© Daimler

Immer mehr Hersteller bieten Fahrzeuge mit Internetverbindung an. Ab 2015 wird eine SIM-Karte für Neuwagen sogar zur Pflicht. Bei den Kunden stoßen Connectivity-Dienste für die Straße und Internet-Anwendungen im Automobil offenkundig auf zunehmendes Interesse: Laut einer aktuellen Studie stehen fast alle Befragten Fahrzeugen mit Internet positiv gegenüber. Doch die Apps fürs Auto sind nicht nur nützlich. Kritiker warnen vor dem gläsernen Fahrer und Einfallstoren für Hacker.

Schöne neue Web-Welt: Das bietet das Netz im Auto

Zum Standard (wenn auch meist aufpreispflichtig) gehören mittlerweile Apps für Nachrichten, Wetter, Facebook oder Google Maps zur Navigation. Der Unterschied zu Apps auf Smartphones besteht lediglich darin, dass sie direkt auf dem Bildschirm in der Mittelkonsole angezeigt werden. Außerdem können sie auch während der Fahrt über die Bedienelemente des Autos aufgerufen und bedient werden. Der Fahrer muss also nicht erst sein Smartphone in die Hand nehmen, um Facebook zu öffnen. Ablenkungspotential birgt das Surfen im Web während der Fahrt natürlich dennoch. So weit, so mittelmäßig.

bmwcd Wie beim Smartphone: Viele Autohersteller integrieren Apps für Twitter, Facebook und Co. in ihre Infotainment-Systeme.
// Screenshot: BMW.de

Interessanter sind da schon die fahrzeugspezifischen Dienste, die speziell auf die Bedürfnisse von Autofahrern zugeschnitten sind. Erst vor wenigen Wochen hat Mercedes-Benz mit dem neuen C-Klasse T-Modell gezeigt, was aktuell in Sachen Connectivity möglich ist. Der Luxus-Kombi, der im September auf den Markt kommt, ist serienmäßig mit fest verbauter SIM-Karte ausgerüstet, mit der das Fahrzeug bei Bedarf sowohl Sprach- als auch Datenverbindungen aufbauen kann. Der Automobilhersteller nennt diesen Service „Mercedes connect me“.

Damit kann das Auto bei einem Unfall automatisch Rettungskräfte alarmieren und sie – wenn nötig – per GPS an die Unfallstelle lotsen. Gegen Aufpreis sind Besitzer einer C-Klasse außerdem künftig in der Lage, sich via Smartphone oder Tablet mit ihrem Fahrzeug zu verbinden. Wem also entfallen ist, wo er sein Auto geparkt hat, zückt das Handy und schaut kurzerhand nach. Ist der Besitzer sich nicht sicher, ob er sein Auto tatsächlich abgeschlossen hat, kann er das ebenfalls online ganz bequem nachholen. Und wer im Wetterbericht sieht, dass es am nächsten Tag friert, programmiert künftig die Standheizung seines Autos per Fingerzeig von der Couch aus.

Mercedes-Benz Connect Me Abschließen vergessen? Kein Problem: Mit Mercedes connect me einfach Smartphone zücken, Webapp aufrufen und Auto per Fingerzeig abschließen. // © Daimler

Ein weiteres Anwendungsfeld ist die sogenannte Car-to-X-Kommunikation. Damit können sowohl Informationen zwischen Fahrzeugen untereinander als auch zwischen Autos und der Verkehrsinfrastruktur ausgetauscht werden. So können Staus schneller erkannt und die empfohlenen Ausweichrouten genutzt werden. Bislang kamen die Daten über Verkehrsstörungen fast ausschließlich von Messstationen, Staupiloten oder Verkehrsleitwarten. Weil sich Staus jedoch in nur wenigen Minuten bilden und genauso schnell wieder auflösen können, sind diese Informationen oft schon veraltet, wenn sie im Radio durchgesagt werden.

