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Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Manchmal hinken Gesetzgeber der Realität hinterher. Umso erfreulicher, wenn sie irgendwann aufholen, wie unlängst die Verfasser des Medienstaatsvertrags. Jener „Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland“, dessen Titel schon verdeutlicht, dass diese in Deutschland bislang etwas verstaubt war, ist im November in Kraft getreten – und hat damit nicht nur ein fast dreißig Jahre altes Gesetz abgelöst, sondern auch vieles verändert.
Für Fernseh- und Radioanbieter, Plattformen wie Google und Facebook, aber auch für Content Creator und Streamer. Wir haben die wichtigsten Neuheiten zusammengefasst, ebenso wie die von Kritikern bemängelten Schwachstellen. Und wir sind neugierig: Was glauben unsere Leser – wird der Medienstaatsvertrag seinem ambitionierten Namen gerecht? Bringt er die so lange erwartete Modernisierung mit sich?
Viel Spaß beim Lesen!
Unterzeichnung des Staatsvertrages zur Neuordnung des Rundfunkwesens im Bundesrat am 3. April 1987 (Quelle: Wikipedia)
Der Medienstaatsvertrag – längst überfällig?
Ganz klar: Ja, der Medienstaatsvertrag war überfällig, ersetzt er doch den Rundfunkstaatsvertrag von 1991, der zwar immer wieder erweitert, aber nie grundlegend erneuert wurde. Auch die Präambel des jetzigen Vertrags weist darauf hin, dass es „in einer zunehmend durch das Internet geprägten Medienwelt staatsvertraglicher Leitplanken [bedarf], die journalistische Standards sichern und kommunikative Chancengleichheit fördern.“ Dass die Verfasserinnen und Verfasser im Jahr 2020 erkannt haben, dass das Internet die hiesige Medienlandschaft prägt, ist löblich, bedeutender ist aber der zweite Teil des Satzes – denn aus diesem ergeben sich Rechte und Pflichten für Medienanbieter.
Wichtig sei das für alle, schreibt die Süddeutsche Zeitung, „da heute jeder selbst schneller zum Medienproduzenten im Sinne des Gesetzes wird, als er denkt.“ Das Inkrafttreten des MStV beendete einen über fünf Jahre andauernden Prozess. In dieser Zeit konnte die Öffentlichkeit die verschiedenen Stadien des Vertragsentwurfs zweimal online kommentieren. Im Dezember 2019 einigten sich die Länder über die neue staatsvertragliche Medienregelung – Medienpolitik ist in Deutschland nach wie vor Ländersache –, knapp ein Jahr später stimmte der Landtag Mecklenburg-Vorpommern als letztes der 16 Länderparlamente dem Vertrag zu.
Was bringt das neue Gesetz mit sich?
Die wichtigsten Inhalte der laut SZ-Autor Benedikt Frank „größten Renovierungsarbeit am deutschen Medienrecht der letzten Jahre“: Das Gesetz gilt nicht länger nur für Fernsehen und Radio, sondern ebenso für die vielen digitalen Medienanbieter. Das wären Plattformen wie Facebook, YouTube, Google und Instagram, Smart-TVs, Voice-Assistenten, Blogs – aber auch Instagrammer, YouTuber und Streamer, die eigene Inhalte in journalistischer Form online bereitstellen.
Suchmaschinen und soziale Netzwerke müssen transparenter werden
Internetriesen wie Facebook und Co will der Medienstaatsvertrag zu mehr Transparenz verpflichten. Denn sie agieren als Medienintermediäre: Zwar erstellen sie selbst keine Medieninhalte, machen diese aber verfügbar. Sie seien Türöffner zu Medieninhalten, schreibt Meedia. Daher seien auch sie nun zu mehr Transparenz verpflichtet. Unter anderem sollen die Netzwerke offenlegen, nach welchen Kriterien sie Inhalte gewichten und anzeigen, also warum Suchergebnisse bei Google weit vorne stehen oder wie der Facebook-Algorithmus Inhalte gewichtet. Zum Teil stünden die Erklärungen schon bereit, schreibt die SZ: „Die Frage wird nun sein, ob diese ausreichen.“
Auch neu: Suchmaschinen und Netzwerke dürfen journalistisch-redaktionelle Angebote nicht gegenüber entsprechenden Konkurrenzangeboten diskriminieren, sie also ungleich behandeln. Sieht sich aber etwa ein Zeitungsverlag von einem Intermediär schlechter behandelt als die Konkurrenz, kann er das bei der zuständigen Landesmedienanstalt anzeigen. Das, so die SZ, „könnte noch zu interessanten Konflikten führen.“ Die Regeln gelten übrigens nicht nur für die großen Player des Internets: Auch kleinere Suchmaschinen oder Content-Plattformen müssen offenlegen, wonach sie ihre Inhalte sortieren.
