Apps in China - Teil 3

Chinas digitaler Wirtschaftsboom wäre nicht denkbar ohne sie: die junge und urbane Mittelschicht. Rund 200 Millionen Menschen zählen zu den Gutverdienern im Land. Bis 2022 könnten es doppelt so viele sein. Die Mittelschicht charakterisiert nicht nur eine hohe Kaufkraft und Konsumfreudigkeit, sie ist auch extrem technikversiert und offen für Innovationen. Profiteure sind Unternehmen wie Alibaba und JD.com sowie deren Handelsplattformen. Über 95 Prozent der Onlinekäufe werden über das Smartphone abgewickelt. In kaum einem anderen Land spielt der Onlinehandel eine dominantere Rolle.

Apps in China - Teil 3

Taobao/Tmall

Die erfolgreichste Handelsplattform in China ist Taobao. Das Modell hinter der Alibaba-Plattform unterscheidet sich von der des amerikanischen Onlinehändlers Amazon, der Waren in eigenen Lagern hält und bei Bestellung ausliefert. Taobao ist das Schaufenster zu Millionen von kleinen Shops und Fabriken in China, die die Produkte herstellen, über Taobao bewerben und den Kauf abwickeln.

2003 gründete Jack Ma das Unternehmen Alibaba in seinem Wohnzimmer. Kurze Zeit später verdrängte es bereits den ausländischen Konkurrenten eBay und stieg zur wichtigsten Onlinehandelsplattform des Landes auf. „Schätze suchen“: Das ist die Übersetzung des Namens Taobao. Und das Jagen nach Sonderangeboten ist in China Volkssport. Von Mode über Elektronik und Lebensmittel gibt es auf Taobao alles. Eine Besonderheit: Nutzer können nicht nur nach Begriffen suchen – sie können auch ein Foto hochladen oder über die App aufnehmen: Ein Algorithmus sucht dann nach Produkten, die dem Gegenstand auf dem Bild in Form und Farbe ähneln. Sieht man in einem Restaurant beispielsweise Geschirr, das einem gefällt, kann man es fotografieren, in wenigen Klicks auf Taobao suchen und direkt bestellen. Die Schwesterseite Tmall funktioniert ähnlich. Dort verkauft das Unternehmen allerdings hochwertigere Markenprodukte. Der Umsatz der Alibaba Group lag im vergangenen Jahr bei umgerechnet 40 Milliarden US-Dollar.

Apps in China

Pinduoduo

Eine App, die bisher noch keine Nachahmung im Ausland gefunden hat, ist Pinduoduo mit über 300 Millionen Nutzern. Über die Plattform können Kunden beim Einkaufen Rabatte erhalten, wenn sie als Gruppe ein Produkt kaufen. Gefällt einem Kunden ein Angebot, kann er es an seinen Freundeskreis weiterschicken. Die App zeigt an, auf wie viel der Preis sinken kann, kaufen mehrere Bekannte das Produkt gemeinsam. Einen Saugroboter, der normalerweise umgerechnet 50 Euro kostet, können beispielsweise zwei Freunde für 37 Euro pro Stück erhalten. Social+ nennt sich dieser Trend. Der Versuch also, Konsum als ein soziales Erlebnis zu gestalten. Gegründet wurde die App 2015 von Colin Huang. Hinter der Anwendung steht seine Firma Shanghai Dream Information Co., die 2018 in New York an die Börse gegangen ist und 1,6 Milliarden Dollar einsammeln konnte.

