Stevan Pauls Lebenslauf liest sich wie ein gutes Kochbuch. Im Mittelpunkt stehen stets Kochen und Genuss. Der gebürtige Schwabe lebt heute in Hamburg, schreibt Kochbücher, kulinarische Artikel für Magazine, Zeitungen und sein eigenes Blog – NutriCulinary, inzwischen eines der meist gelesenen Foodblogs Deutschlands. Foodblogs polarisieren und liefern derzeit viel Diskussionsstoff in den Medien. Auf der re:publica 2015 im Mai in Berlin warf die Blogger-Szene einen Blick über den Tellerrand und fragte sich, was Foodblogger eigentlich sind – Aktivisten, Meinungsmacher, Unternehmer? Inwiefern können Foodblogs Politik und Verbraucherverhalten beeinflussen? Ist „Foodbloggen“ Beruf oder Hobby? Spannende Fragen, die auch uns interessieren – um Antworten zu finden, haben wir uns genau darüber mit Foodblogger und Autor Stevan Paul unterhalten.
1988 machte Stevan Paul zunächst eine Ausbildung bei Sternekoch Albert Bouley im Restaurant Waldhorn in Ravensburg und kochte bis 1995 in verschiedenen von Gault-Millau und Michelin gekrönten Küchen. Im Anschluss arbeitete er einige Jahre als Foodstylist und Rezeptentwickler in der Redaktion einer Genusszeitschrift, wo er erste Einblicke in den Beruf des Food-Journalisten gewinnen konnte. Selber schreiben ließ man ihn dort allerdings nicht – vorerst. Das änderte sich 2009 mit seinem ersten und sehr erfolgreichen Buch „Monsieur, der Hummer und ich“. Ab dann riefen die Redaktionen an. Heute arbeitet Stevan Paul nicht nur als selbstständiger Foodstylist, Rezept-entwickler und Produktioner, sondern vor allem auch als Fachjournalist. Das Schreiben für Magazine wie „Effilee“ und „Mixology“ sowie für große Tageszeitungen wie die Süddeutsche Zeitung macht inzwischen einen Großteil seiner Gesamtarbeit aus. Er habe schon immer gerne geschrieben, sagt Stevan Paul über sich. Als Autor konnte er schließlich Beruf und Passion verbinden.
Bereits vor der Veröffentlichung seines ersten Buches probierte sich der gelernte Koch an Texten auf verschiedenen Plattformen im Netz. Bevor er vor einigen Jahren mit NutriCulinary online ging, schrieb er einige Jahre das Antville-Blog „Dem Herrn Paulsen sein Kiosk“. Heute inspiriert er auf seinem eigenen Blog passionierte Köche und Genießer mit Rezepten für jeden Anlass und kulinarischen Reiseberichten aus aller Welt. 2010 wurde das Blog für den Adolf Grimme Online Award in der Rubrik Kultur und Unterhaltung nominiert. Den Erfolg von NutriCulinary erklärt sich Stevan Paul mit der Themenvielfalt, die dort zu finden ist. Für ihn selber ist das Blog ein persönlicher Inspirationsquell, er schätzt den Austausch mit Gleichgesinnten und die Möglichkeit, Meinungen und Ideen zu verbreiten.
Im OSK-Interview schildert er, warum er bloggt und wieso er sich ein sehr viel stärkeres politisches Engagement der Szene wünscht. Nebenbei verrät er uns das perfekte Rezept für einen gelungenen Foodblog und weshalb ein reines Blog ohne Social Media heute nicht mehr funktioniert.
Als kleiner Aperitif vorweg: Lieber Nordseekrabbe oder schwäbische Maultasche?
Wenn ich im Süden bin, die Maultaschen – in Brühe mit geschmelzten Zwiebeln. Ein Krabbenbrötchen geht hier in Hamburg immer, am besten mit Hafenblick.
Sie sind gelernter Koch, schreiben Bücher, haben sogar eine App entwickelt – inzwischen sind Sie einer der meistgelesenen Foodblogger Deutschlands. Was verschlug Sie von der Kochzeile in die kulinarischen Weiten des Netzes?
Ich habe schon immer gerne geschrieben und sehr früh erste Texte ins Netz gestellt. Ich habe mich zunächst in Foren ausprobiert. Sehr wichtig waren für mich die Höflichen Paparazzi, eine Forums-Plattform, aus der später die unterschiedlichsten Menschen in eine breite Öffentlichkeit traten: Kathrin Passig, Sascha Lobo, Tex Rubinowitz oder Wolfgang Herrndorf – um nur ein paar zu nennen. Es war sehr lehrreich und ein großes Vergnügen, sich dort mit spannenden Menschen auszutauschen – und auch zu reiben.
