Matze Hielscher und Pierre Türkowsky wissen, wie man ausschweifende Feste feiert und wo man in ihrer Heimatstadt Berlin Spaß haben kann. Nicht umsonst heißt ihr 2010 gegründetes Stadtmagazin „Mit Vergnügen“. Auf der Seite, die täglich rund 10.000 Leser mit Beiträgen gegen Langeweile versorgt, sammeln die beiden Berliner und ihr Team spannende Inhalte aus dem scheinbar unerschöpflichen Content-Hub Berlin und empfehlen die coolsten Partys, Ausstellungen, Filme und Music Acts der Hauptstadt – seit Anfang des Jahres übrigens auch aus Hamburg. So weit so gut. Veranstaltungsportale gibt es allerdings schon viele, und man mag sich fragen, warum ausgerechnet Mit Vergnügen so erfolgreich ist. Wir wollen es herausfinden.
Ein spannendes Detail im Konzept von Matze und Pierre sollte daher unbedingt noch erwähnt werden: Die beiden liefern nicht nur erstklassige Tipps zum Ausgehen, sondern verzichten auf ihrer Website gänzlich auf Werbebanner und setzen stattdessen auf bezahlte Inhalte. Eine Strategie, die sich auszuzahlen scheint, aber in der aktuellen Journalismus-Debatte nicht ganz unumstritten ist. Wir haben mit Matze gesprochen und uns im Gespräch erklären lassen, wie Mit Vergnügen funktioniert.
2010 haben Matze und Pierre (von links) „Mit Vergnügen“ gegründet. Seither empfehlen sie zusammen mit ihrem Team von Autoren jeden Tag eine vergnügliche Veranstaltung in Berlin.
Oliver Nermerich: Am Küchentisch von Matze habt ihr beschlossen, zu bloggen. Wie seid ihr da gelandet, und wie habt ihr euch kennen gelernt?
Matze Hielscher: Wir wissen nicht mehr, wo wir uns kennen gelernt haben. Es ist ewig her. Ich schätze mal 18 Jahre. Wir haben in unserer Freizeit gemeinsam Partys veranstaltet und uns 2010 überlegt, das Ganze zu professionalisieren. „Mit Vergnügen“ war eigentlich nur als eine Art Visitenkarte für eine Eventagentur gedacht. Mittlerweile schreiben wir aber viel mehr, als wir tanzen.
Stimmt es, dass ihr bereits vor dem Launch eurer Webseite eine Art Newsletter im Einsatz hattet, der ausschließlich auf SMS-Basis funktionierte?
Ja das stimmt. Pierre hatte einen SMS-Verteiler, den er mit Partytipps versorgt hat. Alles Freunde. Das Prinzip, dass wir täglich nur ein Vergnügen empfehlen, kommt auch daher.
Thematisch dreht sich bei euch alles um das Vergnügen. Was versteht ihr unter dem Begriff, und wann habt ihr es zuletzt selbst erlebt?
Es gibt ein schönes Gedicht von Bertolt Brecht. In „Vergnügungen“ zählt er auf: die Zeitung, der Hund, neue Musik, alte Musik, begeisterte Gesichter, Reisen, Singen, freundlich sein. Zuletzt vergnügt war ich vor zehn Minuten. Unsere Mitarbeiterin Natalia hat wirklich die besten und lustigsten Ausreden für ihr Zuspätkommen. Wir haben uns gerade ihre Kurznachrichten vorgelesen und wollen daraus einen Artikel machen.
Inzwischen schreiben über 20 Autoren für euch. Ist das Magazin trotzdem noch ein 24/7-Job?
Es gibt ja noch andere Dinge als den Job. Familie sehen, Schlafen und Essen tun wir auch sehr gern.
„Für uns sind die sozialen Netzwerke das, was für die Zeitung der Kiosk ist.“
Welchen Anspruch stellt ihr an die Inhalte von „Mit Vergnügen“?
