tl;dr (Lesezeit: 5-10 Minuten)
- Jens Stratmann zählt zu den Autoblog-Pionieren.
- Über sein Blog rad-ab.com versorgt er seit einigen Jahren Autoverrückte mit aktuellen News aus der Autowelt.
- In der Zusammenarbeit mit Unternehmen sind ihm eine Kommunikation auf Augenhöhe und Ehrlichkeit wichtig.
- Laut Stratmann haben Autoblogger einen starken Einfluss auf den Kaufentscheidungsprozess von Kunden.
- “Die Autoblog-Studie 2015/2016 zeigt, dass Autoblogs und die Herstellerwebsites als Erstes geklickt werden. Für mehr als 70 Prozent der Befragten sind Blogs eine wichtige Informationsquelle”, erklärt er.
Let’s talk about cars: Jens Stratmann, Baujahr 1979, begeistert sich seit seiner Kindheit für alles, was vier Reifen hat. Sein erstes „Auto“ war ein Bobby-Car, sein absoluter Traumwagen ist der Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer. Nach einer Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und über elf Jahren im Automobil-Zubehör-Vertrieb schreibt Jens heute hauptberuflich über Automobil-Themen. Über sein Blog rad-ab.com und seinen YouTube-Channel Voice over Cars versorgt er seit einigen Jahren Autoverrückte mit aktuellen News aus der Autowelt und testet die neuesten Modelle sämtlicher Hersteller auf Herz und Nieren.
Jens zählt zu den Autoblog-Pionieren und ist einer der wenigen, die es bis in die erste Blogger-Liga geschafft haben. Sein Name steht auf den Einladungslisten der großen Automobil-Konzerne und so reist er regelmäßig von Event zu Event. Im OSK-Interview verrät er, dass er eigentlich am liebsten bei seiner Familie in Bielefeld bleibt und woher seine Faszination für Autos kommt. Wir haben uns außerdem mit ihm über die Autoblogosphäre unterhalten, die sich zunehmend professionalisiert und enger zusammenrückt. Jens erklärt uns, wie Kooperationen mit Unternehmen funktionieren und weshalb Autoblogs inzwischen für deren Kommunikation so wichtig sind.
Autoblog-Pionier Jens Stratmann
Was ist dein absolutes Traumauto?
Mein absolutes Traumauto war, ist und bleibt wahrscheinlich auf Ewigkeiten der Mercedes-Benz 300 SL Flügeltürer. Das war als Kind mein erstes Mikroauto und absolutes Lieblingsspielzeug. Besonders fasziniert haben mich die Flügeltüren. Vor ein paar Jahren durfte ich mich dann tatsächlich hinter das Steuer eines echten 300 SL setzen, bei einer wunderschönen Tour durch Marbella. Traumwagen gefahren, das habe ich auf meiner To-do-Liste also schon abgehakt.
Vom Kfz-Mechaniker zum Blogger – wie bist du auf die Idee zu rad-ab.com gekommen?
Ich habe schon gebloggt, da wusste ich noch gar nicht, dass ich blogge. Ich hatte schon, als ich noch Kfz-Mechaniker war, ein Blog. Das war aber eher persönlicher Natur und diente mir als Gedächtnisstütze. Hin und wieder habe ich dort auch Automotive-Themen untergebracht und plötzlich gemerkt: „Mensch, das interessiert ja nicht nur dich, das lesen auch andere Leute!“ Da ist die Idee geboren, das Thema auszugliedern und ein reines Autoblog zu starten. Die klassische Printpresse wollte ich nie kopieren und immer noch Spaß an der Sache haben. Ich dachte, „Rad-ab“ sei ein lustiger Name. Heute, retrospektive, würde ich den Namen vielleicht anders wählen. Mittlerweile ist er jedoch zur Marke geworden und ich kann mich schlecht davon trennen.
Was fasziniert dich so an Autos?
Ich bin in einem sehr automobilen Umfeld, auf einem Industriegelände, aufgewachsen. Mit 18 Jahren bedeutete Autofahren Freiheit. Mich hat aber auch immer schon die Technik dahinter fasziniert – heute vor allem Assistenzsysteme und Connectivity im Auto. Oft wird der Automobilindustrie vorgeworfen, sie hätte sich in den letzten 20 bis 30 Jahren nicht verändert. Klar, Autos haben immer noch vier Räder und die meisten haben immer noch einen Benzin- oder Dieselmotor unter der Haube. Aber es tut sich auf anderer Ebene eine ganze Menge. In zehn Jahren werden wir garantiert nicht sagen, dass sich in den letzten Jahrzehnten nichts getan hat. Dieser kontinuierliche Fortschritt fasziniert mich und das möchte ich auch an meine Leser transportieren.
