Snapchat-Überblick 6 Titel

Bild: Snapchat

tl;dr (Lesezeit 10 Minuten); alle Serien-Teile auf einen Blick: hier

  • Medienhäuser wie CNN, VICE und BuzzFeed bieten über Snapchat Discover Journalismus auf dem Messenger an.
  • Doch auch deutsche Medien sind mit ihren eigenen Snapchat-Accounts vertreten.
  • Die Ansätze und Inhalte der einzelnen Medien sind dabei immer etwas unterschiedlich.
  • Insgesamt muss sich der Content aber an die Gegebenheiten der App und die Nutzungsgewohnheiten der Leser anpassen.
  • Daher kommt es eher darauf an, den Usern das Gefühl von Exklusivität und Nähe zur Geschicht zu geben, als perfekte Bilder zu zeigen.

Gerade haben sich Redaktionen mit WhatsApp angefreundet, da folgt mit Snapchat schon die nächste App. Eine, mit der Fotos und Videos verschickt werden, die nur für einen kurzen Zeitraum sichtbar sind und dann verschwinden. So etwas Hektisches ist für den Journalismus doch total ungeeignet – oder? Weit gefehlt. Große wie kleine Medien, aber auch freie Journalisten sehen Potenzial und wollen mit eigenen Konzepten an die junge Zielgruppe herantreten. Mehr dazu in unserem Snapchat-Überblick Teil 6.

Welche Medienmarken bedienen Snapchat?

Längst sind die großen Spieler im Geschäft: National Geographic, BuzzFeed, IGN, Vice, MTV und CNN, um nur einige auf dem US-amerikanischen Sektor zu nennen. Dabei unterscheidet sich die Gestaltung der Storys erheblich: MTV setzt auf kurze Videos mit satten Sounds, teasert mit Emojis und zeigt eine Mischung aus Musik-News und Yellow Press. CNN dagegen weckt Interesse mit – typisch für das Nachrichtengeschäft – starken Headlines und leitet dann zu den Hintergrundartikeln weiter. Innerhalb der Artikel werden unter anderem Videos mit Vor-Ort-Aufnahmen und Interviews bzw. Schalten eingebettet.

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CNN berichtet auf Snapchat auch über politische Themen. (Screenshot: Snapchat CNN-Discover-Kanal)
Neuerdings können User die Medienkanäle auch abonnieren. Die Geschichten werden dann im Stories-Bereich angezeigt und treten damit in direkte Konkurrenz zu den Inhalten privater Nutzer. Auch deutsche Medien entdecken das Snapchat-Universum für sich. So ist die BILD seit Herbst 2015 auf Snapchat präsent (zu finden unter: hellobild) und hierzulande vergleichsweise früh aktiv. Angesichts der verblüffenden amerikanischen Umsetzungen wirkt das deutsche Pendant noch recht experimentell. Zum Beispiel kombiniert hellobild kurze, hektische Videoschnipsel von der Fashionweek mit Textfragmenten.

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BILD kreiert extra Geschichten für Snapchat. (Screenshot: Snapchat hellobild)
Zurück zum Ursprung: Im Januar 2015 startete Snapchat einen digitalen Raum namens Discover. Dieser wird seitdem kontinuierlich von ausgewählten Medienpartnern mit Zielgruppen-spezifischem Content gespeist. Der Clou dabei: Auch die von den bekannten Redaktionen bereitgestellten Storys sind den Snapchat-Regeln unterworfen, werden also nach spätestens 24 Stunden gelöscht.

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Die Medien auf Discover haben teilweise sehr unterschiedliche Ansätze. (Bild: Snapchat)
Das Team von Snapchat schreibt im hauseigenen Blog:

„Discover ist neu, aber vertraut. Deshalb stehen die Stories im Mittelpunkt – es gibt einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, sodass Editoren alles in eine Struktur bringen können. Jede Edition wird nach 24 Stunden aufgefrischt – denn was heute die Nachrichten sind, ist morgen Geschichte.”

Getreu dem Motto:

„Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern.”