An erster Stelle steht bei uns die Frage, wie wir Inhalte selbst finden. Letzte Woche habe ich ein Video gefunden, und mir sind vorm Rechner die Tränen vor Lachen gekommen. Ich habe es dann den Anderen gezeigt, die ebenfalls gelacht haben. Danach haben wir den Film auf Mit Vergnügen gezeigt, und er wurde über 300-mal geteilt. Im Grunde ist das oft die Frage: Kann ich als Autor persönlich etwas mit dem Thema anfangen? Zeige/empfehle ich es auch meinen Freunden und Kollegen? Das ist der Anspruch, den wir an die Inhalte stellen.
Wie kommt euer Team an die Inhalte? Recherchiert ihr sie selbst und live auf der Straße und im Netz, oder werden euch Inhalte von Lesern angeliefert?
Eine Mischung aus allem. Unsere Tagestipps filtert Isabell Zucker für uns vor, schickt uns eine Auswahl, aus der wir dann gemeinsam die Tagestipps bestimmen. Sie bekommt die Tipps durch Veranstalter-Newsletter, Freunde, Facebook-Einladungen, Plakate in der Stadt. Dann gibt es einen Redaktionschat, in dem auch alle freien Autoren drin sind. Dort posten wir Themen, teilen interessante Artikel und lustigen Kram. Manche Sachen davon landen direkt auf dem Blog, andere brauchen eine längere Aufbereitung.
Ihr habt sowohl im Tagesspiegel als auch auf Zeit.de eine eigene Serie. Könnt ihr sagen, wieviel mehr Traffic dadurch auf eure Seite kommt?
Man wird dadurch kein Klickmillionär, aber es sehen mehr Menschen unsere Inhalte. Das ist etwas, auf das wir uns auch sehr fokussieren: Wie kriegen wir die Artikel bestmöglich verteilt? Und zu einem Vertriebssystem gehören Kooperationen.
Matze Hielscher war früher Möbelverkäufer, heute betreibt er einen der erfolgreichsten Blogs Berlins.
Apropos Traffic – auf „Mit Vergnügen“ gibt es Artikel mit Headlines wie „11 Dinge, die ihr über Ello wissen müsst“, die an die Clickbait-Headlines von BuzzFeed erinnern. Werden solche Artikel häufiger angeklickt? Wie ist eure Erfahrung dabei?
Wir vermeiden Clickbait. Was hätten wir auch davon, wenn die Leute durch eine Headline auf die Seite kommen, aber nicht das bekommen, was sie sich versprochen haben und enttäuscht wieder gehen? Bei uns ist die Wiederkehrrate ein wichtiger Messwert. Wir verkaufen keine Banner und müssen darum auch nicht die Zugriffe mit Tricks wie Klickgalerien künstlich nach oben treiben. Für uns zählt der zufriedene Leser, der unseren Inhalt mit seinen Freunden teilen will. Ein Artikel muss das Versprechen der Überschrift halten.
Welche Inhalte funktionieren bei euch am besten?
Lokale Geschichten wie unsere Eckensteher-Serie wird oft gelesen, unsere Food Soap „40 Days of Eating“ und unsere GIF-Interviews. Und natürlich unterhaltsamer Quatsch wie „Die 11 schönsten Berliner und Berlinerinnen“. Diese Beiträge wurden über 100.000-mal angeklickt und zählen zu den erfolgreichsten Posts.
Ihr seid auf Twitter, Facebook und Instagram unterwegs. Wieso sind die Kanäle aus eurer Sicht so wichtig für das Magazin? Über welches Netzwerk kommen die meisten Leser?
Bei uns kommen die meisten Leser über Facebook. Für uns sind die sozialen Netzwerke das, was für die Zeitung der Kiosk ist.
Erzählt mal, wie verdient ihr mit eurer Seite überhaupt Geld?
Wir verdienen durch Sponsored Content Geld. Entweder kommen Marken auf uns zu oder wir auf sie, und wir schauen, ob deren Botschaft/Produkt/Kampagne zu uns passt. Wenn ja, entwickeln wir daraus eine Geschichte für Mit Vergnügen. Dafür lassen wir uns bezahlen. Auf der Website sind diese Posts unter der Überschrift und unter dem Artikel als „sponsored“ gekennzeichnet. Für uns ist Werbung nicht Mittel zum Zweck, wir wollen, dass die Geschichten genauso wertig sind wie alle anderen. An den Kampagnen, die wir gemacht haben, sehen wir, dass das sehr gut funktioniert, wenn die Marke bereit ist, in den Hintergrund zu treten, und über den Inhalt ein Mehrwert geboten wird. Außerdem veranstalten wir Events, dadurch verdienen wir auch Geld.