Bevor ich vor einigen Jahren mit NutriCulinary online ging, schrieb ich einige Zeit für „Dem Herrn Paulsen sein Kiosk“ auf Antville – ein erstaunlich erfolgreiches Blog mit einem durchaus fordernden Stilmix aus Reggeamusik, Literatur und Kochen. Bis heute schätze ich die Inspirationen und den Austausch mit Gleichgesinnten und Fachleuten im Foodblog-Bereich sehr.
Nach einer klassischen Kochausbildung und Wanderjahren in der Sternegastronomie landete ich 1995 in der Redaktion der Zeitschrift „essen & trinken“. Dort erhielt ich, neben dem Foodstyling und der Rezeptentwicklung, auch Einblicke in den Beruf des Food-Journalisten. Nur schreiben ließ man mich erstmal nicht. Ein Koch, der schreibt – damals undenkbar! Alles geändert hat mein erster Erzählband „Monsieur, der Hummer und ich“, der 2009 erschien und ein ziemlicher Erfolg wurde. Meine Arbeit als freier Fachjournalist ist dann ganz langsam und gesund gewachsen, heute schreibe ich für viele Magazine, Zeitungen und Zeitschriften – das macht mittlerweile ein Drittel meiner Gesamtarbeiten aus.
Screenshot: NutriCulinary
Nicht jeder, der Fotos von seinem Mittagessen ins Netz hochlädt, ist automatisch Foodblogger. Außergewöhnliche Rezepte, qualitativ hochwertige Fotos, guter Schreibstil, persönliche Note – wie lautet das Rezept für einen gelungenen Foodblog?
Genau das alles hilft. Dazu kommen noch Transparenz, eine Menge Zeit und ein Gefühl für Themen. Es ist die Lust, neue Trends und Strömungen auszuprobieren, etwas Neues zu entdecken, es zu teilen, weiterzudenken und zu diskutieren. Ganz wichtig finde ich Transparenz, das heißt sich selbst treu zu bleiben. Bestenfalls sind Blogautor und Privatperson identische Charaktere.
Welche Tipps würden Sie einem Blogger-Frischling mit auf den Weg geben?
Locker sein und sich selbst treu bleiben, mit Sorgfalt und Begeisterung ans Werk gehen. Wenn dann die großen Leserströme trotzdem erstmal ausbleiben, sollten sie sich daran erinnern, dass Rom auch nicht an einem Tag erbaut wurde.
Lassen Sie uns über Ihr Blog sprechen. Auf NutriCulinary berichten Sie von kulinarischen Reiseerlebnissen, Koch-Events und Medienauftritten, teilen Rezeptideen und Wissen. Was genau und wen möchten Sie mit Ihrem Blog erreichen?
Das habe ich nicht geplant oder mir ausgesucht. Ich freue mich deshalb umso mehr, dass mein Blog heute insbesondere von Redaktionen, Entscheidern aus der gehobenen Gastronomie, gastronomischen Fachangestellten und kulinarisch interessierten Privatpersonen gelesen wird. Das gibt mir die Möglichkeit, Dinge auch mal tiefer anzugehen – Meinung zu äußern und Meinungen zu erspüren. Die Bloginhalte und großen Themen haben sich im Vergleich zu den Anfängen von NutriCulinary nicht verändert. Ich hoffe, für alle Kochbegeisterten zu schreiben, und freue mich darum auch sehr, dass ich immer wieder neue Leserinnen und Leser gewinnen kann.
Laut eigenen Angaben erreichen Sie mit Ihrem Blog monatlich rund 30.000 Menschen. Was macht ihn so besonders lesenswert?
Ich denke, die Mischung macht’s. Ich bin thematisch sehr breit aufgestellt, immer sind Ernährung und Genuss (nutri UND culinary) die Schlagwörter. Ich behandle daneben aber auch Aspekte aus der Kunst, aus dem Filmbereich und veröffentliche Buchvorstellungen – es gibt tatsächlich sogar eine Küchenmusik-Rubrik. Herzstück von NutriCulinary sind aber die Reisebereichte, wie unlängst mein Fünfteiler aus Tokio. So etwas könnte ich in dieser Länge und Ausführlichkeit im Print nicht unterbringen.