Diesem Leitspruch scheinen sich weitere Medien hierzulande anzuschließen. So sind einige Redaktionen wie CHIP (chip_de) oder die Rheinische Post (RPOsnaps) ebenfalls bei Snapchat vertreten. Die Betonung liegt hierbei auf einige, denn die App ist in Deutschland längst noch nicht so weit verbreitet wie in den USA. Allerdings legt die deutsche Community in Sachen Wachstum nach – so wurde die Snapchat-App mehr als 5,6 Millionenmal im Jahr 2015 heruntergeladen.

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Auch Lokalmedien haben mittlerweile eigene Snapchat-Kanäle. Die RP Online berichtete etwa von den Videodays in Köln. (Screenshot: Snapchat RPOsnaps)
Lohnt sich die Erzählform Snapchat?

Ein Grund für die Skepsis gegenüber der App findet sich mit Sicherheit in den jüngsten Datenschutzskandalen und der damit verbundenen Daten-Sammelwut der Geheimdienste. Klar, dass Journalisten mit berufsbedingt kritischem Blick eine App prüfen, die das Surfverhalten ihrer Nutzer analysiert, Daten auf US-Servern sowie den Endgeräten der User speichert (Snapchat weist jeden neuen Nutzer in einem Begrüßungssnap ausdrücklich darauf hin) und gesendete Fotos, Namen und Stimmen für Werbezwecke verwendet.

Doch ähnlich kritisch hatte man vor Jahren auch über Twitter gedacht. Heute brüskieren sich die wenigsten Journalisten, im Gegenteil: Sie nutzen den Kurznachrichtendienst wie selbstverständlich.

Daher sollten sich Berichterstatter bei aller Skepsis nicht gänzlich einem Kanal verweigern, den zum aktuellen Zeitpunkt etwa jeder 23. Mensch auf der Welt nutzt. Journalisten haben hier die Möglichkeit, diese Menschen jederzeit und an jedem Ort via Smartphone zu erreichen.

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MTV zeigt Content, der auf die junge Zielgruppe ausgerichtet ist. (Screenshot: Snapacht MTV-Discover-Kanal)
Kreativität und vorhandenes Publikum

Wenn es Redaktionen gelingt, dauerhaft spannende Storys zu publizieren, verfügen sie mit Snapchat über eines der stärksten Werkzeuge im Online-Journalismus. Ähnlich sieht es auch der Journalist Daniel Fiene, der das Audience-Engagement-Team der Rheinischen Post leitet und Snapchat ebenfalls nutzt:

„Den Alltag abzubilden, so unverfremdet, das hat bisher eigentlich kaum eine App geschafft. Wenn ich einen Tweet formuliere, ist der auf 140 Zeichen beschränkt. Wenn ich ein 10-Sekunden-Video mit einem kleinen Schwenk von der Party auf den Freundeskreis mache, dann ist das eine 1:1-Abdeckung der Realität. Dieses ungefilterte Darstellen von Alltagsmomenten liefert bisher kein anderes soziales Netzwerk. Wenn man sich im Vergleich die Fotos auf Facebook anguckt: Da posieren die Menschen vor der Kamera. Das ist ja schon wieder inszeniert.“

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Die Huffington Post berichtete von Hillary Clintons Nominierung zur US-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten. (Screenshot: Snapchat Huffpost)
Durch diese Unmittelbarkeit werden die Akteure auf Snapchat zur Authentizität gezwungen: What you see is what you get – es entsteht dabei eine Nähe zum Publikum, wie sie durch klassische Medien, dem Fernsehen etwa, nicht erreicht werden kann. Auch ungewohnt ist die Abwesenheit von Quoten oder Klickzahlen – Nutzer entscheiden allein anhand der Qualität einer Story und nicht danach, wie häufig diese bereits aufgerufen wurde.

Doch es gibt noch ein weiteres Kriterium, das für die erfolgreiche Verwendung von Snapchat erforderlich ist. So schreibt Dakota Shane Nunley von medium.com:

„Snapchat ist keine Plattform, mit der du dein Publikum zum Wachsen bringst. Es ist eine Plattform, mit der du dein bereits existierendes Publikum fütterst.