Darüber hinaus müssen die sozialen Netzwerke alle Beiträge und Chatnachrichten kennzeichnen, die von Bots erstellt werden, schreibt netzpolitik.org. Das solle verhindern, dass Nutzerinnen und Nutzer getäuscht werden.
„Das Gesetz gilt nicht länger nur für Fernsehen und Radio, sondern ebenso
für die vielen digitalen Medienanbieter.“
Gleichbehandlung auch auf Benutzeroberflächen
Auch die Hersteller von Smart-TVs und Sprachassistenten müssen jegliche Diskriminierung vermeiden. Wie dies aussehen könnte, beschreibt taz-Redakteur Peter Weissenburger: „Wer etwa ein Smart-TV benutzt, sieht meist eine Oberfläche, die vom Hersteller oder von der Anbieterin des Anschlusses kuratiert ist. Diese Anbieter haben bestimmte Interessen, wollen etwa eigene Inhalte oder [die] ihrer Kooperationspartner prominent platzieren. Besonders groß ist das Problem bei Smart Speakern, also zum Beispiel Amazons Alexa, die in der Regel selbst auswählen, worauf sie zugreifen.“ Da Anbieter gleichwertige Angebote auch in diesem Kontext nicht unterschiedlich behandeln dürfen, müssen sie nach sachlichen Gründen sortieren, zum Beispiel alphabetisch oder nach Reichweite. Außerdem müssten die Betreiber die Zugangsbedingungen zu den Plattformen und die damit verbundenen Kosten offenlegen, schreibt netzpolitik.org.
Ein wirksames Instrument, um der Verbreitung von Falschinformationen vorzubeugen
Medien, die im Netz Unwahrheiten verbreiten – und Plattformen, die jene zulassen –, können bald dafür belangt werden. Der Medienstaatsvertrag sieht vor, dass sie spätestens ab Mitte November unter der Aufsicht der Landesmedienanstalten stehen sollen. Angebote, die gegen die journalistischen Grundsätze verstoßen, könnten zur Rechenschaft gezogen werden, erläutert netzpolitik.org in einem weiterführenden Artikel. Der Staatsvertrag erweise sich also möglicherweise als ein mächtiges Mittel, um die Verbreitung von Desinformationen auf diesen Plattformen einzudämmen.
Laut Recherchen von netzpolitik.org ist es jedoch fraglich, ob die Aufsichtsbehörden auf die neuen Aufgaben vorbereitet sind. Um ein Stimmungsbild einzuholen, habe die Redaktion den 14 Medienanstalten jeweils eine Reihe von Fragen geschickt. Ein Ergebnis der Befragung sei, dass die Behörden mitunter vor personellen Herausforderungen stehen könnten. „Im Bereich der Medienaufsicht der Anstalten sind nach unseren Recherchen meist fünf bis zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig, die häufig aber noch andere Aufgaben übernehmen müssen.“
Was bedeutet der Medienstaatsvertrag für Unternehmen?
Dazu haben wir mit Markus Heins gesprochen, Legal Counsel für digitale Produkte bei der Wolters Kluwer Deutschland GmbH. Heins zufolge sei „Unternehmen, die eigene Kanäle betreiben, dringend geraten, sich mit den neuen Vorschriften des Medienstaatsvertrages auseinanderzusetzen.“ Dazu zählten die neuen Werbevorgaben, aber auch die Kennzeichnungspflichten hinsichtlich des Einsatzes von Social Bots.