Unternehmen sind verstärkt an der Zusammenarbeit mit Bloggern interessiert. Wie sollten sie an Blogger herantreten, um ihnen Kooperationen schmackhaft zu machen?
Riesenthema! Ich berate mittlerweile auch Firmen in Blogger-Relations. Machen Sie sich schlau, mit wem Sie kooperieren wollen. Sprechen Sie Kooperationspartner gezielt und persönlich an, statt mit dem großen Netz zu fischen („Liebe Blogger!“). Zeigen Sie sich an langfristigen Kooperationen interessiert. Das sind ganz grob die ersten und wichtigsten Ratschläge. Jedoch treten in Unternehmen-Blogger-Beziehungen sehr oft Schwierigkeiten auf. Das Hauptproblem in einem Satz: Es gibt wohl auf beiden Seiten immer noch völlig überzogene Erwartungshaltungen – beide wollen alles und das möglichst gratis.
Was raten Sie Bloggern, die mit Unternehmen zusammenarbeiten?
Bloggen wirkt nach außen wie ein Hobby, macht aber Arbeit. Die sollte vergütet werden. Im Gegenzug sind dann aber Stil und eine gewisse Professionalität seitens der Blogger angebracht – in der Kommunikation wie auch in der Leistung selbst.
Welche Entwicklung können Sie in der Foodblogger-Szene beobachten?
Die Foodblog-Szene professionalisiert sich zunehmend. Vor allem im Fotobereich ist schlicht durch den hohen Standard der heutigen Kameras ein Qualitätssprung in der Amateur-Food-Fotografie zu beobachten. Foodblogger tauchen darüber hinaus vermehrt als Werbebotschafter für große Firmen auf, häufig schreiben sie, wie ich, auch Kochbücher.
Das Social Web wird derzeit überflutet von Food-Content. Sie selber nutzen Twitter und Facebook als Kommunikationskanäle und haben zahlreiche Follower – wie wichtig ist Social Media für Sie und die Foodblogger-Szene?
Ich glaube, dass ein reines Blog heute nicht mehr funktioniert. Es sollte unbedingt ergänzend auch auf anderen Social-Media-Plattformen gespielt werden. Für mich ist mein Blog ein Gasthaus und Facebook, Twitter und Co. das Klappschild am Straßenrand, auf dem steht, was es heute im Gasthaus zu essen gibt.
Wie nutzen Sie selbst die sozialen Netzwerke, um Ihre eigenen Inhalte zu verbreiten?
Werbend – zum Beispiel als Hinweis auf aktuelle Beiträge im Blog – immer häufiger aber auch als Nachrichten-Ticker für kürzere oder aktuelle Meldungen aus der kulinarischen Welt.
Screenshot: NutriCulinary
Es gibt Stimmen, die behaupten, es sei sinnvoller, Inhalte direkt in den sozialen Netzwerken zu posten. Blogs würden in naher Zukunft überflüssig werden. Wie sehen Sie das?
Das ist nicht ganz falsch. Ich glaube aber, dass Blogs noch lange bestehen werden – als ruhige, konzentrierte Plattformen für längere Texte und schöne Bildstrecken, eher wie eine Art Magazin, als Lese- und Informationsort für die Wochenenden, als Gegenpol zum schnellen Alltagsrauschen der sozialen Netzwerke. Zudem bleiben Blogeinträge länger auffindbar und sichtbar. Und nicht zuletzt: Das Blog gehört einem selbst und keinem Weltkonzern. Ich mische mittlerweile: Ich blogge noch drei bis sechs Artikel im Monat, die sollten dann aber eine erweiterte Verweildauer rechtfertigen. Das Alltagsgeschäft läuft über Facebook & Co.
Print versus digital: Können Kochbücher, Magazine, Blogs, Apps oder klassische Food-Websites Ihrer Meinung nach nebeneinander existieren, oder werden einige Formate mit der Zeit vom Markt verschwinden?
Mit der „Go Veggie!“-App waren wir früh dran. Wir haben sie lange Zeit gut verkauft und tun es immer noch. Dass ausgerechnet diese frühe App jetzt zum Gräfe & Unzer Kochbuch wurde, finde ich ein sehr deutliches Signal – die Leute wollen Kochbücher. Dem gegenüber steht der junge Mann, den ich neulich beobachtete: Ein Kind im Alter von sechs Jahren, das mit Spreizfingergriff versuchte, ein Foto in einem Magazin größer zu ziehen. Das ist die Generation, die dann sicher zur App greifen wird. Allerdings erlebt auch die Schallplatte gerade eine Renaissance. Ich werde immer vorsichtiger mit Abgesängen, eine Sache ist jedoch sicher: Qualität wird immer ihren Markt finden, ganz unabhängig von der Form.