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Snapchat ist demnach nicht dafür geeignet, ein Publikum aufzubauen, sondern ein bereits vorhandenes, bestenfalls großes Publikum mit frischen Inhalten zu versorgen.

Verschwindende Inhalte – wird das dem Journalismus gerecht?

Der größte Reiz von Snapchat ist die kurze Verfügbarkeit der Inhalte: Bilder sind nur für zehn Sekunden sichtbar, Stories maximal 24 Stunden. Aber sind die Medien überhaupt willkommen im Snapchat-Universum?

Denn der am Kaminfeuer sitzende Zeitungsleser gehört wohl kaum zur Zielgruppe. Snapchat wird vornehmlich von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 18 und 34 Jahren genutzt. Die etablierten Medien mit ins Boot zu holen war letztendlich also eine wirtschaftliche Entscheidung. Doch die damit verbundenen Umstellungen stießen bei den Nutzern auf wenig Gegenliebe, wie der Business Insider-Journalist Alex Heath herausfand:

„Da Snapchat einige Live-Event-Stories automatisch lädt, haben Leute sich auch darüber beschwert, dass Snapchat ihre wertvollen Daten für Videos verwendet, die sie nicht einmal sehen wollen.“

Auch die Reporterin Madison Malone Kircher vom Tech Insider ist über das Feature wenig erfreut:

„Ich verstehe, warum Snapchat diese Änderung macht. Sich automatisch abspielende Stories könnten zu einem Gesamtanstieg an Views auf der Plattform führen, und für Nutzer, die jede einzelne Snap Story sehen wollen, die ihre Freunde jeden Tag posten, bedeutete diese Veränderung wesentlich weniger Tippen und Warten auf das Laden der Stories. Doch wollen Leute das tatsächlich tun? Ich mit Sicherheit nicht.“

Übrigens hat Snapchat erst kürzlich auch Änderungen im Discover-Bereich vorgenommen: Nutzer sehen nun Überschriften und Vorschaubilder. Zuvor mussten diese sich mit Thumbnails begnügen.

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Die Qualität der Bilder steht beim Snapchat-Journalismus nicht unbedingt im Vordergrund. (Screenshot: Snapchat Huffpost)
Kurzweilig und damit ungeeignet?

Kommen wir zurück zu der Frage, ob Snapchat sich aufgrund der Schnelllebigkeit für den Journalismus eignet. Schnelllebigkeit allein kann jedenfalls nicht das Ausschlusskriterium sein. Journalismus lebt von der Aktualität, die in Zeiten der Digitalisierung zwar weitaus einfacher zu gewährleisten ist als noch vor 20 Jahren. Doch Probleme, die das Überangebot an kostenlosen Informationen im Netz für den Journalismus nach sich zog, sind hinlänglich bekannt. Für diese Probleme ist Snapchat allerdings nicht die Lösung, sondern ein Kommunikationsangebot.

Fragen wir uns also stattdessen: Passt eine Foto-/Video-App, mit der Jugendliche und junge Erwachsene vornehmlich Spaß-Content austauschen, mit Journalismus zusammen? Schon, wenn die Sache richtig angegangen wird. Soll heißen: Bild, Video und Text müssen aus einem Guss sein. Lenses und Filter müssen stimmig für die Story eingesetzt werden. Hier liegt das kreative Potenzial von Snapchat. Stichwort: Authentizität! Journalist Fiene beschreibt es so:

„Man muss eine Vermischung aus Informationsvermittlung und etwas Interaktivem schaffen, zwischendrin dann auch immer mal aufbrechen und mal rausgehen, andere Sachen zeigen oder ein Interview auf Snapchat machen. Eine Mischung aus bunten Darstellungsformen in der richtigen Frequenz plus einem interaktiven Anteil. Damit kann man was richtig Cooles auf Snapchat umsetzen.“

Dann sind nicht nur Sender wie MTV erfolgreich, die so treffsicher auf die Snapchat-User zielen wie ein Dartpfeil aufs Bull‘ s Eye, sondern auch die klassischen Redaktionen. Ohne Fleiß allerdings kein Preis: CNN hat beispielsweise ein eigenes Team für diesen Zweck zusammengestellt.