Euer Redakteur Thilo Mischke schrieb kürzlich einen meinungsstarken Beitrag über den nahenden Tod des Printjournalismus. Für ihn ist Native Advertising bzw. Sponsored Content ein unheimliches Wort, für euch ein Geschäftsmodell. Darf man eurer Seite aufgrund des Einsatzes von Native Advertising eine journalistische Qualität absprechen?
Die Leute lesen uns ja nicht in erster Linie wegen der gesponserten Geschichten, aber wie gerade gesagt, ist bei uns die Werbung nicht Mittel zum Zweck. Bei uns schalten die Leute nicht ab, wenn die Werbung kommt. Ich denke, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was qualitativer Journalismus ist. Ich bin zum Beispiel kein Journalist, und ich bewerte unseren Inhalt und auch andere Inhalte nicht nach journalistischen Standards. Für mich zählt: Ist es eine gute Geschichte, berührt sie mich, wird sie gut erzählt?
Leben in der digitalen Welt: „Für uns sind die sozialen Netzwerke das, was für die Zeitung der Kiosk ist.“
Sein Vorschlag war es übrigens auch, gelernte Printjournalisten mit Bloggern in Redaktionen zu mixen, sodass beide Parteien voneinander profitieren können. Würdet ihr einen Printjournalisten bei euch einstellen?
Für mich persönlich spielt eine Ausbildung überhaupt keine Rolle, ich selbst bin gelernter Möbelverkäufer. Wir entscheiden danach, ob wir die Texte und Themen des Autors mögen und ganz wichtig: ob wir uns vorstellen können, mit der Person täglich im Büro zu sitzen. Grundsätzlich ist jede Form von Austausch wichtig, und wir freuen uns, dass Thilo, der ja von Print kommt, immer wieder für uns schreibt. Dabei spielt es aber gar keine Rolle, wo seine Geschichten sonst publiziert werden, sondern, dass er ein brillanter Autor ist. Meine Frau ist Fernsehredakteurin, mit der rede ich viel über Geschichten, oder unsere Radiofreunde von Flux FM, mit denen tauschen wir uns regelmäßig aus. Ich fände es schön, wenn es in der Form noch mehr Begegnungen geben könnte.
Thema Influencer Relations: Ihr arbeitet gelegentlich mit Unternehmen zusammen. Wann ist das für euch reizvoll?
Der Partner und das Produkt müssen zu uns passen. Der Name „Mit Vergnügen“ gibt es ja schon vor. „Mit Bauchschmerzen“ geht es bei uns nicht.
Hamburg hat inzwischen auch ein Mittel gegen Langeweile in der Stadt – die kleine Schwester eures Magazins gibt es dort seit Anfang des Jahres. Wie geht es weiter mit euch? Kommt „Mit Vergnügen“ auch in andere Städte?
Die kleine Schwester wächst ziemlich schnell. Lass uns also lieber „jüngere“ Schwester sagen. Es gab schon Gespräche und Gedanken Richtung Wien, Köln, Leipzig, aber bis jetzt hat es noch nicht „Klick“ gemacht, und das ist für uns immer am Wichtigsten.
Das Büro von Mit Vergnügen liegt im Erdgeschoss eines schönen Altbaus in Berlin Mitte und ist eine Mischung aus Arbeitsraum und Wohnzimmer.
// Über “Blogbuster”
Die Vielfalt der Blogosphäre macht richtig Spaß, die Qualität vieler Blogs begeistert uns. Einmal im Monat stellen wir in “Blogbuster” einen Blog vor, das uns besonders gefällt, aus der Menge der zahlreichen coolen Webpräsenzen heraussticht oder uns bei unserer Arbeit als Agentur begegnet. Und, wann immer möglich, sprechen wir auch mit dem Kopf oder den Köpfen dahinter.
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