Inspiration off- oder online – wodurch lassen Sie sich am liebsten inspirieren?
Kochbücher. Foodblogs. Foodzeitschriften. In dieser Reihenfolge.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich einen respektvolleren Umgang mit Fleisch wünschen. Gesund kochen und Vegetarismus sind Trends, das Interesse an nachhaltiger Ernährung groß. Können Foodblogger einen Beitrag für Koch- und Esskultur der digitalisierten Gesellschaft leisten?
Unbedingt! Ich würde mir da auch wesentlich mehr politisches Wirken wünschen, denn Foodblogger sind Botschafter und Meinungsmacher. Ich habe aber an mir selbst gemerkt, dass davor die Sorge steht, die Leserinnen und Leser mit diesen unbequemen Themen zu nerven. Doch es gibt immer mehr Zustände, die uns wirklich Sorge bereiten sollten – und in Zeiten von TTIP, Lidl, Massentierhaltung, Fracking, Plastikmüllbergen und der Entprivatisierung von Wasser ist mir das wichtig geworden. Ich halte es wie Jamie Oliver: 95 Prozent Genuss und fünf Prozent harte Fakten. Ich bewundere Leute wie Hendrik Haase, die rund um die Uhr und wesentlich konsequenter die Möglichkeiten des Netzes nutzen, um auf Missstände hinzuweisen und Alternativen aufzuzeigen.
Foto: Daniela Haug
Sie sind bekanntermaßen Street-Food-Festival-Fan, Sie haben sogar ein Buch voller Street-Food-Rezepte geschrieben. Wo waren Sie zuletzt, und was haben Sie dort „auf die Hand“ gegessen?
Ich war in Nürnberg, beim Foodtruck Round Up, der bis dahin größten Versammlung von Foodtrucks in Deutschland. Dort habe ich bei „Goud“ ein hervorragendes Sandwich namens „Heimatweckla“ gegessen: Schäufelefleisch vom Schwein à la pulled pork, im Brötchen mit Rotkraut und Kartoffelkloßscheibe und da drüber die knusprige Schwarte als aromatischer Crunsh, ganz klein gehackt – Hammer!
Zum Abschluss ein kurzer Blick in die Zukunft: Welche Projekte stehen in nächster Zeit an?
Kochbücher, Kochbücher, Kochbücher. Im Herbst erscheint ein Märchenkochbuch, für das ich die Märchen der Gebrüder Grimm umgeschrieben und dazu eine eigene, märchenhafte Rezeptwelt mit alten Gemüsen, Kräutern und Gewürzen entwickelt habe. Ebenfalls im Herbst bringen Torsten Goffin, Fotografin Daniela Haug und ich das erste große Craft-Beer-Kochbuch Deutschlands heraus – daran arbeiten wir momentan bereits. Bald geht es in einem Van einmal quer durch Europa und auf sechs Musikfestivals – für den zweiten Band „Auf die Hand“. Diesmal geht es um eine Festival- und Outdoor-Küche, geplant ist das Buch für 2016.
Herr Paul, ich bedanke mich für das Interview.
// Über “Blogbuster”
Die Vielfalt der Blogosphäre macht richtig Spaß, die Qualität vieler Blogs begeistert uns. Einmal im Monat stellen wir in “Blogbuster” einen Blog vor, das uns besonders gefällt, aus der Menge der zahlreichen coolen Webpräsenzen heraussticht oder uns bei unserer Arbeit als Agentur begegnet. Und, wann immer möglich, sprechen wir auch mit dem Kopf oder den Köpfen dahinter.
Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #Blogbuster
// Über die Gastautorin
Friederike Pater ist studierte Journalistin und hat schon während ihrer Unizeit in der PR gearbeitet. Ihr Weg führte sie von der Konzernkommunikation über die Redaktion der Mittelbayerische Zeitung bis hin zu OSK nach Köln. Seit November 2014 arbeitet sie in der Agentur als PR-Assistant im Bereich Consulting. In ihrer Freizeit powert sie sich beim Crossfit-Training aus, genießt das gesellschaftliche, kulturelle und kulinarische Angebot der Rheinmetropole und lässt sich vom urbanen Charme Kölns zur Malerei inspirieren.