eSports boomt. Weltweit und auch hierzulande verzeichnet die Branche von Jahr zu Jahr neue Wachstums- und Umsatzrekorde. Viele Marken tun sich mit einem Engagement aber schwer. Zu undurchsichtig scheint die Gaming-Branche. In unserer Artikelreihe wollen wir daher mit eSports-Experten sprechen und sie fragen, welche Potenziale die Szene für die Marketing- und Kommunikationsbranche hat, wie man einen authentischen Zugang zur Community bekommt und wer die Multiplikatoren sind.
Alexander Müller ist CEO der Kölner eSports-Organisation SK Gaming. „Dort betreut er auch ein Team aus eSportlern, die sich in Videospielen wie League of Legens, Clash Royale und FIFA mit anderen Mannschaften messen. Wie das Team aufgestellt ist, welche Kommunikations- und Marketingmaßnahmen die richtigen für den eSports-Markt sind und welche Ziele SK Gaming verfolgt, erklärt Alexander Müller im OSK-Interview.
Wie kann man sich einen typischen Arbeitstag von dir als CEO einer eSports-Organisation vorstellen?
Einen typischen Tagesablauf gibt es bei mir nicht. Ich schaue mir die Spiele der Teams an und mache mir Notizen. Dann bespreche ich mich mit den Coaches, was man verbessern kann. Ich tauche also stark in die Spielmaterie ein. Das ist ein Aspekt, der mir sehr viel Spaß macht. Im Bereich Business helfe ich unseren Partnerbrands, sich im eSports-Markt zu etablieren.
Einen typischen Tagesablauf gibt es bei mir nicht.
Wie sieht euer derzeitiger Kader bei SK Gaming aus?
Wir haben weltweit 45 Spieler und Coaches unter Vertrag. Unsere Teams und Spieler trainieren aktuell für die Computerspiele League of Legends, FIFA, Clash Royale, SMITE und Hearthstone. Für League of Legends haben wir zwei Teams. Einmal das nationale, das in der deutschen Prime League startet und dann jenes, das in der LEC antritt. Das ist die europäische Liga, die League of Legends European Championship. Das ist eine Franchise-Liga, in die man sich einkaufen muss. Um hierbei antreten zu dürfen, müssen die jeweiligen Teams eine Lizenzgebühr bezahlen.
In welchem Spiel ist SK Gaming aktuell am erfolgreichsten?
Ganz klar: Clash Royale. Dort gehören wir zu den zwei besten Teams der Welt. In der Liga treten Teams aus Europa, Nordamerika und Lateinamerika gegeneinander an. Die letzte Saison haben wir gewonnen und sind von dort zur Weltmeisterschaft gefahren. Bei dem WM haben wir eine unfassbar dramatische Niederlage im Halbfinale hinnehmen müssen.
Unser deutsches League-of-Legends-Team hat in der Prime League mit vier Siegen und 14 Niederlagen den neunten Platz erreicht. Wir konnten zwar das Derby gegen Schalke für uns entscheiden, jedoch stehen wir jetzt, am Ende der Saison, einen Platz hinter ihnen in der Tabelle. Das ist nicht befriedigend und auch nicht unser Anspruch, aber wir befinden uns hier im Umbruch, das müssen wir so akzeptieren und weiter hart an uns arbeiten.
Was sind eure größten Erfolge?
In Counter Strike haben wir 2002 den ersten Weltmeistertitel geholt. Insgesamt haben wir bis jetzt über 65 Weltmeisterschaften in verschiedenen Spielen gewonnen. Zum Beispiel in FIFA, Pro-Evolution Soccer, World of Warcraft 3 oder Counter Strike.
800 Millionen Menschen haben sich im vergangenen Jahr den Super Bowl angeschaut, das größte Sportereignis der Welt. Zum Vergleich: Über 380 Millionen Menschen verfolgten das WM-Finale von „League of Legends“ im Jahr 2018 via Livestream. Wann erreicht ein eSports-Finale die gleichen Zuschauerzahlen wie der Superbowl?
Das hängt natürlich vom Wachstum des Super Bowls ab. Zurzeit haben wir ein Durchschnittswachstum in der eSport Branche von 20 Prozent. Wenn wir jetzt von 800 Millionen Zuschauern ausgehen und uns dabei auf die 380 Millionen Zuschauer des Finales der „League of Legends“-Weltmeisterschaft 2018 beziehen, sind wir 2023 mit 790 Millionen nur noch knapp darunter.
Bei der Liveübertragung der deutschen Liga liegt die Zuschauerzahl im fünfstelligen Bereich.
Dann müssten wir 2024 über den 800 Millionen Zuschauern sein – zumindest bei so einer wichtigen eSports-Übertragung. Wenn der eSport so weiterwächst, seine Programme weiterentwickelt und inhaltlich immer stärker wird, dann spricht nichts dagegen, dass wir solchen Super-Events die Stirn bieten können. Bei der Liveübertragung der deutschen Liga liegt die Zuschauerzahl im fünfstelligen Bereich.
Wie läuft eine solche Übertragung der deutschen Liga ab?