Beschreibe rad-ab.com doch bitte kurz für uns. Worauf legst du deinen thematischen Schwerpunkt?
Auf rad-ab.com veröffentliche ich Fahrberichte mit viel eigener Meinung. Meinungsmache gehört zum Bloggen dazu. Es funktioniert wie ein Lagerfeuer: Die pure Nachricht, etwa über ein neues Model, ist das erste Holzscheit. Anschließend schaue ich mir den Wagen bei seiner Premiere an und mache mir mein eigenes Bild. Wenn mir das Auto gefällt und bei den Lesern gut ankommt, hole ich es mir nach Hause und teste es ausführlich. Ich lege dann kontinuierlich etwas nach, um das Lagerfeuer am Brennen zu halten. Hat mich der Wagen überzeugt, gibt es zum Beispiel auch noch Sonderthemen und Specials dazu. Die Autoblog-Studie 2015/2016 von Moritz Nolte und dem Autoblognetwork belegt, dass sich die Leser in erster Linie für die Fahrberichte und Tests interessieren und diese auch bei der Kaufentscheidung berücksichtigen.
Was unterscheidet dein Blog von anderen Autoblogs, was macht es besonders?
Ich glaube, ich kann behaupten, dass ich damals gemeinsam mit den Kollegen Bjoern Habegger, Alex Kahl, Jan Gleitsmann und Moritz Nolte das Autobloggen angefangen habe. Wir haben quasi die Autobahn gebaut, auf der nun alle fahren können. Wir haben die Pionierarbeit geleistet.
Was mein Blog auszeichnet, ist seine Authentizität. Ich glaube, ich habe ein Händchen dafür, so zu schreiben, dass es die Leser unterhält – obwohl meine Rechtschreibung grauenvoll ist und ich keine einzige Kommaregel beherrsche. Wenn man sich selber nicht so wichtig nimmt, merken die Leute, dass man authentisch ist. Ich persönlich finde es wichtig, dass man sich nicht verstellt. Mein Deutschlehrer würde sich im Grabe umdrehen, wenn ich plötzlich perfekt schreiben würde!
Was unterscheidet Blogs von Online-Redaktionen?
Die Journalisten haben anfangs ziemlich verschnupft reagiert, als die ersten Autoblogger auf den Fahrveranstaltungen aufgetaucht sind. Einer der heiligen Plätze wird von irgendjemandem besetzt, der da irgendwas ins Internet schreibt! Bloggen war damals einfach noch Neuland für die klassische Presse. Mittlerweile adaptiert sie aber vieles von uns. Das typische Alleinstellungsmerkmal war damals unsere Schnelligkeit – wir brauchten kein Lektorat, keine Korrekturschleifen. Wir haben einfach ungefiltert veröffentlicht. Mit den Online-Redaktionen ist die klassische Presse inzwischen nachgezogen, wirklich große Unterschiede hinsichtlich der Aktualität gibt es heute nicht mehr. Was die Blogosphäre jedoch noch immer von der klassischen Presse unterscheidet: Blogger äußern eine starke eigene Meinung und beziehen auch Meinungen Dritter ein. Die Auto Bild hingegen würde zum Beispiel nie die Meinungen der Auto Motor und Sport aufgreifen.
Das Instagram-Profil von Stratmann: ein Kanal für schnelle Schnappschüsse
Welche Tipps würdest du angehenden Autobloggern mit auf den Weg geben?
Wenn man irgendetwas erreichen möchte, nicht nur aufs Bloggen bezogen, dann braucht man zumindest einen dieser drei Punkte:
- Ahnung: Ich habe eine klassische Ausbildung im Kfz-Bereich, habe danach elf Jahre im Vertrieb von Autoteilen gearbeitet, zum Schluss auch in der Qualitätskontrolle. Ich weiß also, wovon ich rede. Wenn man sich in einem Bereich nicht auskennt, sollte man sich nicht nach außen als Experten darstellen – das ist nicht authentisch. Und wir brauchen niemanden, der Wikipedia-Meinungen kopiert. Wissen kann man sich aneignen.