Xiaohongshu

Auch Xiaohongshu – übersetzt kleines rotes Buch – ist soziales Netzwerk und Onlinehandel zugleich. Wie bei Pinduoduo geht es um die Vermischung von Freundeskreisen und dem Einkaufen online. Nutzer können Influencern folgen, welche die Produkte vorstellen und testen. Kunden können die Waren dann direkt kaufen. Die App animiert Nutzer zudem, eigene Fotos mit gekauften Produkten hochzuladen und diese mit den Shops, in denen sie die Produkte gekauft haben, zu verknüpfen. Die App ist eine Mischung aus Instagram, Pinterest sowie Amazon und hatte 2018 rund 30 Millionen Nutzer. Gegründet wurde der Dienst von Miranda Qu und Charlwin Mao vor fünf Jahren. Die beiden starteten mit der Idee, dass Nutzer auf der Plattform über Shoppingtipps für Auslandsreisen diskutieren können. Kurz nach dem Launch der App korrigierten sie ihren Kurs. Im Sommer sammelten sie in ihrer Serie-D-Finanzierung 300 Millionen Dollar von Alibaba ein. Damit ist Xiaohongshu geschätzte drei Milliarden Dollar wert.

Mobile Bezahldienste

Möglich wäre die digitale Einkaufswelt Chinas nicht ohne die mobilen Bezahldienste Alipay von der Alibaba Group und WeChat Pay von Tencent. 74 Prozent der chinesischen Internetnutzer verwenden inzwischen mobile Bezahldienste. Das sind 527 Millionen Menschen. Ein Großteil davon setzt auf die Anbieter Alipay von Alibaba und WeChat von Tencent. Alleine über Alipay werden pro Tag 100 Millionen Transaktionen versendet. 2017 liefen mehr Überweisungen über die Anwendungen als über die amerikanische Kreditkartengesellschaft Mastercard. Insgesamt hat der Dienst 520 Millionen Nutzer und bei den Überweisungen einen Marktanteil von 53 Prozent. Dahinter folgt WeChat Pay mit einem Anteil von rund 40 Prozent und vergleichbaren Nutzerzahlen (die meisten Menschen nutzen beide Anbieter).

Beim größten Shopping-Ereignis in China, dem Singles’ Day am 11. November, näherte sich Alibaba dieses Jahr schon acht Stunden vor Verkaufsschluss dem Rekord des Vorjahres. Der Onlinehändler hatte schon am Sonntagnachmittag (Ortszeit) Waren im Wert von umgerechnet 21,4 Milliarden Euro verkauft. Im Vorjahr waren es 21,8 Milliarden Euro. Insgesamt setzte das Unternehmen in 24 Stunden nach eigenen Angaben 30,7 Milliarden Dollar um, 10 Milliarden allein in der ersten Stunde zwischen Mitternacht und 1 Uhr morgens.

Der 11. November ist der wichtigste kommerzielle Verkaufstag des Jahres, vergleichbar mit dem Black Friday in den USA. 2016 verschickten die chinesischen Nutzer über WeChat und Alipay rund drei Billionen Dollar.

Um eine unkomplizierte Bezahlung im Alltag zu ermöglichen, setzen die Chinesen auf QR-Codes. Jeder Nutzer eines mobilen Bezahlsystems hat eigene Strichcodes, die sich nach jedem Bezahlvorgang ändern. Kassierer im Supermarkt können diese per Barscanner einlesen und damit direkt die zu zahlende Summe verrechnen. Geschäfte und Dienstleister haben aber auch eigene individuelle Codes, die wiederum der Nutzer scannen und die Summe eintippen kann. Deshalb hört man in China häufig die Frage: „Scannen Sie mich oder ich Sie?“

Die komplette Serie mit allen bisher erschienen Teilen der Reihe finden Sie hier.

Über den Autor

Oliver Nermerich ist Kommunikationswissenschaftler und lebt im Internet. Bei OSK arbeitet er als Manager Online/Social Media und entwickelt kundenübergreifend Strategien, Auftritte und Kampagnen für das Internet und mobile Anwendungen. Auch privat dreht sich bei ihm alles um die digitale Welt: Er gehört zum Autorenteam des Lifestyle-Blogs Whudat.de und betreibt mit Freunden das Rolling-Magazin "Be-Mag". Sein Smartphone gibt er nur aus der Hand, wenn er auf sein Board steigt und an der Algarve die nächste Welle surft. Für das OSK Blog spürt er die neuesten Trends und Entwicklungen im Netz auf und spricht mit Meinungsmachern und Digital Influencern.

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