Jannis Kucharz ist Student, Journalist und Blogger. Mit netzfeuilleton.de hat er sich selbst zur Marke gemacht und gilt als Meinungsmacher und Experte für Medienwandel und Netzkultur. Auf der diesjährigen re:publica trat er zum wiederholten Mal als Redner auf und stellte gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Martin Giesler 15 journalistische Start-ups vor. Durch einen YouTube-Kanal erweitert er seinen Blog regelmäßig um die passenden Videos und landete mit dem “Gratis-BILD Unboxing” sogar einen kleinen Viral Hit. Die Morgenlinks – ein wöchentlicher Newsletter – runden das Informationsangebot ab und machen netzfeuilleton.de zu einem lesenswerten, weil relevanten Blog für das Thema Netzkultur.
Patrick Erbacher: Jannis, du bist bereits 2008 mit Netzfeuilleton online gegangen, also unmittelbar nach dem Abitur. Halten wir uns an den klassischen Einstieg und fragen nach deinen Intentionen, mit dem Bloggen anzufangen.
Jannis Kucharz: Ich hatte zuvor ein eigenes Webforum gegründet und administriert und war auch davor schon in anderen Webforen unterwegs. Daraus hat sich einfach der Drang entwickelt, regelmäßig im Netz zu publizieren, und die praktischste Form dafür ist eben ein Blog. Dazu kommt, dass ich nicht gerne nur theoretisch über Dinge spreche, sondern sie wenn möglich selbst ausprobiere. Mit meinem Blog kann ich neue Formate austesten, am Design und den Funktionen basteln und über jedes Thema schreiben, das mich beschäftigt, ohne es vorher in einer Redaktionskonferenz durchsetzen zu müssen.
Die Morgenlinks vom 20. Februar 2011 sind der älteste Beitrag, den man auf netzfeuilleton.de findet. An diesem Tag wurde auch das erste Mal der Webvideopreis im Rahmen der deutschen Webvideotage in Essen verliehen. Die Veranstaltung hat seitdem große Sprünge gemacht. Vor kurzem fanden sich mehr als 1000 Gäste im Düsseldorfer Capitol Theater zur diesjährigen Preisverleihung ein. Auch du selbst warst bereits nominiert. Was haben die letzten drei Jahre für dich und deinen Blog mit sich gebracht?
Da müssten sicher noch ältere Beiträge sein, aber vielleicht ist es ja auch ganz gut, wenn man nicht immer alle findet. Die Nominierung für den Deutschen Webvideopreis 2013 war eine wirklich tolle Sache, ebenso wie die Nominierung für den Goldenen Blogger letztes Jahr. Aber viel spannender und wichtiger sind all die Kontakte und neuen Freundschaften, die sich durch das Bloggen und die Aktivität im Netz gefunden haben. Das Netzfeuilleton selbst hat in der Zeit ja auch einige Phasen durchlaufen. Es war zum Beispiel nie als Einzelblog geplant, und dementsprechend gab es immer mal wieder verschiedene Mitschreiber, die mehr oder weniger intensiv eigene Beiträge zum Blog beigesteuert und ihn dadurch mitgeprägt haben. Hinzu kam, wie sich in der schon angesprochenen Webvideopreis-Nominierung zeigt, ein stärkerer Fokus auf Videos und damit auf neue Beitragsformen.
Zum Thema Kostenloskultur: Online-Journalisten und Blogger haben ja so ihre Probleme damit, im Internet Geld zu verdienen. Ermöglicht dir netzfeuilleton.de, vom Bloggen zu leben? Vielleicht allein schon deshalb, weil du dadurch in der Lage bist, Aufträge an Land zu ziehen, wie es so schön heißt?
Ich bin dadurch in der komfortablen Situation, aus mehreren Jobangeboten auswählen zu können, ohne eine einzige wirkliche Bewerbung schreiben zu müssen. Auch in der Vergangenheit haben sich die meisten Aufträge eben über meinen Blog und die wachsende Bekanntheit ergeben. Meine ersten beiden Praktika habe ich direkt über Twitter bekommen. Also sind das alles Erlöse über Umwege. Ich könnte mir aber vorstellen, sofern der Erfolg meines Blogs weiter anwachsen sollte, auch andere Wege der Finanzierung zu versuchen.
In einem Interview mit Julian Heck, seines Zeichens selbst Blogger, hast du über “Marken im Netz” gesprochen und davon, dass Online-Journalisten zusehends selbst zur Marke werden müssen, um im Netz überhaupt gehört zu werden.