Die Liveübertragung läuft über einen offiziellen Kanal der Liga auf Twitch. Nur sie hat die Medienrechte und darf den gesamten Spieltag begleiten. Ein Spieltag umfasst fünf Partien, die hintereinander gezeigt werden. Eine solche Übertragung läuft dann in einer exzellenten Qualität für gute sechs, manchmal bis zu sieben Stunden.
League of Legends, meist „LoL“ abgekürzt, ist eines der größten Gaming-Phänomene der Welt. Beim kostenlos spielbaren und mittlerweile über zehn Jahre alten PC-Strategiespiel treten zwei Teams mit je drei oder fünf Spielern in einer gespiegelt aufgebauten Arena gegeneinander an. Jeder Spieler wählt vor Beginn einen Helden mit jeweils einzigartigen Fähigkeiten. Ziel ist es, das gegnerische Hauptgebäude – den „Nexus“ – zu zerstören. Bis zu acht Millionen Spieler zocken League of Legends pro Tag, die ausgeschütteten Gewinne bei eSports-Events liegen pro Jahr im zweistelligen Millionenbereich.
Was sind aus deiner Sicht die größten Treiber für die positive und schnelle Entwicklung des eSports-Marktes in Deutschland?
Das ist die Symbiose zwischen den großen Brands und den endemischen Marktteilnehmern. So nennen wir die Teilnehmer, die unmittelbar mit der Szene verknüpft sind: z.B. der Liga (ESL), Spiele- und Hardwarehersteller oder den Teams. Dadurch, dass wir bei SK Gaming mit den zwei großen Marken Mercedes-Benz und Telekom zusammenarbeiten, bildet unser Team mit ihnen zusammen die Speerspitze. Die Beteiligung solcher nicht-endemischer Unternehmen helfen, den Sport nach vorne zu bringen.
Weitere wichtige Treiber der eSports-Entwicklung sind die Einführung von immer mehr Spieleligen (z.T. Franchise-Ligen) und die weiterhin wachsende Medienpräsenz von eSports – ob auf Onlineplattformen wie Twitch und YouTube, aber auch im linearen TV. Auch der internationale Turniererfolg von zahlreichen deutschen eSports-Athleten tragen zur positiven Entwicklung in Deutschland bei.
Was waren für SK Gaming die entscheidenden Erfolgstreiber?
Wir haben uns bewusst dafür entschieden, zwei der größten Sport-Sponsorship-Brands als Gesellschafter in unsere Firma zu integrieren, dazu einen Bundesligisten: Mercedes-Benz, die Telekom sowie der 1. FC Köln. Mit ihnen entscheiden wir auf Beiratssitzungen, in welche Richtung es auf der Teamseite für den eSport geht und wo Investitionen notwendig sind.
Wir sind erwachsener geworden.
Der zweite Punkt ist, dass wir erwachsener geworden sind. Wir haben gelernt, ganz bewusst auf Entwicklungen und Dinge zu schauen. Früher haben wir Entscheidungen primär aus dem Bauch heraus getroffen. Wir gehen heute analytischer vor in der Frage, wie wir den eSport aufbauen wollen. Daten spielen dabei natürlich eine sehr große Rolle. Wir können im Gegensatz zu früher deutlich besser analysieren, wie Trends in unserer Branche verkaufen und daraus vieles direkt für unsere tägliche Arbeit ableiten.
Der dritte Aspekt ist, dass wir als SK Gaming schon lange (Anmerkung der Redaktion: seit 1997) mit von der Partie sind und wir inzwischen auch innerhalb der Zielgruppe und darüber hinaus eine eigene Team-Marke geworden sind.
SK Gaming ist eines der ältesten und erfolgreichsten deutschen eSports-Teams. 1997 unter dem Namen „Schröt Kommando“ in Oberhausen gegründet, hat das Team in den vergangenen 23 Jahren auf über 600 Turnieren über 65 eSports-Titel gewonnen und so bis heute fast sechs Millionen US-Dollar Preisgelder eingenommen – früher vor allem mit dem eSports-Urgestein Counter Strike, heute mit League of Legends, FIFA, Clash Royale, Hearthstone und SMITE. Seit 2019 halten der 1. FC Köln, die Telekom und die Daimler AG die Mehrheitsrechte der von Alexander Müller geführten SK Gaming GmbH & Co. KG.
Alex, lass uns über die eSports-Zielgruppe reden. Wer schaut sich eure Spiele an?
Hauptsächlich männliche gameaffine Personen im Alter von 17 bis 25 Jahren. Sie sind primär auf digitalen Kanälen unterwegs, und weniger über klassische Kanäle (wie Print und TV). Die Gruppe der 17- bis 25-jährigen sind auch genau diejenigen, die sich erstmals intensiver mit einem Spiel wie League of Legends beschäftigen. Du darfst dabei auch nicht vergessen, wie zeitintensiv ein solches Spiel ist. Für eine League of Legends-Partie kannst du rund 60 Minuten einplanen – sowohl als Spieler als auch als Betrachter.
Diese junge Zielgruppe steht bei vielen Marken hoch im Kurs. Was müssen Marken bei der Ansprache der Zielgruppe wissen?
