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Liebe Leserinnen und Leser,

Facebook hat erneut eine Änderung seines Newsfeed-Algorithmus angekündigt. Demnach werden Inhalte von Freunden und Familienmitgliedern künftig bevorzugt angezeigt. Fanseiten, zum Beispiel von Unternehmen und Medien, werden wohl weniger Aufmerksamkeit bekommen. Wie schon zuvor bei Algorithmus-Anpassungen sorgt das für viel Unruhe unter Publishern. Wie genau sich das Update auswirkt, wird sich erst in den kommenden Monaten zeigen. Wir haben einige – durchaus kontroverse – Stimmen zur Einordnung des Themas zusammengestellt, damit Sie sich ein eigenes Bild machen können.

Viel Spaß beim Lesen!

Nachrichten sind nicht für Facebook geeignet

„Nachrichten standen schon immer der Logik des Newsfeeds entgegen“, schreibt Martin Giesler. Sie seien objektiv gehalten und widersprächen Facebooks Prinzip der maximalen Emotionalität, so der Journalist und Blogger. Zudem sei es nicht Ziel, die Nutzer über das Weltgeschehen zu informieren oder ihren Horizont zu erweitern. Im Vordergrund stehe, den User möglichst lange auf der Plattform zu halten. Schwierige Nachrichten, mit denen der Leser sich auseinandersetzen muss, würden dabei nicht helfen.

Wolfgang Blau führt diesen Gedanken noch einen Schritt weiter. Der Präsident von Condé Nast International erklärt, dass Facebook in den chinesischen Markt vordringen müsse, wenn das Netzwerk weiter wachsen wolle. In westlichen Ländern habe Zuckerbergs Unternehmen schließlich so gut wie jeden Internetnutzer erreicht. Doch um in China Fuß zu fassen, müsse Facebook so unpolitisch wie möglich daherkommen. Es sei daher nur logisch, dass Zuckerberg nun versuche, das politische Gewicht von Nachrichten auf seinem Dienst zu entkräften.

Es gibt kein Grundrecht auf Facebook-Traffic

Aufmerksamkeit müsse man sich erarbeiten oder dafür bezahlen. Ein Grundrecht auf Reichweite gebe es nicht, kommentiert W&V-Online-Redaktionsleiter Frank Zimmer die Algorithmus-Änderung. Jeder Verlag zahle für die Auslieferung von Medien. „Oder gibt es Postdienste, Pressegrossisten und Kioskbesitzer, die so etwas umsonst machen?“, fragt Zimmer. Dementsprechend sei es logisch, dass auch Facebook für die Verbreitung Geld verlange. Am Ende entscheide allein der Leser über Relevanz. „Wir reden doch alle über Customer Centricity. Dann sollten wir akzeptieren, dass Facebook danach handelt.“

Facebook versorgt den Stammtisch mit Crystal Meth

Empörung, Wut und Angst funktionieren laut SZ-Ressortleiter Andrian Kreye auf Facebook am besten. Vor allem diese Emotionen seien es, die Nutzer zum Weiterleiten und Kommentieren verleiten. Humor und Begeisterung hingegen spielten in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Der US-Wahlkampf 2016 habe dies deutlich gezeigt. „Zuckerbergs Plan, Facebook zu emotionalisieren, wirkt deswegen, als würde er einem aufgebrachten Stammtisch einen Beutel Crystal Meth hinstellen und den Erzürnten viel Vergnügen damit wünschen“, kommentiert Kreye. „Die werden in der Nacht sicher länger bleiben. Allerdings werden sie sich wahrscheinlich auch an die Gurgel gehen.“ Im Internet seien die Attacken zwar nur virtuell, den Effekt auf ganze Gesellschaften dürfe man jedoch nicht unterschätzen.

Die Falle schnappt zu

Facebooks Kurswechsel ist nicht echt, schreibt Heise-online-Autor Daniel AJ Sokolov. Das soziale Netzwerk gebe Familie und Freunden bereits seit 2016 den Vorrang im Newsfeed-Algorithmus. Schon damals habe es „Friends and familiy come first“ geheißen. Die neue Ankündigung sei lediglich ein weiterer Schritt in der „Lockvogeltaktik“ der Plattform. Zunächst habe Facebook Unternehmen mit kostenloser Reichweite angezogen, wodurch die Nutzerzahlen enorm gewachsen seien. Im Anschluss habe man diese Reichweite nach und nach eingeschränkt bis zum neuesten Update. Nun gebe es Sichtbarkeit nur noch gegen Geld. Beim Lesen von Sokolovs Kommentar fühlt man sich an eine fleischfressende Pflanze erinnert, die Insekten mit dem Versprechen auf süßen Nektar anlockt. Dann schnappt die Falle zu.

