch und authentisch im eSports engagiert. Nur auf diese Weise ist es möglich, die Zielgruppe auch tatsächlich zu erreichen.

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Gibt es Schnittmengen bei Ihren Zielgruppen, der Schalke-eSports-Zielgruppe und des traditionellen Fußballclubs?

Auf jeden Fall. Uns liegt extrem viel daran, unsere Fans zusammenzubringen. Wir wollen genau diese Schnittmengen. Deshalb suchen wir auch immer wieder neue Wege, dies zu ermöglichen.

Zum Beispiel?

Ein Beispiel wäre, dass wir vor einem Heimspiel unseren Fußballfans unser neues League-of-Legends-Team auf dem Rasen vorstellen. Ein anderes Beispiel: Auf der jährlichen Mitgliederversammlung tragen wir ein FIFA-Spiel vor rund 10.000 begeisterten Zuschauern aus. eSports ist vollumfänglich auf Schalke integriert. Viele unserer professionellen eSports-Athleten sind selbst von klein auf Anhänger des FC Schalke 04 und sie identifizieren sich zu 100 Prozent mit unserem Verein. Darauf sind wir unheimlich stolz.

Deutschland ist nach den USA und Südkorea einer der wichtigsten eSports-Märkte weltweit. Was macht Deutschland als Markt so interessant und stark?

Deutschland ist grundsätzlich wirtschaftlich sehr stark. Nicht umsonst hat Spielehersteller Riot Games Berlin als Standort für die League of Legends European Championship (LEC) ausgewählt. Hinsichtlich der Akzeptanz des eSports im Allgemeinen haben wir jedoch – selbst im europäischen Vergleich – noch immer das Nachsehen. Die skandinavischen Länder beispielsweise sind uns in dieser Hinsicht noch ein Stück voraus.

Zum den vorherigen Teilen der Reihe geht’s hier.

Über den Autor

Oliver Nermerich ist Kommunikationswissenschaftler und lebt im Internet. Bei OSK arbeitet er als Manager Online/Social Media und entwickelt kundenübergreifend Strategien, Auftritte und Kampagnen für das Internet und mobile Anwendungen. Auch privat dreht sich bei ihm alles um die digitale Welt: Er gehört zum Autorenteam des Lifestyle-Blogs Whudat.de und betreibt mit Freunden das Rolling-Magazin "Be-Mag". Sein Smartphone gibt er nur aus der Hand, wenn er auf sein Board steigt und an der Algarve die nächste Welle surft. Für das OSK Blog spürt er die neuesten Trends und Entwicklungen im Netz auf und spricht mit Meinungsmachern und Digital Influencern.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.