Wir haben inzwischen zwei große Marken beim Markteintritt begleitet. Mercedes-Benz hat mit dem „Rise On“-Spot viel Demut gezeigt und sich nicht als übermächtige Marke inszeniert. Mit dem Spot haben sie gezeigt, dass sie mit auf die Reise und an die Hand genommen werden möchten. Das ist richtig gut angekommen, dafür hat die Gaming-Community ein echt gutes Gespür.
Meine Empfehlung: Vor allem marktfremde Unternehmen sollten sich erstmal genau überlegen, was sie in diesem Markt machen wollen. Wollen Sie Recruiting? Neue Kunden gewinnen?
Wie man die Zielgruppe dann für sich gewinnt, ist die Königsdisziplin.
Wenn sie das für sich herausgefunden haben, dann müssen sie den passenden Marktteilnehmer identifizieren, mit dem sie das umsetzen können. Wir als Team sind nur ein Teil der möglichen Teilnehmer. Sobald der richtige Partner gefunden ist, muss der Markteintritt gemeinsam geplant werden. Wie man die Zielgruppe dann für sich gewinnt, ist die Königsdisziplin.
Gibt es hierfür eine Art Blaupause? Wie muss der Content aufgebaut sein?
Grundsätzlich gilt: Je näher die Marke und die Werbung an den Kern des Spiels gelangen, desto stärker muss die Werbung auf die Bedürfnisse und Lebenswelt der Zielgruppe eingehen. Plattes Branding – nur das Logo auf die Website zu setzen oder reines In-Game-Advertising – ist zu wenig. Brands müssen unfassbar viel aktivieren. Das ist das A und O. Wenn wir jetzt auf unser Jersey schauen, investieren alle Firmen, die hinter den darauf abgebildeten Logos stehen, deutlich mehr: sei es in aufwendigen Videos, lustigen oder erklärenden Content oder in Gewinnspielen.
In irgendeiner Form muss der Content das Fan-Erlebnis verschönern und vereinfachen, vor allem auch die Sprache der eSports-Zielgruppe aufgreifen. Mit klassischen Anzeigen werden keine Emotionen geweckt. Die Brands müssen schon tiefer rein gehen, um das Vertrauen der Zielgruppe, für sich zu gewinnen. Ganz wichtig: Zuhören, Demut und Wertschätzung gegenüber den Gamern, dennoch nicht zu scheu sein.
Der Content muss das Fan-Erlebnis verschönern.
Welcher Marke ist das zuletzt gut gelungen?
Ich erinnere mich sehr gut an das eSports-Engagement der DHL. Das Logistikunternehmen startete 2018 eine Kooperation mit der internationalen eSports-Turnierserie ESL One und trat in diesem Rahmen als offizieller Logistikpartner der ESL One-Live-Events in Erscheinung. Zudem produzierte die DHL zahlreiche Social-Media-Clips, die von der Community als besonders authentisch wahrgenommen wurde.
Warum? Die DHL rekrutiert den bekannten Gamer (Sir Action Slacks), der als DHL-Bote verkleidet in den Clips auftritt. In den Clips ist zudem ein DHL-Lieferroboter zu sehen, der virtuell auch im Spiel DOTA 2, aber auch in realer Form auf den Live-Events inszeniert wurde. Es war eine authentische Integration in die eSports-Welt, die über plattes Branding hinaus ging.
Welche Plattformen und Kanäle sind aktuell die relevantesten bei der Ansprache der Zielgruppe?
Social Media ist mit Abstand am wichtigsten, vor allem Twitter, Instagram, YouTube, Twitch, aber auch Reddit und 9Gag. TikTok hat überwiegend weibliche Nutzer, daher öffnen wir uns dem kaum. Auch Snapchat funktioniert nicht gut für uns. Auf Facebook sind wir zwar groß, die Plattform ist in unserem Markt aber mittlerweile nicht mehr relevant.
Wo siehst du SK Gaming in fünf Jahren?
Wir freuen uns darauf, wenn die LEC endlich zwischen Heim- und Auswärtsspielen unterscheidet. Bis jetzt wird die Liga komplett aus dem Berliner TV-Studio Adlersdorf übertragen. Dort sitzen auch alle Teams. Wir freuen uns auf den Moment, wenn uns gesagt wird, dass wir unser Team nach Köln holen können und wir beide Teams hier haben. Dann würden wir die Spiele hier vor heimischem Publikum austragen können – und bei Auswärtsspielen zu den gegnerischen Teams fahren.
Am Anfang werden wir erstmal nur ein paar hundert Leute und dann ein paar Tausend zusammen bekommen. Mein Ziel oder Wunsch wäre es, dass wir irgendwann – sobald wir die Pandemie in den Griff bekommen haben – ein Spiel im Rheinenergiestadion austragen. Wie das dann genau abläuft, wenn 50.000 Menschen alle zwei Wochen im Stadion zusammenkommen, bespreche ich in Zukunft mit dem Geschäftsführer des 1. FC Köln, Alexander Wehrle. Ich hätte große Lust, dieses Event mitgestalten zu dürfen.
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