Am 2. April schaltet Google sein soziales Netzwerk Google+ ab. Für viele ist das heutzutage keine Nachricht, weil sie sich kaum daran erinnern können, dass es das Netzwerk noch gibt und was es eigentlich genau sein (s)wollte. Doch im September 2011, als Google sein Angebot für alle freischaltete, war die Euphorie groß.
Endlich eine Alternative zu Facebook, das damals schon viele wegen seiner schwierigen Privatsphäre-Einstellungen nervte. Google+ erschien einfacher, strukturierter und punktete außerdem noch mit der schöneren Optik. Und den Datenschutz hatte es auch besser im Griff als der große Konkurrent. Die Kontakte organisierte man bei Google einfach in „Kreisen“, unterteilt beispielsweise nach Familie, Freunden, Bekannten oder einfach nur Followern.
Das war eine der Spezialitäten zu Beginn: Man musste nicht mit jedem „befreundet“ sein, sondern konnte auch einfach nur folgen (wie bei Twitter). In der Anfangsbegeisterung konnte es schon vorkommen, dass einem der heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Google+ folgte. Sein letzter Beitrag stammt übrigens von 2015, als er noch Außenminister war.
Innerhalb der Beiträge ließen sich Personen markieren und Hashtags für die schnellere Suche einbauen. Allerdings: Google+ setzte schon auf Klarnamen, was damals viel debattiert wurde, allerdings nicht nur bei Google. Deutsche Medien zeigten sich begeistert: „Warum Google+ das bessere Facebook ist“, „XY Gründe, warum Google+ Chancen gegen Facebook hat“, so oder so ähnlich lauteten die Überschriften.
Im November 2011 folgten die Unternehmensseiten samt Vanity-URL. Auch Unternehmen versprachen sich zunächst einen Vorteil durch eine solche Seite: kostenlose Werbung, wenn Google sein eigenes Angebot bevorzugen und solche Seiten hoch in seinen Suchergebnissen anzeigen würde.
Die Nutzerzahlen entwickelten sich zunächst vielversprechend: Nach knapp drei Monaten hatte Google+ bereits 40 Millionen Nutzer und galt als das am schnellsten wachsende Netzwerk zur damaligen Zeit. Bis zum Juni 2012 stiegen die Nutzerzahlen auf 250 Millionen weltweit. Nur zum Vergleich: Facebook hatte Anfang 2012 über 21 Millionen aktive Nutzer in Deutschland, rund 800 Millionen Nutzer weltweit. Noch ein weiter Weg für Google+.
Doch die Begeisterung währte nicht lang. Nachdem jeder anfangs eifrig Kreise eingerichtet und seine Kontakte hinzugefügt hatte, blieb es leer. So sehr sich der Suchmaschinengigant auch Mühe gab und vieles besser machte als Facebook, war die Anziehungskraft für einen Umstieg zu Google+ doch nicht groß genug. Man traf sich damals eben doch bei Facebook oder – in der kleineren Variante – bei Twitter. Nur bei Nischen- und Techthemen konnte Google mit seinem sozialen Netzwerk punkten. Techies und Spezialisten organisierten sich in ihren Kreisen, wo sie tiefen Austausch und rege Diskussionen fanden, die bei Facebook nicht oder schon nicht mehr möglich waren. Aus Expertensicht war Facebook vielleicht sozial, aber zu oberflächlich.
Um die Nutzerzahlen dennoch zu verbessern, zwang Google schon ab 2012 allen, die ein Konto bei Gmail, anderen Google-Diensten oder YouTube erstellten, ein Konto bei Google+ auf. Auch Videos auf YouTube konnte man nur noch kommentieren, wenn man ein Google+-Konto besaß.
Das Ziel dahinter: nicht einfach nur neue Nutzer zu gewinnen, sondern sie vor allem über alle Angebote hinweg tracken zu können. Denn das war der eigentliche Vorteil, den Facebook gegenüber Google besaß und immer noch besitzt: Facebook kennt die Mitglieder, die Kontakte, Vorlieben, Orte, Reisen. Ein Vorteil bei Anzeigenkunden. Um Facebook zu nutzen, muss man angemeldet sein. Google-Dienste wie die Suchmaschine lassen sich auch ohne Anmeldung nutzen. Für den Internetriesen und seine Anzeigenkunden eher uninteressant.
Geholfen hat alles nicht, Google+ wurde nicht interessanter, die Inhalte blieben aus. Im Herbst 2014 gab Google den „+“-Zwang wieder auf, was erste Spekulationen über den nahen Tod des Netzwerks auslöste. Doch es sollte noch vier lange Jahre dauern, bis der Gigant sein Scheitern zugab. Nach einem größeren Datenleck im März 2018, das die Amerikaner allerdings erst im Oktober publik machten, kam auch das Ende von Google+. Zumindest in der Consumer-Variante. Wie gering die Nutzung letztlich gewesen ist, zeigt eine Zahl, die Google im Oktober 2018 veröffentlichte: 90 Prozent der Nutzersessions dauerten weniger als fünf Sekunden.
So ist seit heute Schluss, Nutzer können nicht mehr auf Profile, Fotos, Videos und andere Inhalte zugreifen. Gleichzeitig startet der US-Konzern die Löschung aller Daten, was einige Monate in Anspruch nimmt. Im August sind die Pforten dann endgültig geschlossen. Kurz vor Schluss habe ich dann doch nochmal in meinen Feed bei Google+ geschaut. Und überraschenderweise posten immer noch Bekannte aus meinen Kreisen. Vermutlich aber werden diese Beiträge automatisch über Drittanbieter für Google+ mitveröffentlicht. Ansonsten ist der Feed doch sehr leer.
Deswegen: Tschüss, Google+. RIP. Du bist wohl einfach zu früh auf die Welt kommen. Heute jedenfalls ist die Zeit reif für ein besseres Facebook.