„Sofern Livestreams angeboten werden, sollten Unternehmen zudem prüfen, ob eine Rundfunklizenz beantragt werden muss oder die neue Ausnahme des Bagatellrundfunks greift. Journalistisch-redaktionell tätige Unternehmen sollten ferner sicherstellen, die journalistischen Sorgfaltspflichten zu beachten, da die Landesmedienanstalten in diesem Bereich nun über neue Kontrollbefugnisse verfügen. Im Rahmen des notwendigen Impressums auf diesen Kanälen sollten zudem veraltete Verweise auf den Rundfunkstaatsvertrag korrigiert werden.“
Hat das Bundesgesundheitsministerium bereits gegen den Medienstaatsvertrag verstoßen?
Laut der Berliner Zeitung könnte es ausgerechnet eine staatliche Einrichtung gewesen sein, die zuerst gegen das neue Gesetz verstoßen hat. Die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein (MA HSH) prüft nun, ob sie ein Verfahren wegen einer Kooperation zwischen Google und dem Bundesgesundheitsministerium einleitet.
Die Zusammenarbeit sah vor, dass der Tech-Riese bei Suchanfragen das staatliche Portal gesund.bund.de in einem eigenen Infokasten prominent hervorhebt. Die Kooperation zwischen einer staatlichen Institution und einem Quasimonopolisten verstoße jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen den Medienstaatsvertrag. Die MA HSH habe sich eingeschaltet, da es sich bei der Kooperation des Konzerns mit dem Bundesgesundheitsministerium um „eine Diskriminierung journalistisch-redaktioneller Angebote“ handeln könnte.
Auf Anfrage der BZ-Redaktion sagte MA-HSH-Direktor Thomas Fuchs, es gehe darum, ob „ein bestimmtes Angebot priorisiert dargestellt wird.“ Dafür gebe es „offensichtliche Anhaltspunkte“. Zudem stelle sich laut Fuchs die Frage, ob das Portal des Ministeriums „die Grenzen legitimer staatlicher Öffentlichkeitsarbeit“ überschritten habe: „Gibt es wirklich ein besonderes Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu Migräne und Bandscheibenvorfall, das bisher nicht abgedeckt wurde?“
Mehr Klarheit für Streamerinnen und Streamer
Bereits 2018 hat der damalige Rundfunkstaatsvertrag den YouTube- und Twitch-Kosmos beschäftigt. Ein Bescheid der Landesmedienanstalt Nordrhein-Westfalen verunsicherte viele Streamerinnen und Streamer. Die YouTube-Größen PietSmiet und Gronkh thematisierten daraufhin den Rundfunkstaatsvertrag in ihren Videos. PietSmiet erklärte in seinem Video, dass die unter dem gleichen Namen laufenden YouTube- und Twitch-Kanäle als lizenzpflichtig eingestuft wurden. Deshalb stellte sein Team die regelmäßigen Streams ein, um die Lizenzpflicht zu umgehen.
Der Streamer Gronkh, dessen Kanäle ebenfalls als lizenzpflichtig eingestuft wurden, wollte sich darauf nicht einlassen. Er schaltete einen Anwalt ein, doch die Landesmedienanstalt NRW ging nicht auf seinen Einspruch ein. Das größte Problem am damaligen Rundfunkstaatsvertrag: Streamerinnen und Streamer wussten nicht, ob sie für ihre Inhalte eine Lizenz benötigten. Es fehlte das Gesetz, das eine Grenze festlegt, ab wann ein Kanal als lizenzpflichtig und somit auch als Sender eingestuft wird.
Heute ist die Situation für Streamerinnen und Streamer klarer. Der Medienstaatsvertrag befreit die Mehrheit von der Lizenzpflicht. Erst, wenn ein Streamer über einen Zeitraum von sechs Monaten regelmäßig mehr als 20.000 Zuschauerinnen und Zuschauer gleichzeitig erreicht, bedarf sein Stream einer Lizenz.
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