eSports boomt. Weltweit und auch hierzulande verzeichnet die Branche von Jahr zu Jahr neue Wachstums- und Umsatzrekorde. Viele Marken tun sich mit einem Engagement aber schwer. Zu undurchsichtig scheint die Gaming-Branche. In unserer Artikelreihe wollen wir daher mit eSports-Experten sprechen und sie fragen, welche Potenziale die Szene für die Marketing- und Kommunikationsbranche hat, wie man einen authentischen Zugang zur Community bekommt und wer die Multiplikatoren sind.
Das Kölner Unternehmen ESL ist weltweit der größte Veranstalter von eSport-Wettkämpfen. Bei der Turnierreihe „ESL One“ strömen Tausende Zuschauer in Köln, Hamburg, New York oder Rio de Janeiro in die Stadien und feuern ihre Teams lautstark an. Wir haben mit Christopher Flato, Head of PR ESL Global und Jugendschutzbeauftragter, über Veränderungen in der Zielgruppe, den eSport-Standort Deutschland im internationalen Vergleich und deutsche eSport-Metropolen gesprochen.
Was unterscheidet ein ESL-Turnier von einem Besuch im Fußballstadion?
Das zielt auf die Frage traditioneller Sport versus virtuellen Sport ab. Wenn wir uns auf die Gemeinsamkeiten fokussieren, sind die Fans zu nennen, die Euphorie, eine Sportstätte und die Athleten. Was nicht identisch ist: Beim eSport gibt es keine strikt getrennten Lager, denn das Publikum jubelt nicht unbedingt für nur ein Team, sondern für die Matches und die Superstars. Natürlich gibt es auch Fans von bestimmten Teams, allerdings wird bei uns eher der Sport als Gesamtes gefeiert.
Beim eSport gibt es keine strikt getrennten Lager.
Und in Bezug auf das Körperliche?
Die körperlichen Merkmale sind im eSport natürlich nicht so ausgeprägt. Alles, was die Zuschauer sehen, sind die Avatare, die bewegt werden, und die Spieler, die vorne auf der Bühne sitzen. Die Herausforderung für uns besteht darin, die Spieler, welche hinter diesen Avataren stecken, mit ihren positiven als auch negativen Emotionen in die Halle und den Stream zu übertragen. Bei den Spielern gibt es Frust, Anspannung und Wut ebenso wie Freude, Erleichterung und Euphorie. Diese Emotionen soll der Zuschauer mitbekommen, denn das ist genau das, was den eSport ausmacht: Leidenschaft und dass man für etwas brennt.
Wie viele Menschen schauen sich ein ESL-Turnier im Durchschnitt an?
Die ESL One Hamburg und die ESL One Cologne sind die größten Veranstaltungen, die wir in Deutschland ausrichten. Da verzeichnen wir maximal 15.000 Live-Zuschauer pro Tag über die Play-offs, also am Freitag, Samstag und Sonntag. Bezüglich der Online-Zuschauer sprechen wir natürlich über eine ganz andere Dimension. Da geht es tatsächlich pro Match in die Millionenhöhe – je nach Event und nach Spiel. Das heißt: Wir verzeichnen über ein Wochenende mehrere 20 oder 30 Millionen Unique User.
Wie würdest du euer Publikum beziehungsweise eure Zielgruppe beschreiben?
Die Zielgruppe hängt sehr stark vom Spiel ab. Vor allem „Counter:Strike“ hat eine deutlich ältere Zielgruppe als beispielsweise ein „Fortnite“ oder ein „League of Legends“. Das hängt unter anderem auch mit der Alterseinstufung zusammen. Wenn ich aber einen groben Durchschnitt ziehen soll, würde ich unsere Zielgruppe wie folgt beschreiben: 16 bis Mitte/Ende 20, Early Adopter, sehr technikaffin, verdienen im Durchschnitt sehr gut. Das sind meistens Menschen aus IT-Berufen oder Studierende, die bereits ihren ersten Job haben – gerade wenn man sich die Alterssparte Ende 20 anschaut. Ansonsten handelt es sich um eine sehr homogene Zielgruppe, die größtenteils männlich ist. Der Anteil zwischen Männern und Frauen ist mit 70 zu 30 ähnlich wie im traditionellen Sport.
Die Szene wird nach oben hin immer älter, aber von unten wächst sie nach.
eSport boomt – seit Jahren. Bemerkt man die zunehmende Popularität auch bei eurer Zielgruppe? Verändert die sich gerade?