Neue Verkehrsdienste wie TomTom Live Traffic sammeln ihre Informationen hingegen im Sekundentakt direkt über die Autos ein, die gerade auf den Straßen unterwegs sind. Fahrzeuge, die mit der Technik ausgestattet sind, funken permanent ihre Position und ihre Geschwindigkeit anonymisiert ins Internet. Aus der Fülle der Datensätze einzelner entsteht so ein sekundenaktuelles Bild der Verkehrslage, mit dem Navigationsgeräte viel präzisere Umleitungen empfehlen können als bisher.

ttlt Wenn Maschinen telefonieren: Mit TomTom Live Trafic warnen sich Autos gegenseitig vor Staus und Verkehrsstörungen.
// Screenshot: TomTom.com

Selbst Kfz-Versicherungen haben mittlerweile die Vorteile der Standleitung ins Auto für sich entdeckt. Als erste Assekuranz in Deutschland bietet die Sparkassen-Direktversicherung Rabatte für Kunden, die sich eine Blackbox ins Fahrzeug einbauen lassen – wenn auch zunächst im Rahmen eines Pilot-Projekts. Im Ausland gibt es solche Tarife schon länger. Ähnlich wie bei Mercedes-Benz kann auch die Sparkassen-Blackbox bei einem Unfall selbstständig den Notruf verständigen, wenn der Fahrer dazu nicht mehr in der Lage ist. Doch für die Versicherung geht es eigentlich um etwas anderes: Sie sammelt Daten und registriert so Informationen über Fahrweise, überhöhte Geschwindigkeit sowie Stadt- und Nachtfahrten des jeweiligen Versicherten. Daraus errechnet das Unternehmen ein Scoring, das bewertet, wie „sicher“ der Fahrer unterwegs ist. Besonders vorsichtige Fahrer erhalten fünf Prozent Rabatt auf die Jahresprämie.

Um den Reiz an dem neuen Blackbox-Tarif zu steigern, hat die Versicherung zusätzlich einen Wettbewerb ins Leben gerufen: Unter den aktuell 1.000 Kunden, die mit dem kleinen „Big Brother“ an Bord unterwegs sind, erhält monatlich der jeweils vorsichtigste Fahrer die Beiträge für ein Quartal geschenkt. Die jeweiligen Gewinner werden sogar im Internet veröffentlicht.

 Geld gegen Daten: Die Sparkassen-Direktversicherung ist das erste Unternehmen in Deutschland, das Blackbox-basierte Kfz-Versicherungstarife für Privatpersonen anbietet. Interessant: Die kontroversen Kommentare unter dem YouTube-Video.

Schreckens-Szenario Hackerangriff: Wie sicher ist das rollende Web?

Soweit der Stand der Technik. Doch die schönen neuen Möglichkeiten der Internetverbindung im Auto rufen viele Kritiker auf den Plan. Sie befürchten, Hacker könnten sich über die Datenverbindung unbefugt Zugang zum Fahrzeug verschaffen, Daten abgreifen oder sogar das Steuer übernehmen.

Vollkommen abwegig sind solche Gedankenspiele nicht, die technische Möglichkeit besteht tatsächlich, wenngleich das nicht so einfach ist. Das Fachmagazin AUTOMOBIL ELEKTRONIK schrieb dazu bereits im Jahr 2012: „Ein mit ausreichenden wirtschaftlichen und technischen Mitteln ausgestatteter Angreifer identifiziert eine Schwachstelle und nutzt diese zum Einschleusen von Schadcode auf potenziell jedes Fahrzeug einer Serie mit Mobilfunkschnittstelle und Internetanbindung.“

In der gleichen Ausgabe wurde Dr. Thomas Wollinger vom Security-Spezialisten Escrypt mit folgender Aussage zitiert: „Heutige Fahrzeuge haben mehrere Interfaces, über die ein potenzieller Angreifer Software oder Daten manipulieren kann. (…) In den USA hat es ein Team von Wissenschaftlern geschafft, per GSM in ein Standard-Fahrzeug einzudringen und kritische Fahrzeugfunktionen zu manipulieren. Beim GSM-Zugriff ist es irrelevant, wo sich Angreifer und Angegriffener befinden.“

ConnectedDrive_June_2013 BMW Connected Drive: Alle deutschen Premium-Hersteller haben aktuell das Internet fürs Auto im Angebot. Bald werden die übrigen folgen. // © BMW

Was tun Hersteller und Anbieter also, um diese Schrecken-Szenarien nicht Realität werden zu lassen? Es gibt mehrere Maßnahmen. So schirmen sie beispielsweise den Datenverkehr nach außen hin ab. Ähnlich wie Firmen, die ihren Mitarbeitern von Zuhause aus Zugriff auf ihr Netzwerk gewähren, nutzen Autohersteller für ihre Datenverbindungen ein Virtual Private Network (VPN). Zusätzlich werden die Daten verschlüsselt über die unternehmenseigenen Server geleitet. Auf diese Weise durchlaufen die gesendeten Informationen zuerst die Firewalls dieser Server, bevor sie weitergeleitet werden.