Die Angst vor dem neuen Newsfeed ist unbegründet

Das Newsfeed-Update müsse für Unternehmen nicht zwingend ein Nachteil sein. Vielmehr erziehe der neue Algorithmus Publisher, relevantere Inhalte zu produzieren, schreibt Benedikt Böckenförde, CEO des Social Publishers Visual Statements. Wie die Plattform Qualität beziehungsweise Relevanz definiert, sei dabei ziemlich eindeutig: „Das Netzwerk soll künftig wieder mehr Menschen miteinander verbinden und ihnen bedeutsame, echte soziale Interaktionen liefern.“ Seitenbetreiber müssten ihre Inhalte als Gesprächsaufhänger konzipieren, die Menschen anregen, miteinander in Austausch zu treten. Es gebe daher keinen Grund zur Sorge. Vielmehr sollten Unternehmen die neue Herausforderung als Chance begreifen, die eigenen Inhalte zu verbessern.

Pragmatischer sieht es Johannes Klingebiel. Der SZ-Redakteur wundert sich über Texte und Tweets von Journalisten, die diese Entwicklung entweder als extrem gut oder äußerst schlecht für Medien einordnen. „Überraschende Aussagen, wenn noch nicht einmal klar ist, wie sich die Änderungen wirklich auswirken werden“, findet Klingebiel.

Facebook-Werbung wird teurer

Werbetreibende, die Anzeigen auf Facebook schalten, müssten zukünftig mit einem höheren Budget kalkulieren. Denn Marken und Medien erkauften sich ihren Platz im Nachrichtenstrom nun primär über Facebooks Anzeigenplattform, wie Susanne Gillner auf internetworld.de beschreibt. Das Problem dabei: Die Zahl der Anzeigenplätze im Newsfeed wird laut Facebook nicht erhöht. Da mit einem starken Anstieg der Nachfrage nach diesen Plätzen zu rechnen sei, müsse man sich auf höhere Anzeigenpreise einstellen. Mittlerweile sollten Seiten-Admins aber wissen, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, einen Facebook-Kanal zu betreiben, nur um kostenlose Reichweite abzustauben.

Unsere Meinung: Facebook ist nur ein Kanal unter vielen – auf den richtigen Mix setzen!

Durchatmen, entspannen. Wie genau sich das Newsfeed-Update auf die Reichweite auswirkt, wird sich erst noch zeigen. Bis dahin gibt es keinen Grund durchzudrehen. Die Anpassung des Algorithmus belegt jedoch, was Sascha Pallenberg bereits im vergangenen Oktober auf dem OSK-Blog zu Bedenken gegeben hat: Wer nur auf eine einzige externe Plattform als Distributionskanal setzt, macht sich abhängig. Damals sagte Pallenberg: „Wenn Facebook seinen Algorithmus ändert, müssen Unternehmen das hinnehmen. Facebook braucht sich nicht um die Belange der Unternehmen zu kümmern (…).“ Anders verhält es sich auf Seiten, die man selbst kontrolliert. Dort haben Publisher das Steuer selbst in der Hand und können ihre eigenen Regeln aufstellen. Keineswegs sollte man Facebook nun den Rücken kehren, die Seite bleibt weiterhin wichtig. Aber eben nur als Teil der Content-Strategie und nicht als ihr alleiniger Pfeiler. Die Lösung kann jedoch nicht sein, einfach auf allen Kanälen aktiv zu sein, die es gibt. Jede Marke muss prüfen, welche Plattformen zum Erreichen der Unternehmensziele am geeignetsten sind, und daraus ihren individuellen Kanalmix zusammenstellen.

Über den Autor

Carsten Christian ist studierter Journalist und Kommunikationswissenschaftler, seinen Master-Abschluss hat er an der Uni Hamburg gemacht. Bevor er zur Agentur kam, war der Digital Native mehr als zwei Jahre für die Online- und Print-Ausgabe der Ruhr Nachrichten im Einsatz. Bei OSK arbeitet er als Team Lead Digital Content, auf dem Agentur-Blog schreibt Carsten über den Medienwandel und Trends im Bereich Digital-Kommunikation. Privat verfolgt er Neuigkeiten in der Videospiel- und Gaming-Szene und greift auch selbst zu Maus und Gamepad.

Dieser Artikel wurde vor mehr als einem Jahr veröffentlicht. Sein Inhalt ist möglicherweise nicht mehr aktuell.