- Interesse: Optimalerweise hat man das zusätzlich zu Fachkenntnissen. Denn wenn ich etwas nur mache, weil es populär ist oder ich einfach gerne viel reisen und tolle Autos fahren möchte, merken die Leser, dass mir die Leidenschaft für das eigentliche Thema fehlt. Ich sollte mich als Blogger schon selbst dafür interessieren, worüber ich schreibe – sonst funktioniert das nicht.
- Bild-Know-how: Bild-Know-how. Ganz wichtig ist auch ein Händchen fürs Fotografieren und Filmen. Fotos und Videos machen Blogs und Blogger aus, Bilder stärken die Inhalte.
Inwiefern kann man vom Bloggen leben?
Wer denkt, dass er heute Blogger werden und morgen davon leben kann, dem muss ich den Zahn ziehen. Viele sind schon jahrelang dabei, ohne die Gewinngrenze zu überschreiten. Für viele ist es ein Hobby, das sie nebenberuflich betreiben. Ich aber habe vor sechs, sieben Jahren tatsächlich meine Berufung gefunden und mich als Blogger selbstständig gemacht. Inzwischen wirft mein Blog Geld ab – es kostet aber auch eine ganze Menge: neben Server- und Reisekosten vor allem Zeit. Das Bloggen sehe ich als einen Baustein meiner Selbstständigkeit. Inzwischen habe ich mir eine weitere Säule aufgebaut, indem ich auch im Auftrag anderer Kunden und für andere Blogs schreibe.
Bei Instagram hast du weit über 5.000 Follower, bei Twitter fast 10.000. Welche weiteren Social-Media-Kanäle nutzt du und wie?
Instagram nutze ich fast stiefmütterlich. Wenn ich ein schönes Motiv sehe, dann poste ich es. Im Automobilbereich kommt man recht schnell auf ein paar Follower. Aber ich nutze Instagram als One-Way-Kanal, das gebe ich ehrlich zu. Für Blogger hat der Tag zwar 48 Stunden, trotzdem habe ich keine Zeit für Community-Management. Das betreibe ich nur bei YouTube. Seit gut einem Jahr habe ich dort einen eigenen Channel, Voice over Cars, mit inzwischen weit über 4.000 Abonnenten und 1,4 Millionen Aufrufen. Dort findet meine Kommunikation mit der Außenwelt statt und ich versuche, jeden Kommentar zu beantworten. „Social-Media-Tagesfliegen“ wie Snapchat nutze ich nicht. Was ich ab und zu aber mache, sind Facebook-Livestreams.
Der Trend zu Bewegtbild ist deutlich spürbar: Über 4.000 Abonnenten folgen dem YouTube-Kanal von Jens Stratmann bereits
Dein Blog besteht aus Text, Bild und Video. Welche Bedeutung wird das Bewegtbild-Format zukünftig für Blogs haben?
Angeblich leben wir ja gerade im medialen Wandel von Print zu Online. Denn wir alle haben ein Problem: Wir haben keine Zeit mehr. Deshalb müssen wir möglichst schnell und kompakt Informationen aufnehmen – das funktioniert am besten mit Videos. Die Reichweite meines YouTube-Kanals schaffe ich mit meinem Blog schon lange nicht mehr. Mein Blog hat derzeit etwa 60.000 Besucher pro Monat, bei YouTube sind es mehr als doppelt so viele Aufrufe. Das zeigt, wo die Reise hingehen wird – definitiv Richtung Bewegtbild. Dabei wird sich allerdings die Spreu vom Weizen trennen. Videos herzustellen, ist deutlich komplizierter, als Fotos zu knipsen und Texte dazu zu schreiben. Soweit es geht, mache ich alles selber. Gerade beim Filmen braucht man aber manchmal Hilfe – ich kann mich ja schlecht selber von außen beim Autofahren filmen. In der Blogosphäre wird Kollegialität noch immer großgeschrieben. Eine schöne Anekdote: Einmal ist mir meine Kamera kaputtgegangen, sofort wurden mir von Bloggerkollegen drei neue angeboten. Wir sind wie eine große Familie – man kennt sich, man respektiert sich.
Wie funktionieren Kooperationen zwischen Bloggern und Automobilherstellern?