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 CNN hat für den Snapchat-Content ein eigenes Team zusammengestellt. (Screenshot: Snapchat CNN-Discover-Kanal)
Es gilt: Wollen deutsche Medien ein Stück vom Kuchen abhaben, müssen sie investieren, Ressourcen bereitstellen und ihr Publikum konstant mit frischen Inhalten versorgen, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Die Redaktionen müssen darüber hinaus verstehen, dass Snapchat nicht nur Chancen birgt, sondern auch Grenzen der Berichterstattung aufweist. Bei allen Lobeshymnen und Potenzialen sollte eines nicht vergessen werden: Snapchat wird in erster Linie dazu genutzt, die eigene Kommunikation von wirtschaftlichen Beeinflussungen und älteren Generationen abzugrenzen. Für viele Nutzer ist Snapchat einfach nur eine Spaß-App.

Snapchat Überblick Pressefoto 3Medienhäuser, die erfolgreichen Journalismus auf Snapchat betreiben wollen, müssen das Netzwerk von Grund auf verstehen. (Bild: Snapchat)

Was geschieht, wenn Medien zu energisch vordringen, kann man an den Beispielen Facebook und Google+ sehen. Die jungen Menschen merken, wenn ein Netzwerk sich durch den Einfluss von außen verändert. Eine ähnliche Prognose hat die ZEIT bereits getroffen. Die Wochenzeitung ist im Übrigen (noch) nicht bei Snapchat.

Massenabwanderung möglich

Es besteht also durchaus die Gefahr, dass der Schwarm der Nutzer – eben jene Zielgruppe, die man zu erreichen versucht – abwandert und ein neues Netzwerk für sich erobert.

Große Medien sollten sich daher behutsam in der Community bewegen und vor allem nicht mit pseudo-hippen Inhalten nerven. Das alleinige Schielen auf die hohe Anzahl der täglichen Nutzer oder deren Interaktionsrate (z.B. 700 Millionen hochgeladene Fotos in Deutschland im vergangenen Jahr) war noch nie eine gute Idee. Vielmehr müssen Medienhäuser die Essenz des Netzwerks verstehen und die nötigen Ressourcen dafür bereitstellen.

Snapchat Überblick Pressefoto 2 Snapchat wählt genau aus, welche Medien sich auf Discover präsentieren dürfen (Bild: Snapchat)

Snapchat für Unternehmen

Journalismus und Snapchat schließen einander nicht aus, im Gegenteil: Mit gelungenen Storys können sowohl große Medienhäuser als auch einzelne Journalisten viele Menschen erreichen. Dazu sind jedoch Ressourcen, ein tiefergehendes Verständnis der relativ schwer zugänglichen App und ihrer Funktionsweise sowie Kreativität und Feingefühl erforderlich.

Auch dann ist das Ganze kein Selbstläufer: Auf Snapchat haben Journalisten es mit einem vornehmlich jungen Publikum zu tun, das die App für Spaß und Vergnügen nutzt. Sie sollten dies auch weiterhin tun dürfen, ohne dabei durch aufdringliche Inhalte gestört zu werden. Doch wie verhalten sich Unternehmen und Snapchat zueinander? Diese Frage klären wir im nächsten Teil der Reihe.

// Über den Autor

Benjamin BrücknerBenjamin Brückner ist Journalist, Blogger und Gründer der Online-Plattform Freelance Start. Nach mehrjährigen Tätigkeiten in Hörfunk- und Fernsehredaktionen veröffentlichte er zwei Bücher und arbeitet unter anderem als Redakteur und Newsletter-Teamleiter bei Zielbar. Auf seinem eigenen Blog verfasst er regelmäßig Rezensionen, Lesetipps und Analysen zu gesellschaftlichen Themen. Privat interessiert Benjamin sich für Philosophie, Geschichte, Sport, digitale Entwicklungen und natürlich für kreatives Schreiben. Für den OSK-Blog schreibt der 30-Jährige als Gast-Autor über aktuelle Internettrends, die Digitalisierung und die Medienbranche.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.