Es sind zwei Entwicklungen, die wir betrachten. Auf der einen Seite verändert sich die Zielgruppe, weil sie älter wird. Das heißt, diejenigen, die mit 15 oder 16 Jahren die früheren „Counter:Strike“-Versionen gespielt haben, sind heute Ende 20/Anfang 30 und haben vielleicht selbst schon Kinder. Auf der anderen Seite stehen die neuen Zielgruppen – junge Teenager im Alter von 13 oder 14 Jahren –, die mit Themen wie Internet, Globalisierung und Digitalisierung aufgewachsen sind. Dadurch besteht bei ihnen eine enge Verzahnung zu den Themen eSport und Gaming. Die Szene wird also nach oben hin immer älter, aber von unten wächst sie nach.
Über Nachwuchs braucht ihr euch also keine Sorgen zu machen.
Überhaupt nicht.
Merkt ihr bei der ESL, dass die allgemeine Akzeptanz gegenüber eSport in der Gesellschaft zunimmt und daher auch die Bereitschaft zur Kommunikation sowie zum Austausch mit dem Thema?
Ja, auf jeden Fall. Du siehst das allein schon daran, dass mehr und mehr jüngere Menschen in wichtigen Entscheiderpositionen sitzen, sowohl in der Politik als auch in der Industrie. Dennoch glaube ich, dass eSport in Deutschland ein schweres Thema ist, da die deutsche Gesellschaft neuen Entwicklungen häufig sehr skeptisch gegenübersteht. In Skandinavien ist eSport zum Beispiel ein ganz normaler Volkssport.
Das ist in Deutschland immer noch anders, Stichwort „Killerspiele“.
Genau. Killerspiele, Amokläufe, das sind alles sehr bedauerliche Themen, bei denen allerdings eSport nie die Wurzel des Übels war. Ich glaube, es wurde leider lange als Sündenbock missbraucht, um den tatsächlichen Ursachen aus dem Weg zu gehen. Mittlerweile ist die Stimmung in Bezug auf Gaming in Deutschland aber positiver. Es tut sich viel, auch Richtung Politik.
Wir müssen vor allem schauen, dass uns andere Länder nicht abhängen.
Siehst du dennoch viel Spielraum in Deutschland, was die politischen und wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen betrifft?
Potenzial ist immer da. Wir müssen vor allem schauen, dass uns andere Länder nicht abhängen. eSport ist ein interessanter Wirtschaftszweig. Stichwort Standortförderung. Da muss Deutschland am Ball bleiben, gerade auch weil eSport-Veranstaltungenein Touristenmagnet sind.
Welchen ökonomischen wie auch gesellschaftlichen Stellenwert wird eSport in Deutschland in 20 oder 30 Jahren deiner Meinung nach haben?
Wenn ich ehrlich bin, habe ich heute Morgen nicht in meine eSport-Glaskugel geschaut. Ich bin jedoch zuversichtlich. Wenn man sich die Entwicklung des eSports anschaut, so war Deutschland eigentlich sehr weit vorne mit dabei – wir, die ESL, feiern in diesem Jahr unser 20-jähriges Jubiläum. Trotzdem hat es sehr lange gedauert, bis das Thema hierzulande wirklich salonfähig wurde. In dieser Zeit haben uns leider andere Länder den Rang abgelaufen. Da gilt es jetzt, wieder nach vorne zu preschen.
Was sind in Deutschland die großen eSport-Metropolen? Gibt es bestimmte Städte, die sich besonders hervorgetan haben?
Wir haben in Köln sicherlich durch die Gamescom und die ESL einen der größten Standorte für eSport in Deutschland. Da passiert sehr viel. In Berlin sitzen die Freaks 4U – ebenfalls ein großer eSport-Wettbewerber – und der eSport-Bund Deutschland. In der Hauptstadt haben auch schon „League of Legends“-Weltmeisterschaften stattgefunden. Nach Köln und Berlin sind noch Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt und München als relevante eSport-Standorte zu nennen.
Zum den vorherigen Teilen der Reihe geht’s hier.
// Über den Autor
René Krempin hat Kultur- und Medienwissenschaften studiert und über mehrere Stationen bei Print- und Online-Medien den Weg in die Agentur gefunden. In den letzten zwei Jahren betreute er als Redakteur den Online-Auftritt des Wirtschafts- und Lifestyle-Magazins Business Punk. Bei OSK arbeitet er als Online- und Social-Media-Redakteur. Mit großem Interesse verfolgt er unter anderem die Entwicklungen in der eSports-Szene. In seiner Freizeit ist er aber auch gerne analog unterwegs: mit Freunden auf dem Bolzplatz.