Einer fremden Frau beim Essen von Fertignudeln zuschauen und dafür Geld zahlen? In China Alltag. Einer der erfolgreichsten jüngeren Trends in der digitalen Welt Chinas sind die Livestreaming-Plattformen, die Facebook als Vorbild für seine Funktion Facebook Live dienten. Über 422 Millionen Menschen nutzen die Apps und schauen Videobloggern zu, wie sie in der Metro zur Arbeit fahren, wie sie im Fitnessstudio trainieren oder kochen. Einige Livestreaming-Stars singen, tanzen oder chatten nur mit ihren Zuschauern. Keine Idee, die zu kurios wäre. Als 2016 der Trend aufkam, Bananen im Livestream zu essen, verbot die Regierung das „verführerische Essen von Bananen“ kurzerhand – es schien ihnen zu lasziv.
Die erfolgreichsten Plattformen sind YY, Inke und Yizhibo. Jeder registrierte Nutzer kann mit seinem Handy einen eigenen Kanal betreiben, vergleichbar wie bei YouTube. Die Aufnahmen sind live, können aber im Nachhinein erneut abgespielt werden. Zuschauer können Geld an die Livestreamer verschicken, meist in Form von Stickern, die sie über die App kaufen und dann beim Zuschauen im Chat verschenken.
Einen Teil des Geldes behalten die Plattformen, der Rest geht aufs Konto der Filmer. Einige von ihnen verdienen mit ihren Sendungen bis zu 100.000 Dollar pro Monat und mehr. Gefilmt wird in der Regel nicht vor aufwendigen Kulissen, sondern in den Kinderzimmern und Wohnungen der Blogger. Der Gesamtumsatz der Branche wird Ende dieses Jahres bei voraussichtlich rund 4,4 Milliarden Dollar liegen, einem Plus von 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Führender Anbieter ist das 2016 gegründete Yizhibo. Dessen Streams können auch über einen gemeinsamen Log-in direkt in den Kurznachrichtendienst Weibo integriert und dort mit Followern geteilt werden. Hinter Yizhibo steht das 2013 gegründete Yixia Technology, ein Unicorn mit Sitz in Peking.
Sekundenkurz, millionenfach geklickt
Einer der erfolgreichsten Trends in der chinesischen Tech-Welt sind zudem Kurzvideo-Plattformen. Kurz – das heißt unter fünf Minuten. Häufig sind es aber auch nur ein paar Sekunden, meist bearbeitet und geschnitten. Die Zahl der Nutzer hat sich im vergangenen Jahr auf 414 Millionen verdoppelt. Seit 2013 wächst der Markt im zweistelligen Prozentbereich. Kein digitales Medium – vom Messenger bis zur Gaming-Branche – wuchs so rasant. Rund zehn Prozent ihrer Onlinezeit verbringen chinesische Nutzer inzwischen auf den Plattformen. Die Messenger-Plattformen führen mit 30 Prozent die Spitze der Statistik an.
Erfolgreichster Anbieter für die Kurzvideo-Plattformen ist Douyin, auch bekannt als TikTok, mit 300 Millionen monatlich aktiven Nutzern alleine in China. Im Juni vergangenen Jahres hatte das Unternehmen nur 13 Millionen monatlich aktive Nutzer. Heute ist es die Nummer eins unter den Kurzvideo-Plattformen in Asien und gilt als eine der sich am schnellsten ausgebreiteten mobilen Apps weltweit. Allein 45 Millionen Menschen luden die App im ersten Quartal 2018 herunter. In über 150 Ländern wird die App inzwischen genutzt. Douyin gehört neben den Video-Apps Huoshan und Xigua zu ByteDance, dem mit rund 75 Milliarden Dollar bewerteten Entwickler von Toutiao. Größter Konkurrent ist das 2011 gegründete Start-up Kuaishou mit 230 Millionen Nutzern.
Auch für Unternehmen sind die Dienste interessant, wobei Werbemöglichkeiten vergleichbar mit Anzeigenformen westlicher Plattformen sind. Es gibt beispielsweise Anzeigen in der App-Oberfläche, gebrandete Sticker und von Firmen angestoßene Hashtags. Einige Unternehmen setzen auch auf eigenen Content. Besonders erfolgreich sind dabei Kurzvideos aus den Bereichen Reise, Technologie, Auto, Sport und Ernährung. Weniger erfolgreich sind Finanzthemen, Gesundheit oder Wirtschaft.
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