Als mich ein Hersteller das erste Mal zu einer Fahrveranstaltung nach Mallorca einlud, war ich komplett geflasht! Schnell habe ich aber rausgefunden, dass das zum ganz normalen Spiel gehört und sich alle anderen Auto-Journalisten und Blogger schon lange nicht mehr für das „Drumherum“ interessieren. Heute möchte ich nach einem harten Tag manchmal einfach nur ein Schnitzel und keinen Gruß aus der Küche – dann ist weniger eben doch mehr.
Ich bin zum Glück schon relativ lange dabei und werde daher häufig zu Fahrvorstellungen eingeladen – wenn nicht, dann nicht, ich bin da sehr schmerzbefreit. Aktuell bin ich in der „unglücklichen glücklichen“ Situation, dass ich mehr ab- als zusage. Unglücklich, weil einige Absagen echt wehtun. Statt Traumautos vor traumhafter Kulisse zu fahren, fährt man irgendwo in Hintertupfingen einen Kleinwagen – weil sich das einfach besser verkauft. Glücklich, weil ich mir die Veranstaltungen mittlerweile aussuchen kann. Ich denke heute wirtschaftlicher, auch wenn dann der Spaß etwas auf der Strecke bleibt. Eigentlich würde ich am liebsten immer in Deutschland bei meiner Familie bleiben. Die Auswahl der Testfahrzeuge mache ich aber tatsächlich in erster Linie vom Interesse abhängig – nicht nur von meinem eigenen, sondern vor allem von dem meiner Leser.
Was ist dir bei Kooperationen mit Unternehmen wichtig?
Wichtig sind mir eine Kommunikation auf Augenhöhe und Ehrlichkeit. Ich möchte nicht belogen werden, mit klaren Ansagen kann ich besser umgehen als mit Verklausulierungen oder Ausreden. Inzwischen habe ich aber meine festen Ansprechpartner bei den Konzernen. Über die Jahre hat sich eine Vertrauensbasis entwickelt. Oft erhalte ich Save-the-Dates und Vorab-Informationen mit Sperrfrist, um meine Berichte vorzubereiten. Das erleichtert mir die Arbeit natürlich. Wenn ich die harten Fakten noch nicht hätte, sondern erst alle Pressekonferenzen abwarten müsste, könnte ich nicht so schnell produzieren.
Was hat sich deiner Meinung nach in der Autoblogger-Szene in den letzten Jahren verändert?
Man hat viele kommen und gehen sehen. Einige haben sich professionalisiert, einige sind im Hobbystatus geblieben. Viele springen inzwischen auf den Bewegtbild-Zug auf. Für mich persönlich ist das schon fast beängstigend. Ich sehe heute viel weniger Fotos von irgendwelchen Mittagessen bei Instagram (lacht). Die Spreu trennt sich vom Weizen. Das liegt aber auch daran, dass die Einladungslisten der Hersteller immer limitierter werden. Wenn man nicht mehr eingeladen wird, verliert man schnell die Lust.
Wie einflussreich sind Blogger heutzutage in der Automobilbranche?
Ich würde nicht sagen, dass ich mehr Einfluss habe als andere Medien. Aber ich merke, dass ich als Meinungsbildner wahrgenommen und wiedererkannt werde. Als mich das erste Mal jemand nach einem Autogramm fragte, war das noch sehr, sehr ungewohnt – genauso wie das erste Selfie mit wildfremden Menschen. Ich denke, dass Blogger eine hohe Glaubhaftigkeit vermitteln. Die Leute legen Wert auf unsere Meinung. Die Autoblog-Studie 2015/2016 zeigt, dass Autoblogs und die Herstellerwebsites als Erstes geklickt werden. Für mehr als 70 Prozent der Befragten sind Blogs eine wichtige Informationsquelle – Blogger haben demnach starken Einfluss auf den Kaufentscheidungsprozess. Händler und klassische Automedien, Print wie auch Online, liegen weit dahinter. Deswegen sind wir auch für Hersteller als Kommunikationskanal so wichtig und werden zukünftig noch wichtiger sein.
Ein kurzer Blick in die Zukunft: Welche Projekte sind in nächster Zeit geplant?
Ich habe mich mit Björn Habegger und Jan Gleitsmann für ein Projekt zusammengetan. Da möchte ich aktuell aber noch nicht zu viel verraten. Ansonsten setze ich weiterhin auf Bewegtbild und wer weiß, wann es einen guten Grund für ein zweites Interview gibt?
Wir würden uns freuen. Danke für das Gespräch, Jens!