„How Hackable Is Your Car?“

Darüber hinaus hängt die Verwundbarkeit eines Autos offenbar stark von seiner Netzwerk-Architektur ab – so in einem aktuellen Artikel „How Hackable Is Your Car?“ auf wired.com zu lesen. Das Tech-Magazin berichtete vergangene Woche über eine neue Studie zweier US-Amerikaner, die untersucht haben, wie angreifbar heutige Pkw sind. Demnach ist es wichtig, dass Sensoren sicherheitsrelevanter Teile wie Bremsen oder Lenkung keine direkten Schnittstellen mit Infotainment-Systemen aufweisen. Das verringert laut der Studie die Chance für Hacker, überhaupt erst auf sicherheitsrelevante Teile zuzugreifen.

So macht es beispielsweise auch HARMAN, Marktführer im Bereich Infotainment-Lösungen. Das Unternehmen hat Anfang des Jahres die nächste Generation seiner Infotainment-Plattform präsentiert, die nach eben diesem Prinzip aufgebaut ist.

Darüber hinaus versuchen die Hersteller, größtmögliche Transparenz zu wahren. Daimler macht das mithilfe der Opt-In-Methode. Das heißt: Kunden müssen sich aktiv für jeden der Connectivity-Services entscheiden, bevor sie im Fahrzeug aktiviert werden. Bei Fahrzeugauslieferung sind zunächst sämtliche Datendienste bis auf den automatischen Notruf außer Betrieb. Erst wenn der Kunde weitere Funktionen aktiv wünscht, werden sie freigeschaltet. Auf diese Weise soll der Besitzer stets selbst entscheiden können, welche Daten über das Auto kommuniziert werden und welche nicht.

Audi connect Überall vernetzt: Auch mit Audi Connect sind Autos permanent verbunden.
// © Audi

Und nicht zuletzt ist auch der Anwender in der Pflicht. Wer Connectivity-Dienste im Auto nutzt, die es ihm erlauben, Funktionen wie die Zentralverriegelung oder die Standheizung über das Smartphone zu steuern, muss dafür sorgen, dass seine Zugangsdaten nicht in die Hände Dritter geraten – wie bei jedem anderen Online-Dienst auch.

Fortsetzung folgt bestimmt: Was bringt die Zukunft des Webs im Wagen?

Ab Oktober 2015 haben Autokäufer in der Europäischen Union keine Wahl mehr. Denn dann wird das System namens „eCall“, das bei einem Unfall automatisch die Rettungskräfte alarmiert, für jeden Neuwagen zur gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtausstattung. Herstellern wird voraussichtlich zur flächendeckenden Implementierung noch eine Übergangsfrist gewährt, aber spätestens ab 2018 wird jedes Neufahrzeug in der EU mit eingebauter SIM-Karte ausgeliefert.

ecall-adac © ADAC

Auf lange Sicht wird sich also kaum ein Autofahrer gegen die Netzanbindung wehren können. Dies wird aber den Wenigsten etwas ausmachen – zumindest, wenn es nach einer aktuellen, repräsentativen Studie der Strategieberatung Berylls Strategy Advisors geht. Demnach wünschten sich die meisten Kunden Webdienste im Auto ausdrücklich. Stolze 99 Prozent der Befragten zeigten grundsätzliches Interesse an Connectivity-Diensten, die meisten (80 Prozent) wären sogar je nach Nutzen der Dienste bereit, dafür Geld zu bezahlen.

Mit ihren Angeboten treffen viele Automobilhersteller offensichtlich den Nerv der Zeit. Die Herausforderung besteht nun darin, den Kundenwunsch nach dem Web im Wagen so sicher wie möglich umzusetzen.

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