Ich glaube, dass wir eigentlich fast schon zu viele Journalisten haben bzw. dass nicht alle Journalisten vom Journalismus allein leben können. Die Chancen steigen, wenn man es schafft, sich selbst zu einer Marke zu machen. Und klar, dabei kann ich wesentlich freier arbeiten und im Zweifelsfall sogar selbst versuchen, etwas auf die Beine zu stellen.
Ich erinnere mich natürlich an dein Unboxing zur gratis Bildzeitung. Das Video wurde zu einem kleinen Viral Hit, mit dem du ein klares Statement zum Inhalt der Bildzeitung abgegeben hast. Bereits 2011 sprachst du auf der re:publica über Skandalismus und seine Schnelllebigkeit, gerade im Netz. Und in diesem Jahr hast du zusammen mit Martin Giesler in einer “presentation that will blow your mind” 15 Start-ups aus dem Journalismus vorgestellt. Die These blieb stets die gleiche: Reißerische, aber inhaltslose Headlines gegen Qualitätsjournalismus mit tatsächlichem Mehrwert. Werden die Leser dem Clickbaiting irgendwann den Rücken zukehren?
Ich glaube, dass sich die Headlines à la Upworthy oder Heftig.de relativ schnell abnutzen werden, eben weil sie viel zu oft das Mind-Blowing-Versprechen nicht erfüllen. Das merken sich die Leute irgendwann. Aber in Deutschland fängt das mit Heftig.de ja gerade erst an, deswegen werden wir es hier wohl noch eine Zeit lang ertragen müssen. Klar war die BILD-Zeitung offline immer erfolgreicher als die Zeit, aber die beiden haben sich sicher nie direkt vergleichen lassen, weil sie ein ganz anderes Publikum ansprechen. Das eine ist Boulevard, das andere eine Wochenzeitung. Im Netz zählen aber plötzlich nur noch die Klickzahlen. Die Seite dahinter und ihr Anspruch sind egal. Hier muss ein neues Selbstbewusstsein her, um zu sagen: Nein, das machen und möchten wir nicht.
In einem Beitrag über Digital Natives sprachst du darüber, dass einem Gros der Nachwuchs-Journalisten die Expertise fehle, weil sie Social Media nicht als berufliches Instrument begreifen. Auf der anderen Seite siehst du ein grundsätzliches Problem bei den Medienhäusern, die weder das passende Werkzeug noch genügend Verständnis für innovativen Online-Journalismus aufbringen.
Das Problem liegt zu allererst bei den Digital Natives. Jemand, für den das Netz tatsächlich nativ ist, der macht sich nicht automatisch Gedanken über den professionellen und journalistischen Einsatz. Man setzt Social Media so ein, wie man es gelernt hat, und das bedeutet eben vor allem privat. Die Medienhäuser wiederum stecken im Innovations-Dilemma. Sie machen noch Geld mit ihren alten Medien und haben Angst davor, diese mit neuen Angeboten möglicherweise zu kannibalisieren. Vor allem, weil diese meist keinen klaren Erlös-Strom haben. Das ist einerseits verständlich, andererseits aber ebenso fatal, weil es dadurch an Geld und Willen fehlt, um wirklich Neues auszuprobieren.
Dein mittlerweile zweites Studium neigt sich gerade dem Ende zu. Was sind die Pläne für das Netzfeuilleton und die Marke “Jannis Kucharz”?
Ich bin gerade dabei, das herauszufinden.
Dann wünsche ich Dir viel Erfolg für die Zukunft, wo immer sie Dich auch hinführt und bedanke mich herzlich für das Interview.
// Über “Blogbuster”
Die Vielfalt der Blogosphäre macht richtig Spaß, die Qualität vieler Blogs begeistert uns. Einmal im Monat stellen wir in “Blogbuster” einen Blog vor, das uns besonders gefällt, aus der Menge der zahlreichen coolen Webpräsenzen heraussticht oder uns bei unserer Arbeit als Agentur begegnet. Und, wann immer möglich, sprechen wir auch mit dem Kopf oder den Köpfen dahinter.
Hier gelangt ihr zu den anderen Teilen der Serie #Blogbuster
// Über den Autor
Patrick Erbacher hat Germanistik und Geschichtswissenschaften in Würzburg studiert. Seit seinem Magister-Abschluss ist der Digital Native bei OSK im Bereich Online & Social Media tätig. Seine Liebe gilt zwei Dingen: Wintersport und Videospielen. Letztere werden auch gerne mal im Live Stream via Twitch verfolgt. Auch sonst ist Patrick up-to-date in Sachen Webtrends und Netzkultur. Er unterstützt das OSK Social Team an allen Fronten – so auch auf dem OSK-Blog. // E-Mail